Prävention und Therapie psychischer Störungen in perioperativen und intensivmedizinischen Settings
Psychische Störungen und Belastungen kommen häufig vor bei Patient:innen, die in der perioperativen und intensivmedizinischen Versorgung behandelt werden, und sie führen zu einem hohen Leidensdruck für die Betroffenen und ihre Zugehörigen. Zum einen sind sie klinisch relevante Risikofaktoren für eine schlechtere körperliche Genesung operierter und kritisch kranker Patient:innen. Zum anderen können psychische Störungen und Belastungen auch bedeutsame negative Ergebnisse von operativen und intensivmedizinischen Behandlungen sein. In dieser Literaturübersicht stellen wir verschiedene Therapieansätze vor, mit denen Patient:innen mit psychischen Störungen und Beschwerden in perioperativen und intensivstationären Settings behandelt werden können. Im Fokus stehen Prävention und Behandlung des Delirs, das sowohl im perioperativen als auch im intensivstationären Kontext auftreten kann. Wesentliche weitere Störungsbereiche sind Depression, Angst, Stress, leichte und schwere neurokognitive Störung sowie traumatische Belastungen, für die sich nichtpharmakologische Interventionen als erfolgreich erwiesen haben. Auch hinsichtlich der Behandlung des Delirs betonen die Autor:innen der aktuellen Leitlinie der European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) die Bedeutung nichtpharmakologischer Präventions- und Behandlungsmaßnahmen. Die Verwendung von Medikamenten soll demnach nur in spezifischen Fällen, symptomorientiert, unter strenger Indikationsstellung und kontinuierlichem Monitoring sowie in niedriger Dosierung und unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken erwogen werden.
Obwohl wir viele Aspekte psychischer Störungen von Menschen, die operativ und intensivmedizinisch behandelt werden, immer besser verstehen, besteht weiterhin großer Forschungsbedarf. Wichtige Forschungsthemen sind Pathogenese, Interaktionen psychischer und somatischer Faktoren, Auswirkungen auf medizinische Behandlungsergebnisse und die Genesung sowie die Etablierung effektiver patientenorientierter Versorgungskonzepte.
Schlüsselwörter: Postoperatives Delir (POD), präoperative Angst, Depression, psychische Gesundheit, chirurgische Patienten.
Psychopharmakotherapie 2023;30:184–98.
English abstract
Prevention and therapy of mental disorders in perioperative and intensive care settings
Mental disorders and psychological distress are common in patients treated in peri-operative and intensive care, and they lead to a high level of suffering for those affected and their relatives. On the one hand, they are clinically relevant risk factors for poorer physical recovery of surgical and critically ill patients. On the other hand, mental disorders and distress can also be significant negative outcomes of surgical and intensive care treatments. In this literature review, we present various therapeutic approaches that can be used to treat patients with mental disorders and psychological distress in peri-operative and intensive care settings. The focus is on prevention and treatment of delirium, which can occur in both peri-operative and ICU contexts. Major additional areas of mental distress include depression, anxiety, stress, mild and severe neurocognitive disorder, as well as traumatic stress, for which non-pharmacological interventions have been shown to be successful. Concerning the treatment of delirium, the authors of the current guideline of the European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) also emphasize the importance of non-pharmacological prevention and treatment measures. Accordingly, the use of medications should be considered only in specific cases, symptom-oriented, under strict indication and continuous monitoring, and at low doses, carefully weighing the benefits and risks.
Although we are gaining a better understanding of many aspects of mental disorders in patients receiving surgical treatment and intensive care, there is still a great need for research. Important research topics include pathogenesis, interactions of psychological and somatic factors, effects on medical treatment outcomes and recovery, as well as the establishment of effective patient-centered care approaches.
Key words: Postoperative delirium (POD), preoperative anxiety, depression, mental health, surgical patients
Gabapentinoide – Desensitisierer und GABA-Mimetika
Mechanismen, Hypothesen und Herausforderungen bezüglich einer klinisch noch nicht genügend erschlossenen gut verträglichen Substanzklasse
Die Substanzklasse der Gabapentinoide wird in jüngerer Zeit zunehmend in Hinblick auf ihr Schadens- bzw. Suchtpotenzial diskutiert. Dabei besteht das Risiko, dass ihr Nutzen aus dem Blick gerät. Für eine valide Beurteilung des Nutzen-Risiko-Profils sind vertiefende Studien nötig. Dieser Beitrag gibt einen kurzen Überblick über den Kenntnisstand und offene Forschungsfragen.
Schlüsselwörter: Gabapentinoide, Phenibut, Desensitisierung, Hyperalgesie, Entzugssymptome, Atemdepression
Psychopharmakotherapie 2023;30:199–205.
English abstract
Gabapentinoids – desensitizers and GABA mimetics. Mechanisms, hypotheses and challenges regarding a clinically not yet sufficiently developed well-tolerated substance class
Gabapentinoids are increasingly discussed with regard to their damaging and addictive potential, respectively. This carries the risk of losing sight of their benefits. Further detailed studies are necessary in order to evaluate the risk-benefit profile. This article provides a short review of the state of knowledge and open questions for research.
Key words: Gabapentinoids, phenibut, desensitisation, hyperalgesia, withdrawal symptoms, respiratory depression
Bipolare Störung
Pharmakotherapien gegen akute bipolare Depression im Vergleich
Eine große Netzwerk-Metaanalyse bestätigte mit moderater Evidenz den Nutzen verschiedener atypischer Antipsychotika bei der Behandlung der akuten bipolaren Depression. Das Risiko für den Umschwung der Depression in eine manische Phase wurde ebenfalls evaluiert.
Schwere Depression
Anhaltende Besserung durch einmalige Psilocybin-Anwendung möglich
Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie führte eine Behandlung mit Psilocybin, einem Halluzinogen, bei Patienten mit schwerer Depression zu einer klinisch signifikanten und anhaltenden Verringerung der depressiven Symptome und der funktionellen Beeinträchtigung. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Psilocybin, wenn es mit einer psychologischen Unterstützung verabreicht wird, ein vielversprechendes neues Mittel zur Behandlung von Depressionen sein könnte.
Neuropathische Schmerzen
Kombination von Alpha-Liponsäure und Pregabalin: die PAIN-CARE-Studie
Mit einem Kommentar des Autors
Eine kleine Cross-over Studie bei Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie zeigte eine Überlegenheit von Pregabalin gegenüber Alpha-Liponsäure (ALA). Für die Kombination aus ALA und Pregabalin gab es jedoch keine Hinweise auf einen zusätzlichen Nutzen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen.
Fortgeschrittener Morbus Parkinson
Weniger Wirkfluktuationen mit subkutaner Foslevodopa/Foscarbidopa-Infusion
Foslevodopa/Foscarbidopa zur subkutanen Infusion bereichert seit Kurzem das Portfolio für die Therapie bei fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung. Die neue Darreichungsform ermöglicht konstante Levodopa-Plasmalevel über 24 Stunden ohne operativen Eingriff. Studien bestätigen bei guter Verträglichkeit die Wirksamkeit mit längeren On- und kürzeren Off-Phasen sowie weniger Morgenakinese. Bei einer Pressekonferenz der Firma AbbVie sprachen die Referenten sich für eine frühzeitige Umstellung bei gegebener Indikation aus.
Morbus Parkinson
IPX203 ist Levodopa-Formulierungen mit sofortiger Freisetzung überlegen
In einer Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit der neuartigen oralen Levidopa-Carbidopa-Formulierung IPX203 untersucht, die die Absorption von Levodopa verlängern soll. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einnahme von IPX203 zu einer längeren täglichen On-Phase bei Patienten mit Morbus Parkinson führt, verglichen mit einer schnell verfügbaren Carbidopa-Levodopa-Formulierung.
Multiple Sklerose (MS)
Auf dem Weg zur neuroimmunologischen Präzisionstherapie
Das bessere Verständnis der MS-Pathologie hat zur Identifizierung zahlreicher neuer therapeutischer Targets in verschiedenen Immun-Netzwerken geführt. Zugleich scheint es mit der Entwicklung der ZNS-gängigen Inhibitoren der Bruton-Tyrosinkinase (BTKi) erstmals möglich, im Rahmen der Beeinflussung der Neurodegeneration eine Remyelinisierung zu erreichen. Die neuen neuroimmunologisch basierten Targets wurden auf dem 9. ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress in einem von Sanofi veranstalteten Symposium diskutiert.
Migräne
Triptan-Non-Responder: Querschnittsdaten aus dem DMKG-Kopfschmerz-Register
Mit einem Kommentar des Autors
Im Rahmen einer Erhebung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) bei 2284 erwachsenen Migränepatienten hatten bei 13,1 % der Patienten ≥ 2 Triptane zur Therapie akuter Migräneattacken versagt. Bei ≥ 3 Triptanen betrug diese Quote nur noch 3,9 %. Das Versagen von Triptanen war mit einem erhöhten Schweregrad der Migräne verbunden, was die Bedeutung eine wirksamen und verträglichen Akutmedikation bei Migräne unterstreicht. Die Optimierung der Akutbehandlung könnte die Umstellung auf ein Triptan mit den höchsten Ansprechraten oder auf eine andere Klasse von Akutmedikamenten umfassen.
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Ravulizumab als Komplementsystem-Inhibitor gegen ALS
Patienten mit amyotropher Lateralsklerose weisen häufig erhöhte Plasmakonzentrationen der Komplementkomponente C5 auf. In einer Studie wurde nun die Wirksamkeit und Sicherheit des monoklonalen Antikörpers Ravulizumab, der eine hohe Affinität für C5 aufweist, untersucht. Sie zeigt, dass eine C5-Inhibition im Vergleich zu Placebo keinen Einfluss auf die Krankheitsprogression bei ALS-Patienten hat.
Maligne Gliome
Der duale Inhibitor Vorasidenib zur Behandlung IDH-mutierter Gliome
Die Leitlinien-Therapie für Isocitrat-Dehydrogenase-(IDH-)mutierte, WHO-Grad-2- und -3-Gliome liegt aktuell in der Resektion des Tumors gefolgt von Strahlen- oder Chemotherapie. Da diese Behandlung nur eine längerfristige Remission, aber keine vollständige Heilung ermöglichen kann sowie zusätzlich mit toxischen Nebeneffekten einhergeht, wird nach neuen Therapiemöglichkeiten gesucht. Ein vielversprechender Wirkstoff ist dabei der duale Inhibitor Vorasidenib, der zielgerichtet in IDH-mutierten Gliomzellen wirkt.