Maligne Gliome

Der duale Inhibitor Vorasidenib zur Behandlung IDH-mutierter Gliome


Annika Harsch, Stuttgart

Die Leitlinien-Therapie für Isocitrat-Dehydrogenase-(IDH-)mutierte, WHO-Grad-2- und -3-Gliome liegt aktuell in der Resektion des Tumors gefolgt von Strahlen- oder Chemotherapie. Da diese Behandlung nur eine längerfristige Remission, aber keine vollständige Heilung ermöglichen kann sowie zusätzlich mit toxischen Nebeneffekten einhergeht, wird nach neuen Therapiemöglichkeiten gesucht. Ein vielversprechender Wirkstoff ist dabei der duale Inhibitor Vorasidenib, der zielgerichtet in IDH-mutierten Gliomzellen wirkt.

Gliome gelten als die häufigsten bösartigen primären Hirntumore in Erwachsenen. Dabei tragen die Tumorzellen fast aller WHO-Grad-2-Gliome Mutationen in den Genen, die für die Stoffwechselenzyme Isocitrat-Dehydrogenase 1 (IDH1) und 2 (IDH2) kodieren (Kasten).

Als postoperative Standardtherapie IDH-mutierter WHO-Grad-2- und -3-Gliome hat sich die Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie etabliert [2], die zwar für eine langanhaltende Remission sorgen kann, jedoch keine Heilung verspricht. Bei der Behandlung entstehen zudem unerwünschte, toxische Effekte, wie DNA-Hypermutationen oder neurokognitive Dysfunktionen. Der neuartige duale IDH-Inhibitor Vorasidenib bietet eine gezieltere Wirkung und könnte daher, gekoppelt mit fortlaufenden MRT-Scans des Gehirns, den Einsatz von Chemo- und Strahlentherapie hinauszögern. In der klinischen Phase-III-Studie INDIGO (Investigating vorasidenib in glioma) wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer Vorasidenib-Therapie untersucht.

IDH-Mutationen

Mutationen innerhalb der IDH1- und IDH2-kodierenden Gene verändern die katalytische Enzymaktivität. Anstelle von alpha-Ketoglutarat, einem Metaboliten des Citratzyklus, wird dann die Synthese von 2-Hydroxyglutarat katalysiert, das als kompetitiver Inhibitor verschiedene alpha-Ketoglutarat-abhängige Enzyme blockiert. Betroffen sind davon auch epigenetische Enzyme. Dies geht mit einer veränderten DNA- und Histon-Methylierung einher und führt damit zu einem veränderten Genexpressionsprofil der betroffenen Zellen, was vermutlich die Tumorgenese fördert [1].

Studiendesign

INDIGO war eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie, die weltweit in zehn Ländern durchgeführt wurde. Ausgewählt wurden Patienten mit residualem oder rezidivierendem IDH-mutiertem WHO-Grad-2-Gliom (n = 331), die in vorheriger Therapie lediglich einer Operation unterzogen wurden. Eine weitere Voraussetzung war ein Karnofsky-Index von mindestens 80 (Spanne 0–100; je niedriger der Index, desto höher die physischen Einschränkungen des Patienten). Die Patienten erhielten eine tägliche, orale Dosis von 40 mg Vorasidenib (n = 168) oder ein Placebo (n = 163). Kontrolluntersuchungen wurden alle 28 Tage durchgeführt. Primärer Endpunkt der Studie war ein progressionsfreies Überleben, definiert als die Zeit zwischen Randomisierung der Patienten und dem ersten Fortschreiten der Erkrankung oder dem Tod des Patienten. Der Zeitpunkt des Krankheitsfortschritts wurde durch bildgebende Verfahren von einem verblindeten, unabhängigen Review-Komitee bestimmt. Der wichtigste sekundäre Endpunkt war der Zeitraum von der Randomisierung bis zur nächsten Krebstherapie oder bis zum Tod. Hier wurden auch Patienten der Placebo-Gruppe eingeschlossen, die nach Krankheitsprogression zu einer Behandlung mit Vorasidenib wechselten. Endpunkte wurden mittels der Kaplan-Meier-Kurve bestimmt.

Ergebnisse

Das progressionsfreie Überleben konnte in der Vorasidenib-Gruppe mit 27,7 Monaten verglichen mit 11,1 Monaten in der Placebo-Gruppe signifikant verbessert werden (Hazard-Ratio [HR] 0,39; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,27–0,56; p < 0,001). Der wichtigste sekundäre Endpunkt wurde ebenfalls signifikant verbessert (HR 0,26; 95%-KI 0,15–0,43; p > 0,001). Die Wahrscheinlichkeit ei-nes Überlebens ohne Folgebehandlung nach 18 Monaten lag bei 85,6 % (95%-KI 77,8–90,8) in der Vorasidenib-Gruppe und bei 47,4 % (95%-KI 35,8–58,2) in der Placebo-Gruppe. Diese Wahrscheinlichkeit änderte sich nach 24 Monaten auf 83,4 % (95%-KI 74,0–89,6) zu 27,0 % (95%-KI 7,9–50,8).

Sicherheit

Unerwünschte Ereignisse (UE) des Grades 3 oder höher traten bei 22,8 % der Vorasidenib-Gruppe und bei 13,5 % der Placebo-Gruppe auf. Häufige UE waren dabei erhöhte Alanin-Aminotransferase- sowie Aspartat-Aminotransferase-Level, die lediglich in der Vorasidenib-Gruppe (9,6 % bzw. 4,2 % der Patienten) auftraten. Schwerwiegende UE traten bei 1,8 % der Patienten mit Vorasidenib auf. Bei 3,6 % der Vorasidenib-Gruppe musste die Behandlung abgebrochen werden, während bei 10,8 % die Dosis reduziert werden musste. Eine Unterbrechung der Behandlung war bei 29,9 % der Vorasidenib- Patienten notwendig.

Fazit

Die Ergebnisse der INDIGO-Studie zeigen, dass eine Behandlung mit Vorasidenib das progressionsfreie Überleben sowie die Zeit bis zur Notwendigkeit einer Folgebehandlung von Patienten mit IDH-mutiertem Gliom niedrigen Grades mit vorheriger Tumorresektion signifikant verlängern kann. Zudem war die Inzidenz schwerwiegender UE mit 1,8 % relativ gering. Zukünftig könnte Vorasidenib daher als postoperative Folgetherapie zur Behandlung dieses Gliom-Typs eingesetzt werden. Vorstellbar sei auch, so die Autoren, Vorasidenib in einer Kombinationstherapie anzuwenden. Hierzu sind jedoch weitere Studien erforderlich. Eine Limitation der Studie ist, dass sie sich ausschließlich auf Gliome des WHO-Grades-2 konzentriert. Somit kann keine Aussage über die Sicherheit und Wirksamkeit von Vorasidenib bei IDH-mutierten Gliomen höheren Grades getroffen werden.

Quelle

Mellinghoff I, et al. Vorasidenib in IDH1- or IDH2-mutant low-grade glioma. N Engl J Med 2023;389:589–601.

Literatur

1. Xu W, et al. Oncometabolite 2-hydroxyglutarate is a competitive inhibitor of α-ketoglutarate-dependent dioxygenases. Cancer Cell 2011;19:17–30.

2. Onkopedia https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/gliome-im-erwachsenenalter/@@guideline/html/index.html#ID0E6ZBG (Zugriff am 21.09.2023).

Psychopharmakotherapie 2023; 30(06):206-217