Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Chronisch neuropathische Schmerzen können im Rahmen einer Polyneuropathie, zum Beispiel bei Diabetes mellitus, bei Schädigung der Nervenwurzeln durch Bandscheibenvorfälle, nach einer Varicella-Zoster-Infektion oder als Folge einer Chemotherapie auftreten. Üblicherweise erfolgt die Therapie durch eine Monotherapie, beispielsweise mit Amitriptylin oder Pregabalin. Kombinationstherapien sind bisher nur in wenigen Studien untersucht worden. Die wissenschaftliche Grundlage für die Kombination des Antikonvulsivums Pregabalin mit dem Antioxidans ALA stützt sich auf den Wirksamkeitsnachweis der zwei Arzneistoffe bei neuropathischen Schmerzen [1, 2]. Die beiden Substanzen haben unterschiedliche antinozizeptive Mechanismen: Während ALA die nozizeptive Empfindlichkeit über eine Hemmung von Calciumkanälen vom T-Typ (Cav3.2) reduziert, hemmt Pregabalin Calciumkanäle vom N-Typ.
Studiendesign
In der Studie wurde die Kombination aus Alpha-Liponsäure und Pregabalin zur Behandlung neuropathischer Schmerzen aufgrund von peripheren Neuropathien mit den entsprechenden Monotherapien verglichen. In der randomisierten, doppelblinden, Cross-over-Studie der Phase III erhielten die Teilnehmer in zufälliger Reihenfolge orale ALA, Pregabalin oder deren Kombination über jeweils sechs Wochen. Der primäre Endpunkt war die mittlere tägliche Schmerzintensität, die mittels der NRS (Numeric rating scale; Kasten) bestimmt wurde. Sekundäre Endpunkte waren die Lebensqualität, gemessen mittels SF-36 (Short Form 36 Fragebogen; Kasten), die Schlafqualität , die Dosierung der Arzneimittel und unerwünschte Arzneimittelwirkungen.
Infokasten: NRS und SF-36
NRS: Numeric rating scale zur Bestimmung der Schmerzintensität; Spanne 0–10; je höher der Wert, desto stärker die Schmerzen
SF-36: Short Form 36 Fragebogen zur Bestimmung der Lebensqualität; Spanne 0–100; je höher der Wert, desto besser die gesundheitsbezogene Lebensqualität
Ergebnisse
Die Patienten waren im Median 70 Jahre alt,63 % waren Männer. Die mittlere Schmerzintensität betrug zu Beginn der Studie 5,32. Die neuropathischen Schmerzen bestanden im Mittel seit 7,7 Jahren. Von 55 randomisierten Teilnehmern, davon 20 mit diabetischer Neuropathie, 19 mit Small-Fiber-Neuropathie und 16 mit anderen Polyneuropathien, schlossen 46 Patienten zwei und 44 Patienten drei Behandlungsabschnitte ab. Die mittlere Schmerzintensität nach sechs Wochen betrug 3,96 für die ALA-Gruppe (Standardfehler [SEM] 0,25), 3,25 (SEM 0,25) für die Pregabalin- und 3,16 (SEM 0,25) für die Kombinationstherapie-Gruppe . Dabei zeigte sich eine signifikant niedrigere Schmerzintensität für Patienten, die Pregabalin und die Kombination aus Pregabalin und ALA erhalten hatten, im Vergleich zur ALA-Monotherapie (p = 0,01). Die Behandlungsunterschiede waren in den Untergruppen mit diabetischer Neuropathie und mit anderen Neuropathien ähnlich. Die SF-36-Gesamtwerte betrugen 66,6 (SEM 1,88) für ALA, 70,1 (SEM 1,88) für Pregabalin und 69,4 (1,87) für die Kombinationstherapie (p = 0,05 für ALA gegenüber der Kombination und Pregabalin), wobei der Unterschied zwischen der ALA- und der Pregabalin-Gruppe sowie zwischen der ALA- und der Kombinationstherapie-Gruppe signifikant war (p = 0,05) Es gab keine Unterschiede zwischen den drei Therapien bezüglich des Ausmaßes einer Depression oder der Symptome einer Angsterkrankung. Die Schlafqualität war mit Pregabalin und der Kombinationstherapie besser als mit ALA. Statistisch signifikante Behandlungsunterschiede in Bezug auf unerwünschte Wirkungen oder die erreichten maximalen Arzneimitteldosen traten nicht auf.
Kommentar
Die Ergebnisse dieser kleinen Studie zeigen die Überlegenheit von Pregabalin gegenüber ALA bei Patienten mit chronisch-neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie . Die Kombination aus ALA und Pregabalin war dabei nicht wirksamer als die Pregabalin-Monotherapie. Schon in früheren Studien hatte sich gezeigt, dass ALA nur eine relativ geringe Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen von Polyneuropathien hat. Ein Nachteil der Studie ist die fehlende Placebo-Gruppe. Daher kann nicht mit Sicherheit unterstellt werden, dass ALA tatsächlich wirksam ist. Ein weiteres Problem ist die kurze Behandlungsdauer im Rahmen einer Cross-over-Studie, die nur sechs Wochen betrug. Insgesamt war jedoch erstaunlich, wie viele Patienten die Studie beendet haben. Die Implikation für die klinische Praxis ist, dass eine Kombination aus Pregabalin und ALA in der Behandlung von chronisch neuropathischen Schmerzen nicht empfohlen werden kann.
Quelle
Gilron I, et al. Randomized, double-blind, controlled trial of a combination of alpha-lipoic acid and pregabalin for neuropathic pain: the PAIN-CARE trial. Pain2023;Epub ahead of print.
Literatur
1. Cassanego G, et al. Evaluation of the analgesic effect of α-lipoic acid in treating pain disorders: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Pharmacol Res 2022;177:106075.
2. Finnerup NB, et al. Pharmacotherapy for neuropathic pain in adults: a systematic review and meta-analysis. Lancet Neurol 2015;14:162–73.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(06):206-217