Prof. Hans-Christoph Diener, Essen
Psilocybin gehört chemisch zur Gruppe der sogenannten Tryptamine und ähnelt strukturell dem Neurotransmitter Serotonin. Die Substanz kommt in einigen Pilzarten vor, die aufgrund ihrer halluzinogenen Wirkung auch als „magic mushrooms“ bezeichnet werden. Psilocybin wird nach Aufnahme in Psilocin umgewandelt, das für die psychedelischen Effekte verantwortlich ist. Psilocin bindet im ZNS an Serotoninrezeptoren, beispielsweise an den 5-HT2-Rezeptor. Neben der halluzinogenen Wirkung von Psilocin deuten die Ergebnisse verschiedener Studien an, dass Psilocybin über eine antidepressive Wirkung verfügt, die über das Vorhandensein der Droge im Körper hinausgeht [1, 2]. In der referierten Studie sollten Ausmaß, Zeitpunkt und Dauer der antidepressiven Wirkung, Verträglichkeit und Sicherheit einer einzelnen Dosis von Psilocybin bei Patienten mit schwerer Depression untersucht werden.
Studiendesign
In der Phase-II-Studie, die zwischen Dezember 2019 und Juni 2022 an elf Forschungsstandorten in den USA durchgeführt wurde, wurden die Teilnehmer in einem Verhältnis von 1 : 1 randomisiert. Sie erhielten entweder eine Einzeldosis von 25 mg synthetischem Psilocybin oder eine 100-mg-Dosis eines Niacin-Placebos in identisch aussehenden Kapseln. Die Behandlung erfolgte mit psychologischer Unterstützung. Die Teilnehmer waren Erwachsene im Alter von 21 bis 65 Jahren mit der Diagnose einer seit mindestens 60 Tage andauernden Depression und einem mittleren oder höheren Schweregrad der Symptomatik. Zu den Ausschlusskriterien gehörten eine Psychose oder Manie in der Vorgeschichte, aktiver Substanzkonsum, eine Substanzgebrauchsstörung und aktive Suizidgedanken. Primäre und sekundäre Endpunkte sowie unerwünschte Ereignisse (UE) wurden zu Beginn der Studie erfasst und 2, 8, 15, 29 und 43 Tage nach der Verabreichung von Psilocybin oder Placebo untersucht.
Der primäre Endpunkt war die Veränderung der zentral von einem Begutachter bestimmten MADRS-Werte (Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale; Spanne 0–60; je höher der Wert, desto schwerer die Depression[3]). Verglichen wurde der Ausgangswert mit dem Wert an Tag 43. Der wichtigste sekundäre Endpunkt war die Veränderung des MADRS-Scores von Studienbeginn bis Tag 8. Weitere sekundäre Endpunkte waren die Veränderung des Sheehan-Disability-Scale-Scores (Spanne 0–30; je höher der Wert, desto größer die funktionelle Beeinträchtigung) vom Ausgangswert bis zum Tag 43 und MADRS-definierte anhaltende Response und Remission. Teilnehmer, Personal des Studienzentrums, Studiensponsor und Statistiker waren gegenüber der Interventionszuweisung verblindet.
Ergebnisse
Insgesamt nahmen 104 Patienten teil. Das mittlere Alter betrug 41,1 Jahre, 52 Patienten waren Frauen. 51 Patienten wurden in die Psilocybin- und 53 in die Niacin-Gruppe randomisiert, wobei die mittleren Ausgangswerte auf der MADRS-Skala 35,5 bzw. 35,0 betrugen. Die mittlere Dauer der aktuellen depressiven Episode lag bei 53 Wochen für die Psilocybin- und bei 81 Wochen für die Niacin-Gruppe.
Die Psilocybin-Behandlung führte im Vergleich zu Niacin zu einer signifikanten Verringerung des MADRS-Scores vom Ausgangswert bis zum Tag 43, mit einer mittleren Differenz von –12,3 Punkten (95%-Konfidenzintervall [KI] –17,5 bis –7,2; p < 0,001). Die mittlere Differenz vom Ausgangswert bis zu Tag 8 betrug–12,0 Punkte (95%-KI –16,6 bis –7,4; p < 0,001). Zudem führte die Psilocybin-Behandlung zu einer signifikanten Verringerung der Werte auf der Sheehan Disability Scale im Vergleich zu Niacin, wobei die Differenz–2,31 Punkte (95%-KI, 3,50–1,11; p < 0,001) vom Studienbeginn bis zu Tag 43 betrug. Von der Psilocybin-Gruppe zeigten mehr Teilnehmer ein anhaltendes Ansprechen (aber keine Remission) als diejenigen Patienten, die Niacin erhielten. Es traten keine schwerwiegenden behandlungsbedingten UE auf, allerdings führte die Psilocybin-Behandlung zu mehr Nebenwirkungen als Placebo. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Übelkeit und visuelle Halluzinationen.
Kommentar
Diese Studie hat in den Vereinigten Staaten viel Aufmerksamkeit erregt und zu kontroversen Diskussionen geführt. In der relativ kleinen Studie zeigte sich, dass Psilocybin nach einmaliger Gabe über einen Zeitraum von 43 Tagen zu einer Verbesserung der Symptome einer schweren Depression führt. Dieser Therapieeffekt müsste nun in einer größeren Phase-III-Studie belegt werden. Psilocybin ist eine problematische Substanz, da sie nicht nur zu Halluzinationen führen, sondern auch Psychosen auslösen kann. Sollte sich die Wirksamkeit in Zukunft bestätigen und die Therapie zugelassen werden, dürfte sie nur unter einer sehr engmaschigen psychiatrischen Betreuung erfolgen.
Quelle
Raison CL, et al. Single-dose psilocybin treatment for major depressive disorder: a randomized clinical trial. Jama 2023;330:843–53.
Literatur
1. Goodwin GM, et al. Single-dose psilocybin for a treatment-resistant episode of major depression. N Engl J Med. 2022;387:1637–48.
2. Griffiths RR, et al. Psilocybin produces substantial and sustained decreases in depression and anxiety in patients with life-threatening cancer: A randomized double-blind trial. J Psychopharmacol. 2016;30:1181–97.
3. Paketci S. Interpretation of the Montgomery-Åsberg depression rating scale (MADRS). Br J Psychiatry 2021;219:620–1.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(06):206-217