Arzneimittel und Regelwerke
Was bedeutet die EU-HTA-Verordnung für Zulassung und Nutzenbewertung von Neuropsychopharmaka?
EU-HTA-Verordnung: Auswirkungen auf den Zugang zu Neuropsychopharmaka
Für die Nutzenbewertung von Neuropsychopharmaka wird die im Januar 2025 wirksam werdende europäische HTA-Verordnung erst 2030 konkrete Auswirkungen haben. Dennoch werden jetzt die klinischen Studien initiiert, die zu einem späteren Zeitpunkt parallel zum Zulassungsantrag auch der Bewertung der HTA-Institutionen unterliegen. Die Anforderungen von Zulassung und HTA überschneiden sich in vielen Aspekten für Psychopharmaka, im Detail bestehen jedoch wesentliche Unterschiede, die im Studiendesign zu berücksichtigen sind. Insbesondere im Rahmen von frühzeitigen Beratungen lassen sich diese Herausforderungen rechtzeitig adressieren, um bei den späteren Bewertungen zu reüssieren. Am Beispiel von Antidepressiva, die in den letzten Jahren zugelassen wurden, werden die Anforderungen der beiden Verfahren – einschließlich der nationalen Nutzenbewertung – erläutert, und für die Arzneigruppe der Antidementiva wird ein Ausblick gegeben.
Schlüsselwörter: EU-HTA-Verordnung, Arzneimittelzulassung, Antidepressiva, Antidementiva, Nutzenbewertung
Psychopharmakotherapie 2025;32:2–10.
English abstract
EU HTA regulation: Impact on access to neuropsychopharmaceuticals
With the European HTA evaluation of new medicinal products, starting in 2025, the availability of new therapies across Europe aims to be improved and Europe’s position as an innovation hub strengthened. Simultaneously, the procedures for reimbursement systems in individual member states will be supported by an evaluation. For neuropsychopharmaceuticals, this regulation will only take effect in a few years. Nevertheless, studies are now being initiated that will later be subject to HTA evaluation parallel to the marketing authorization application. The requirements for authorization and HTA overlap in many aspects, though there are significant differences in detail that need to be considered in the study designs. Especially in the context of early consultations, these challenges can be addressed in a timely manner to succeed in later evaluations. Using the example of antidepressants approved in recent years, the requirements of the two procedures are explained – including the national benefit assessment – and an outlook for the drug group of anti-dementia drugs is given.
Key words: EU HTA regulation, marketing authorization, antidepressants, anti-dementia drugs, benefit assessment
Cannabis zur medizinischen Anwendung
Eine aktuelle Übersicht
Cannabis ist nach Alkohol und Nikotin die mit Abstand am häufigsten konsumierte Substanz (bzw. Substanzgemisch) in Deutschland. Insgesamt ist ein Anstieg des Cannabiskonsums zu beobachten, auch des problematischen Gebrauchs. Laut epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) nutzten 2021 in Deutschland 4,5 Mio. Erwachsene (8,8 %) Cannabis. Seit 1. April 2024 gilt in Deutschland das neue Cannabisgesetz. Dieses regelt durch zwei neue Rechtsgrundlagen, das Konsumcannabisgesetz und das Medizinal-Cannabisgesetz, den Umgang mit Cannabis. Durch die Teillegalisierung haben Cannabiskonsum und Cannabiskonsumstörungen eine neue gesellschaftliche Bedeutung erhalten. Bemerkenswert ist, dass auf die sonst für die Zulassung von Arzneimitteln geforderten strengen Anforderungen an Wirksamkeit und Sicherheit für Cannabisblüten bzw. -extrakte verzichtet wurde. Der Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken wird auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Zugelassene Indikationen sind Spastik (bei multipler Sklerose), Inappetenz bei schweren konsumierenden Krankheiten, AIDS, Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie sowie seltene Epilepsieformen. Moderat belegt ist die Wirksamkeit bei der meistverordneten Indikation chronische neuropathische Schmerzen. Bei psychischen Störungen liegen nur Einzelfallstudien und Fallserien vor. Cannabis-basierte Substanzen zur medizinischen Anwendung gelten in der Regel als gut verträgliche Arzneimittel. Bei Delta-9-Tetrahydrocannabinol-(THC-)haltigen Präparaten treten sehr häufig Schwindelanfälle und Müdigkeit auf, bei Cannabidiol (CBD) werden vor allem verminderter Appetit, Somnolenz, Diarrhö, Erbrechen und Leberwerterhöhung als sehr häufige Nebenwirkungen genannt. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang von Cannabiskonsum und der Entwicklung von drogeninduzierten Psychosen. Insbesondere ein hochdosierter und langjähriger Cannabisgebrauch sowie ein Konsumbeginn im Jugendalter können zu längerfristigen psychischen Störungen führen. Ein aktueller großer Umbrella-Review von Metaanalysen (51 RCTs, 50 Beobachtungsstudien) konstatiert, dass Cannabis in der Adoleszenz und bei jungen Erwachsenen kontraindiziert ist, ebenso bei psychischen Störungen und in der Schwangerschaft. Auch eine Fahrtauglichkeit sei nicht gegeben. Beim Rauchen von Cannabisblüten können Interaktionen mit Clozapin, Olanzapin oder Duloxetin auftreten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Therapie primär psychischer Störungen mit Cannabispräparaten weder evidenzbasiert noch leitliniengerecht.
Schlüsselwörter: Cannabis, Cannabinoide
Psychopharmakotherapie 2025;32:11–24.
English abstract
Cannabis for medical use – an overview
Cannabis is by far the most frequently consumed substance (or mixture of substances) in Germany after alcohol and nicotine. Overall, there has been an increase in cannabis use, including problematic use. According to the Epidemiological Survey on Addiction (ESA), 4.5 million adults (8.8 %) used cannabis in Germany in 2021. Since April 1, 2024 the new Cannabis Act has been in force in Germany. This is regulated by two new legal bases, the Cannabis Consumption Act and the Medical Cannabis Act. Due to partial legalization cannabis use and cannabis use disorders have taken on a new social significance. Notably, the strict requirements for efficacy and safety that are usually mandatory for the approval of medicinal products have been waived for cannabis flowers and extracts. The use of cannabis for medical purposes is also subject to controversial discussion within professional circles. Approved indications include spasticity (in MS), loss of appetite in severe wasting conditions, AIDS, as well as nausea and vomiting in the context of chemotherapy and rare forms of epilepsy. The effectiveness in the most commonly prescribed indication, chronic neuropathic pain, is moderately supported by evidence. For mental disorders, only single case studies and case series are available. Cannabis-based substances for medical use are generally considered well tolerated medicines. With tetrahydrocannabinol (THC)-containing preparations, dizziness and fatigue are very common; while cannabidiol (CBD) is mainly associated with decreased appetite, somnolence, diarrhea, vomiting and elevated liver enzymes as very frequent side effects. There is a clear link between cannabis use and the development of drug-induced psychosis. In particular, high-dose and long-term cannabis use as well as starting consumption during adolescence, can lead to long-term mental health disorders. A recent large umbrella review of meta-analyses (51 RCTs, 50 observational studies) concludes that cannabis is contraindicated during adolescence and in young adults, as well as in individuals with mental health disorders and during pregnancy. Driving fitness is also not assured. Smoking cannabis flowers may interact with clozapine, olanzapine or duloxetine. At present, the treatment of primary mental disorders with cannabis-based preparations is neither evidence-based nor in line with guidelines.
Key words: Cannabis, Cannabinoids
Atogepant
Oraler CGRP-Antagonist zur Migräneprophylaxe
Atogepant ist zur Prophylaxe der Migräne bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat indiziert. In den Zulassungsstudien zeigte sich der orale Calcitonin-Gene-related-Peptide-Rezeptor-(CGRP-)Antagonist bei Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne eindeutig wirksam. Damit steht nun eine weitere Therapieoption für die Migräneprophylaxe zur Verfügung.
Schlüsselwörter: Atogepant, Gepante, Calcitonin-Gene-related-Peptide-Rezeptor, CGRP, Migräne
Psychopharmakotherapie 2025;32:25–36.
English abstract
Atogepant
Atogepant is indicated for the prophylaxis of migraine in adults with at least four migraine days per month. In the approval studies, the oral calcitonin gene-related peptide receptor (CGRP) antagonist was clearly effective in patients with episodic or chronic migraine. It represents a promising treatment option for these patients. Also patients with overuse of acute medication can benefit from Atogepant. The drug is well tolerated. Nevertheless, some relevant interactions with other drugs must be taken into account.
Key words: atogepant, gepants, calcitonin gene-related peptide receptor, CGRP, migraine
Depressive Störung
Lichttherapie hilft auch bei nichtsaisonaler Depression
Eine unterstützende Lichttherapie verbessert auch bei nichtsaisonaler Depression das Behandlungsergebnis. Das zeigte eine systematische Übersichtsarbeit mit einer Metaanalyse. Die Ergebnisse legen außerdem nahe, dass die Lichttherapie das Ansprechen auf die initiale Therapie beschleunigen könnte.
Schizophrenie
Halbjährliche Paliperidonpalmitat-Injektion als neues Therapieschema
In einer weiterführenden Open-Label-Studie im Anschluss an eine randomisierte klinische Studie zeigten die Schizophrenie-Patienten, welche alle sechs Monate eine Injektion mit Paliperidonpalmitat erhielten, klinische Stabilität über den Studienzeitraum von drei Jahren.
Morbus Pompe
Brauchen wir mehr klinische oder Künstliche Intelligenz?
Auf einem von Sanofi veranstalteten Symposium im Rahmen des DGN-Kongresses 2024 wurde über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Neurologie diskutiert. Das Fazit: KI kann die Effizienz steigern, doch man muss die richtigen Fragen stellen. Auf jeden Fall kann ihr Einsatz die Zeit erhöhen, die ein Arzt für seine Patienten hat.
Akuter ischämischer Schlaganfall
Ist Tenecteplase besser geeignet zur systemischen Thrombolyse als Alteplase?
Mit einem Kommentar des Autors
Eine Metaanalyse aus elf randomisierten Studien zeigte, dass Tenecteplase und Alteplase bei der Therapie des akuten ischämischen Schlaganfalls im 4,5-Stunden-Fenster ähnlich sicher sind. Tenecteplase zeigte gegenüber Alteplase in Bezug auf ein ausgezeichnetes funktionelles Ergebnis nach 90 Tagen eine geringe Überlegenheit.
Migräne
Ein monoklonaler Antikörper gegen PACAP zur Migräneprophylaxe
Mit einem Kommentar des Autors
PACAP (Pituitary adenylate cyclase activating polypeptide) ist ein Mediator der Migränepathogenese. In einer randomisierten Phase-II-Studie mit 237 Migränepatienten zeigte eine intravenöse Infusion von 750 mg Lu AG09222, einem monoklonalen Antikörper gegen PACAP, eine Überlegenheit gegenüber Placebo bei der Verringerung der Migränetage in den folgenden vier Wochen.
Migräneprophylaxe
Ergebnisse zur Effektivität von CGRP-Antikörpern in der Versorgungsforschung
Da sich Migräne auf praktisch alle wichtigen Aspekte des Lebens negativ auswirken kann, sind effektive Therapiestrategien zur Reduktion der Krankheitslast erforderlich. Über Erfahrungen mit Antikörpern gegen das Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) oder den CGRP-Rezeptor und insbesondere über Praxiserfahrungen mit dem CGRP-Rezeptor-Antikörper Eptinezumab berichteten Experten bei einem von Lundbeck unterstützten Symposium im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Multiple Sklerose (MS)
Hocheffektive Therapien von Anfang an
Die MS-Therapie ist im Wandel. Inzwischen stehen zahlreiche effektive Therapien zur Verfügung. Auf einem Pressedinner der Firma Roche berichteten Experten über Innovationen und Perspektiven.