Schubförmige multiple Sklerose

Anti-CD20-Antikörper zur subkutanen Gabe


Sabine M. Rüdesheim, Frechen

Der vollhumane Antikörper Ofatumumab, der gezielt CD20-positive B-Zellen adressiert, zeigte bei der Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig verlaufender multipler Sklerose (RMS) eine überlegene Wirksamkeit sowie ein gutes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. Die Möglichkeit der Selbstverabreichung gewährt dabei ein hohes Maß an persönlicher Freiheit.

Die multiple Sklerose (MS) ist als Autoimmunerkrankung durch Entzündungen und Schäden des zentralen Nervensystems geprägt. Dabei werden anfänglich diffuse und fokale Schäden durch die neuronale Plastizitätsreserve kompensiert, sodass Entzündungsaktivitäten häufig unentdeckt bleiben. Je früher und konsequenter deshalb eine antiinflammatorische Therapie erfolgt, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg. Das belegen Ergebnisse einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus Registerdaten: Wenn eine Umstellung auf eine hochwirksame Therapie innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnose erfolgte („frühe Gruppe“), zeigte sich ein um 66 % geringeres Risiko für eine bestätigte Behinderungsprogression als in der „späten Gruppe“, die erst vier bis sechs Jahre nach Diagnose umgestellt wurden. Auch nach Umstellung der späten Gruppe auf eine hochwirksame Therapie wurde ein anhaltend geringeres Risiko der frühen Gruppe beobachtet [3].

Signifikante Schubratenreduktion mit Ofatumumab

Zu den hochwirksamen MS-Therapeutika gehören Anti-CD20-Antikörper. Jüngster Vertreter ist der vollhumane Anti-CD20-Antikörper Ofatumumab (Kesimpta®). Ofatumumab weist eine hohe Affinität zum CD20-Rezeptor auf, deshalb genügen für seine Gabe niedrige Dosisvolumina, sodass es subkutan verabreicht werden kann.

Wirksamkeit und Sicherheit von Ofatumumab wurden bei Erwachsenen mit schubförmiger MS in den beiden methodisch identischen, doppelblinden, randomisierten, multizentrischen, zulassungsrelevanten Phase-III-Studien ASCLEPIOS I und II im Vergleich zu Teriflunomid untersucht. Ofatumumab wurde in einer Dosis von 20 mg an den Tagen 1, 7 und 14, in Woche 4 und dann monatlich als subkutane Injektion (Fertigspritze) verabreicht, Teriflunomid in einer Dosis von 14 mg einmal täglich als Tablette.

In den Studien mit bis zu 30-monatiger Beobachtungsdauer (im Mittel 1,6 Jahre) zeigte Ofatumumab über alle Subgruppen hinweg eine signifikante Reduktion der jährlichen Schubrate (primärer Endpunkt) um 51 bzw. 58 % im Vergleich zu Teriflunomid [1]. Zudem wurde eine signifikante Reduktion der nach drei Monaten bzw. nach sechs Monaten bestätigten Behinderungsprogression um 34,4 % bzw. 32,2 % festgestellt [1] (s. auch „Es stand in der PPT“).

Die Anzahl der Gadolinium-anreichernden T1-Läsionen verringerte sich signifikant um bis 93,8 % bzw. 97,5 % und die Anzahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen um bis zu 82,0 bzw. 84,5 % [1]. Die jährliche Rate des Hirnvolumenverlusts unterschied sich nicht signifikant zwischen der Ofatumumab- und der Teriflunomid-Gruppe.

Einer Post-hoc-Analyse zufolge kann Ofatumumab neue Krankheitsaktivität bei RMS-Patienten unterdrücken. Die Wahrscheinlichkeit, einen NEDA(No evidence of disease avtivity)-3-Status zu erreichen, war mit Ofatumumab im Vergleich zu Teriflunomid in den Monaten 0 bis 12 mit 47,0 vs. 24,5 % der Patienten dreimal höher und in den Monaten 12 bis 24 mit 87,8 vs. 48,2 % der Patienten achtmal höher (Odds-Ratio 3,36 bzw. 8,09) [2].

Ofatumumab zeigte ein mit Teriflunomid vergleichbares Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. Die wichtigsten und am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren Infektionen der oberen Atem- (39,4 %) und der Harnwege (11,9 %) sowie Reaktionen an der Injektionsstelle (10,9 %). Aufgetretene systemische injektionsbedingte Reaktionen (20,6 %) verliefen zu 99,8 % leicht oder moderat [1]. Die Compliance lag bei 95 % und nahezu alle Patienten wollten an der Extensionsstudie teilnehmen.

Ofatumumab erhielt Ende März 2021 die europäische Zulassung [4]. Es ist bei aktiver RMS, definiert durch Schübe oder Bildgebung, indiziert. Die Umstellung von einer aktuellen MS-Behandlung mit Fingolimod oder Dimethylfumarat auf Ofatumumab bei Krankheitsaktivität wird derzeit gezielt in der ARTIOS-Studie untersucht.

Fertigspritze und Pen zur Selbstverabreichung

Zur Selbstverabreichung (nach entsprechender Schulung) steht Ofatumumab als Fertigspritze und als Sensoready®-Fertigpen zur Verfügung. In der Studie APLIOS wurde gezeigt, dass die Nutzung des Pens bioäquivalent zur Fertigspritze ist und die Selbstinjektion erleichtert [5]. In einer internationalen Umfrage zogen die meisten Teilnehmer den Pen gegenüber ihrer aktuellen Injektionshilfe vor (84 vs. 16 %). Diese Beurteilung fiel bei Pflegepersonal (86 %) und Patienten (83 %) ähnlich aus.

Quelle

Prof. Dr. med. Heinz Wiendl, Münster, Dr. med. Olaf Hoffmann, Potsdam, Digitale Pressekonferenz „Ofatumumab – ein neuer Weg in der MS-Erstlinientherapie“, 31. März 2021, veranstaltet von Novartis.

Literatur

1. Hauser SL, et al. Ofatumumab versus teriflunomide in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2020;383:546–57.

2. Hauser S, et al. Ofatumumab versus teriflunomide in relapsing multiple sclerosis: analysis of no evidence of disease activity (NEDA-3) from ASCLEPIOS I and II trials. Eur J Neurol 2020;27:261–3.

3. He A, et al. Timing of high efficacy therapy for multiple sclerosis: a retrospective observational cohort study. Lancet Neurol 2020;19:307–16.

4. Fachinformation Kesimpta® (Stand März 2021).

5. A 12 week randomized open label parallel group multicenter study to evaluate bioequivalence of 20 mg subcutaneous ofatumumab injected by pre-filled syringe or autoinjector in adult RMS patients. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/results/NCT03560739 (Zugriff am 01.05.2021).

Psychopharmakotherapie 2021; 28(03):131-143