Keine Zulassung für den Amyloid-Antikörper Lecanemab in der EU


Warum die Entscheidung der EMA richtig ist

Walter E. Müller, Frankfurt/Main, und Anne Eckert, Basel

Im Juli/August-Heft der PPT von diesem Jahr referierten Diener und Dodel [2] den aktuellen Stand der Therapie der Alzheimer-Erkrankung mit monoklonalen Antikörpern gegen Beta-Amyloid (Aβ). Von den vielen in den letzten Jahren untersuchten Antikörpern zeigten die meisten keine Wirksamkeit in klinischen Studien zur Alzheimer-Demenz, nur Aducanumab (mit Einschränkung) und Lecanemab wurden vorsichtig positiv bewertet. Beide sind in den USA zur Therapie zugelassen, wobei Aducanumab (Aduhelm®) wegen sehr geringer Wirkung und dem hohen Preis kaum verordnet wird und auch in der EU nicht zugelassen ist. Lecanemab (Leqembi®) wurde zwar positiver bewertet, allerdings mit dem Hinweis auf eine begrenzte Wirksamkeit auf die Alzheimer-Symptomatik und auf erhebliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) [2]. Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des Beitrags informierte die europäische Zulassungsbehörde (European Medicines Agency, EMA) am 25. Juli 2024 [9], dass sie dem Antrag der Hersteller auf Zulassung von Lecanemab zur Therapie der Alzheimer-Erkrankung nicht stattgegeben hat, und zwar aufgrund einer zu geringen klinischen Wirksamkeit (Placebo-Verum-Differenz am Endpunkt der Studie nach 18 Monaten von nur 0,45 Punkten auf der 18 Punkte umfassenden CDR-SB-Skala [Clinical dementia rating scale – sum of boxes]) und einer inakzeptablen Häufigkeit schwerwiegender UAWs. Für den aufmerksamen Leser stellt sich die Frage, wie alles miteinander vereinbar ist.

Ausgangspunkt für die Entwicklung der Anti-Aβ-Antikörper war die auf präklinischen Daten beruhende Amyloid-Kaskadenhypothese der Alzheimer-Erkrankung, die die Bildung von Aβ und dessen Ablagerungen in Form der extrazellulären Plaques als primäre Ursache für die Alzheimer-Erkrankung ansieht und die Reduktion oder Entfernung der Aβ-Plaques als entscheidende kausale Alzheimer-Therapie postulierte. In diesen Forschungsansatz wurden in den letzten Jahrzehnten Milliarden von Dollar investiert, obwohl von Anfang an Zweifel an der Validität des Konzeptes existierten. Bereits die vor fast 30 Jahren publizierte „Nonnen-Studie“ (Nun-Study) [10] zeigte, dass kognitive Gesundheit bis ins hohe Alter erhalten sein kann trotz des Vorhandenseins massiver typischer Aβ-Plaques im Gehirn der betroffenen Personen. Dennoch verfolgten alle in den zurückliegenden Jahrzehnten durchgeführten Studien zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung (AD) das Ziel, im Gehirn von Alzheimer-Patienten die Aβ-Plaques mit den unterschiedlichsten pharmakologischen Ansätzen zu reduzieren (aktive Immunisierung, Aggregationshemmung, Hemmung der Sekretasen als synthetisierenden Enzyme u. a.). Allen diesen Ansätzen gemeinsam war eine deutliche Reduktion der Plaques-Dichte im Gehirn von AD-Patienten bei fehlender Wirkung auf die klinische Symptomatik. Die Entfernung der Plaques, zum Beispiel durch die aktive Immunisierung, hatte zudem keinen Einfluss auf die Progredienz, also auf das Fortschreiten der kognitiven Beeinträchtigung bei den geimpften AD-Patienten.

Auch die in den nächsten Jahren untersuchten Aβ-Antikörper zeigten das gleiche Bild: deutliche Plaques-Reduktion bei fehlender Wirksamkeit auf die Alzheimer-Symptomatik [3, 14]. Diese negativen Befunde führten mitunter zu einer Neuorientierung in der Alzheimer-Diagnose, die nach dem Vorschlag einer Arbeitsgruppe des amerikanischen National Institute of Aging (NIA) rein biomarkerbasiert erfolgen soll. Dabei wurde eine sogenannte „präklinische Phase“ der Erkrankung definiert, die durch eine erhöhte Aβ-Belastung (neben einer Tau-Pathologie) im Gehirn gekennzeichnet ist, ohne klinische Symptome zu berücksichtigen [5], was bedeutet: eine Alzheimer-Erkrankung ohne Demenz! Ohne dieses Vorgehen kritisch hinterfragen zu wollen, muss festgehalten werden, dass der alte Befund der Nun-Study durch viele neuere und neueste Studien bestätigt wurde: Ein großer Prozentsatz der Bevölkerung weist im Alter oder sogar auch im hohen Alter hohe Aβ-Plaques-Werte auf, ohne kognitive Einschränkungen zu zeigen [1, 6, 13]. In der letzten Studie aus den Niederlanden lag zum Beispiel der Anteil kognitiv Gesunder, die eine mit Positronen-Emissionstomographie (PET) verifizierte Aβ-Pathologie aufwiesen, bei 20 % für die 65- bis 70-Jährigen und bis zu 58 % bei den 85- bis 89-Jährigen [6]. Trotz dieser Unschärfen wurde das Konzept der „präklinischen Alzheimer-Erkrankung“ mit fehlender oder nur geringer kognitiver Beeinträchtigung als primäres Einschlusskriterium für die zulassungsrelevanten Pivotal-Studien mit den beiden neuen Aβ-Antikörpern der 3. Generation (Aducanumab und Lecanemab) gewählt. Beide Substanzen, insbesondere Lecanemab, unterscheiden sich von den früheren Antikörpern in einer höheren Affinität für Aβ-Oligomere, die eine höhere In-vitro-Toxizität zeigen als Aβ-Monomere oder fibrilläres Aβ [2, 3, 14]. In den Zulassungsstudien zeigten beide Substanzen geringfügige, aber signifikante (nur bei einer der beiden Studien im Fall von Aducanumab) Unterschiede zu Placebo mit ca. 0,39 bzw. 0,45 Punkten auf der CDR-SB-Skala nach 18 Monaten [14].

Diese Daten haben zur umstrittenen Zulassung von Aducanumab in den USA und dem Zulassungsantrag für Lecanemab in der EU geführt. Beide Substanzen wurden von der EMA aufgrund der oben erwähnten geringen Wirksamkeit nicht zugelassen. Die häufig zitierte 22- bis 25%ige Verbesserung unter Lecanemab im Vergleich zu Placebo bezieht sich auf die nur sehr geringe Verschlechterung in den Placebo-Gruppen auf der CDR-SB-Skala (ca. 1,2 Punkte) als 100%-Wert und die Einbeziehung von nur marginal symptomatischen Patienten (MMSE 26) mit Ausgangswerten von 3,2 auf der CDR-SB-Skala [12], was auf einer Skala von 1 bis 18 [8] definitiv nicht viel ist. Darüber hinaus war dieser positive Effekt fast nur bei den Patienten zu sehen, die eine geringe (und keine ausgeprägte) Tau-Pathologie als mögliches Zeichen einer Neurodegeneration aufwiesen. Wie dies zum Konzept der Alzheimer-Erkrankung als neurodegenerative Demenz passt, muss noch geklärt werden. Für die EMA waren diese sehr geringen Verbesserungen auf der klinisch-symptomatischen Ebene trotz substanzieller Reduktion des Biomarkers Aβ (was ja viele andere Ansätze auch gezeigt hatten) einer der beiden Gründe, Aducanumab und Lecanemab nicht zur Therapie der Alzheimer-Erkrankung zuzulassen.

Der zweite Grund für die Ablehnung der Zulassung von Lecanemab waren die nicht unerheblichen UAW. Wie bei allen anderen Aβ-Antikörpern wurden auch bei der Therapie mit Lecanemab Aβ-bedingte Veränderungen im Kernspin (amyloid-related imaging abnormalities [ARIA]) mit Hirnödemen und Mikroblutungen gesehen [2, 9], mit 1,7 % Häufigkeit bei den Placebo-Patienten und 12,6 % Häufigkeit bei den Verum-Patienten [12]. Die Häufigkeit war um ein Vielfaches größer bei Patienten mit dem Apolipoprotein-E4(Apo E4)-Allel, das ja auch einen Risikofaktor für Alzheimer-Demenz darstellt und daher eine erhöhte Prävalenz bei AD-Patienten zeigt. Das damit verbundene Risiko für die AD-Patienten wurde auch in Abwägung zu dem geringen therapeutischen Benefit als zu groß gesehen [9].

Soweit der aktuelle Stand und die faire und nachvollziehbare Entscheidung der EMA. Ob die weitergehende Forschung zu Lecanemab, zum Beispiel in der zurzeit laufenden Weiterführung der Studie auf bis zu 36 Monate im Open-Label-Format, überzeugendere Daten zum therapeutischen Wert dieser neuen Substanz liefen wird, bleibt abzuwarten. Vor dem Hintergrund der fraglichen kausalen Rolle der Aβ-Plaques in der Alzheimer-Erkrankung sei Skepsis erlaubt.

Skepsis wurde selbst von den Autoren des Konzeptes der Aβ-gestützten Diagnose der präklinischen Alzheimer-Erkrankung formuliert [5]: „Although it is possible that β-amyloid plaques and neurofibrillary tau deposits are not causal in AD pathogenesis …“ Es wäre wünschenswert, wenn sich die Forschung und Entwicklung etwas stärker auf Konzepte abseits der Aβ-Plaques, aber unter Einbeziehung der toxischen Effekte löslicher Aβ-Spezies fokussieren könnte. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz ist die Einbeziehung des Faktors Hirnalterung, als dem wichtigsten biologischen Risikofaktor für die Alzheimer-Erkrankung, mit erhöhtem oxidativem Stress und mitochondrialer Dysfunktion [4, 7, 11].

Literatur

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