Demenz

Zwei Phase-III-Studien mit Gantenerumab bei früher Alzheimer-Krankheit


Prof. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Bei Personen mit früher Alzheimer-Krankheit führte die Anwendung von Gantenerumab in zwei Placebo-kontrollierten Studien nach 116 Wochen zu einer geringeren Amyloid-Plaque-Belastung als Placebo, war aber nicht mit einem signifikant langsameren, klinischen Fortschreiten der Erkrankung verbunden.

Monoklonale Antikörper, die gegen Amyloid-beta (Aβ) gerichtet sind, haben das Potenzial, den kognitiven und funktionellen Abbau bei Personen mit früher Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen. Dies konnte für Lecanemab [1] und Donanemab gezeigt werden [2, 3]. Gantenerumab ist ein subkutan verabreichter, vollständig humaner monoklonaler Anti-Aβ-IgG1-Antikörper mit höchster Affinität für aggregiertes Aβ, der hier zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit getestet wurde.

Studiendesign

Es wurden zwei Phase-III-Studien, GRADUATE I und GRADUATE II, an 288 Standorten in 30 Ländern durchgeführt. Aufgenommen wurden Teilnehmer im Alter von 50 bis 90 Jahren mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz aufgrund einer Alzheimer-Krankheit und mit Nachweis von Amyloid-Plaques in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder Nachweis von Biomarkern in der Liquoruntersuchung. Die Teilnehmer wurden randomisiert und doppelblind mit Gantenerumab oder Placebo behandelt. Die Gantenerumab-Dosis wurde über 36 Wochen stufenweise von 120 mg alle vier Wochen auf 510 mg alle zwei Wochen erhöht und dann beibehalten.

Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Punktzahl der Clinical Dementia Rating Scale – Sum of Boxes (CDR-SB) in Woche 116. Die CDR-SB hat einen Bereich 0 bis 18, wobei höhere Werte eine stärkere kognitive Beeinträchtigung bedeuten (Infokasten 1).

Infokasten 1. Clinical Dementia Rating Scale (CDR)

Skala zur Fremdbeurteilung des Schweregrads einer Demenz, basierend auf einem strukturierten Interview mit dem Patienten und einem „sachkundigen Informanten“ (z. B. enger Angehöriger, Pflegepersonal)

Die Domänen Gedächtnis, Orientierung, Urteilsvermögen und Problemlösung, Leben in der Gemeinschaft, Haushalt und Hobbies sowie Körperpflege werden jeweils auf einer fünfstufigen Skala beurteilt (0 = keine Beeinträchtigung, 0,5 = fragliche, 1 = leichte, 2 = moderate, 3 = schwere Demenz).

Die Ergebnisse der sechs Domänen werden zum CDR-SB-Wert („sum of boxes“) summiert.

[https://www.sciencedirect.com/topics/medicine-and-dentistry/clinical-dementia-rating]

Ergebnisse

Insgesamt wurden 985 bzw. 980 Teilnehmer in die GRADUATE-I- und GRADUATE-II-Studien aufgenommen. Die Patienten waren im Mittel 71,7 Jahre alt und 55 % waren weiblich. 55 % hatten eine leichte kognitive Beeinträchtigung (mild cognitive impairment [MCI]) und 45 % eine beginnende Alzheimer-Erkrankung. Der Ausgangswert der CDR-SB betrug 3,7 in der GRADUATE-I-Studie und 3,6 in der GRADUATE-II-Studie.

In Woche 116 betrug die Veränderung des CDR-SB-Werts gegenüber dem Ausgangswert in der GRADUATE-I-Studie 3,35 mit Gantenerumab und 3,65 mit Placebo. Dies entspricht einer Differenz von –0,31 mit einem 95 %-Konfidenzintervall (KI) von –0,66 bis 0,05 (p = 0,10).

In der GRADUATE-II-Studie betrug die Veränderung des CDR-SB-Werts 2,82 mit Gantenerumab und 3,01 mit Placebo; die Differenz betrug demnach –0,19 (95 %-KI, –0,55 bis 0,17; p = 0,30).

Die PET-bestimmte Amyloid-Konzentration im Gehirn lag zu Studienbeginn in allen Gruppen bei mehr als 90 Zentiloiden (Infokasten 2). Die Gantenerumab-Behandlung führte zu einer deutlichen Senkung, während es unter Placebo zu einer weiteren Zunahme kam. In Woche 116 betrug der Unterschied zwischen der Gantenerumab-Gruppe und der Placebo-Gruppe –66,44 (GRADUATE I) bzw. –56,46 Zentiloide (GRADUATE II). Ein Amyloid-negativer Status im PET wurde in den beiden Studien bei 28,0 % bzw. 26,8 % der Teilnehmer erreicht, die Gantenerumab erhielten. In beiden Studien hatten die Teilnehmer, die Gantenerumab erhielten, niedrigere Liquorwerte von phosphoryliertem Tau 181 und höhere Werte von Aβ42 als die Teilnehmer, die Placebo erhielten. Die Anreicherung von aggregiertem Tau im PET war in beiden Gruppen ähnlich. Amyloid-bezogene bildgebende Anomalien mit Ödemen (ARIA-E) traten bei 24,9 % der Teilnehmer auf, die Gantenerumab erhielten, und symptomatische ARIA-E traten bei 5,0 % auf.

Infokasten 2. Zentiloide

Ergebnis eines Verfahrens zur Standardisierung der Werte, die bei der Messung von Amyloid-Plaques im Gehirn mit Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gewonnen werden. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Labore zu verbessern, wurde eine Standardisierung auf sogenannte Zentiloide entwickelt. Dabei wird der Amyloidmesswert bezogen auf Standardmesswerte bei jungen Kontrollpersonen (0 Zentiloide) und typischen Alzheimer-Erkrankten (100 Zentiloide) ausgedrückt.

[Klunk WE et al. The Centiloid Project: Standardazing quantitative amyloid plaque estimation by PET. Alzheimers Dement 2015;11:1–15.e4.]

Kommentar

Es ist überraschend, dass zwei Phase-III-Studien mit Gantenerumab keinen signifikanten Nutzen zeigten, wenn man berücksichtigt, dass Gantenerumab mit Aducanumab und Lecanemab vergleichbar ist: Die drei Antikörper binden an sich überschneidende Konformationsepitope in der N-terminalen Region von Aβ, erkennen verschiedene Oligomere und reduzieren deutlich die Ablagerung von Amyloid-Plaques im PET. Gantenerumab hatte in der vorliegenden Studie auch positive Wirkungen auf die Biomarker der Alzheimer-Krankheit, die mit denen der anderen monoklonalen Antiamyloid-Antikörper vergleichbar waren. Die Anwendung von Gantenerumab führte zu einer wesentlich geringeren Amyloid-Belastung in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) als Placebo sowie zu einer geringeren Anhäufung von phosphoryliertem Tau, Gesamt-Tau und Neurogranin im Plasma und im Liquor.

Die Bewertung des primären Endpunkts der CDR-SB-Skala in Woche 116 ergab allerdings nur einen Unterschied zwischen der Verum- und der Placebo-Gruppe von –0,31 Punkten und –0,19 Punkten in den beiden Studien, wobei diese Ergebnisse nicht signifikant waren. Nimmt man beide Studien zusammen mit 1965 Teilnehmern, wäre der Unterschied zwischen den Gruppen für den primären Endpunkt möglicherweise statistisch signifikant geworden [4]. Es ist bisher unmöglich zu erklären, warum monoklonale Antikörper mit einem identischen Angriffspunkt unterschiedliche Ergebnisse auf die klinische Entwicklung zur Alzheimer-Demenz erbringen.

Quelle

Bateman RJ, et al. Two phase 3 trials of gantenerumab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2023;389:1862–76.

Literatur

1. van Dyck CH, et al. Lecanemab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2023;388:921. doi: 10.1056/NEJMoa2212948.

2. Sims JR, et al. Donanemab in early symptomatic Alzheimer disease: The TRAILBLAZER-ALZ 2 randomized clinical trial. JAMA 2023;330:512–27. doi: 10.1001/jama.2023.13239.

3. Söderberg L, et al. Lecanemab, aducanumab, and gantenerumab – Binding profiles to different forms of amyloid-beta might explain efficacy and side effects in clinical trials for Alzheimer’s disease. Neurotherapeutics 2023;20:195–206. doi: 10.1007/s13311-022-01308-6.

4. Schneider L. What the gantenerumab trials teach us about Alzheimer’s treatment. N Engl J Med 2023;389:1918–20.

Psychopharmakotherapie 2024; 31(01):23-33