Prof. Hans-Christoph Diener, Essen
Für die Akutbehandlung der Migräne gibt es zahlreiche Optionen. Es fehlen jedoch groß angelegte, direkte Vergleiche der Behandlungseffektivität anhand von Erfahrungsberichten von Patienten aus der Praxis.
Studiendesign
Es handelt sich um eine retrospektive Analyse von 10 842 795 Migräneattacken, die zwischen Juni 2014 und Juli 2020 aus einer Smartphone-Applikation für elektronische Migränetagebücher extrahiert wurden. Die Autoren analysierten 25 Arzneimittel zur Behandlung von Migräneattacken aus sieben Klassen: Paracetamol, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Triptane, Kombinationsanalgetika, Mutterkornalkaloide, Antiemetika und Opioide. Gepante und Lasmiditan wurden in dieser Analyse nicht berücksichtigt, weil die Datenbasis zu klein war.
Die Patienten gaben an, ob ein bestimmtes Arzneimittel „wirksam“ (helpful) war; alternativ konnten sie das Urteil „somewhat helpful“, „unsure“ oder „unhelpful“ abgeben. Der Name des verwendeten Arzneimittels konnte in der App aus einer Vorschlagsliste ausgewählt oder als Freitext eingegeben werden. Für die Analyse wurden die verschiedenen Dosierungen und Formulierungen der einzelnen Arzneimittel unter der generischen Bezeichnung des Arzneistoffs zusammengefasst. Zur statistischen Analyse wurde ein zweistufiges verschachteltes („nested“) logistisches Regressionsmodell verwendet, um die Odds-Ratios (OR) der Behandlungseffektivität der Medikationen zu analysieren. Die Odds-Ratios wurden für die Kovarianz innerhalb desselben Nutzers und für die Begleitmedikation innerhalb derselben Attacke bereinigt. Untergruppenanalysen wurden für Patienten in den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada durchgeführt.
Ergebnisse
Die Analyse umfasste 4 777 524 Arzneimittel-Ergebnis-Paare von 3 119 517 Migräneanfällen bei 278 006 Patienten. In Abbildung 1 ist zusammengefasst, in wie vielen Fällen ihrer Anwendung die betrachteten Arzneimittel als wirksam (helpful) beurteilt wurden. Für die Berechnung der Odds-Ratios [OR] wurde die Wirksamkeit von Ibuprofen als 1,0 gesetzt. Verglichen mit Ibuprofen waren Triptane (OR 4,8), Mutterkornalkaloide (OR 3,02) und Antiemetika (OR 2,67) die drei Arzneistoffklassen mit der höchsten Wirksamkeit, gefolgt von Opioiden (OR 2,49), NSAR außer Ibuprofen (OR 1,94), Kombinationsanalgetika (Paracetamol/Acetylsalicylsäure/Coffein; OR 1,69; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,67–1,71) und andere Arzneimittel (OR 1,49; 95%-KI 1,47–1,50).
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Abb. 1. Beurteilung der Migränetherapeutika als „hilfreich“, bezogen auf die Zahl der Migräneattacken, bei denen sie eingesetzt wurden [Chiang et al.]
Die einzelnen Arzneistoffe mit den höchsten Odds-Ratios waren Eletriptan (OR 6,1; 95%-KI 6,0–6,3), Zolmitriptan (OR 5,7; 95 %KI 5,6–5,8) und Sumatriptan (OR 5,2; 95%-KI 5,2–5,3). Die Odds-Ratios von Paracetamol (OR 0,83; 95 %KI 0,83–0,84), NSAR, Kombinationsanalgetika und Opioiden lagen meist um oder unter 1, was auf eine ähnliche oder geringere Wirksamkeit im Vergleich zu Ibuprofen hindeutet. Die Odds-Ratios für 24 Arzneistoffe, mit Ausnahme der von Acetylsalicylsäure, erreichten statistische Signifikanz mit p < 0,0001. Länderspezifische Subgruppenanalysen ergaben ähnliche Odds-Ratios für jedes Arzneimittel, was die Robustheit dieser Analyse beweist.
Kommentar
Neben den großen randomisierten Placebo-kontrollierten Studien für die Zulassung von neuen Migränetherapeutika ist das Gesundheitssystem auf die Erfahrungen von Patienten angewiesen, die diese Arzneimittel im klinischen Alltag benutzen. Die Arbeitsgruppe in den Vereinigten Staaten hat mehr als 10 Millionen Migräneattacken analysiert, die mithilfe von elektronischen Tagebüchern erfasst worden waren. Als diese Analyse gemacht wurde, waren allerdings noch nicht genügend Daten für die Gepante oder Lasmiditan verfügbar.
Die Studie zeigt, dass Triptane mit Abstand am besten wirksam sind. Dies ist bedeutsam, da epidemiologische Studien in Deutschland zeigen, dass nur 8 % aller Menschen mit Migräne in Deutschland einmal pro Jahr ein Rezept über ein Triptan erhalten. Die Daten zur Wirksamkeit der Mutterkornalkaloide sind für Deutschland nicht relevant, da diese hier nicht mehr verordnet werden. Auch Opioide werden in Deutschland im Gegensatz zu den USA nur sehr selten verwendet. Wichtig ist auch die Beobachtung, dass einige nichtsteroidale Antirheumatika als Monotherapie und Kombinationsanalgetika ebenfalls wirksamer sind als Ibuprofen. Wie in klinischen Studien gezeigt, ist Paracetamol am wenigsten wirksam.
Bedeutsam ist auch die Beobachtung, dass Eletriptan am wirksamsten ist, obwohl es in Deutschland praktisch nicht verschrieben wird. Dies liegt vermutlich daran, dass Eletriptan nach seiner Zulassung nicht beworben wurde. Die hier gewonnenen Daten stützen auch die Empfehlungen der Migräneleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) [1].
Quelle
Chiang CC, et al. Simultaneous comparisons of 25 acute migraine medications based on 10 million users’ self-reported records from a smartphone application. Neurology 2023;101:e2560–70, doi: 10.1212/WNL.0000000000207964.
Literatur
1. Diener HC, et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), https://dgn.org/leitlinien2022.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(01):23-33