Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Epidemiologische Studien zeigen, dass Raucher seltener an der Parkinson-Krankheit erkranken als Nichtraucher. Es wurde daher angenommen, dass Nikotin möglicherweise das Fortschreiten der frühen Parkinson-Krankheit verlangsamen könnte.
Studiendesign
In einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten multizentrischen Studie wurden Patienten mit einer Parkinson-Krankheit, die innerhalb der letzten 18 Monaten diagnostiziert wurde, untersucht. Einschlusskriterium war ein Stadium der Krankheit nach den Hoehn- und Yahr-Kriterien von ≤ 2 (die Skala reicht von 0 bis 5; höhere Werte weisen auf eine stärkere Beeinträchtigung hin). Die Patienten erhielten zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses keine dopaminerge Medikation (z. B. Levodopa oder Dopaminagonisten). Erlaubt war eine bestehende Therapie mit Monoaminoxidase-(MAO-)B-Hemmern. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip der Behandlung mit Nikotin- oder Placebo-Pflastern zugewiesen. Die Studie erstreckte sich über 60 Wochen, davon 52 Wochen mit Studientherapie und eine 8-wöchige Wash-out-Phase.
Der primäre Endpunkt war die Veränderung des Unified Parkinson’s Disease Rating Scale Teil I–III (UPDRS-Gesamtwert) nach 60 Wochen. Die Skala hat einen Bereich von 0 bis 172 und höhere Werte weisen auf eine stärkere Beeinträchtigung durch die Parkinson-Erkrankung. Der erste sekundäre Endpunkt war die Veränderung des UPDRS-Gesamtwerts von Studienbeginn bis zur Woche 52. Die Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mit der Hodges-Lehmann(HL)-Methode geschätzt und mit dem zweiseitigen stratifizierten Mann-Whitney-Wilcoxon-Test nach dem Intention-to-treat-Prinzip getestet.
Ergebnisse
Von 163 Teilnehmern konnte bei 101 Patienten der primäre Endpunkt erhoben werden. Die durchschnittliche Verschlechterung des UPDRS-Gesamtwerts betrug 3,5 in der Placebo-Gruppe gegenüber 6,0 in der Nikotin-Gruppe. Dies entspricht einer HL-Differenz von –3 mit einem 95%-Konfidenzintervall (KI) von –6 bis 0 (p = 0,06).
Für den Veränderung des UPDRS-Gesamtwerts von Studienbeginn bis Woche 52 ergab die Analyse von 138 Teilnehmern eine mittlere Verschlechterung von 5,4 Punkten in der Placebo-Gruppe gegenüber 9,1 in der Nikotin-Gruppe. Die HL-Differenz betrug –4 (95%-KI –7 bis –1). Die Studie ergab auch für alle weiteren sekundären Endpunkte keine Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen.
Therapieabbrüche waren am häufigsten auf eine Verschlechterung der motorischen Funktion bzw. den Bedarf für eine symptomatische Parkinson-Therapie zurückzuführen, gefolgt von unerwünschten Ereignissen. Unerwünschte Hautreaktionen an der Stelle, an der das Pflaster aufgeklebt wurde, waren häufig. Insgesamt begannen 34,6 % der Teilnehmer während der Teilnahme eine dopaminerge Therapie.
Kommentar
Diese sehr gut geplante und von mehreren Stiftungen unterstützte Studie konnte ihr ursprüngliches Ziel nicht erreichen, nämlich nachzuweisen, dass eine Therapie mit transdermal appliziertem Nikotin das Fortschreiten einer beginnenden Parkinson-Erkrankung verlangsamt. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass Erkenntnisse aus epidemiologischen Studien nicht in die Therapie einfließen dürfen, bevor nicht der Wirknachweis durch randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien erbracht wurde. Die Fragestellung der Studie war richtig und wichtig, da in die Studie Patienten mit beginnender Parkinson-Erkrankung eingeschlossen wurden. Es wäre nicht zu erwarten gewesen, dass Patienten, bei denen die Erkrankung bereits fortgeschritten ist, von einer Nikotin-Therapie profitieren würden. Damit steht leider weiterhin keine wirksame krankheitsmodifizierende Therapie des Morbus Parkinson zur Verfügung.
Quelle
Oertel WH, et al. Transdermal nicotine treatment and progression of early parkinson’s disease. N Eng J Med Evidence 2023;2(9):EVIDoa2 200 311.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(05):174-181