Verständnis für die medikamentöse Therapie und deren Sicherheit wecken


Klinische Pharmakologie in der psychotherapeutischen Arbeit

Ein patientenzentriertes Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Praxis

Von Julia C. Stingl, Katja S. Just und Michael Paulzen (Hrsg.). Kohlhammer, Stuttgart 2023. 228 Seiten. Auch als E-Book erhältlich. Gebunden 36,00 Euro. ISBN 978-3-17-043060-0. E-Book (PDF) 31,99 Euro. ISBN 978-3-17-043061-7. E-Book (ePub) 31,99. ISBN 978-3-17-043062-4.

Dr. Gabriel Eckermann, Berlin

Um es gleich zu sagen, dies ist ein bedeutendes Buch, es dient der Compliance-Förderung bei der Medikation und der Arzneimitteltherapiesicherheit.

Weil auch nichtärztliche Psychotherapeuten Patienten betreuen, die Arzneimittel einnehmen, ist für sie ein pharmakologisches Verständnis wichtig, das eine hilfreiche Einschätzung zu Arzneimittelwirkungen, zu unerwünschten Effekten von Medikamenten und Therapiesicherheit ermöglicht. Bedeutsam ist, dass dieses Buch nicht nur auf Psychopharmaka ausgerichtet ist. Nur so kann auch die etwas komplexere Polypharmazie verstanden werden.

Die genaue Beobachtung von erwünschten wie auch unerwünschten Wirkungen von Medikamenten auch durch nichtärztliche Behandler und Betreuer hat einen hohen Stellenwert für den medikamentösen Therapieerfolg und die Arzneimittelsicherheit (s. auch Morrison-Griffiths S. et al., Reporting of adverse drug reactions by nurses, Lancet 2003;361:1347–8).

Anspruchsvoll sind die Kapitel 2 und 3, „Pharmakokinetik und Metabolismus“ und Pharmakodynamik und Psychopharmaka“ von J. P. Müller. Aber auf diese Kapitel – mit sehr schönen und erläuternden Grafiken – kann man nicht verzichten, wenn man eine Vorstellung davon bekommen will, wie es zu so unterschiedlichen Effekten bei Patienten bei gleicher Dosierung kommen kann. Die Unterschiedlichkeit der erwünschten wie der unerwünschten Effekte verblüfft immer wieder, und verstehen kann man sie, wenn man sich diesen genannten Kapiteln widmet.

Dass die Pharmakologie im Alter eine andere ist, und dass mit einer pharmakotherapeutisch ganz anderen Einstellung beim Alterspatienten zu therapieren ist als im jüngeren und mittleren Alter, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Wie das aber genau zu passieren hat, das beschreibt K. J. Just im Kapitel „Pharmakologie im Alter“ sehr anschaulich.

Wirklich gelungen sind auch die Kapitel der Autoren M. Paulzen und R. Hausmann zu den Themen „Antidepressive Wirkstoffe, Therapie von Angststörungen“ und „Antipsychotische Pharmakotherapie“. Die hier spezifisch eingesetzten Medikamente sind ja gerade für die Besserung der unterschiedlichsten psychopathologischen Syndrome von höchster Bedeutung, die „sich verstehenden“ psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Ansätze müssen hier Hand in Hand arbeiten.

Weitere wichtige Kapitel, in denen auch die psychotherapeutische Hilfe eine große Rolle spielt, sind „Pharmakologie in der Schmerzmedizin“ und „Pharmakologische Aspekte bei Krebspatienten“.

Das Buch wird mit einem Glossar abgeschlossen – eine wichtige Hilfe für denjenigen, der in der medizinischen Terminologie nicht so bewandert ist, jedoch sich von diesem wertvollen Buch ein tieferes Verständnis erhofft.

Die Leser lernen durch interessante Fallbeispiele, an denen klinisch-praktische Situationen aus dem Alltag der Pharmakotherapie erläutert werden. Dies hilft zu verstehen, worum es in der Praxis der medikamentösen Behandlung wirklich geht und worauf auch der nichtärztliche Therapeut zu achten hat.

Zum Schluss noch einige Anmerkungen, die vielleicht bei sehr wünschenswerten weiteren Auflagen bedacht werden können:

„Psychoedukation“ wird nur einmal kurz erwähnt. Nachdem bekannt ist, welch überragende Bedeutung die Psychoedukation für das Verständnis und Akzeptanz von Krankheiten hat, sollte diesem Thema ein kleiner eigener Abschnitt mit eigener Überschrift gewidmet werden. Denn kompetent vermittelnde Psychoedukation können auch nichtärztliche Berufsgruppen lernen. Sie tragen damit viel zum Gesamttherapieerfolg teil.

Die Selbstmedikation: Rund 75 % der Kunden in öffentlichen Apotheken verlangen nach einem rezeptfreien Medikament (Eickhoff C., Pharmacoepidemiology and Drug Safety, 2012). Diese Selbstmedikation kann aber auch mit Risiken, manchmal von erheblichem Ausmaß, verbunden sein. So ist die Selbstmedikation mit rezeptfreien Hustensäften, die Dextromethorphan enthalten (S. 163 in diesem Buch), für Patienten, die spezifisch serotonerge Substanzen einnehmen, mit dem Risiko einer serotonergen Überstimulation bis zum ausgeprägten Serotoninsydrom assoziiert. Die Selbstmedikation mit ihrer gesamten Problematik sollte ein eigenes kleines Kapitel enthalten.

Das vorliegende Werk ist nicht nur für nichtärztliche Psychotherapeuten sehr geeignet, sondern eigentlich auch für Hausärzte, die zusätzlich an der psychotherapeutischen Unterstützung ihrer Patienten interessiert sind. Speziell für diese Gruppe wäre ein eigenes kleines Kapitel zur Wechselwirkungspharmakologie, auch mit epidemiologischen Daten zur Polypharmazie, interessant. Zwar werden Wechselwirkungseffekte an vielen Stellen des Buches genannt. Ein diese Thematik zusammenfassendes und übersichtlich auch an einigen Fallbeispielen erläuterndes Kapitel (z. B. die Kombination aus Quetiapin und Clarithromycin, die man des Öfteren antrifft) wäre hilfreich, dann hätten alle Leser einen doch sehr deutlichen Eindruck von den häufigen Risikoaspekten der inzwischen ja alltäglich auftretenden Polypharmazie.

Das Lehrbuch ist exakt auf die Anforderungen des Fachs „Pharmakologie“ in den Bachelor- und Masterstudiengängen „Psychotherapie“ hin angelegt. Es dient also auf diesem Gebiet auch der Prüfungsvorbereitung.

Dieses Buch gehört in jede Klinik, sei es eine psychiatrische, eine psychosomatische, aber z. B. auch in eine kardiologische oder onkologische Klinik (Stichwort „Psychokardiologie“, „Psychoonkologie“). Und es gehört ganz gewiss auch in jede psychologisch-psychotherapeutische Praxis.

Psychopharmakotherapie 2023; 30(04):143-143