Prof. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Chorea Huntington ist eine unheilbare, erbliche, neurodegenerative Erkrankung des Gehirns, die durch unwillkürliche, unkoordinierte Bewegungen (Chorea) gekennzeichnet ist, mit einer Demenz einhergeht und immer zum Tod führt. Die Patienten leiden an der fortschreitenden Degeneration des Striatums. Die ersten Krankheitssymptome treten meist im vierten Lebensjahrzehnt als Störungen von Körperbewegungen und Gefühlsleben auf. Die Erkrankten sterben im Durchschnitt 15 Jahre nach Beginn der Erkrankung. Die Chorea Huntington wird autosomal-dominant vererbt. Mit wenigen Ausnahmen erkranken alle Merkmalsträger. Der Gendefekt liegt auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4p16.3.
Die derzeitigen pharmakologischen Ansätze zielen darauf ab, die Chorea abzuschwächen, entweder durch Hemmung von postsynaptischen Dopaminrezeptoren mithilfe von Antipsychotika zur Verringerung der striatalen dopaminergen Aktivität oder durch Hemmung des präsynaptischen vesikulären Monoamintransporters 2 (VMAT2). VMAT2-Hemmer wurden gezielt zur Therapie der Chorea entwickelt. VMAT2 erleichtert den Transport von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin aus dem Zytoplasma in präsynaptische Vesikel, und infolge der Hemmung von VMAT2 sinkt die Menge des präsynaptisch freigesetzten Dopamins, was zu einer Verarmung führt.
In randomisierten Studien konnten zwei VMAT2-Inhibitoren, Tetrabenazin und Deutetrabenazin, ihre Wirksamkeit belegen. Valbenazin ist ein hochselektiver Hemmstoff von VMAT2, der bisher (in den USA) für die Behandlung von Spätdyskinesien zugelassen ist. Um den anhaltenden Bedarf einer verbesserten symptomatischen Behandlung für Menschen mit der Huntington-Krankheit zu verbessern, wurde Valbenazin zur Behandlung der mit der Huntington-Krankheit einhergehenden Chorea untersucht.
Studienprotokoll
KINECT-HD war eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie, die an 46 Standorten der Huntington-Studiengruppe in den USA und Kanada durchgeführt wurde. An der Studie nahmen Erwachsene mit genetisch bestätigter Huntington-Krankheit und Chorea teil. Eine Chorea war definiert als ein Wert von 8 oder höher im Total Maximal Chorea (TMC) Score der Unified Huntington’s Disease Rating Scale (UHDRS) (Kasten). Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip (1 : 1) randomisiert und erhielten 12 Wochen lang doppelblind entweder Placebo oder Valbenazin (≤ 80 mg/Tag, je nach Verträglichkeit).
UHDRS-TMC(Total maximal chorea)-Score
Teil der motorischen Evaluation im Rahmen der UHDRS (Unified Huntington‘s disease rating scale). Mit dem TMC wird die Chorea in sieben Regionen (Gesicht, oro-bukko-lingualer Bereich, Rumpf, Arme und Beine je einzeln) beurteilt. Der TMC-Score kann Werte von 0 bis 28 annehmen, wobei eine Abnahme des Werts eine Besserung der Chorea anzeigt.
Der primäre Endpunkt war die mittlere Veränderung des UHDRS-TMC-Scores vom Ausgangswert (basierend auf dem Durchschnitt der Screening- und Baseline-Werte pro Teilnehmer) bis zur Erhaltungsphase (Durchschnitt der individuellen Messwerte nach 10–12 Wochen) im vollständigen Analyseset unter Verwendung eines Mixed-Effects-Modells. Die Sicherheitsbewertungen umfassten behandlungsbedingte, unerwünschte Ereignisse, Vitalparameter, Elektrokardiogramme, Laboruntersuchungen, klinische Tests auf Parkinson-Symptome und psychiatrische Beurteilungen.
Der doppelblinde, Placebo-kontrollierte Zeitraum von KINECT-HD ist abgeschlossen, und eine offene Verlängerungsphase läuft.
Ergebnisse
KINECT-HD wurde vom November 2019 bis Oktober 2021 durchgeführt. Von 128 zufällig zugewiesenen Teilnehmern, wurden 125 in die endgültige Analyse einbezogen, davon 64 mit Valbenazin und 61 mit Placebo. Die vollständige Analyse umfasste 68 Frauen und 57 Männer.
Der Ausgangswert des UHDRS-TMC-Scores war 12,2 in der Valbenazin-Gruppe und 12,1 in der Placebo-Gruppe. Die mittleren Veränderungen bis zur Erhaltungsphase betrugen –4,6 für Valbenazin und –1,4 für Placebo. Das entsprach einer Mittelwertdifferenz von –3,2 mit einem 95%-Konfidenzintervall von –4,4 bis –2,0 (p < 0,0001). Für die sekundären Endpunkte CGI-C und PGI-C (Veränderung des Gesamteindrucks im Arzt- bzw. Patientenurteil) nach 12 Wochen zeigten sich Vorteile für die Valbenazin-Gruppe; in Bezug auf die Lebensqualität wurden hingegen keine Unterschiede festgestellt.
Die am häufigsten gemeldete behandlungsbedingte unerwünschte Wirkung war Somnolenz mit zehn Patienten (16 %) unter Valbenazin und zwei Patienten (3 %) unter Placebo. Es wurden keine klinisch bedeutsamen Veränderungen der Vitalparameter, im Elektrokardiogramm oder bei den Labortests festgestellt. Bei den mit Valbenazin behandelten Teilnehmern wurde kein suizidales Verhalten oder eine Verschlimmerung von Suizidgedanken gemeldet.
Kommentar
Diese gut geplante und durchgeführte Phase-III-Studie zeigt eine Wirksamkeit von Valbenazin für die Behandlung von Chorea-Symptomen bei Patienten mit Morbus Huntington. Die Behandlung wurde relativ gut vertragen, die wesentlichen Nebenwirkungen waren Somnolenz und Schwindel. In sehr seltenen Fällen kann es auch zu einer Hypersensitivitätsreaktion kommen. Kritisch anzumerken ist die kurze Studiendauer. Daher ist nicht bekannt, ob die Substanz auch über längere Zeiträume wirksam sind ist. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Ausschluss der Gabe von Antipsychotika im Rahmen der Studie. Viele Patienten mit Chorea Huntington entwickeln psychotische Symptome, die einer Behandlung mit Antipsychotika bedürfen. Mit Valbenazin könnte jetzt bei entsprechender Zulassungserweiterung in den USA eine Behandlungsalternative zu Tetrabenazin zur Verfügung stehen. Vergleichende Head-to-Head-Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Valbenazin und Tetrabenazin stehen noch aus.
Quelle
Stimming EF, et al. Safety and efficacy of valbenazine for the treatment of chorea associated with Huntington’s disease (KINECT-HD): a phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2023;22:494–504.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(04):131-142