Sabine Rüdesheim, Frechen
Bei der ALS, einer progredienten, degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, werden sowohl das erste als auch das zweite Motoneuron in einer oder mehreren Körperregionen geschädigt. Die auftretende Symptomatik ist zwar in ihrer Ausprägung variabel – die Probleme der Patienten resultieren jedoch im Wesentlichen aus der fortschreitenden Muskelschwäche der Extremitäten sowie der Schluck- und Atemwegsmuskulatur. Die ALS verkürzt die Lebenserwartung erheblich und ist nicht heilbar. Das Therapieziel ist deshalb, das Überleben zu verlängern und dabei die Lebensqualität zu erhalten. Wichtig ist dabei, möglichst früh in die pathologische Kaskade einzugreifen, um einen bestmöglichen Effekt zu erzielen.
Als Behandlungsoptionen steht neben der Ernährungs- und Beatmungstherapie die Pharmakotherapie zur Linderung der Symptome und zur Modifikation des Krankheitsverlaufs zur Verfügung. Für Letzteres ist Riluzol die einzige zugelassene medikamentöse Behandlung. Der zur Gruppe der Benzothiazol-Derivate zählende Wirkstoff greift in die neurodegenerative Kaskade an den Motoneuronen ein. Durch die Blockade von spannungsabhängigen Natriumkanälen am präsynaptischen Neuron werden sowohl der Einstrom von Calciumionen als auch die Freisetzung von Glutamat reduziert. Dies setzt die Exzitotoxizität herab, da Glutamat als wichtiger exzitatorischer Neurotransmitter im Zentralnervensystem eine Rolle beim Zelluntergang in dieser Erkrankung spielt.
Nach Daten der Zulassungsstudie wurde unter Riluzol ein erhöhtes Überleben nach einem Jahr (74 % der Patienten) im Vergleich zur Placebo-Behandlung (58 % der Patienten) beobachtet [2]. Die medikamentöse Intervention mit Riluzol verlängerte zudem das Leben um zwölf Monate und damit deutlich länger im Vergleich zu anderen therapeutischen Maßnahmen wie einer nicht invasiven Beatmung (6 Monate) und perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG; 2 Monate), so die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie [4].
Problem Tabletteneinnahme
Bisher kam der Wirkstoff überwiegend als Filmtablettenformulierung zur Anwendung. Menschen mit ALS sind jedoch aufgrund einer muskulären Schwäche der Zunge, des weichen Gaumens und der Rachenmuskulatur meist schon zu Beginn der Erkrankung von Dysphagie betroffen, die sich im weiteren Krankheitsverlauf verschlimmert. Dies gestaltet eine orale ALS-Therapie als Herausforderung. So gaben bei einer Befragung 41 % der ALS-Patienten Probleme bei der Tabletteneinnahme an: 14 % beklagten, dass die Tablette an Zunge, Gaumen oder Schlund kleben blieb sowie einen Hustenreiz auslöste. Auch Angst vor dem Verschlucken wurde genannt. Bei 27 % der Befragten war die Tabletteneinnahme aufgrund einer hochgradigen Schluckstörung nicht mehr möglich [1].
Orodispersionsfilm einer erprobten Substanz
Nun ist mit einem Riluzol-haltigen Schmelzfilm zum Auflegen auf die Zunge eine (Emylif®) einfache und sichere Anwendung verfügbar – insbesondere dann, wenn eine Schluckstörung vorliegt. Dabei gewährleistet eine Polymermatrix die gleichförmige Verteilung von aktiven pharmazeutischen Bestandteilen und Trägerstoffen. Die Freigabe des Wirkstoffs wird durch den Speichel ausgelöst, ohne dass eine Zugabe von Wasser nötig ist – sein Geschmack wird durch ein Honig-Zitrone-Aroma maskiert. Bei der Applikation wird weder der Speichelfluss angeregt noch ist aktives Schlucken notwendig, sodass die Aspirationsgefahr im Vergleich zu anderen Darreichungsformen deutlich verringert ist. Aktuelle Ergebnisse einer Bioäquivalenzstudie mit 51 Teilnehmern belegen eine vergleichbare Bioverfügbarkeit von Riluzol als Schmelzfilm und als Filmtablette [3]. Das dünne, folienartige System ermöglicht somit neben einer exakten Dosierung auch die Behandlung mit Riluzol bei fortgeschrittener ALS.
Quelle
Dr. Simon Koch, Hamburg, Dr. André Maier, Berlin, Prof. Dr. Carsten Buhmann, Hamburg; Fachpressekonferenz „Emylif® – Optimierte Therapieoption für Menschen mit ALS und neue Erkenntnisse zur Wirkung von Safinamid“, Hamburg, 19. April 2023, veranstaltet von Zambon.
Literatur
1. Ambulanzpartner Soziotechnologie APST GmbH. https://www.ambulanzpartner.de/wp-content/uploads/2018/07/APST_Newsletter_Schlucksto%CC%88rung-und-Tabletteneinnahme-bei-der-ALS_9-2017.pdf (Zugriff am 11.05.2023).
2. Bensimon G, et al.; ALS/Riluzole Study Group. A controlled trial of riluzole in amyotrophic lateral sclerosis. N Engl J Med 1994;330:585–91.
3. Di Stefano AFD, et al. Randomised, 2-sequence, 4-period replicate cross-over bioequivalence study of a new riluzole orodispersible film vs. a reference tablet in healthy volunteers. J Bioeq Stud 2022;8(1):101.
4. Georgoulopoulou E, et al. The impact of clinical factors, riluzole and therapeutic interventions on ALS survival: A population based study in Modena, Italy. Amyotroph Lateral Scler Frontotemporal Degener 2013;14:338–45.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(04):131-142