Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Calcitonin gene-related peptide (CGRP) existiert in Form von zwei verschiedenen Peptiden mit einer Länge von 37 Aminosäuren, die in verschiedenen Genen des Chromosoms 11 kodiert werden. Alpha-CGRP befindet sich im zentralen und peripheren Nervensystem und entsteht durch gewebespezifisches alternatives Spleißen des Transkripts des Calcitonin-I-Gens. Die Beta-Isoform von CGRP, die sich in drei Aminosäuren von der Alpha-Isoform unterscheidet, wird hauptsächlich im enterischen Nervensystem (ENS) exprimiert und wird im Calcitonin-II-Gen kodiert. Beide Peptide haben eine gemeinsame Struktur und ähnliche biologische Funktionen und Rezeptoraffinität.
Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass Patienten mit chronischer Migräne auch im schmerzfreien Intervall erhöhte CGRP-Spiegel im Serum haben [1]. Ziel dieser Studie war es, die Konzentration von zirkulierendem Alpha- und Beta-CGRP während der Behandlung mit monoklonalen CGRP-Antikörpern bei Patienten mit chronischer Migräne (CM) zu untersuchen.
Studiendesign
Die Autoren rekrutierten Patienten mit chronischer Migräne, die eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern begannen. Außerdem wurden geschlechts- und altersgepaarte gesunde Kontrollpersonen rekrutiert. Blutproben wurden vor sowie zwei Wochen und drei Monate nach der ersten Dosis der monoklonale Antikörper abgenommen, und zwar immer in migränefreien Zeiten. Bei den Kontrollpersonen erfolgte nur eine Blutabnahme. Die Alpha- und Beta-CGRP-Serumspiegel wurden mit enzymatischen Immunadsorptions-Assays (ELISAs) gemessen, die für jede Isoform spezifisch sind.
Ergebnisse
Die Patienten mit chronischer Migräne waren im Mittel 50 Jahre alt und 85 % waren Frauen. Die eingesetzten monoklonalen Antikörper waren Erenumab und Galcanezumab. 20 % der Patienten hatten eine Migräne mit Aura und 93 % einen Übergebrauch von Akutmedikation. Fast alle Patienten hatten in der Vergangenheit multiple medikamentöse Prophylaxen erhalten.
Die Alpha-CGRP-Ausgangswerte bei den 103 Patienten mit chronischer Migräne betrugen im Median 50,3 pg/ml (95%-Konfidenzintervall [KI] 40,5–57,0) und waren signifikant erhöht im Vergleich zu 78 gesunden Kontrollen mit einem Median von 37,5 pg/ml (95%-KI 33,9–45,0). Im Verlauf der Behandlung mit den monoklonalen Antikörpern nahmen die Alpha-CGRP-Werte signifikant ab (n = 96). Der Median nach zwei Wochen betrug 40,4 pg/ml (95%-KI 35,6–48,2) und nach drei Monaten 40,9 pg/ml (95 % KI 36,3–45,9).
Die Reduktion der Alpha-CGRP-Serumspiegel während der Behandlung korrelierte positiv mit dem Rückgang der monatlichen Migränetage. Sinkende Alpha-CGRP-Spiegel korrelierten auch mit einer Reduktion der Einnahme von Akutmedikation.
Die Beta-CGRP-Spiegel unterschieden sich bei Studienbeginn nicht zwischen Patienten mit chronischer Migräne (4,2 pg/ml [95%-KI 3,0–4,8]) und gesunden Kontrollen (4,4 pg/ml [95%-KI 3,4–5,6 ]) und wurden auch nicht durch die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern verändert.
Kommentar
Diese Studie aus Spanien reiht sich in eine ganze Reihe von Studien ein, die zeigen, dass offenbar vor allem bei Patienten mit chronischer Migräne auch im kopfschmerzfreien Intervall erhöhte Spiegel von CGRP nachzuweisen sind. Die Besonderheit der vorliegenden Studie war, dass als Kontrolle auch die Serumspiegel von Beta-CGRP im Verlauf gemessen wurden. Beta-CGRP spielt keine Rolle bei der Pathophysiologie der Migräne und die Spiegel waren entsprechend unter Therapie auch nicht verändert.
Eine erfolgreiche Migräneprophylaxe mit einem monoklonalen Antikörper reduzierte die Alpha-CGRP Spiegel und korrelierte eindeutig mit dem klinischen Erfolg. Allerdings lässt sich aus den Ergebnissen nicht schlussfolgern, dass Serumspiegel von CGRP beim Individuum valide Biomarker für eine chronische Migräne sind und möglicherweise einen Therapieerfolg voraussagen. Die Ergebnisse lassen sich nur auf Gruppen von Patienten übertragen.
Quelle
Gárate G, et al. Serum alpha and beta-CGRP levels in chronic migraine patients before and after monoclonal antibodies against CGRP or its receptor. Ann Neurol 2023. Apr 11. doi: 10.1002/ana.26658.
Literatur
1. Santos-Lasaosa S, et al. Calcitonin gene-related peptide in migraine: from pathophysiology to treatment. Neurologia (Engl Ed). 2022;37(5):390–402.
Psychopharmakotherapie 2023; 30(04):131-142