Delir nach Infektion

Antipsychotika-Absetzrate nach infektionsbedingtem Krankenhausaufenthalt


Sonja Zikeli, Tübingen

Ältere Erwachsene, die aufgrund einer schweren Infektion stationär behandelt werden müssen, entwickeln häufig ein Delir. Daher kommen nach einer infektionsbedingten Hospitalisierung meist auch Antipsychotika zum Einsatz. Wie häufig diese Arzneimittel nach Therapiebeginn wieder abgesetzt werden, haben die Autoren einer amerikanischen retrospektiven Kohortenstudie analysiert. Die Absetzrate in der Haloperidol-Kohorte war dabei höher als unter den Anwendern von Atypika.

Ein Delir ist eine akut einsetzende Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörung, die bei älteren Erwachsenen, die wegen einer Infektion ins Krankenhaus aufgenommen wurden, recht häufig (30–45 %) auftritt. Die Art der Infektion – bakteriell oder viral – ist dabei für die Entwicklung eines Delirs unerheblich [1]. Obwohl Antipsychotika bei zahlreichen Verhaltensstörungen indiziert sind, stellt das Delir die Hauptindikation für ihren initialen Einsatz im Krankenhaus dar [4]. Vor allem Typika wie Haloperidol sind mit schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (UE) wie extrapyramidal-motorischen Störungen assoziiert. Aus diesem Grund sollten Antipsychotika nach bestehendem klinischem Konsens bei älteren Patienten mit Vorsicht angewendet und so bald wie möglich wieder abgesetzt werden [3]. Wie häufig das in der Praxis tatsächlich erfolgt, ist kaum untersucht. Die Studienautoren wollten diese Wissenslücke schließen: Sie evaluierten die Antipsychotika-Absetzraten – inklusive Patientencharakteristika – von älteren Erwachsenen in der Regelversorgung, bei denen ein Delir infolge einer infektionsbedingten Hospitalisierung auftrat und mit Antipsychotika behandelt wurde.

Studiendesign

Für die retrospektive Kohortenstudie nutzten die Autoren anonymisierte Datensätze einer großen US-amerikanischen Versorgungsforschungsdatenbank aus dem Zeitraum Januar 2004 bis Mai 2022. Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt 5835 Patienten im Alter von mindestens 65 Jahren, ohne psychische Störung in der Vorgeschichte, für die während eines stationären Aufenthalts eine Infektionsdiagnose kodiert war (Tab. 1) und die innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung aus dem Krankenhaus eine Verordnung eines Antipsychotikums einlösten. Diese erstmalige ambulante Verordnung wurde als Indiz für ein stationär aufgetretenes Delir interpretiert und dabei angenommen, dass bei Entlassung aus dem Krankenhaus alle dort neu angesetzten Arzneimittel bis zur ersten poststationären Visite weiterverordnet werden. Berücksichtigt wurden Verordnungen für die erstmalige orale Anwendung von Haloperidol sowie den meistverwendeten atypischen Antipsychotika (Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon). Die Autoren konzentrierten sich auf Haloperidol, weil die anderen Typika häufig zur Behandlung von nicht delirbedingten Erkrankungen verordnet werden.

Tab. 1. Infektionsarten, die für den Studieneinschluss berücksichtigt wurden [Zhang et al.]

  • COVID-19
  • Influenza
  • Pneumonie
  • Infektionen der unteren Harnwege (HWI)
  • Endokarditis
  • Weichteilinfektionen
  • Osteomyelitis
  • Septische Arthritis
  • Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS)
  • Intraabdominale Infektionen
  • Bakteriämie

Primärer Endpunkt war die Antipsychotika-Absetzrate, definiert als Lücke von mindesten 15 Tagen nach dem Ende der Reichweite der letzten eingelösten Verordnung. Die Autoren bewerteten die Absetzraten bis zu 30, 60, 90 und 180 Tage nach der initialen Arzneimittelabgabe.

Ergebnisse

Von den insgesamt 5835 betrachteten Patienten erhielten 13,5 % eine erstmalige Verordnung für Haloperidol (Durchschnittsalter 81,5 Jahre, 53,4 % weiblich) und 86,5 % für ein Atypikum (Durchschnittsalter 79,8 Jahre, 52,2 % weiblich).

Die Absetzrate in der Haloperidol-Kohorte lag 30 Tage nach Therapiebeginn bei 52 %. Bei Anwendern von Atypika war sie mit lediglich 11 % fast fünfmal niedriger. Im weiteren Verlauf stiegen die Absetzraten, blieben in der Atypika-Kohorte aber stets unter denen der Haloperidol-Kohorte (Tab. 2). Unter den Atypika-Anwendern waren die Absetzquoten zwischen Aripiprazol, Risperidon, Quetiapin und Olanzapin nach 180 Tagen vergleichbar (77,4 % vs. 73,7 % vs. 75,7 % vs. 81,2 %).

Tab. 2. Kumulative Inzidenz der Absetzquoten im Vergleich [nach Zhang Y, et al. 2023]

Kumulative Inzidenz der adjustierten Abbruchraten in % (95%-KI)

Zeit

Haloperidol

Atypika

Nach 30 Tagen

52,1 (48,2–55,7)

11,4 (10,4–12,3)

p < 0,001

Nach 60 Tagen

78,8 (75,1–81,9)

53,7 (52,1–55,2)

Nach 90 Tagen

85,0 (81,5–87,9)

64,1 (62,5–65,6)

Nach 180 Tagen

93,7 (90,4–95,9)

76,3 (74,7–77,7)

KI: Konfidenzintervall

Über den Studienzeitraum (2004–2022) hinweg beobachteten die Autoren einen steigenden Trend bei den Absetzraten in der Haloperidol-Kohorte (Hazard-Ratio 1,05; 95%-Konfidenzintervall 1,03–1,07; p < 0,001). Dies war bei den Atypika-Patienten nicht der Fall (HR 1,00; 95%-KI 0,99–1,01; p = 0,67).

Die Auswertung verschiedener Patientencharakteristika ergab eine inverse Assoziation mit den Absetzraten für Haloperidol bzw. Atypika bei

  • Patienten mit verlängertem Krankenhausaufenthalt (> 30 Tage vs. ≤ 7 Tage): adjustiertes HR (aHR) 0,61 bzw. 0,86
  • Patienten mit Demenz: aHR 0,71 bzw. 0,80

Das bedeutet, dass sowohl ein verlängerter Krankenhausaufenthalt als auch eine vorliegende Demenz Risikofaktoren für eine verlängerte Anwendung von Antipsychotika nach Beginn eines Deliriums darstellen.

Fazit der Studienautoren

Die Ergebnisse der Kohortenstudie deuten darauf hin, dass die Antipsychotika, die in Zusammenhang mit einer infektionsbedingten Krankenhausbehandlung neu angesetzt wurden, insgesamt selten bzw. nur langsam wieder abgesetzt werden, wobei Haloperidol jedoch häufiger abgesetzt wird als Atypika. Diese Erkenntnisse stehen im Gegensatz zu den klinischen Handlungsempfehlungen, nämlich Antipsychotika abzusetzen, sobald das Delir abgeklungen ist. Daher regen die Autoren effektive Interventionen für das proaktive Absetzen von Antipsychotika an, wenn diese nicht länger indiziert sind – insbesondere vor dem Hintergrund zahlreicher schwerwiegender UE. Ein Erklärungsansatz für das zögerliche Absetzverhalten der Kliniker könnte nach Ansicht der Forscher darin liegen, den Gesundheitszustand des Patienten stabilisieren zu wollen, was die geringen Absetzraten von Antipsychotika nach Beginn eines Delirs untermauern würde.

Quelle

Zhang Y, et al. Antipsychotic medication use among older adults following infection-related hospitalization. JAMA Netw Open 2023;6(2):e230 063.

Literatur

1. Balogun SA, et al. Delirium, a symptom of UTI in the elderly: fact or fable? A systematic review. Can Geriatr J 2013;17:22–6.

2. Coe A, et al. Deprescribing intervention activities mapped to guiding principles for use in general practice: a scoping review. BMJ Open 2021;11(9):e052547.

3. Reese TR, et al. Behavioral disorders in dementia: appropriate nondrug interventions and antipsychotic use. Am Fam Physician 2016;94:276–82.

4. Rothberg MB, et al. Association between sedating medications and delirium in older inpatients. J Am Geriatr Soc 2013;61:923–30.

Psychopharmakotherapie 2023; 30(02):63-69