Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Behandlung mit Natalizumab einmal alle vier Wochen ist für Patienten mit RRMS zugelassen und wirksam. Die Therapie mit Natalizumab ist jedoch mit dem Risiko einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) verbunden. Große Registerstudien mit Patienten mit schubförmiger MS hatten nahegelegt, dass möglicherweise das Risiko der Entwicklung einer PML reduziert werden kann, wenn das Behandlungsintervall von Natalizumab von vier auf sechs Wochen erhöht wird. Diese Register hatten allerdings keine guten Daten dazu, ob dies auch mit einer Reduktion der Wirksamkeit verbunden ist. Ziel dieser Studie war es, die Sicherheit und Wirksamkeit von Natalizumab einmal alle sechs Wochen im Vergleich zu einmal alle vier Wochen bei Patienten mit RRMS zu untersuchen.
Studiendesign
Es handelte sich um eine randomisierte, kontrollierte, offene Phase-IIIb-Studie (NOVA) an 89 Multiple-Sklerose-Zentren in 11 Ländern in Nord- und Südamerika, Europa und im westlichen Pazifik (Tab. 1). Die Teilnehmer waren zwischen 18 und 60 Jahre alt, litten an einer RRMS und wurden mit intravenösem Natalizumab 300 mg einmal alle vier Wochen behandelt. Zum Einschluss in die Studie mussten sie mindestens zwölf Monate vor der Randomisierung mit Natalizumab behandelt worden sein und in den letzten drei Monaten keine Dosis ausgelassen haben. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip auf Natalizumab 300 mg einmal alle sechs Wochen i. v. oder weiterhin auf einmal alle vier Wochen randomisiert. Das MRT-Begutachtungskomitee, das unabhängige neurologische Adjudizierungskommittee und die untersuchenden Neurologen vor Ort waren verblindet. Der primäre Endpunkt der Studie war die Anzahl der neuen oder sich vergrößernden T2-hyperintensen Läsionen in der Kernspintomographie in Woche 72. Dieser Endpunkt wurde bei allen Teilnehmern ermittelt, die mindestens eine Dosis Natalizumab und eine MRT-Untersuchung erhalten hatten, bei denen ein MS-Rezidiv aufgetreten war oder die eine neurologische Untersuchung hatten. Ein sekundärer Endpunkt war der Prozentsatz der Patienten ohne Krankheitsaktivität.
Tab. 1. Studiendesign der NOVA-Studie
Erkrankung |
Schubförmig remittierende multiple Sklerose (RRMS) |
Studienziel |
Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit eines verlängerten Dosierungsintervalls von Natalizumab |
Studientyp/-design |
Randomisiert, kontrolliert, offen, Phase IIIb |
Patienten |
499 |
Intervention |
Natalizumab 300 mg i. v. alle 4 Wochen (n = 248) alle 6 Wochen (n = 251) |
Primärer Endpunkt |
Neue oder sich vergrößernde T2-hyperintense Läsionen in der Kernspintomographie in Woche 72 |
Sponsor |
Biogen |
Studienregister-Nr. |
NCT03689972 |
Ergebnisse
Zwischen Dezember 2018 und August 2019 wurden 499 Patienten eingeschlossen und randomisiert. Von diesen erhielten 251 Natalizumab einmal alle 6 Wochen und 248 einmal alle 4 Wochen. Die Patienten waren im Mittel 40 Jahre alt und 71 % waren Frauen. Die MS bestand im Mittel seit 9,5 Jahren, die Behandlung mit Natalizumab seit vier Jahren. In den letzten zwölf Monaten vor Beginn der Therapie mit Natalizumab war im Schnitt ein MS-Schub pro Jahr aufgetreten. Der EDSS-Score zu Beginn der Studie betrug im Mittel 2,3.
Nach vordefinierten Anpassungen für fehlende Daten betrug die mittlere Anzahl neuer oder sich vergrößernder T2-hyperintenser Läsionen in Woche 72
- 0,20 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,07–0,63) in der Gruppe „einmal alle 6 Wochen“ und
- 0,05 (95%-KI 0,01–0,22) in der Gruppe „einmal alle 4 Wochen“.
Zwei Teilnehmer in der Gruppe „einmal alle 6 Wochen“ mit extrem vielen neuen oder sich vergrößernden hyperintensen T2-Läsionen (≥ 25) trugen am meisten zu den vermehrten MS-Läsionen bei. Unerwünschte Ereignisse traten bei 194 (78 %) von 250 Teilnehmern in der Alle-6-Wochen-Gruppe und 190 (77 %) von 247 Teilnehmern in der Alle-4-Wochen-Gruppe auf, schwerwiegende unerwünschte Ereignisse bei 17 (7 %) bzw. 17 (7 %). Es wurden keine Todesfälle gemeldet. Ein Fall einer asymptomatischen progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (ohne klinische Symptome) wurde in der Gruppe, die alle 6 Wochen behandelt wurde, dokumentiert. Für die Zahl erneuter MS-Schübe, die jährliche Schubrate, die Zeit bis zum nächsten MS-Schub und den Prozentsatz der Patienten ohne Krankheitsaktivität nach 72 Wochen (70 %) zeigten sich zwischen den beiden Therapiegruppen keine Unterschiede.
Kommentar
Die randomisierte Studie sollte zeigen, ob Natalizumab mit einem Behandlungsintervall von sechs Wochen genauso wirksam und sicher ist wie die Gabe alle vier Wochen. Bezogen auf den primären statistischen Endpunkt der Studie war die Gabe alle vier Wochen mit weniger neuen MS-Herden in der Kernspintomographie verbunden. Das Ergebnis ist allerdings „kontaminiert“ durch zwei Patienten in der Gruppe, die alle sechs Wochen behandelt wurde, die im Verlauf der Studie extrem viele neue MS-Herde aufwiesen. Werden diese beiden Patienten nicht berücksichtigt, ergeben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Therapiegruppen. Das gilt auch für die klinischen Endpunkte wie Zahl der Schübe, Progression der MS und den Prozentsatz der Patienten ohne erkennbare Krankheitsaktivität. Die PML ist außerordentlich selten. Daher ist es keine Überraschung, dass in dieser Studie nur ein Fall mit einer asymptomatischen PML beobachtet wurde. Für den klinischen Alltag bedeuten diese Studienergebnisse, dass es wahrscheinlich vertretbar ist, das Behandlungsintervall von Natalizumab von vier auf sechs Wochen zu erhöhen.
Quelle
Foley JF, et al. Comparison of switching to 6-week dosing of natalizumab versus continuing with 4-week dosing in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis (NOVA): a randomised, controlled, open-label, phase 3b trial. Lancet Neurol 2022;21:608–19.
Psychopharmakotherapie 2022; 29(05):192-203