Bewegungsstörungen und Sialorrhö

Mit aufgereinigtem Botulinum-Neurotoxin individuelle Therapieziele erreichen


Sabine M. Rüdesheim, Frechen-Königsdorf

IncobotulinumtoxinA wird in der Praxis zur Behandlung von Bewegungsstörungen, beispielsweise aufgrund von Spastik oder Dystonien, oder auch der chronischen Sialorrhö angewendet. Studien belegen sowohl die Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit, so Experten bei einem von Merz Therapeutics im Rahmen des Kongresses für Parkinson und Bewegungsstörungen veranstalteten Satellitensymposiums.

Wiederholte Injektionszyklen von Botulinumtoxin Typ A bergen die Wahrscheinlichkeit, neutralisierende Antikörper (NAB) zu bilden, die zu einem sekundären Therapieversagen führen. In einer Querschnittsstudie entwickelten 14 % der eingeschlossenen 596 Patienten, die unter zervikaler Dystonie (CD), Blepharospasmus, Spasmus hemifacialis bzw. Spastik litten, über einen bis zu 15 Jahren währenden Beobachtungszeitraum NAB. Das höchste Risiko war mit den Indikationen CD oder Spastik assoziiert. Es stieg sowohl mit der Anzahl der Einzeldosen als auch der kumulativen Dosis der Behandlung an. NAB-positive Patienten sprechen schlechter an und erhalten daher höhere Dosen. Diese wiederum erhöhen das NAB-Risiko weiter [1].

Darüber hinaus beeinflusst die Wirkstoffformulierung das Risiko, NAB zu entwickeln. Da unter dem aufgereinigten Clostridium-botulinum-Neurotoxin Typ A frei von Komplexproteinen, IncobotulinumtoxinA (IncoBoNT/A; Xeomin®), keine NAB detektiert wurden [2], sollte es den Experten zufolge in Betracht gezogen werden, wenn hohe Einzeldosen oder frühe Re-Injektionen notwendig sind.

Schmerzen signifikant reduziert

Die Analyse von gepoolten Daten von mehr als 500 Erwachsenen mit einem Pyramidenbahnsyndrom zeigt, dass eine Behandlung der spastischen Bewegungsstörung (SMD) mit IncoBoNT/A Schmerzen im Bereich der oberen Extremitäten im Kontext mit der SMD im Vergleich zu Placebo signifikant reduzieren kann. Erfasst wurden diese Daten in sechs Studien (davon vier randomisierte kontrollierte Studien) mithilfe der Disability Assessment Scale (DAS), die einen Schmerz-Score mit der Graduierung keine, milde, moderate und schwere Schmerzen enthielt.

In Woche 4 zeigte ein signifikant größerer Anteil der mit IncoBoNT/A (52,1 %) als der mit Placebo behandelten Patienten (28,7 %) ein Ansprechen (≥ 1-Punkt-Verbesserung im DAS-Schmerz-Score) [3]. Die Wahrscheinlichkeit, diesen Endpunkt zu erreichen, war bei den mit IncoBoNT/A behandelten Patienten 2,6-mal höher als bei den mit Placebo behandelten Patienten [3].

Der signifikante Unterschied zwischen Verum und Placebo wurde unabhängig von der Ausgangsschmerzstärke beobachtet: bei milder Schmerzintensität 43,9 vs. 19,0 %, bei moderater 54,7 vs. 34,8 % und bei schwerer 67,7 vs. 40,0 % [3]. Darüber hinaus berichteten 27,1 % der mit Verum behandelten Patienten gegenüber 12,4 % der mit Placebo behandelten Patienten über eine vollständige Schmerzlinderung [3]. Die anhaltenden Schmerzansprechraten zeigten einen kumulativen Effekt: Bei 71,7 % der Patienten wurde eine Verbesserung des DAS-Schmerz-Scores um ≥ 1 Punkt nach vier Behandlungen im Vergleich zur Baseline beobachtet. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Patienten mit vollständiger Schmerzfreiheit mit der Zeit weiter an: 42,9 % zeigten eine vollständige Schmerzfreiheit nach vier Zyklen [3].

Zusätzliche Indikation: Sialorrhö

Seit November 2021 kann IncoBoNT/ A zur Therapie der pädiatrischen Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen bzw. Entwicklungsstörungen angewendet werden – eine Erkrankung, bei der nicht nur die klinischen Folgen wie das Aspirationsrisiko, sondern auch die Stigmatisierung als Behandlungsindikation ernst genommen werden sollte.

Wie die Ergebnisse der randomisierten, Placebo-kontrollierten doppelblinden Phase-III-Studie SIPEXI zeigen, ist IncoBoNT/A bei Kindern und Jugendlichen mit chronischer Sialorrhö bei guter Verträglichkeit wirksam: Vier Wochen nach der Injektion des Verums wurde eine signifikante Reduktion des Speichelflusses gegenüber Placebo beobachtet. Die Effekte hielten bis zu 16 Wochen nach der ersten Behandlung an. Bei wiederholter Behandlung wurde eine kontinuierliche Reduktion des Speichelflusses dokumentiert [4]. Die lokale Wirkung von IncoBoNT/A wirkt sich vorteilhaft bezüglich des Nebenwirkungsprofils aus.

Fazit

Die Fähigkeit von Botulinumtoxin, die motorischen Nerven der Muskulatur vorübergehend zu lähmen, wird zur Behandlung verschiedener Krankheiten genutzt. Bei der Therapie spastischer Bewegungsstörung können mit IncoBoNT/A bei guter Verträglichkeit assoziierte Schmerzen im Bereich der oberen Extremitäten im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert werden. In den Speicheldrüsen wird die Speichelproduktion vermindert und somit die Häufigkeit und Schwere der Sialorrhö verbessert. Durch eine geeignete Wirkstoffformulierung wird eine mögliche neutralisierende Antikörperbildung umgangen.

Quelle

Dr. med. Philipp Albrecht, Düsseldorf, Prof. Dr. med. Tobias Bäumer, Lübeck, Prof. Dr. med. Jörg Wissel, Berlin, Prof. Dr. med. Steffen Berweck, Vogtareuth; digitales Symposium „Botulinum Neurotoxin Typ A frei von Komplexproteinen – Was gibt es Neues?“, veranstaltet von Merz Therapeutics GmbH im Rahmen des Kongresses für Parkinson und Bewegungsstörungen, 26. März 2022.

Literatur

1. Lee J-I, et al. Long-term adherence and response to botulinum toxin in different indications. Ann Clin Transl Neurol 2021;8:15–28.

2. Albrecht P, et al. High prevalence of neutralizing antibodies after long-term botulinum neurotoxin therapy. Neurology 2019;92:e48–54.

3. Wissel J, et al. Pain reduction in adults with limb spasticity following treatment with incobotulinumtoxinA: a pooled analysis. Toxins 2021;13:887.

4. Berweck S, et al. Placebo-controlled clinical trial of incobotulinumtoxinA for sialorrhea in children: SIPEXI. Neurology 2021;97:e1425–36.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(04):152-159