Reimund Freye, Baden-Baden
Aus Erfahrung ist bekannt, dass Patienten mit ADHS sich oftmals nicht sonderlich gut ernähren. Vor diesem Hintergrund entstand die Frage, ob irgendein Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Krankheitsbild ADHS herzustellen ist, und es gibt seit längerem den Ansatz, Nahrungsergänzungsmittel therapeutisch einzusetzen. Die Effekte von Mikronährstoffen oder Vitaminen bei ADHS wurden in zwei Übersichtsarbeiten aus der jüngeren Vergangenheit diskutiert [6, 7]. Darin konnten jedoch – wenn überhaupt – nur geringe Effektstärken konstatiert werden, bei insgesamt sehr gemischten Resultaten. Dr. Alexander Häge, Mannheim, wies zudem darauf hin, dass viele diesbezügliche Untersuchungen methodische Mängel (z. B. keine Kontrollgruppe) aufweisen.
Nahrungsergänzung: Studien mit gemischten Ergebnissen
Auch zur therapeutischen Gabe von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren (PUFA) bei ADHS existieren unterschiedliche Ergebnisse und Einschätzungen. Gillies et al. kamen in ihrem Cochrane-Review [5] zu dem Schluss, dass eine Behandlung bei Kindern und Jugendlichen einen kleinen Effekt hat, aber im Vergleich zu Placebo keine Signifikanz erreicht.
Bloch und Qawasmi [1] sowie Sonuga-Barke et al. [9] fanden eine geringe, aber statistisch signifikante Verbesserung der ADHS-Symptomatik. Chang et al. [2] eruierten, dass eine Behandlung mit Omega-3-Fettsäuren bei Kindern und Jugendlichen (im Vergleich zu Placebo) eine Verbesserung der klinischen Symptome und der kognitiven Leistung mit sich bringt. Häge empfahl: „In Situationen, in denen ein Patient ein PUFA-Präparat anstelle von Stimulanzien einnehmen möchte, sollten die Behandler raten, mindestens 750 mg Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) pro Tag über einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen einzunehmen, bevor das Ansprechen bewertet wird.“
Für eine Zink-Supplementierung und die Zugabe von Eisen gibt es laut Häge kaum Evidenz. Hingegen zeigte eine Magnesium-Supplementierung eine positive, signifikante Wirkung [4].
Eine sinnvolle Option mögen Breitspektrum Mikronährstoffe sein. Eine Placebo-kontrollierte Studie aus Neuseeland an Kindern fand wiederum sehr gemischte Resultate. Wohl ergab sich kein signifikanter Gruppenunterschied hinsichtlich der ADHS-Symptomatik im Kliniker-, Eltern- oder Lehrerurteil. Jedoch sahen diese Gruppen „Verbesserungen hinsichtlich Emotionsregulation, Aggressionen und beim allgemeinem Funktionsniveau im Vergleich zu Placebo“ [8].
Aufgrund der unsicheren Datenlage braucht es weitere Forschung, wie die aktuelle EU-weite Studie Eat2beNice (https://newbrainnutrition.com/) ergab, an der auch das ZI Mannheim teilnimmt. In diesem Projekt wird weitgefasst der Zusammenhang zwischen Darm-Mikrobiom und Vorgängen im Gehirn (Gut Brain Axis) untersucht. Die Rekrutierung dieser Studie läuft noch; an ihr können Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren teilnehmen, die unter einer ausgeprägten Impulsivität und Reizbarkeit (mit oder ohne ADHS) leiden.
ESCAlife mit überraschenden ersten Ergebnissen
Die Studie ESCAlife (Evidence-based stepped care of ADHD along the life-span; www.esca-life.org) wurde aufgelegt, um die Wirksamkeit einer schrittweisen, individualisierten Behandlung von Patienten mit ADHS zu untersuchen. Dabei geht es nicht um die jeweilige Bewertung von Einzelbehandlungen, sondern untersucht werden Sequenzen von verschiedenen Therapiemodulen. Dazu gehören die medikamentöse Behandlung, verhaltenstherapeutische Interventionen (VT), wozu auch Neurofeedback als eine spezifische Form der VT gerechnet wird, sowie eine Psychoedukation.
In der Substudie ESCAschool wurden 6- bis 12-Jährige behandelt [3]. Für diese Kohorte präsentierte Prof. Manfred Döpfner, Köln, erste Ergebnisse. Patienten mit moderater oder schwerer ADHS waren im geplanten Umfang rekrutiert worden. Bei den Patienten mit schwerer ADHS führte die dreimonatige medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat (plus Psychoedukation) nur in 4 % der Fälle zu einer vollen Response (keine signifikanten Symptome mehr von ADHS). Eine partielle Response zeigte sich bei 47 % der Patienten, und 50 % hatten gar nicht angesprochen. Die Patienten mit partieller Response wurden randomisiert dem nächsten Behandlungsschritt (zusätzlich Beratung, Neurofeedback oder VT) zugewiesen. Die Patienten ohne Response wurden auf eine andere Medikation plus VT umgestellt. Die Ergebnisse dieser zweiten Behandlungsphase wurden noch nicht berichtet.
Die Gruppe mit moderater ADHS erhielt eine Telefon-assistierte Selbsthilfe. Von diesen zeigten 8 % ein volles Ansprechen, 28 % eine partielle Response und 63 % keine Wirkung der Maßnahme. Patienten mit partiellem Ansprechen wurden in der zweiten Phase auf VT umgestellt, Patienten ohne Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie plus Beratung und VT.
Bei der Planung der Studie war man davon ausgegangen, dass lediglich 10 % der Patienten mit schwerer ADHS gar nicht und knapp zwei Drittel zumindest partiell auf den ersten Therapieschritt ansprechen [3]. Dass nun ein relativ geringer Anteil an Patienten klinisch bedeutsam auf die Pharmakotherapie respondierte, könnte nach Döpfners Vermutung durch die nicht abgeschlossene (zu vorsichtige) Dosis-Optimierung (Auftitrierung) der Medikation im Rahmen der Routinetherapie bedingt sein.
Weil Individuen mit ADHS auf die zahlreichen zur Verfügung stehenden Interventionen sehr unterschiedlich reagieren, resümierte Döpfner, sollten praxistaugliche Monitoringsysteme entwickelt werden, um die einzelnen Therapien möglichst effizient auf ihre Wirkungen überprüfen zu können. Denn es habe keinen Sinn, Interventionen etwa ein halbes Jahr ohne Kontrolle beim jeweiligen Patienten laufen zu lassen. Beim Monitoring steht insbesondere der funktionelle Bereich im Mittelpunkt des Interesses, also die Frage, wie sich die Therapie auf die Lebensqualität der Patienten und auf die soziale Interaktion in den verschiedenen Umwelten des Patienten auswirkt.
Quelle
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Tobias Banaschewski, Mannheim, Dr. med. Alexander Häge, Mannheim, Prof. Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Manfred Döpfner, Köln; virtuelles ADHS Frühjahrs-Update 2022, 12. März 2022, veranstaltet von Medice.
Literatur
1. Bloch MH, et al. Omega-3 fatty acid supplementation for the treatment of children with attention-deficit/hyperactivity disorder symptomatology: systematic review and meta-analysis. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2011;50:991–1000.
2. Chang JPC, et al. Neuropsychopharmacology 2018;43:534–45.
3. Döpfner M, et al. ESCAschool study: trial protocol of an adaptive treatment approach for school-age children with ADHD including two randomized trials. BMC Psychiatry 2017;18:269.
4. El Baza F, et al. Magnesium supplementation in children with attention deficit hyperactivity disorder. Egypt J Med Hum Genet 2016;17:63–70.
5. Gillies D, et al. Polyunsaturated fatty acids (PUFA) for attention deficit hyperactivity disorder (ADHD) in children and adolescents. Cochrane Database Syst Rev 2012;2012(7):CD007986.
6. Lange KW, et al. The role of nutritional supplements in the treatment of ADHD: What the evidence says. Curr Psychiatry Rep 2017;19:8.
7. Rosi E, et al. Use of non-pharmacological supplementations in children and adolescents with attention deficit/hyperactivity disorder: A critical review. Nutrients 2020;12:1573.
8. Rucklidge JJ, et al. Vitamin-mineral treatment improves aggression and emotional regulation in children with ADHD: a fully blinded, randomized, placebo-controlled trial. J Child Psychol Psychiatry 2018;59:232–46.
9. Sonuga-Barke EJS, et al. Nonpharmacological interventions for ADHD: systematic review and meta-analyses of randomized controlled trials of dietary and psychological treatments. Am J Psychiatry 2013;170:275–89.
Psychopharmakotherapie 2022; 29(04):152-159