Schlafstörungen

Wirksamkeit und Sicherheit von Daridorexant


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Den Ergebnissen aus zwei multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studien zufolge verbesserten Daridorexant 25 mg und 50 mg bei Menschen mit Schlafstörungen die Schlafqualität und in der Dosierung 50 mg auch die Tagesform am folgenden Tag, bei einem günstigen Sicherheitsprofil.

Schlafstörungen sind sehr verbreitet. Die zugelassenen Arzneimittel zur Therapie von Schlafstörungen, wie die GABA-Rezeptoragonisten einschließlich der Benzodiazepine (z. B. Flurazepam) und die sogenannten Z-Substanzen wie Eszopiclon oder Zolpidem, wirken oft nicht gezielt auf die Einleitung und Aufrechterhaltung des Schlafs und bergen das Risiko einer mit der Zeit abnehmenden Wirksamkeit und einer Abhängigkeit. Neuartige duale Orexin-Rezeptorantagonisten wie Daridorexant wurden als Arzneimittel gegen Schlafstörungen entwickelt mit dem Ziel, das Einschlafen und die Aufrechterhaltung des Schlafs zu verbessern, ohne Residualeffekte am nächsten Tag hervorzurufen. In Phase-II-Dosisfindungsstudien verbesserte Daridorexant die Schlafqualität bei Erwachsenen und älteren Erwachsenen (65–85 Jahre) mit Schlafstörungen, ohne Restmüdigkeit am nächsten Morgen zu verursachen [1, 4]. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Daridorexant bei Menschen mit nächtlichen Schlafstörungen wurde nun in zwei parallel durchgeführten Phase-III-Studien untersucht.

Methodik

Es handelte sich um zwei multizentrische, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien an 156 Standorten in 17 Ländern. Erwachsene im Alter von ≥ 18 Jahren mit Schlafstörungen gemäß DSM-5 wurden im Verhältnis 1 : 1 : 1 randomisiert. und sollten jeden Abend Daridorexant 50 mg, 25 mg oder Placebo (Studie 1) oder Daridorexant 25 mg, 10 mg oder Placebo (Studie 2) einnehmen. Zuvor waren in einer zwei- bis dreiwöchigen einfachblinden Placebo-Phase die Basisdaten zum Schlafverhalten der Patienten ermittelt worden. Es wurden nur Patienten eingeschlossen, die eine Einschlaflatenz von mindestens 20 Minuten, eine Wachzeit nach dem ersten Einschlafen von mindestens 30 Minuten und eine Gesamtschlafdauer von weniger als sieben Stunden aufwiesen.

Die verblindete Behandlung umfasste drei Monate. Die Studienteilnehmer, die Prüfärzte und das Personal des Prüfzentrums waren hinsichtlich der Behandlungszuweisung verblindet. Die primären Endpunkte waren die Veränderung der Wachzeit nach dem ersten Einschlafen (WASO [wake after sleep onset]) und der Einschlaflatenz (LPS [latency to persistent sleep) in den Monaten 1 und 3 im Vergleich zum Ausgangswert. Die Werte wurden jeweils als Mittelwert aus zwei Polysomnographien in aufeinander folgenden Nächten ermittelt. In einem elektronisches Tagebuch dokumentierten die Patienten täglich ihre Schlafdauer und füllten abends einen Fragebogen zu Symptomen und Auswirkungen der Insomnie am Tag (IDSIQ [Insomnia daytime symptoms and impacts questionnaire]) aus. Sekundäre Endpunkte waren die Veränderung der selbstberichteten Gesamtschlafzeit und des IDSIQ-Schläfrigkeitsscores gegenüber dem Ausgangswert, ermittelt als Mittelwert aus den sieben Tagen vor den Polysomnographien. Die Wirksamkeit wurde bei allen randomisierten Teilnehmern (Intention to treat) und die Sicherheit bei allen Teilnehmern, die mindestens eine Behandlungsdosis erhielten, analysiert.

Ergebnisse

In Studie 1 wurden zwischen Juni 2018 und Februar 2020 in 75 Zentren 930 Teilnehmer randomisiert, in Studie 2 zwischen Mai 2018 und Mai 2020 in 81 anderen Zentren 924 Teilnehmer.

Vor der Randomisierung berichteten die Patienten aller sechs Behandlungsgruppen eine Gesamtschlafdauer von etwas mehr als fünf Stunden (Mittelwerte 308 bis 316 Minuten). Die Polysomnographie ergab Einschlaflatenz-Mittelwerte von 64 bis 72 Minuten und WASO-Mittelwerte von 96 bis 108 Minuten. Der IDSIQ-Schläfrigkeits-Score lag bei 22,1 bis 22,7 von 40 möglichen Punkten (0 = keine, 40 = maximale Beeinträchtigung).

Studie 1

In Studie 1 waren die WASO und LPS bei den Teilnehmern beider Daridorexant-Gruppen (50 mg, 25 mg) in Monat 1 und in Monat 3 signifikant stärker reduziert als in der Placebo-Gruppe (Tab. 1). Die selbstberichtete Schlafdauer war mit beiden Dosierungen zu beiden Zeitpunkten signifikant länger als in der Placebo-Gruppe, wobei die Verbesserung mit 50 mg Daridorexant numerisch höher ausfiel als mit 25 mg Daridorexant (Tab. 1). Der IDSIQ-Schläfrigkeits-Score war in Monat 1 und Monat 3 nur mit 50 mg Daridorexant signifikant stärker reduziert als in der Placebo-Gruppe (Tab. 1).

Tab. 1. Ergebnisse von Studie 1 zur Wirksamkeit von Daridorexant (25 mg/50 mg) im Vergleich zu Placebo (n = 310) bei Insomnie (Intention-to-treat-Analyse) [nach Mignot et al. 2022]

Parameter

Daridorexant 50 mg

(n = 310)

Daridorexant 25 mg

(n = 310)

Primäre Endpunkte

WASO, Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–22,8 min (–28,0 bis –17,6; p < 0,0001)

–12,2 min (–17,4 bis –7,0; p < 0,0001)

  • Monat 3

–18,3 min (–23,9 bis –12,7; p < 0,0001)

–11,9 min (–17,5 bis –6,2; p < 0,0001)

LPS, Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–11,4 min (–16,0 bis –6,7; p < 0,0001)

–8,3 min (–13,0 bis –3,6; p = 0,0005)

  • Monat 3

–11,7 min (–16,3 bis –7,0; p < 0,0001)

–7,6 min (–12,3 bis –2,9; p = 0,0015)

Sekundäre Endpunkte

Selbstberichtete Gesamtschlafdauer,
Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

22,1 min (14,4–29,7; p < 0,0001)

12,6 min (5,0–20,3; p = 0,0013)

  • Monat 3

19,8 min (10,6–28,9; p < 0,0001)

9,9 min (0,8–19,1; p = 0,033)

IDSIQ-Schläfrigkeits-Score,
Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–1,8 (–2,5 bis –1,0; p < 0,0001)

–0,8 (–1,5 bis 0,01; p = 0,055; n.s.)

  • Monat 3

–1,9 (–2,9 bis –0,9; p = 0,0002)

–1,0 (–2,0 bis 0,01; p = 0,053; n.s.)

*Least square means (LSM); IDSIQ: Insomnia daytime symptoms and impacts questionnaire; KI: Konfidenzintervall; LPS: Latency to persistent sleep (Einschlaflatenz); WASO: Wake after sleep onset (Wachzeit nach dem ersten Einschlafen); n.s.: nicht signifikant

Studie 2

In Studie 2 ergab die Polysomnographie für die Teilnehmer der Daridorexant-25-mg-Gruppe, aber nicht der Daridorexant-10-mg-Gruppe eine signifikant kürzere WASO als bei den Teilnehmern der Placebo-Gruppe (Tab. 2). Für die LPS wurden mit beiden Dosierungen keine signifikanten Unterschiede festgestellt (Tab. 2). Im Vergleich zur Placebo-Gruppe hatten die Teilnehmer in der Daridorexant-25-mg-Gruppe, aber nicht der Daridorexant-10-mg-Gruppe eine signifikante Verbesserung der selbstberichteten Gesamtschlafzeit in Monat 1 und Monat 3 (Tab. 2). In Bezug auf den IDSIQ-Schläfrigkeitsscore ergab sich für beide Dosierungen kein signifikanter Unterschied zu Placebo (Tab. 2).

Tab. 2. Ergebnisse von Studie 2 zur Wirksamkeit von Daridorexant (10 mg/25 mg) im Vergleich zu Placebo (n = 308) bei Insomnie (Intention-to-treat-Analyse) [nach Mignot et al. 2022]

Parameter

Daridorexant 25 mg

(n = 309)

Daridorexant 10 mg

(n = 307)

Primäre Endpunkte

WASO, Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–11,6 min (–17,6 bis –5,6; p = 0,0001)

–2,7 min (–8,7 bis 3,2; p = 0,37; n.s.)

  • Monat 3

–10,3 min (–17,0 bis –3,5; p = 0,0028)

–2,0 min (–8,7 bis 4,8; p = 0,57; n.s.)

LPS, Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–6,5 min (–12,3 bis –0,6; p = 0,030; n.s.)

–2,6 min (–8,4 bis 3,2; p = 0,38; n.s.)

  • Monat 3

–9,0 min (–15,3 bis –2,7; p = 0,0053; n.s.)

–3,2 min (–9,5 bis 3,1; p = 0,32; n.s.)

Sekundäre Endpunkte

Selbstberichtete Gesamtschlafdauer,
Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

16,1 min (8,2–24,0; p < 0,0001)

13,4 min (5,5–21,2; p = 0,0009; n.s.)

  • Monat 3

19,1 min (10,1–28,0; p < 0,0001)

13,6 min (4,7–22,5; p = 0,0028; n.s.)

IDSIQ-Schläfrigkeits-Score,
Differenz* im Vergleich mit Placebo (95%-KI)

  • Monat 1

–0,8 (–1,6 bis 0,1; p = 0,073; n.s.)

–0,4 (–1,3 bis 0,4; p = 0,30; n.s.)

  • Monat 3

–1,3 (–2,2 bis –0,3; p = 0,012; n.s.)

–0,7 (–1,7 bis 0,2; p = 0,14; n.s.)

Erläuterungen vgl. Tab. 1

Verträglichkeit

Die Gesamthäufigkeit der unerwünschten Ereignisse war zwischen den Behandlungsgruppen vergleichbar. In Studie 1 berichteten 38 % der Teilnehmer in der Daridorexant-50-mg-Gruppe, 38 % in der Daridorexant-25-mg-Gruppe und 34 % in der Placebo-Gruppe unerwünschte Ereignisse. In Studie 2 waren es 39 % in der Daridorexant-25-mg-Gruppe, 38 % in der Daridorexant-10-mg-Gruppe und 33 % in der Placebo-Gruppe. Nasopharyngitis (4–10 %) und Kopfschmerzen (4–6 %) waren die häufigsten unerwünschten Ereignisse in allen Gruppen. Ein Todesfall (Herzstillstand) trat in der Daridorexant-25-mg-Gruppe in Studie 1 auf, wurde aber als nicht behandlungsbedingt eingestuft.

Zusammengefasst verbesserten Daridorexant 25 mg und 50 mg die Schlafqualität bei Schlafstörungen. 10 mg war bei keinem der erhobenen Parameter wirksamer als Placebo.

Die vorgestellten Studien waren wesentlicher Bestandteil des Zulassungsantrags, auf dessen Basis der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Februar 2022 eine Zulassungsempfehlung für Daridorexant (Quviviq®) ausgesprochen hat, und zwar zur Behandlung Erwachsener mit Insomnie, deren Symptome seit mindestens drei Monaten bestehen und beträchtliche Auswirkungen auf die Tagesfunktion haben.

Kommentar

Schlafstörungen beeinträchtigen nicht nur den nächtlichen Schlaf, sondern auch die Funktionsfähigkeit und das Wohlbefinden am Tag. Die Behandlung von Menschen mit Schlafstörungen sollte daher sowohl das Schlafdefizit als auch die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit am Tag verbessern. Außerdem sollten neue Behandlungen darauf ausgerichtet sein, sowohl die nächtlichen Beschwerden als auch die Symptome am Tag zu verbessern. Eine Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels ist, dass ein Arzneimittel am nächsten Morgen nicht überhängt. Daridorexant 25 mg und 50 mg scheinen diese Anforderungen zu erfüllen. Die Verbesserung der Schlafvariablen wurde ohne übermäßige Schläfrigkeit am nächsten Morgen erreicht. Die von den Teilnehmern dieser Studien wahrgenommene Verbesserung des Schlafs stimmte mit der objektiv gemessenen Verbesserung durch die Polysomnographie überein.

In zukünftigen Studien sollte untersucht werden, ob Daridorexant dazu beitragen kann, die negativen Folgen von Schlafmangel, wie Bluthochdruck [3] oder eine Demenz [2], und die negativen Folgen einer veränderten Tagesform, beispielsweise das Risiko von Stürzen, positiv beeinflussen kann. Bisher fehlen aber Vergleichsstudien zu herkömmlichen Schlafmitteln und der Nachweis der Wirksamkeit bei Patienten, die mit ihren derzeitigen Schlafmitteln nicht zufrieden sind.

Quelle

Mignot E, et al. Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. Lancet Neurol 2022;21:125–39.

Literatur

1. Dauvilliers Y, et al. Daridorexant, a new dual orexin receptor antagonist to treat insomnia disorder. Ann Neurol 2020;87:347–56.

2. Hung CM, et al. Risk of dementia in patients with primary insomnia: a nationwide population-based case-control study. BMC Psychiatry 2018;18:38. https://doi.org/10.1186/s12888-018-1623-0.

3. Jarrin DC, et al. Insomnia and hypertension: A systematic review. Sleep Med Rev 2018;41:3–38.

4. Zammit G, et al. Daridorexant, a new dual orexin receptor antagonist, in elderly subjects with insomnia disorder. Neurology 2020;94:e2222–e32.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(02):71-75