Depression

Agomelatin als Therapieoption bei Kindern und Jugendlichen


Sonja Zikeli, Stuttgart

Bei Erwachsenen mit Episoden einer Major Depression wird der Melatonin-Rezeptoragonist Agomelatin bereits erfolgreich eingesetzt. Die Autoren der vorliegenden Studie haben nun untersucht, ob sich Agomelatin auch für die Behandlung einer Depression bei Kindern und Jugendlichen eignen könnte.

Agomelatin weist einen dualen Wirkungsmechanismus auf: Als Agonist bindet der Wirkstoff an den Melatonin-Rezeptor, gleichzeitig antagonisiert er den Serotonin(5-HT)2c-Rezeptor und entfaltet seine antidepressive Wirkung. Diese wurde bei Erwachsenen in klinischen Studien bereits belegt. Um das therapeutische Potenzial bei Kindern und Jugendlichen mit einer Depression einschätzen zu können, wurden nun Wirksamkeit und Sicherheit von Agomelatin evaluiert.

Studiendesign

Die randomisierte, doppelblinde, multizentrische, Phase-III-Parallelgruppen-Studie wurde in 46 psychiatrischen Zentren in neun Ländern (Nord- und Osteuropa, Südafrika) durchgeführt. Eingschlossen wurden Kinder (sieben bis elf Jahre) und Jugendliche (zwölf bis 17 Jahre), die nicht auf eine psychosoziale Verhaltenstherapie angesprochen hatten (CDRS-R[Children’s depression rating scale–revised]-Score ≥ 45; die CDRS-R umfasst Werte von 17 bis 113). Für jede Altersklasse führten die Autoren weitere Subgruppenanalysen durch, wobei die Jugendlichen die größere der beiden Gruppen (Gesamtpopulation) bildeten. Insgesamt wurden 400 Teilnehmer 1 : 1 : 1 : 1 randomisiert und erhielten über zwölf Wochen einmal täglich Agomelatin 10 mg (n = 102) oder 25 mg (n = 95), Placebo (n = 103) oder Fluoxetin (aktive Kontrolle, n = 100). Die Fluoxetin-Dosierung war abhängig vom Schweregrad der Symptome und variierte zwischen 10 mg und 20 mg.

Primärer Endpunkt war die Veränderung des CDRS-R-Scores nach zwölf Wochen. Im Anschluss an die Studie konnten die Probanden für weitere 21 Monate an einer offenen Langzeitstudie teilnehmen.

Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der 400 Teilnehmer (80 Kinder, 320 Jugendliche) betrug 13,7 Jahre. Die mittlere Krankheitsdauer lag bei 94,5 Tagen. Der CDRS-R-Score-Mittelwert lag zwischen 64,3 (Agomelatin 10 mg) und 67,5 (Placebo). Bis Woche 12 verringerte er sich in allen Gruppen um ungefähr 20 Punkte, etwas ausgeprägter in den aktiv behandelten Gruppen als in der Placebo-Gruppe: Im Vergleich zu Placebo verbesserte sich der CDRS-R-Score in der 10-mg-Agomelatin-Gruppe um 3,18 (95%-Konfidenzintervall [KI] –0,37 bis 6,73) und in der 25-mg-Agomelatin-Gruppe um 4,22 (95%-KI 0,63–7,82). Statistisch signifikant war dies allerdings nur für die höhere der beiden Dosierungen (p = 0,040). Für Fluoxetin betrug die Differenz zu Placebo im CDRS-R-Score 3,74 (95%-KI 0,18–7,30) und war damit ebenfalls statistisch signifikant (p = 0,039). Die Ansprechraten gemäß Clinical Global Impression (CGI) lagen in der Agomelatin-Gruppe mit 10 mg bei 48 %, mit 25 mg bei 49 % und in der Fluoxetin-Gruppe bei 47 %. Sie unterschieden sich jedoch nicht signifikant von der vergleichsweise hohen Ansprechrate unter Placebo (45 %). Eine Remission (definiert als CDRS-R-Score ≤ 28 nach 12 Wochen) erreichten 11 % der Teilnehmer unter Placebo und 14 % in der Agomelatin-Gruppe mit 10 mg. In der höheren Dosierung waren es 16 % und in der Fluoxetin-Gruppe 12 %. Auch in diesem Fall war der Unterschied zwischen den Interventionen und Placebo nicht statistisch signifikant.

Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen gehörten Durst, Appetit- und Gewichtszunahmen. In den beiden Agomelatin-Gruppen waren Appetit- und Gewichtszunahme häufiger als unter Placebo und von Mundtrockenheit berichteten die Teilnehmer ebenfalls. Suizidgedanken hatten vor Studienbeginn 23 % der Gesamtpopulation erlebt; während der Studie ergaben sich zwischen den Behandlungsarmen keine Unterschiede (je ein Ereignis pro Gruppe). Im Fluoxetin-Arm traten vorübergehende Müdigkeit und Appetitsteigerung am häufigsten auf. Insgesamt waren die Unterschiede zwischen den Studiengruppen gering und in Bezug auf suizidales Verhalten klinisch nicht relevant.

Fazit der Studienautoren

Bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen mit Major Depression war Agomelatin in der Dosierung 25 mg wirksam und gut verträglich. Im Hinblick auf die Veränderung des CDRS-R-Scores innerhalb von zwölf Wochen war Agomelatin 25 mg gegenüber Placebo überlegen. Dieses Ergebnis fand sich auch in der Altersklasse der Jugendlichen. Für die Altersklasse der Kinder ermittelten die Autoren jedoch keine signifikanten Unterschiede, vermutlich, weil diese Subgruppe zu klein war. Daher favorisieren die Autoren den Einsatz von Agomelatin 25 mg bei Jugendlichen.

Agomelatin kann demnach eine Option zur Depressionsbehandlung in dieser Altersgruppe darstellen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass weder für Agomelatin noch für Fluoxetin Unterschiede der Anprech- und Remissionsrate im Vergleich mit Placebo gefunden wurden.

Quelle

Arango C, et al. Safety and efficacy of agomelatine in children and adolescents with major depressive disorder receiving psychosocial counselling: a double-blind, randomised, controlled, phase 3 trial in nine countries. Lancet Psychiatry 2022;9:113–24.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(02):71-75