Dr. Maja M. Christ, Stuttgart
Vermehrter Speichelfluss (Sialorrhö, Hypersalivation) kann bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen auftreten. Häufigste Ursachen sind neben einer Parkinson-Erkrankung und Schlaganfall Nebenwirkungen von Neuroleptika oder trauma-/tumorbedingte Defekte im Kopf-Hals-Bereich. Eine chronische Sialorrhö belastet Betroffene bei Aktivitäten in der Öffentlichkeit, aber auch im Familienleben gibt es Beeinträchtigungen.
Chronische Sialorrhö bei Morbus Parkinson
Bei Patienten mit Morbus Parkinson kann das Schlucken vermindert sein, sodass sich Speichel im Mund ansammelt. Schluckstörungen bei Parkinson sind oft schon in frühen Stadien der Erkrankung problematisch für die Patienten. Ein typisches Indiz für eine schwere Schluckstörung ist es, wenn Patienten beim Essen husten müssen. Die aktuellen schluckspezifischen Fragen neurologischer Diagnosewerkzeuge reichen auf der einen Seite nur bedingt aus, um Schluckstörungen sicher zu erkennen [5]. Auf der anderen Seite liegt nicht jedem erhöhten Speichelfluss eine Schluckstörung zugrunde, sodass Sialorrhö kein verlässliches Frühzeichen einer kritischen Dysphagie mit Aspirationsrisiko darstellt.
Zur konservativen Therapie der Sialorrhö gehört ein Schlucktraining, die Verbesserung hält jedoch meist nicht über drei Monate hinaus. Kaugummikauen kann hilfreich sein, doch in der Regel ist eine medikamentöse Intervention nötig, doch die eingesetzten Arzneimittel sind meist off Label, so auch Glycopyrrolat, das für Kinder zugelassen ist und bei Parkinsonpatienten nur moderat wirkt. Gerade bei älteren Patienten ist eine systemische Therapie – etwa mit Anticholinergika – nur eingeschränkt sinnvoll [1]. Manchmal hilft die Optimierung der dopaminergen Therapie. Als sichere und effektive Behandlungsform haben sich zudem Botulinumtoxin-Injektionen erwiesen [1], die bereits seit den 1990ern off Label eingesetzt werden. Seit 2019 ist IncobotulinumtoxinA (Xeomin®) zur Behandlung chronischer Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen erwachsener Patienten zugelassen [3]. Es hemmt nach Injektion in die Speicheldrüsen die cholinerge neuroglanduläre Signalübertragung und damit die Aktivität der Speicheldrüsen lokal und reversibel.
Verlängerungsstudie von SIAXI zeigt anhaltenden Effekt
In der zulassungsrelevanten Studie SIAXI erhielten die Teilnehmer Injektionen in die Gl. parotis und die Gl. submandibularis. Der Speichelfluss war nach Injektion von 100 I. E. IncobotulinumtoxinA gegenüber Placebo bis zu Woche 16 signifikant reduziert und auch das Patientenurteil fiel signifikant besser aus. In der verblindeten 64-wöchigen Verlängerungsphase nahmen 173 der ursprünglich 184 Patienten teil, 141 Patienten erhielten in beiden Phasen bis zu drei Injektionen alle 16 Wochen IncobotulinumtoxinA (75 oder 100 I. E.) [4]. Die Speichelflussrate war anhaltend reduziert und verblieb bei den meisten Patienten auf einem physiologischen Niveau. Häufigste Nebenwirkungen waren trockener Mund (10 % unter 100 I. E.) und Dysphagie (3 % unter 100 I. E.).
Patienten mit sehr schwerer Schluckstörung waren in der Zulassungsstudie nicht eingeschlossen, Carsten Buhmann, Hamburg, gab jedoch an, dass er ultraschallgestützt auch Patienten mit schwerer Dysphagie behandelt.
Chronische Sialorrhö bei Kindern und Jugendlichen
In der SIPEXI-Studie konnten Wirksamkeit und gute Verträglichkeit für die Therapie der pädiatrischen Sialorrhöbestätigt werden. In die randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie wurden insgesamt 256 Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 17 Jahren eingeschlossen, die aufgrund einer neurologischen Erkrankung (z. B. Cerebralparese oder Schädel-Hirn-Trauma) und/oder einer geistigen Behinderung eine seit mindestens drei Monaten bestehende Sialorrhö als Symptomatik aufwiesen. Die Patienten erhielten ultraschallgestützte bilaterale gewichtsadaptierte Injektionen der großen Speicheldrüsen im fixen Dosis-Volumen-Verhältnis 3 : 2 mit IncobotulinumtoxinA (25 I. E./ml) oder Placebo (ab 6 Jahren; jüngere Kinder bekamen aus ethischen Gründen keine Placebo-Injektionen). Analgetika und/oder Sedativa wurden nach Bedarf vor oder während der Injektion verabreicht.
Vier Wochen nach der Injektion zeigte sich in den co-primären Endpunkten (unstimulierte Speichelflussrate und Wirksamkeitsurteil der Eltern) eine signifikante Reduktion des Speichelflusses gegenüber Placebo. Die Effekte hielten bis zu 16 Wochen nach der ersten Behandlung und auch bei den drei weiteren Behandlungszyklen an (Abb. 1). Es gab im Lauf der Studie keine unerwarteten oder schwerwiegenden, auf die Behandlung zurückzuführenden unerwünschten Ereignisse.
Aufgrund dieser Ergebnisse wurde die Zulassungserweiterung für Europa beantragt.
Abb. 1. SIPEXI: Unstimulierte Speichelflussrate [g/min] im Vergleich zu Baseline bei Kindern und Jugendlichen (6 bis 17 Jahre) über vier Injektionszyklen mit IncobotulinumtoxinA (mod. nach [2])
Fazit
Insgesamt zeigt sich, dass IncobotulinumtoxinA bei chronischer Sialorrhö aufgrund neurologischer Grunderkrankungen und/oder geistiger Behinderung sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen wirksam und gut verträglich ist. Vorsicht ist geboten bei Patienten, die antikoaguliert werden und bei Patienten mit einer sehr schweren Schluckstörung. Zur COVID-19-Impfung sollten laut Buhmann 14 Tage Abstand eingehalten werden.
Quelle
Prof. Dr. med. Carsten Buhmann, Hamburg, Prof. Dr. med. Steffen Berweck, Vogtareuth, Symposium „Botulinum Neurotoxin Typ A frei von Komplexproteinen zur Behandlung von Bewegungsstörungen und Sialorrhoe“ im Rahmen des Deutschen Kongresses für Parkinson und Bewegungsstörungen 2021 am 5. März 2021, online, veranstaltet von Merz Pharmaceuticals.
Literatur
1. AWMF. S2k-Leitlinie „Hypersalivation“. Registernummer 017–075. Stand 2018.
2. Berweck S, et al. Toxicon 2020;190(Suppl. 1):7–9.
3. Fachinformation Xeomin®. Stand Dez. 2019.
4. Jost WH, et al. Parkinson Long-term incobotulinumtoxinA treatment for chronic sialorrhea: Efficacy and safety over 64 weeks. Parkinsonism Relat Disord 2020;70:23–30.
5. Niensted JC, et al. Predictive clinical factors for penetration and aspiration in Parkinson’s disease. Neurogastroenterol Motil 2019;31:e13524.
Psychopharmakotherapie 2021; 28(03):131-143