Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Fatigue, definiert als ein subjektiv empfundener Mangel an physischer und mentaler Energie, ist ein sehr häufiges Symptom bei multipler Sklerose (MS). Fatigue hat auch negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und geht häufig mit einer Depression einher. Als nichtmedikamentöse Maßnahmen werden körperliche Aktivität und kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Bisher ist keine medikamentöse Therapie zur Behandlung der Fatigue-Symptomatik bei MS zugelassen. Modafinil wird recht häufig off Label gegen Fatigue bei MS eingesetzt [1].
Studiendesign
Es handelte sich um eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Vierfach-Cross-over-Studie im doppelblinden Design, in die Patienten mit multipler Sklerose und Fatigue eingeschlossen wurden. Einschlusskriterium war ein Wert auf der Modified Fatigue Impact Scale (MFIS; Skala von 0 bis 84) von 33 oder mehr. Die vier Therapiearme umfassten :
- Amantadin bis zu zweimal 100 mg täglich,
- Modafinil bis zu zweimal 100 mg täglich,
- Methylphenidat bis zu zweimal 10 mg täglich oder
- Placebo.
Die einzelnen Behandlungsarme wurden jeweils für sechs Wochen durchgeführt. Dazwischen gab es eine 2-wöchige Auswaschphase. Der primäre Endpunkt der Studie war der Wert auf der MFIS-Skala bei der jeweils höchsten Dosis der eingenommenen Studienmedikation nach fünf Wochen. Die statistische Analyse erfolgte mit einem linearen Mixed-Effekt-Regressionsmodell.
Ergebnisse
Zwischen Oktober 2017 und Februar 2019 wurden 141 Patienten in die Studie aufgenommen. Für die Endauswertung standen Daten von 136 Teilnehmern zur Verfügung. Die Studienteilnehmer waren im Mittel 47 Jahre alt und 77 % waren Frauen. 75 % hatten eine schubförmige MS. 79 % der Patienten wurden zum Zeitpunkt des Screenings mit einer immunmodulatorischen Therapie behandelt.
Der Mittelwert des MFIS-Gesamtscores bei Studienbeginn betrug 51,3 (95%-Konfidenzintervall [KI] 49,0–53,6). Unter der maximal verträglichen Dosis jeweils in Woche fünf der Behandlungsphase betrug er
- 40,6 (95%-KI 38,2–43,1) mit Placebo,
- 41,3 (95%-KI 38,8–43,7) mit Amantadin,
- 39,0 (95%-KI 36,6–41,4) mit Modafinil und
- 38,6 (95%-KI 36,2–41,0) mit Methylphenidat
(p = 0,20 im linearen Mixed-Effekt-Regressionsmodell).
Über unerwünschte Arzneimittelwirkungen berichteten im Vergleich zu Placebo (38/124 Patienten [31 %]) mehr Studienteilnehmer während der Einnahme von Amantadin (49/127 Patienten = 39 %), Modafinil (50/125 = 40 %) und Methylphenidat (51/129 = 40 %). Während der Studie traten drei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (SAE) auf: je eine Lungenembolie und Myokarditis während der Einnahme von Amantadin und eine MS-Exazerbation, die eine Krankenhauseinweisung erforderte, während der Einnahme von Modafinil.
Kommentar
Die Studie aus den Vereinigten Staaten zeigte keine Überlegenheit der drei aktiven Behandlungsgruppen gegenüber Placebo bei der Behandlung von Fatigue bei Patienten mit multipler Sklerose. Dies galt sowohl für den primären Endpunkt wie für alle sekundären Endpunkte. Die Studie ist allerdings problematisch: Die Zahl der Patienten ist relativ gering und Cross-over-Studien bergen immer das Problem, dass es einen Übertragungseffekt (carry-over) beim Wechsel in die nächste Therapiegruppe geben kann. Die Methylphenidat-Höchstdosis war mit 20 mg recht niedrig. Auffällig ist auch der hohe Behandlungseffekt unter Placebo, der möglicherweise eine tatsächliche Wirkung der drei untersuchten Medikamente verdeckt hat. Daher wäre es sicher sinnvoll, die drei hier untersuchten Substanzen nochmals in weiteren Studien im Parallelgruppendesign bei Patienten mit Fatigue und multipler Sklerose zu untersuchen.
Quelle
Nourbakhsh B, et al. Safety and efficacy of amantadine, modafinil, and methylphenidate for fatigue in multiple sclerosis: a randomised, placebo-controlled, crossover, double-blind trial. Lancet Neurol 2021;20:38–48.
Literatur
1. Fritze J, et al. Psychostimulanzien: Spektrum der Verordnung und Morbidität. Explorative Analyse anhand einer Vollerfassung der Abrechnungsdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung. Psychopharmakotherapie 2017;24:56–62.
Psychopharmakotherapie 2021; 28(02):86-91