Die interdisziplinäre psychiatrische Visite


Evaluation eines Pilotprojekts

Johannes Heck*, Olaf Krause*, Martin Schulze Westhoff, Rasmus Schülke, Alma Osmanovic, Dirk O. Stichtenoth, Stefan Bleich, Helge Frieling und Adrian Groh, Hannover

Während interdisziplinäre Visitenmodelle in operativen Disziplinen wie der Unfallchirurgie nachweislich die Patientenversorgung verbessern, sind vergleichbare Visitenkonzepte in der klinischen Psychiatrie bisher nicht regelhaft etabliert. In der vorliegenden Arbeit präsentieren wir Ergebnisse der an unserer Klinik als Pilotprojekt initiierten interdisziplinären psychiatrischen Visite, die im Untersuchungszeitraum (03.07.–11.12.2020) aufgrund von Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Disease-2019(COVID-19)-Pandemie hauptsächlich als Kurvenvisite stattfand. Beteiligt waren Ärztinnen und Ärzte aus Psychiatrie, Neurologie, Innerer Medizin/Geriatrie und Klinischer Pharmakologie. Insgesamt wurden 295 Visiten bei 105 individuellen Patienten durchgeführt. Pro Patient wurden im Mittel (± Standardabweichung) 1,3 ± 0,8 Handlungsempfehlungen ausgesprochen; diese verteilten sich auf 1,1 ± 0,8 pharmakologische Empfehlungen (PE) und 0,2 ± 0,2 allgemeine Empfehlungen (AE). Unter den PE waren Empfehlungen zu Antipsychotika am häufigsten (14,4 % aller PE), gefolgt von Antidepressiva (8,9 % aller PE). Bei den AE dominierten Empfehlungen zu diagnostischen Maßnahmen (41,7 % aller AE). Limitationen unseres Pilotprojekts ergeben sich vor allem aus dem monozentrischen Setting sowie dem Fehlen einer Kontrollgruppe. In Folgeuntersuchungen sollte überprüft werden, ob durch eine interdisziplinäre Visite in der Psychiatrie patientenbezogene Outcomes verbessert und unter anderem die Zahl unerwünschter Arzneimittelwirkungen verringert werden kann.
Schlüsselwörter: Pharmakotherapie, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Arzneimittelinteraktionen, Geriatrie, Gerontopsychiatrie, potenziell inadäquate Medikation
Psychopharmakotherapie 2021;28:63–70.

Interdisziplinäre Behandlungskonzepte gewinnen in der Medizin eine immer größere Bedeutung. Wurden Patienten früher während eines Krankenhausaufenthalts ausschließlich von Ärzten einer Fachdisziplin behandelt, so haben sich mittlerweile – vor allem in operativen Fächern – Versorgungsstrukturen, in denen Patienten durch Spezialisten anderer Fachrichtungen mitbetreut werden, als vorteilhaft für die Qualität der Patientenversorgung erwiesen. Hierbei sei vorrangig die Alterstraumatologie als Kooperation von Unfallchirurgen und Geriatern genannt [20, 22]. Interdisziplinäre Behandlungsmodelle können vielgestaltig konzipiert sein. Am bekanntesten ist die Teilnahme von Apothekern an Visiten in der Inneren Medizin und Chirurgie zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit [23]. Ärztliche Expertise kann durch die Kooperation mit Schmerztherapeuten, Infektiologen (z. B. im Rahmen eines Antibiotic-Stewardship-Programms), Geriatern oder Klinischen Pharmakologen eingeholt werden. Unsere Arbeitsgruppe hat kürzlich Ergebnisse und Empfehlungen der an unserer Klinik bereits etablierten interdisziplinären alterstraumatologischen Visite vorgestellt, an welcher neben den behandelnden Unfallchirurgen und unfallchirurgischen Pflegekräften ein Geriater, eine Internistin, ein Infektiologe/Mikrobiologe, ein Klinischer Pharmakologe sowie eine Case Managerin teilnehmen [15]. Trotz offenkundiger fachlicher Unterschiede weist die Visitenstruktur und -kultur in der Chirurgie und in der Psychiatrie erstaunlich viele Gemeinsamkeiten auf [27]. Während die multiprofessionelle Behandlung psychiatrischer Patienten durch Ärzte, Psychologen, Ergotherapeuten usw. bereits seit Langem klinischer Standard ist, sind interdisziplinäre Visitenmodelle im oben beschriebenen Sinn [15] in der Psychiatrie – im Gegensatz zu operativen Fächern – bisher noch nicht regelhaft etabliert.

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen leiden häufiger an somatischen Begleiterkrankungen und weisen erhöhte Sterblichkeitsraten im Vergleich zu Menschen ohne schwere psychische Erkrankungen auf. Dies bedingt einen Lebenszeitverlust von 2,6 bis 12,3 Jahren [25]. Um dieser klinischen Problemstellung entgegenzutreten, haben wir an unserer Klinik als Pilotprojekt eine interdisziplinäre Visite auf einer allgemeinpsychiatrischen Station mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt initiiert. Ältere Patienten leiden in der Regel an diversen somatischen Erkrankungen, verfügen über eine umfangreiche Medikation und weisen mit dem Alter assoziierte Risikofaktoren wie Sarkopenie, Gebrechlichkeit (englisch „frailty“), ein gealtertes Immunsystem (Immunseneszenz) sowie eine eingeschränkte Nierenfunktion auf. Die genannten Faktoren tragen zu einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) bei [14]. Ziel unserer Visite, an der neben den behandelnden Psychiatern Ärzte aus Neurologie, Innerer Medizin/Geriatrie und Klinischer Pharmakologie im Sinne eines interdisziplinären Kollegiums teilnehmen, ist die Verbesserung der Patienten- und Arzneimitteltherapiesicherheit. Wir möchten im Folgenden Ergebnisse unseres Pilotprojekts präsentieren, aus denen konkrete Handlungsempfehlungen für den Klinikalltag abgeleitet werden sollen.

Patienten und Methoden

Stichprobe

Die Untersuchungsstichprobe bestand aus insgesamt 295 Patientenvisiten (105 individuelle Patienten), die an 22 Visitentagen im 1-Wochen-Turnus im Zeitraum 3. Juli bis 11. Dezember 2020 durchgeführt wurden. Die Datenauswertung erfolgte retrospektiv in anonymisierter Form. Die Patienten wurden auf einer allgemeinpsychiatrischen Station mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover visitiert. Alle Patienten befanden sich in vollstationärer Behandlung. Es existierten keine spezifischen Ausschlusskriterien. Im Mittel (± Standardabweichung [SD]) wurden 13,4 ± 4,3 Patientenvisiten pro Visitentag durchgeführt (Spannbreite: 6 bis 23 Patientenvisiten).

Ablauf der interdisziplinären psychiatrischen Visite

Neben den behandelnden Psychiatern (ein Facharzt, zwei Assistenzärzte) nahmen an unserer Visite eine Assistenzärztin aus der Neurologie, ein Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie sowie ein Assistenzarzt aus der Klinischen Pharmakologie teil. Aufgrund von Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Disease-2019(COVID-19)-Pandemie wurde die Visite primär als Kurvenvisite durchgeführt, bei besonderen Fragestellungen erfolgte aber eine Besprechung unter Einbeziehung des Patienten direkt am Krankenbett.

Die Krankengeschichte und der bisherige stationäre Behandlungsverlauf der Patienten wurden besprochen und aktuelle Laborergebnisse, Vitalparameter und Untersuchungsbefunde (z. B. Bildgebung, Mikrobiologie, Liquorbefunde) diskutiert. Im Anschluss erfolgte eine ausführliche Überprüfung der aktuellen Medikationsliste aus der Patientenkurve (Papierformat), die unter Zuhilfenahme entsprechender Fachinformationen [24] und des elektronischen Arzneimittel-Informationssystems AiD Klinik® (Dosing GmbH, Heidelberg, Deutschland) auf Doppelverordnungen, die Korrektheit der Dosierungen, mögliche pharmakokinetische und pharmakodynamische Wechselwirkungen sowie auf für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikamente gemäß der PRISCUS-Liste [17] analysiert wurde. Sozialmedizinische Aspekte wie die Weiterbehandlung nach Abschluss des stationären Aufenthalts wurden ebenfalls besprochen.

Statistik

Für die statistische Auswertung wurde das Programm Microsoft® Excel® 2019 (Redmond, Washington, USA) verwendet. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt deskriptiv anhand von Mittelwert, Standardabweichung, Spannbreite, Median und Quartile für numerische Parameter. Für kategoriale Parameter werden Häufigkeiten und Prozentwerte angegeben.

Ergebnisse

Patientencharakteristika

Insgesamt wurden 295 Patientenvisiten durchgeführt, dokumentiert und ausgewertet. Das Patientenkollektiv setzte sich aus 105 individuellen Patienten zusammen (55,2 % Frauen), die im Untersuchungszeitraum ein- bis elfmal visitiert wurden (38 Patienten mit je 1 Visite im Untersuchungszeitraum, 26 Patienten mit je 2 Visiten, 18 Patienten mit je 3 Visiten, 6 Patienten mit je 4 Visiten, 3 Patienten mit je 5 Visiten, 4 Patienten mit je 6 Visiten, 2 Patienten mit je 7 Visiten, 3 Patienten mit je 8 Visiten, 1 Patient mit 9 Visiten, 3 Patienten mit je 10 Visiten sowie 1 Patient mit 11 Visiten). Die große Zahl an Visiten bei einigen Patienten ist vor allem durch deren lange Behandlungsdauer bei chronischen bzw. therapierefraktären Krankheitsverläufen bedingt. Hinzu kommen psychosoziale Gründe, die bei einigen Patienten zu einem prolongierten Krankenhausaufenthalt beitragen.

Das Durchschnittsalter (± SD) des Patientenkollektivs lag bei 64,1 ± 17,0 Jahren (Altersbreite: 19 bis 98 Jahre; Median: 65,0 Jahre; 1. Quartil: 54,5 Jahre; 3. Quartil: 75,0 Jahre). Diese Altersverteilung ist dadurch zu erklären, dass aus Kapazitätsgründen gelegentlich auch jüngere Patienten auf der Station mit eigentlich gerontopsychiatrischem Schwerpunkt aufgenommen werden, bis eine Verlegung auf eine für diese Patienten therapeutisch geeignetere Station möglich ist. Einen Überblick über die psychiatrischen Diagnosen sowie die somatischen Komorbiditäten gibt Tabelle 1.

Tab. 1. Charakterisierung des untersuchten Patientenkollektivs

Merkmal

Anzahl
[n]

Anteil
[%]a

Geschlechtb (Alter 64,1 ± 17,0 Jahre)

Weiblich

58

55,2

Männlich

47

44,8

Psychiatrische Diagnosenb

Depressionc

28

26,7

Bipolare affektive Störungd

11

10,5

Schizophrenie und schizophreniforme Störunge

23

21,9

Abhängigkeitserkrankung (Alkohol; Tabak; Sedativa oder Hypnotika)f

23

21,9

Demenzg

33

31,4

Delirh

13

12,4

Andere psychiatrische Diagnose(n)

35

33,3

Somatische Begleiterkrankungenb

Arterielle Hypertonie

44

41,9

Koronare Herzerkrankung

11

10,5

Herzinsuffizienz

5

4,8

Vorhofflimmern

8

7,6

Zustand nach Schlaganfall

12

11,4

Diabetes mellitus Typ 2

10

9,5

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung

7

6,7

Hypothyreose

11

10,5

Harnwegsinfektion

6

5,7

Andere somatische Komorbidität(en)

76

72,4

Nierenfunktion (eGFR nach CKD-EPI in ml/min/1,73 m²)i,j

≥ 90 (G1)

92

31,2

60–89 (G2)

147

49,8

45–59 (G3a)

30

10,2

30–44 (G3b)

18

6,1

15–29 (G4)

5

1,7

< 15 (G5)

1

0,3

Keine Werte verfügbar

2

0,7

aWerte auf eine Nachkommastelle gerundet; bBezogen auf 105 individuelle Patienten; cICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision) F32.-, F33.-; dICD-10 F31.-; eICD-10 F06.2, F2X.-; fICD-10 F10.2, F13.2, F17.2; gICD-10 F00.-*, F01.-, F02.-*, F03; hICD-10 F05.-; iBezogen auf 295 Patientenvisiten; jEinteilung der Nierenfunktion anhand der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) gemäß der CKD-EPI(Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration)-Formel in die Stadien G1 bis G5 nach KDIGO (Kidney Disease Improving Global Outcomes)

Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) nach der Chronic-Kidney-Disease-Epidemiology-Collaboration(CKD-EPI)-Formel lag im Durchschnitt bei 79 ± 23 ml/min/1,73 m². Die Verteilung der Patienten auf die Nierenfunktionskategorien G1 bis G5 nach KDIGO (Kidney Disease Improving Global Outcomes) zeigt ebenfalls Tabelle 1.

Empfehlungen

Im Rahmen der Patientenvisiten wurden insgesamt 373 Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Diese verteilten sich auf 83,9 % pharmakologische Empfehlungen (PE) und 16,1 % allgemeine Empfehlungen (AE) (Tab. 2). Pro Patient wurden 1,3 ± 0,8 Handlungsempfehlungen ausgesprochen (1,1 ± 0,8 PE; 0,2 ± 0,2 AE).

Tab. 2. Kategorisierung und Häufigkeitsverteilung der Empfehlungen

Kategorie

Anzahl
[n]

Anteil
[%]a

Alle Empfehlungen

373

100

Pharmakologische Empfehlungen

313

83,9

Allgemeine Empfehlungen

60

16,1

Pharmakologische Empfehlungen

313

100

Antipsychotika

45

14,4

Antidepressiva

28

8,9

Lithium

8

2,6

Benzodiazepine und Z-Substanzenb

22

7,0

Antiepileptika

11

3,5

Analgetikac

20

6,4

Antihypertensiva (exklusive Diuretika)

13

4,2

Diuretika

19

6,1

Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer

22

7,0

Digitalisglykoside

5

1,6

HMG-CoA-Reduktase-Hemmer

18

5,8

PPI und andere Antazida

11

3,5

Schilddrüsenhormone

10

3,2

Antiinfektiva

6

1,9

Vitamine, Mineralstoffe, Elektrolyte und Spurenelemente

24

7,7

Sonstige

51

16,3

Allgemeine Empfehlungen

60

100

Diagnostik

25

41,7

Physikalische und biologisch begründete, nichtpharmakologische therapeutische Maßnahmen

9

15,0

Klinischer Verlauf, Differenzialdiagnosen, Therapieoptionen

12

20,0

Konsiluntersuchungen

8

13,3

Medikolegale Aspekte

2

3,3

Arztbrief, Sozialarbeit und Entlassmanagement

4

6,7

aWerte auf eine Nachkommastelle gerundet; bZolpidem, Zopiclon; cOpioid- und Nichtopioid-Analgetika; HMG-CoA-Reduktase: 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase; PPI: Protonenpumpeninhibitoren

Pharmakologische Empfehlungen

Die fünf Antipsychotika, zu denen am häufigsten Empfehlungen ausgesprochen wurden, waren Risperidon (7/45; 15,6 %), Amisulprid (6/45; 13,3 %), Quetiapin (5/45; 11,1 %), Zuclopenthixol (5/45; 11,1 %) und Olanzapin (4/45; 8,9 %). Bei den Antidepressiva wurden am häufigsten Empfehlungen zu Venlafaxin (6/28; 21,4 %) und Sertralin (5/28; 17,9 %) ausgesprochen. Den dritten Rang teilten sich Bupropion, Doxepin, Mirtazapin und Trazodon (jeweils 3/28; 10,7 %). Spiegelkontrollen waren die mit Abstand häufigste Empfehlung für Lithium (6/8; 75,0 %). Bei den Benzodiazepinen und Z-Substanzen wurden am häufigsten Empfehlungen zu Lorazepam (8/22; 36,4 %) ausgesprochen, gefolgt von Diazepam und Zopiclon (jeweils 4/22; 18,2 %). Bei den Antiepileptika dominierten Empfehlungen zu Pregabalin (5/11; 45,5 %), gefolgt von Carbamazepin und Valproinsäure (jeweils 2/11; 18,2 %). Bei den Analgetika wurden am häufigsten Empfehlungen zu Ibuprofen (5/20; 25,0 %), Paracetamol (5/20; 25,0 %) und Metamizol (3/20; 15,0 %) ausgesprochen. Lediglich 15,0 % (3/20) der Empfehlungen entfielen auf Opioid-Analgetika (Tramadol: 2/20; 10,0 %; Oxycodon/Naloxon: 1/20; 5,0 %). Bei den Antihypertensiva (exklusive Diuretika) teilten sich Clonidin und Ramipril den ersten Rang (jeweils 3/13; 23,1 %). Während für Clonidin in allen Fällen empfohlen wurde, die Dosis zu reduzieren bzw. das Medikament abzusetzen, wurde für Ramipril in allen Fällen eine Dosissteigerung bei nicht ausreichend kontrollierten Blutdruckwerten für sinnvoll erachtet. Bei den Diuretika entfiel die absolute Mehrheit der Empfehlungen auf Torasemid (10/19; 52,6 %), den zweiten Platz belegte Spironolacton (4/19; 21,1 %). Für Torasemid wurde in 70 % (7/10) der Fälle empfohlen, das Medikament zu reduzieren, zu pausieren oder abzusetzen. Für Spironolacton wurde eine Dosisreduktion, ein Pausieren bzw. ein Absetzen sogar in allen Fällen für sinnvoll erachtet (4/4; 100 %). Bei den Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern wurden am häufigsten Empfehlungen zu Apixaban (8/22; 36,4 %) ausgesprochen, gefolgt von Acetylsalicylsäure (ASS) und Tinzaparin, dem niedermolekularen Heparin der Hausliste unserer Klinik (jeweils 5/22; 22,7 %). Spiegelkontrollen waren die häufigste Empfehlung, die für Digitalisglykoside (Digitoxin, Beta-Acetyldigoxin) ausgesprochen wurde (3/5; 60,0 %). Bei den 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-(HMG-CoA-)Reduktase-Hemmern („Statinen“) entfielen von insgesamt 18 Empfehlungen 13 (72,2 %) auf Simvastatin, drei (16,7 %) auf Atorvastatin und zwei (11,1 %) auf Pravastatin. Die elf Empfehlungen in der Kategorie Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und andere Antazida verteilten sich auf Pantoprazol (6/11; 54,5 %), Esomeprazol (4/11; 36,4 %) sowie ein Aluminiumoxid-Magnesiumhydroxid-Präparat (Maaloxan®: 1/11; 9,1 %). Die häufigste Empfehlung bei den Schilddrüsenhormonen betraf die Korrektur der Einheit von Levothyroxin („µg“ [Mikrogramm] anstelle von „mg“ [Milligramm]) auf dem Anordnungsbogen bzw. in der Medikationsliste (5/10; 50,0 %). Ein Drittel (2/6) der insgesamt wenigen Empfehlungen zu Antiinfektiva beschäftigte sich mit der Therapie bei Harnwegsinfektionen.

Allgemeine Empfehlungen

Die allgemeinen Empfehlungen (AE) ließen sich wie folgt differenzieren:

  • Diagnostik: Laborkontrollen (insbesondere Elektrolyt- und Blutbildkontrollen), Blutzucker-Tagesprofil, apparative Untersuchungen (z. B. Elektrokardiographie mit Fokus auf die frequenzkorrigierte QT-Zeit, Gastroskopie), Messung von Vitalparametern (Herzfrequenz, Blutdruck, Körpergewicht)
  • Physikalische und biologisch begründete, nichtpharmakologische therapeutische Maßnahmen: Lichttherapie, Elektrokonvulsionstherapie, Hämodialyse, Physiotherapie, Ernährungstherapie, Trinkmengenbeschränkung bei Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIADH)
  • Klinischer Verlauf, Differenzialdiagnosen, Therapieoptionen: Innerhalb dieses Themenkomplexes wurden am häufigsten Empfehlungen zur Abklärung einer Hyponatriämie und von ungewolltem Gewichtsverlust ausgesprochen.
  • Konsiluntersuchungen: Am häufigsten wurde die konsiliarische Hinzuziehung von Kollegen aus Ophthalmologie und Schmerzmedizin für sinnvoll erachtet.
  • Medikolegale Aspekte: Unterbringung von Patienten nach NPsychKG (Niedersächsisches Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke) bzw. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und Installation einer rechtlichen Betreuung
  • Arztbrief, Sozialarbeit und Entlassmanagement: Suche nach einem geeigneten Wohnheimplatz nach Abschluss der stationär-psychiatrischen Behandlung

Somit ist ersichtlich, dass die Empfehlungen weit über die Pharmakotherapie, das heißt ein reines Medikationsreview hinausgingen, dem älteren, multimorbiden Patientenkollektiv einer Station mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt entsprechend.

Diskussion

Die überwiegende Mehrheit (83,9 %) der im Rahmen unserer interdisziplinären psychiatrischen Visite ausgesprochenen Empfehlungen bezog sich auf die Pharmakotherapie. Dies spiegelt den hohen Stellenwert der Arzneimitteltherapie in der Psychiatrie wider. Eine medikamentöse Behandlung ist Therapie der Wahl zahlreicher psychiatrischer Erkrankungen, insbesondere von schweren Depressionen [3] und Schizophrenien [4]. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist der Umfang der Medikamente, die zur Behandlung somatischer Begleiterkrankungen eingesetzt werden. Dies spielt vor allem in der Gerontopsychiatrie eine bedeutende Rolle, wo der behandelnde Arzt oft mit einem multimorbiden und polymedizierten Patientenkollektiv konfrontiert ist. So litten beispielsweise knapp 42 % der Patienten in unserer Kohorte an einer arteriellen Hypertonie.

Vier der fünf Antipsychotika, zu denen am häufigsten Empfehlungen ausgesprochen wurden, zählen zu den Antipsychotika der 2. Generation (Amisulprid, Olanzapin, Quetiapin und Risperidon), wohingegen nur ein Wirkstoff den Antipsychotika der 1. Generation angehört (Zuclopenthixol). Antipsychotika der 2. Generation rufen weniger häufig extrapyramidal-motorische Störungen hervor als Antipsychotika der 1. Generation und sind daher für ältere Patienten im Allgemeinen besser geeignet [18]. Konsequenterweise wurden für unser Patientenkollektiv mit einem mittleren Alter von 64 Jahren mehr Empfehlungen zu Antipsychotika der 2. Generation als zu Antipsychotika der 1. Generation ausgesprochen. Risperidon ist – im Gegensatz zu anderen Antipsychotika der 2. Generation – zugelassen zur Kurzzeitbehandlung (d. h. bis zu sechs Wochen) von anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz [11]. Zuclopenthixol besitzt ebenfalls eine Zulassung zur Behandlung psychomotorischer Erregungszustände und aggressiver Verhaltensweisen bei Demenz [6], was vor dem Hintergrund einer Demenz-Prävalenz von 31,4 % in unserem Patientenkollektiv die relativ hohe Anzahl an Empfehlungen zu diesem Wirkstoff erklärt.

Selektive Serotonin- (SSRI) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) gelten als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung einer Depression bei älteren Patienten [19]. Dementsprechend wurden im Rahmen unserer Visite die meisten Empfehlungen zu dem SSNRI Venlafaxin und dem SSRI Sertralin ausgesprochen. Häufige Themenkomplexe waren das erhöhte Risiko einer Hyponatriämie unter Therapie mit SS(N)RI, vor allem bei Komedikation mit Thiazid-Diuretika, sowie das erhöhte Blutungsrisiko, insbesondere bei gleichzeitiger Gabe von Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern [21]. Mirtazapin, Bupropion und Trazodon – Wirkstoffe, zu denen am dritthäufigsten Empfehlungen in unserer Visite ausgesprochen wurden – sind ebenfalls für die Therapie der Depression bei älteren Patienten geeignet [19, 21]. Doxepin hingegen sollte wie alle trizyklischen Antidepressiva (mit Ausnahme von Nortriptylin) aufgrund ausgeprägter anticholinerger Nebenwirkungen bei älteren Patienten nach Möglichkeit vermieden werden [17, 19]. Folgerichtig beschäftigten sich alle Empfehlungen zu Doxepin mit einer Dosisreduktion oder dem Absetzen dieses Wirkstoffs.

Für Medikamente mit enger therapeutischer Breite ist die Durchführung eines therapeutischen Drug-Monitorings (TDM) mit regelmäßigen Wirkstoffspiegel-Bestimmungen sinnvoll. So erklärt sich, dass 75 % respektive 60 % der Empfehlungen zu Lithium und Digitalisglykosiden TDM-Aspekte betrafen.

Ist bei älteren Patienten eine Therapie mit Benzodiazepinen angezeigt, so sollte vorzugsweise Lorazepam aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit und dem Fehlen aktiver Metaboliten eingesetzt werden. Diazepam hingegen verfügt über langwirksame Metaboliten und ist für ältere Patienten eher ungeeignet [13]. Viele der Empfehlungen zu Benzodiazepinen beschäftigten sich mit dem korrekten Vorgehen beim Absetzen dieser Wirkstoffe. Klinischer Konsens ist, dass Benzodiazepine aufgrund der Gefahr von Entzugssymptomen bis hin zu einem Entzugsdelir nicht schlagartig, sondern schrittweise abgesetzt werden sollten. Bezüglich des genauen Procedere der schrittweisen Dosisreduktion von Benzodiazepinen existieren allerdings unterschiedliche Empfehlungen. Während Fessler und Kollegen eine lineare Dosisreduktion vorschlagen [13], empfehlen Batra und Thoms ein semilogarithmisches Vorgehen [1]. Beide Vorgehensweisen basieren allerdings auf einer eher schwachen empirischen Grundlage und sollten daher als Expertenmeinung betrachtet werden. Aufgrund eigener langjähriger klinischer Erfahrung führen wir an unserer Klinik üblicherweise bei älteren Patienten ein semilogarithmisches Reduktionsschema für Benzodiazepine durch, das heißt, die Dosisreduktionen fallen im Verlauf immer geringer aus (Beispiel: Lorazepam in mg 1–1–1–1 → 0,5–0,5–0,5–0,5 → 0,5–0–0–0,5 → 0–0–0–0,5; die einzelnen Reduktionsschritte sollten in einem Abstand von etwa drei bis sieben Tagen erfolgen). Die letzte Gabe vor Absetzen sollte zum Abend bzw. zur Nacht erfolgen, da die Patienten hier unserer Erfahrung nach den größten Leidensdruck verspüren. Wir möchten darauf hinweisen, dass das vorgeschlagene Reduktionsschema lediglich der Orientierung dient; ein patientenindividuelles Vorgehen, das unter anderem die Höhe der Benzodiazepin-Ausgangsdosis und die Dauer der vorangegangenen Benzodiazepin-Einnahme berücksichtigt, ist unabdingbar.

Ist bei älteren Patienten eine medikamentöse Schlafinduktion erforderlich, so sollten die in Deutschland verfügbaren Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon gemäß PRISCUS-Liste [17] in halber Standarddosierung eingesetzt werden, das heißt 5 mg Zolpidem (anstelle von 10 mg) bzw. 3,75 mg Zopiclon (statt 7,5 mg).

Die Empfehlungen zu Antiepileptika wurden klar von Pregabalin dominiert. Hierin spiegelt sich der pharmakoepidemiologische Trend wider, dass Pregabalin nicht mehr nur aufgrund seiner antikonvulsiven Eigenschaften, sondern zunehmend zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt wird [26].

In der Gruppe der Analgetika überwogen Empfehlungen zu Nichtopioid-Analgetika, lediglich 15 % entfielen auf Opioide. Dies ist Ausdruck einer insgesamt restriktiven Anwendung von Opioid-Analgetika bei älteren Patienten an unserer Klinik. Insbesondere die anticholinergen Begleiteffekte von Opioid-Analgetika können in einem geriatrischen Patientenkollektiv häufig zu UAW wie Obstipation, Harnverhalt und Akkommodationsstörungen des Auges führen. Hinzu kommt der ZNS-dämpfende Effekt, der in Kombination mit anderen Psychopharmaka die Kognition verschlechtern und das Sturzrisiko erhöhen kann.

Die meisten Empfehlungen in der Gruppe der Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer wurden zu Apixaban und hier vor allem zu dessen korrekter Dosierung in der Indikation Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern ausgesprochen. Die Dosierung von Apixaban in dieser Indikation erfolgt im Allgemeinen nach dem Alter, dem Körpergewicht und dem Serumcreatinin-Wert als Parameter der Nierenfunktion. Treffen mindestens zwei der drei Faktoren Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg und Serumcreatinin-Wert ≥ 1,5 mg/dl zu, sollte eine Dosis von zweimal 2,5 mg pro Tag verwendet werden, in allen anderen Fällen zweimal 5 mg pro Tag [7]. Die Beachtung der Dosierungsempfehlungen für direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) ist besonders wichtig, da eine rezente Studie zeigen konnte, dass eine zu niedrig dosierte orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [2].

Interessanterweise wurden im Rahmen unserer Visite keine Empfehlungen zu Vitamin-K-Antagonisten (VKA) ausgesprochen. Dies ist möglicherweise Ausdruck der pharmakoepidemiologischen Entwicklung, dass VKA in vielen Indikationen zunehmend von DOAK abgelöst werden [16].

Wird Acetylsalicylsäure (ASS) zur Thrombozytenaggregationshemmung eingesetzt, so genügt die einmal tägliche Gabe (in Deutschland üblicherweise 100 mg pro Tag). Erfolgt eine Komedikation mit Metamizol, Ibuprofen oder anderen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), so sollte ein zeitlicher Abstand von mindestens zwei Stunden zwischen der Einnahme von ASS und Metamizol, Ibuprofen usw. eingehalten werden, um den (therapeutisch gewünschten) irreversiblen thrombozytenaggregationshemmenden Effekt von ASS nicht durch konkurrierende Wirkstoffe zu kompromittieren [5].

Viele der Empfehlungen zu HMG-CoA-Reduktase-Hemmern beschäftigten sich mit pharmakokinetischen Arzneimittelinteraktionen. Atorvastatin und Simvastatin werden vornehmlich über das Cytochrom-P450-Isoenzym (CYP) 3A4 metabolisiert. Daher sind vielfältige Arzneimittelinteraktionen mit Induktoren und Inhibitoren von CYP3A4 möglich. Im Rahmen unserer Visite wurde beispielsweise bei gemeinsamer Gabe von Simvastatin mit CYP3A4-induzierenden Antiepileptika wie Carbamazepin oder Phenytoin empfohlen, Simvastatin im oberen Dosisbereich (Tagesdosis von 60 bis 80 mg) einzusetzen, um eine ausreichende klinische Wirkung sicherzustellen. Umgekehrt wurde bei Komedikation von Simvastatin mit dem CYP3A4-Hemmstoff Amlodipin empfohlen, die Tagesdosis von Simvastatin auf 20 mg zu begrenzen, um das Risiko von UAW wie Myalgien/Myopathien zu reduzieren [12].

In der Gruppe der PPI und anderen Antazida dominierten Empfehlungen zu Pantoprazol. Die Standarddosis von Pantoprazol, beispielsweise zur Behandlung einer Refluxösophagitis, beträgt 40 mg pro Tag, in schwer ausgeprägten Fällen ist auch eine vorübergehende Gabe von zweimal 40 mg pro Tag möglich [10]. Wird Pantoprazol hingegen prophylaktisch, beispielsweise zur Gastroprotektion bei gleichzeitiger Einnahme von NSAR eingesetzt, genügen in der Regel 20 mg pro Tag [9].

Die häufigste Empfehlung zu Schilddrüsenhormonen betraf interessanterweise die Korrektur der Einheit von Levothyroxin („µg“ anstelle von „mg“) auf dem Anordnungsbogen bzw. in der Medikationsliste. Streng genommen ergibt sich durch die falsche Verwendung der Einheit „mg“ anstelle von „µg“ eine 1000-fache Überdosierung. In der Praxis dürfte das Risiko von Medikationsfehlern bei der Anwendung von Schilddrüsenhormonen allerdings überschaubar sein, da keine Präparate im Milligramm-Bereich verfügbar sind. Dennoch sollte aus Gründen des vorbeugenden Patientenschutzes immer auf die korrekte Einheit beim Rezeptieren geachtet werden. Eine weitere Empfehlung zu Levothyroxin betraf den Einnahmezeitpunkt. Levothyroxin sollte morgens nüchtern, mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück eingenommen werden, um eine optimale Resorption zu gewährleisten [8].

Empfehlungen zu Antiinfektiva machten nur 1,9 % aller pharmakologischen Empfehlungen in unserer interdisziplinären psychiatrischen Visite aus, im Gegensatz zu 17,1 % im Rahmen unserer interdisziplinären alterstraumatologischen Visite [15]. Diese Diskrepanz erklärt sich einerseits durch ein anderes Patientenkollektiv (psychiatrische Patienten versus postoperative unfallchirurgische Patienten), andererseits durch die Anwesenheit eines Infektiologen/Mikrobiologen des Antibiotic-Stewardship-Teams während unserer interdisziplinären alterstraumatologischen Visite [15].

Limitationen unserer Untersuchung ergeben sich aus dem monozentrischen Setting sowie dem Fehlen einer Kontrollgruppe. Daher bleibt offen, ob durch unsere Visite tatsächlich die Patientenversorgung verbessert wurde und Komplikationen wie beispielsweise UAW verhindert werden konnten. Der Schwerpunkt unserer Arbeit lag darin, ein interdisziplinäres psychiatrisches Visitenmodell an unserer Klinik zu etablieren, zu evaluieren und Empfehlungen zur Verbesserung der Patientenversorgung abzuleiten. Diese Handlungsempfehlungen sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Unsere Arbeit sollte daher als Pilotstudie betrachtet werden. Zwecks Minimierung von Patientenkontakten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgte unsere Visite hauptsächlich als Kurvenvisite. Die Vorerkrankungen der Patienten wurden nur retrospektiv dem Aufnahmebefund bzw. der Krankenakte entnommen. Dennoch gehen wir davon aus, dass unser Patientenkollektiv repräsentativ für eine deutsche psychiatrische Akutklinik mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt ist. Hervorzuheben ist, dass für unsere Untersuchung keine expliziten Ausschlusskriterien bestanden.

Tab. 3. Zusammenfassung der Handlungsempfehlungen

Themenkomplex

Empfehlung

Therapie von Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz

Risperidon und Zuclopenthixol sind in dieser Indikation zugelassen, sollten aber vorsichtig bzw. zurückhaltend eingesetzt werden.

Hyponatriämie

SSRI und SSNRI können vor allem in Kombination mit Thiazid-Diuretika eine Hyponatriämie hervorrufen. Hiervon sind insbesondere ältere Frauen betroffen.

„Ausschleichen“ von Benzodiazepinen

Hierfür existieren verschiedene Reduktionsschemata (linear, semilogarithmisch). Wichtiger als das Wie ist aus Sicht der Autoren, dass Benzodiazepine schrittweise und nicht abrupt abgesetzt werden.

Z-Substanzen

Zolpidem und Zopiclon sollten bei älteren Patienten, wenn überhaupt, in halber Standarddosis
(d. h. 5 mg Zolpidem bzw. 3,75 mg Zopiclon) eingesetzt werden.

Dosierung von DOAK

Es sollten die Dosierungsempfehlungen der entsprechenden Fachinformationen berücksichtigt werden, um einen ausreichenden therapeutischen Effekt zu gewährleisten.

Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS

Zwischen der Gabe von ASS und Metamizol bzw. NSAR sollte ein zeitlicher Abstand von mindestens 2 Stunden eingehalten werden, um den thrombozytenaggregationshemmenden Effekt von ASS nicht zu kompromittieren.

Arzneimittelinteraktionen der Statine

Bei gleichzeitiger Gabe der CYP3A4-Substrate Atorvastatin und Simvastatin mit Hemmstoffen
(z. B. Amlodipin) oder Induktoren (z. B. Carbamazepin) von CYP3A4 kann es zu Arzneimittelinteraktionen kommen. Die Dosis der Statine sollte entsprechend angepasst werden.

ASS: Acetylsalicylsäure; CYP: Cytochrom P450; DOAK: direkte orale Antikoagulanzien; NSAR: nichtsteroidale Antirheumatika; SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; SSNRI: selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Eine weitere Limitation könnte darin bestehen, dass für kleinere bzw. nichtuniversitäre psychiatrische Kliniken eine interdisziplinäre Visite aufgrund des hohen Zeit- und Personalaufwands möglicherweise schwierig umsetzbar ist. Aus diesem Grund sind unsere Ergebnisse nicht uneingeschränkt auf andere Einrichtungen übertragbar.

Für die Weiterentwicklung unserer interdisziplinären Visite ist perspektivisch die zusätzliche Einbindung eines Krankenhausapothekers sowie eines Mitglieds des klinikinternen Antibiotic-Stewardship-Teams in Vorbereitung. Sinnvoll erscheint unseres Erachtens die Etablierung eines Rotationskonzepts (z. B. eine alternierende Zusammensetzung des Visitenteams in zwei- bis dreiwöchigen Abständen). Dies würde personelle und zeitliche Ressourcen schonen, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit durch eine überschaubare Teilnehmerzahl gewährleisten und das Ansteckungsrisiko in Zeiten der COVID-19-Pandemie dadurch verringern, dass sich nicht zu viele Personen gleichzeitig in einem Raum versammeln. Bezüglich der weiteren wissenschaftlichen Analyse unserer interdisziplinären Visite ist für die Zukunft der Vergleich mit einer Kontrollgruppe geplant, um herauszufinden, ob durch unsere Visite tatsächlich die Behandlungsqualität und die Arzneimitteltherapiesicherheit psychiatrischer Patienten verbessert werden kann.

Interessenkonflikterklärung

J. Heck erhielt ein Reisestipendium der Paul-Martini-Stiftung im Rahmen des Symposiums „Arzneimitteltherapie bei Menschen im Alter“, Berlin, 2019. Alle anderen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine interventionellen Studien an Menschen oder Tieren. Die Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover wurde kontaktiert. Aufgrund der Auswertung anonymisierter Daten bestanden keine Bedenken und ein ausführliches Ethikvotum war nicht erforderlich. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Literatur

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8. Fachinformation L-Thyroxin Henning® 25–200. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland. Stand: Juni 2020.

9. Fachinformation Pantoprazol AbZ 20 mg magensaftresistente Tabletten. AbZ-Pharma GmbH, Ulm, Deutschland. Stand: März 2020.

10. Fachinformation Pantoprazol AbZ 40 mg magensaftresistente Tabletten. AbZ-Pharma GmbH, Ulm, Deutschland. Stand: März 2020.

11. Fachinformation RISPERDAL® Filmtabletten. JANSSEN-CILAG GmbH, Neuss, Deutschland. Stand: Juli 2019.

12. Fachinformation Simvastatin-ratiopharm® 10 mg/20 mg/40 mg/80 mg Filmtabletten. Ratiopharm GmbH, Ulm, Deutschland. Stand: April 2020.

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*Johannes Heck und Olaf Krause haben zu gleichen Teilen zur Erstellung dieses Manuskripts beigetragen


Dr. med. Johannes Heck, Institut für Klinische Pharmakologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover, E-Mail: heck.johannes@mh-hannover.de

Priv.-Doz. Dr. Olaf Krause, Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover und Zentrum für Medizin im Alter, DIAKOVERE Henriettenstift, Hannover

Dr. med. Martin Schulze Westhoff, Dr. med. Rasmus Schülke, Prof. Dr. med. Stefan Bleich, Prof. Dr. med. Helge Frieling, Dr. med. Adrian Groh, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover

Dr. med. Alma Osmanovic, Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover

Prof. Dirk O. Stichtenoth, Institut für Klinische Pharmakologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover, und Arzneimittelbeauftragter der MHH

The interdisciplinary psychiatric ward round – evaluation of a pilot project

While interdisciplinary ward rounds have been shown to improve patient care in surgical disciplines such as trauma surgery, comparable ward rounds have not yet been regularly established in clinical psychiatry. Here, we present results of the interdisciplinary psychiatric ward round initiated as a pilot project at our university hospital, which mainly took place as a review of patients’ medical charts during the study period (July 3 to December 11, 2020) due to restrictions in connection with the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic. Physicians from psychiatry, neurology, internal medicine/geriatrics, and clinical pharmacology were involved. A total of 295 reviews were conducted on 105 individual patients. A mean (± standard deviation) of 1.3 ± 0.8 recommendations were made per patient; these were distributed between 1.1 ± 0.8 pharmacological recommendations (PR) and 0.2 ± 0.2 general recommendations (GR). Among PRs, recommendations on antipsychotics were most common (14.4 % of all PRs), followed by antidepressants (8.9 % of all PRs). Among GRs, recommendations on diagnostic measures dominated (41.7 % of all GRs). Limitations of our pilot project mainly arise from the monocentric setting and the lack of a control group. Follow-up studies should examine whether interdisciplinary ward rounds in psychiatry can contribute to the improvement of patient-related outcomes and, among other things, reduce the number of adverse drug reactions.

Key words: pharmacotherapy, adverse drug reactions, drug-drug interactions, geriatrics, gerontopsychiatry, potentially inappropriate medications

Psychopharmakotherapie 2021; 28(02):63-70