Neuroprotektive Therapie des akuten Schlaganfalls

Natalizumab zur Behandlung des akuten ischämischen Insults nicht wirksam


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Die einmalige Gabe von 300 oder 600 mg Natalizumab innerhalb von ≤ 24 Stunden nach einem akuten ischämischen Insult war in einer randomisierten Studie nicht wirksam. Insgesamt war der funktionelle Outcome nach 90 Tagen bei Patienten besser, die mit Placebo behandelt wurden.

Im Rahmen des akuten ischämischen Insults kommt es auch zu einer Immunreaktion und entzündlichen Veränderungen, welche die Prognose negativ beeinflussen. In präklinischen Tiermodellen zeigte sich, dass monoklonale Antikörper gegen das Adhäsionsmolekül (Integrin) VLA-4 die Größe des ischämischen Areals reduzieren und den funktionellen Outcome verbessern. Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der die Alpha-4 von VLA-4 blockiert. Die Substanz ist bei der schubförmigen multiplen Sklerose wirksam. In einer kleinen Phase-II-Studie mit 161 Patienten mit ischämischem Insult, die innerhalb von neun Stunden mit Natalizumab oder Placebo behandelt wurden, zeigte sich keine Wirkung auf die Größe des Infarkts in der Bildgebung. Es ergab sich aber eine Verbesserung einiger sekundärer und tertiärer Endpunkte nach 30 und 90 Tagen [1]. Dies führte dazu, dass Natalizumab in einer größeren Phase-IIb-Studie untersucht werden sollte.

Studiendesign

Es handelte sich um eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie, die an 53 internationalen Schlaganfallzentren durchgeführt wurde. Eine systemische Thrombolyse oder eine Thrombektomie war vor Studieneinschluss möglich. Die Behandlung erfolgte entweder mit Placebo oder einer einmaligen Infusion mit 300 oder 600 mg Natalizumab. Eingeschlossen wurden Patienten im Alter zwischen 18 und 80 Jahren mit einem akuten ischämischen Insult und einer Schwere auf der National Institute of Stroke Skala (NIHSS) zwischen 5 und 23. Ausgeschlossen wurden Patienten mit lakunären Infarkten sowie Ischämien in der hinteren Schädelgrube. Der primäre Endpunkt der Studie war die funktionelle Beeinträchtigung gemessen mit der modifizierten Rankin-Skala (mRS)mit einem Wert von 0 oder 1 und einem Wert von > 95 für den Barthel-Index an Tag 90.

Ergebnisse

In die Studie wurden 277 Patienten aufgenommen. 90 Patienten erhielten Placebo, 88 erhielten 300 mg Natalizumab und 89 erhielten 600 mg Natalizumab. Das mittlere Alter betrug 68 Jahre und 64 % der Patienten waren männlich. 79 % der Patienten wurden mit einer systemischen Thrombolyse oder einer Thrombektomie vorbehandelt. Der mediane Schweregrad des Schlaganfalls gemessen mit der NIHSS betrug 9. Der primäre Endpunkt (mRS 0 oder 1) wurde mit Natalizumab seltener erreicht als mit Placebo (Natalizumab 300 mg oder 600 mg Odds-Ratio 0,60; 95%-Konfidenzintervall 0,39–0,93). Das Ergebnis wurde nicht durch die Dauer bis zur Behandlung oder den Einsatz der Thrombolyse oder Anwendung einer Thrombektomie beeinflusst. Für Natalizumab 300 mg, 600 mg oder Placebo gab es keine Unterschiede in der Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen (90 %, 92 % bzw. 92 %), schwerwiegender unerwünschter Ereignisse (26 %, 33 % bzw. 21 %) oder Todesfälle (7 %, 5 % bzw. 6 %).

Kommentar

Die randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie zum Einsatz von Natalizumab beim akuten ischämischen Insult war negativ. Man kann sich fragen, warum bei 120 negativen Studien zur neuroprotektiven Therapie beim akuten ischämischen Insult des Menschen [3] weiterhin Studien mit diesem Therapieansatz durchgeführt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Simulationen basierend auf Datenbanken mit dem Endpunkt der modifizierten Rankin-Skala zeigen, dass mindestens 500 Patienten pro Therapiegruppe notwendig sind, um den therapeutischen Effekt eines Neuroprotektivums zu zeigen. Auch die Tatsache, dass hier ganz überwiegend Patienten eingeschlossen wurden, die mit einer systemischen Thrombolyse oder einer Thrombektomie behandelt wurden, verbessert das Studienergebnis nicht. Dies ist in Übereinstimmung mit einer weiteren vor kurzem publizierten Studie zu sehen, die ebenfalls keinen Nutzen einer neuroprotektiven Therapie bei Patienten nach Thrombektomie fand [2].

Quelle

Elkind MSV, et al. Natalizumab in acute ischemic stroke (ACTION II): a randomized, placebo-controlled trial. Neurology 2020; doi: 10.1212/WNL.000 000 00 000 10 038.

Literatur

1. Elkins J, et al. Safety and efficacy of natalizumab in patients with acute ischaemic stroke (ACTION): a randomised, placebo-controlled, double-blind phase 2 trial. Lancet Neurol 2017;16:217–26.

2. Hill MD, et al. Efficacy and safety of nerinetide for the treatment of acute ischaemic stroke (ESCAPE-NA1): a multicentre, double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2020;395:878–87.

3. Schmidt-Pogoda A, et al. Why most acute stroke studies are positive in animals but not in patients: A systematic comparison of preclinical, early phase, and phase 3 clinical trials of neuroprotective agents. Ann Neurol 2020;87:40–51.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(05):258-267