Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
In der Therapie des akuten Schlaganfalls sind die systemische Thrombolyse und Thrombektomie etablierte Therapien. Bisher gibt es keine medikamentöse Therapie zur Funktionsverbesserung nach einem akuten ischämischen Insult. In Tiermodellen des Schlaganfalls führen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zu einer Funktionsverbesserung nach ischämischem Insult. In einer kleinen Studie im Jahr 2011 ergaben sich Hinweise darauf, dass Fluoxetin die motorische Funktion nach einem akuten ischämischen Insult verbessert [1]. Dies sollte jetzt in zwei großen, randomisierten, doppelblinden Studien verifiziert werden.
Studiendesign
Die EFFECTS-Studie (Efficacy of fluoxetine - a randomised controlled trial in stroke) war eine multizentrische, randomisierte, Placebo-kontrollierte, doppelblinde Parallelgruppen-Studie, die Schlaganfallpatienten zwischen zwei und 15 Tagen nach dem Schlaganfallbeginn einschloss. Die Studie wurde in 35 Stroke-Units und Rehabilitationszentren in Schweden durchgeführt. Die Patienten hatten entweder einen ischämischen Insult oder eine intrazerebrale Blutung und ein persistierendes fokales neurologisches Defizit. Die Patienten erhielten randomisiert entweder 20 mg Fluoxetin einmal täglich oder Placebo für sechs Monate.
AFFINITY (Assessment of fluoxetine in stroke recovery) war eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Parallelgruppen-Studie die in 43 Stroke-Units in Australien, Neuseeland und Vietnam durchgeführt wurde. Eingeschlossen wurden Patienten mit akutem Schlaganfall innerhalb der vorausgegangenen zwei bis 15 Tage und dem Nachweis eines ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfalls in der zerebralen Bildgebung. Die Patienten wurden randomisiert und erhielten über sechs Monate entweder 20 mg Fluoxetin oral einmal täglich oder Placebo.
Der primäre Endpunkt war in beiden Studien der funktionelle Status gemessen mit der modifizierten Rankin-Skala nach sechs Monaten.
Ergebnisse
EFFECTS
Zwischen Oktober 2014 und Juni 2019 wurden in die EFFECTS-Studie 1500 Patienten eingeschlossen. Jeweils 750 Patienten erhielten Fluoxetin oder Placebo. Die Patienten waren im Mittel 71 Jahre alt und 62 % waren Männer, 88 % hatten einen ischämischen Insult und 12 % eine zerebrale Blutung. Bei den meisten Patienten lag als Ursache des Schlaganfalls eine Mikroangiopathie vor. Der mittlere NIHSS-Score (National Institutes of Health stroke scale) betrug zum Zeitpunkt der Randomisierung 3,0. Im Median vergingen fünf Tage zwischen Beginn des Schlaganfalls und der Randomisierung.
Fluoxetin hatte keinen Einfluss auf den primären Endpunkt der Studie verglichen mit Placebo (Odds-Ratio 0,94; 95%-Konfidenzintervall 0,78–1,13; p = 0,42). Das Auftreten einer neuen Depression war unter einer Behandlung mit Fluoxetin im Vergleich zu Placebo reduziert: Unter Fluoxetin entwickelten 54 Patienten entsprechend 7 % eine Depression verglichen mit 81 Patienten entsprechend 11 % in der Placebo-Gruppe. Der Unterschied von 3,6 Prozentpunkten war mit einen p-Wert von 0,015 statistisch signifikant. Unter einer Behandlung mit Fluoxetin kam es allerdings signifikant häufiger zu Knochenfrakturen und einer Hyponatriämie.
AFFINITY
Zwischen Januar 2013 und Juni 2019 wurden 1280 Patienten in die AFFINITY-Studie rekrutiert, von denen 642 Fluoxetin erhielten und 638 Placebo. Die Behandlung erfolgte im Mittel über 167 Tage. Die Patienten waren im Mittel 64 Jahre alt und 63 % waren Männer. 86 % der Patienten hatten einen ischämischen Insult und 14 % eine zerebrale Blutung erlitten. Das neurologische Defizit gemessen mit der NIHSS betrug zum Zeitpunkt der Randomisierung 6 Punkte. Im Mittel vergingen 6,2 Tage zwischen Beginn der Schlaganfallsymptomatik und Randomisierung.
Die Verteilung der einzelnen Kategorien der modifizierten Rankin-Skala war zwischen Fluoxetin und Placebo nicht unterschiedlich (Odds-Ratio 0,94; 95%-Konfidenzintervall 0,76–1,15; p = 0,53). Im Bereich der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wiesen Patienten unter Fluoxetin häufiger Stürze auf als unter Placebo (3 % versus 1 %), hatten häufiger Knochenfrakturen (3 % versus 1 %) und epileptische Anfälle (2 % versus 1 %).
Kommentar
Zeitgleich wurden in der Zeitschrift Lancet Neurology zwei Studien zum Einsatz von Fluoxetin zur Funktionsverbesserung nach Schlaganfall publiziert, eine Studie aus Schweden und eine zweite Studie aus Australien, Neuseeland und Vietnam. Beide Studien fanden keinen Nutzen einer Behandlung mit Fluoxetin über sechs Monate zur Funktionsverbesserung nach einem Schlaganfall. In der AFFINITY-Studie waren neue Depressionen numerisch seltener unter Fluoxetin als unter Placebo, der Unterschied war allerdings nicht signifikant. In beiden Studien waren unerwünschte Arzneimittelwirkungen unter Fluoxetin häufiger als unter Placebo. Damit steht weiterhin keine medikamentöse Therapie zur Verfügung, die motorische Funktionen nach einem erlittenen Schlaganfall positiv beeinflusst.
Quellen
Lundström E, et al.; EFFECTS Trial Collaboration. Safety and efficacy of fluoxetine on functional recovery after acute stroke (EFFECTS): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2020;19:661–9.
Hankey GJ, et al.; AFFINITY Trial Collaboration. Safety and efficacy of fluoxetine on functional outcome after acute stroke (AFFINITY): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2020;19:651–60.
Literatur
1. Chollet F, et al. Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic stroke (FLAME): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2011;10:123–30.
Psychopharmakotherapie 2020; 27(05):258-267