Martin Hirsch, Freiburg
Die Prävalenz von Epilepsien beträgt zwischen 0,8 und 1,2 %. Somit zählen Epilepsien zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen [3, 89]. Bei 30 bis 40 % der Patienten gelingt es nicht, die Anfälle mit den gängigen Antikonvulsiva zu kontrollieren [15, 36]. Das Problem der Pharmakoresistenz konnte trotz der Entwicklung moderner Antikonvulsiva nicht überwunden werden [16, 44]. Bei Versagen der ersten beiden medikamentösen Therapien beträgt die Wahrscheinlichkeit, eine Anfallsfreiheit durch weitere Medikamentenwechsel zu erzielen, 5 bis 10 % [45].
Pharmakotherapie
Nachfolgend werden die wichtigsten Wirkungsmechanismen gängiger Antikonvulsiva vorrangig im Hinblick auf die Relevanz für den klinischen Alltag besprochen. Hierbei kann nicht auf alle Effekte auf die neuronale Signalübertragung eingegangen werden, u. a. weil die exakten Wirkungsmechanismen vieler Antikonvulsiva nicht komplett verstanden sind [42].
Neben der Hauptwirkung an exzitatorischen Synapsen wirken Antikonvulsiva auch an inhibitorischen Synapsen oder an extrasynaptischen neuronalen Membranen.
Viele Antikonvulsiva, die als Natriumkanalblocker bezeichnet werden, haben ihren Angriffspunkt an spannungsabhängigen Natriumkanälen (NaV-Kanälen) extrasynaptischer Membranen. Dazu zählen: Phenytoin, Carbamazepin, Oxcarbazepin, Eslicarbazepin, Lamotrigin, Lacosamid. Auch Rufinamid und Zonisamid entfalten ihre Wirkung hauptsächlich durch die Blockade von NaV-Kanälen. Die meisten Natriumkanalblocker verstärken die schnelle Inaktivierung und haben untergeordnete Effekte auf die langsame Inaktivierung. Lacosamid und Eslicarbazepin hingegen verstärkten hauptsächlich die langsame Inaktivierung der Natriumkanäle [8, 32, 47, 68]. Weil Oxcarbazapin hauptsächlich zu Eslicarbazepin metabolisiert wird, muss auch hier von einem Effekt auf die langsame Inaktivierung ausgegangen werden.
Eine Verminderung der Membranexzitabilität gelingt pharmakologisch auch durch das Enhancement des Kaliumefflux, der durch die Membrandepolarisation bewirkt wird. Mit diesem Wirkungsmechanismus war Retigabin zugelassen.
Levetiracetam, ein seit 1999 zugelassenes Antikonvulsivum, bindet an das synaptische Vesikelprotein SV2A. Es wird angenommen, dass dadurch die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter verringert wird. 2016 wurde Brivaracetam zugelassen, das eine höhere Affinität zum SV2A-Protein hat und dort selektiver bindet [25]. In den Zulassungsstudien verursachte Brivaracetam weniger häufig psychiatrische Nebenwirkungen [5, 46, 80, 90], als das für Levetiracetam bekannt war [4, 7, 12, 23, 26, 59].
Perampanel wurde als ein spezifischer, selektiver, nichtkompetitiver AMPA(Alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-propionat)-Rezeptorblocker entwickelt. Es wird angenommen, dass auch Topiramat, Lamotrigin und Phenobarbital die AMPA-Rezeptoren blockieren [49, 60, 67]. Ein anderer Glutamatrezeptor, der NMDA(N-Methyl-D-aspartat)-Rezeptor, ist ein potenziell interessanter Angriffspunkt in der Therapie des refraktären Status epilepticus, bei dem GABA(Gamma-Aminobuttersäure)-Rezeptoren internalisiert und NMDA-Rezeptoren überexprimiert sind. Für die Wirksamkeit des NMDA-Rezeptorblockers Ketamin beim refraktären Status epilepticus besteht eine Klasse-IV-Evidenz [19, 33, 69].
Präsynaptische spannungsabhängige Calciumkanäle (CaV) erlauben während der Membrandepolarisation den Einstrom von Calciumionen, was wiederum zur synaptischen Freisetzung von Neurotransmittern führt. Gabapentin und Pregabalin hemmen diese Aktivität, indem sie hauptsächlich an der α2δ-Subeinheit des P/Q-Typ-CaV an präsynaptischen Endigungen exzitatorischer Neuronen binden [63, 67]. Für Levetiracetam konnte gezeigt werden, dass es ebenfalls P/Q-Typ-CaV inhibiert [48, 64] wie auch die präsynaptischen N-Typ-CaV [55]. Dies kann zu dem antikonvulsiven Effekt von Levetiracetam beitragen. Spannungsabhängige Calciumkanäle werden auch durch Lamotrigin, Topiramat, Phenytoin, Carbamazepin und Phenobarbital inhibiert [29, 40, 43, 54, 64, 76, 77, 83].
Zur Therapie von Absencen bei genetischen (idiopathisch generalisierten) Epilepsien ist Ethosuximid hoch wirksam. Die Wirkung erklärt man sich durch die Blockade der spannungsabhängigen T-Typ-Calcium-Kanäle im thalamokortikalen Netzwerk mit daraus resultierender Reduktion thalamokortikaler Oszillationen [11, 34, 52]. Substanzen wie Zonisamid und Valproinsäure wird ebenfalls dieser Effekt auf die T-Typ-Calciumkanäle zugeschrieben [65], daneben auch dem Eslicarbazepin [76], das jedoch für die Therapie genetischer Epilepsien nicht zugelassen ist und nicht empfohlen wird.
Postsynaptische GABAA-Rezeptoren sind Angriffspunkte von Benzodiazepinen und Barbituraten. Beide Substanzgruppen erhöhen den Chlorid-Fluss durch den GABA-Rezeptor-Chloridkanal-Komplex, allerdings aufgrund unterschiedlicher Mechanismen, da sie an verschiedenen Stellen des Komplexes binden [84].
Auch für Stiripentol, Felbamat, Topiramat und Bromid wird angenommen, dass deren antikonvulsive Effekte teilweise durch die Verstärkung der GABAergen Inhibition erklärt werden können [20, 27, 57].
Vigabatrin erhöht die GABA-Konzentration durch die irreversible Hemmung der GABA-Transaminase. Tiagabin wiederum hemmt GABA-Transporter (GAT1) und verhindert dadurch die Wiederaufnahme von GABA aus dem synaptischen Spalt in Neurone und Gliazellen.
Obwohl Valproinsäure zu den am häufigsten rezeptierten Antikonvulsiva gehört und bereits seit den 60er Jahren angewandt wird, gelten auch hier die exakten Wirkungsmechanismen als nicht gänzlich verstanden. Hauptsächlich soll die Wirkung über die Verstärkung der GABAergen Inhibition entfaltet werden. Dies kann erreicht werden durch die Hemmung des GABA-Abbaus oder die Verstärkung der GABA-Synthese [24]. Auch eine Interaktion mit dem NMDA-Rezeptor kann den antikonvulsiven Effekt mitbedingen [53]. Die Blockade der Natrium-Kanäle spielt wahrscheinlich eine eher untergeordnete Rolle [18].
Die Hemmung der Carboanhydrase durch Sultiam führt zur moderaten intrazellulären Azidose, die möglicherweise zur Öffnung von Ionenkanälen in Neuronen führt [51]. Sultiam wird vorrangig bei der Rolando-Epilepsie angewandt. Einer der multiplen Wirkungsmechanismen von Topiramat und Zonisamid ist ebenfalls die Hemmung der Carboanhydrase.
Gerade bei Kombinationstherapien sind Überlappungen der Wirkungsmechanismen zu bedenken, weshalb die Kenntnis pharmakodynamischer Aspekte zumindest in ihren Grundzügen für eine rationale Steuerung der Pharmakotherapie unabdingbar ist. Das Beispiel einer Patientin, die sich kürzlich erstmals bei uns vorstellte, illustriert eindrücklich, welche Probleme auftreten können, wenn pharmakodynamische und -kinetische Aspekte nicht beachtet werden. Die 42-jährige Patientin erhielt einst Carbamazepin (CBZ) 1200 mg/Tag und Lamotrigin 600 mg/Tag, was sie gut vertragen hatte. Nach einer Umstellung auf Lacosamid (LCS) 600 mg/Tag mit Lamotrigin 600 mg/Tag war sie stark intoxikiert. Durch den Wegfall der CBZ-vermittelten Enzyminduktion (LCS ist diesbezüglich inert) stieg der Lamotrigin-Spiegel deutlich. Die Nebenwirkungsgrenze für die natriumkanalblockierende Medikation war nach der Umstellung deutlich überschritten.
In der Praxis wird auch oft der enzyminduzierende Effekt östrogenhaltiger Kontrazeptiva nicht beachtet, deren Einnahme zu relevanten Spiegelabfällen von Lamotrigin führt. Auf Effekte von Enzymhemmern wie der Valproinsäure muss ebenfalls geachtet werden. Zur systematischen Prüfung der Pharmakoresistenz kann die Dosis von Antikonvulsiva bis zur individuellen Nebenwirkungsgrenze erhöht werden, die sehr variabel sein kann.
Epilepsiechirurgie
Der Anteil der pharmakoresistenten Patienten, die potenziell von einem epilepsiechirurgischen Eingriff profitieren könnten, lässt sich schlecht beziffern. Es könnten nur 10 % oder aber auch über 50 % der Patienten sein [14].
Das Ziel von Epilepsiechirurgie ist es, durch die Resektion des epileptogenen Gewebes eine optimale Anfallskontrolle zu erreichen und dabei unverzichtbare Hirnregionen unangetastet zu lassen, damit es nicht zu neurologischen und neuropsychologischen Defiziten kommt. Dies kann erreicht werden durch eine ausführliche prächirurgische Diagnostik, in deren Rahmen epileptogenes Gewebe von eloquenten Arealen abgegrenzt wird, und durch selektive Resektionsstrategien in individuellen Patienten.
Nur bei Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Läsion und Epilepsie im Video-EEG besteht die Indikation für ein chirurgisches Vorgehen [61]. Befindet sich die Läsion außerhalb eloquenter Areale, dann sind in aller Regel nichtinvasive Verfahren zur Lokalisation ausreichend; bei Lage nahe am eloquenten Kortex (z. B. Sprachzentrum, Motorkortex, dominanter Hippocampus), bei anderen assoziierten Pathologien, bei nonläsionellen Epilepsien oder zur Klärung der Rolle benachbarter temporomesialer Strukturen kann ein invasives Monitoring erforderlich werden.
Durch epilepsiechirurgische Eingriffe werden hohe Anfallsfreiheitsraten (50–80 %) erreicht, und dies bei einer geringen Morbidität (6 %) und Mortalität (deutlich unter 1 %) [2, 28] (eigene Serie: 2 % permanente Komplikationen, Letalität unter 0,1 % [74]).
Die Latenz vom Zeitpunkt der Erstdiagnose Epilepsie bis zum epilepsiechirurgischen Eingriff beträgt in Europa bei Erwachsenen 20,1 Jahre, bei Kindern 5,3 Jahre [10]. Da eine frühere Operation auch prognostisch günstig ist [35, 56], sollte bei geeigneten Patienten früh die Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum erfolgen.
An spezialisierten Epilepsiezentren wird eine multimodale Diagnostik zur Eingrenzung der epileptogenen Zone angewandt. Kernpunkt der prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist die simultane Video-EEG-Aufzeichnung habitueller Anfälle [73]. Die Fortschritte in der strukturellen Bildgebung revolutionierten die prächirurgische Abklärung in den letzten Jahren [13, 70, 75]. Gelingt es, mittels der zerebralen MRT-Bildgebung die epileptogene Läsion nachzuweisen, erhöht dies die Chancen auf eine postoperative Anfallsfreiheit [79, 81]. Trotz Verbesserungen in der modernen Bildgebung gelingt bei 15 bis 30 % der Patienten jedoch kein Nachweis einer potenziell epileptogenen Läsion [9, 13].
Neurostimulation
Wenn kein epileptischer Fokus auszumachen ist oder dieser nicht reseziert werden kann, kommen verschiedene Neurostimulationsverfahren infrage. Eine Übersicht gibt Abbildung 1.
Abb. 1. Stufenweises Vorgehen bei therapieresistenten Epilepsien
Vagusnervstimulation (VNS)
Der größte Erfahrungsschatz besteht für die seit 1994 bei pharmakoresistenten Epilepsien angewandte Vagusnervstimulation (VNS). Die VNS kommt in der Regel zum Einsatz, wenn Therapieversuche mit mehreren Antikonvulsiva zu keiner befriedigenden Anfallskontrolle führen und ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht infrage kommt. Bei der Implantation wird eine bipolare helikale Elektrode um den linken zervikalen Anteil des N. vagus platziert. Der Pulsgenerator wird unterhalb der linken Clavicula implantiert. Durch die periphere Stimulation werden Hirnstammkerne wie der N. coeruleus und die Raphekerne via den N. tractus solitarii aktiviert. Es wird angenommen, dass der antikonvulsive Effekt durch die weit verzweigten Projektionen dieser Nuclei erzielt wird [86]. Die Zulassung der VNS basiert auf zwei kontrollierten Zulassungsstudien. In einer Studie mit 114 Patienten hatte die mit dem therapeutischen Paradigma stimulierte Gruppe während der letzten 12 Wochen des 14-wöchigen Follow-up eine signifikante Reduktion der Anfallsfrequenz gegenüber ihrer Baseline und gegenüber der Gruppe mit dem nicht therapeutischen Paradigma (p = 0,01). 31 % der Patienten mit der therapeutischen Stimulation vs. 13 % in der Gruppe mit subtherapeutischer Stimulation (p = 0,02) hatten eine über 50%ige Reduktion der Anfallsfrequenz und zählten somit per definitionem zu den Respondern. In einem ähnlichen Studienkonstrukt mit 198 Patienten mit komplex-fokalen Anfällen wurde eine signifikant höhere Reduktion der Anfallsfrequenz bei der therapeutisch stimulierten Gruppe (Reduktion um 28 %) gegenüber der subtherapeutischen Stimulation (15%ige Reduktion; p = 0,04) nachgewiesen [31]. Die meisten Daten zur Wirksamkeit der VNS stammen aus Open-Label-Beobachtungen, wobei die Responderraten mit der Dauer der Anwendung zuzunehmen scheinen (nach 24 Monaten 43,8–78 %). Anfallsfreiheit wird durch VNS selten erreicht (0–8,2 %) [17, 62].
Hauptsächlich zielt man bei der VNS auf einen neuromodulatorischen Effekt durch eine Intervallstimulation ab. Daneben besteht noch die Option der selbst initiierten On-Demand-Stimulation und einer Closed-Loop-Stimulation, für deren Wirksamkeit es vor allem kasuistische Nachweise gibt [30]. In kontrollierten Studien wurde die Wirksamkeit der VNS bei therapieresistenten Depressionen nachgewiesen, weshalb dieses Verfahren auch für diese Indikation zugelassen ist [71].
Tiefe Hirnstimulation (THS)
Die Anwendung der tiefen Hirnstimulation basiert auf den 2010 publizierten Wirksamkeitsdaten der SANTE-Studie [21]. Konzeptionell geht man davon aus, dass die Stimulation der Nuclei anteriores des Thalamus durch die Modulation der Aktivität im limbischen System mit der Propagation epileptischer Aktivität interferiert [41]. In der kontrollierten doppelblinden Phase der SANTE-Studie nahm die Reduktion der medianen Anfallsfrequenz von –21,3 % nach Elektrodeninsertion auf –40,4 % im dritten Behandlungsmonat zu, verglichen mit –14,5 % in der nicht stimulierten Gruppe. Im Langzeit-Follow-up über fünf Jahre unter nicht kontrollierten Behandlungsbedingungen wurde eine weitere Abnahme der medianen Anfallsfrequenz um –69 % berichtet und ein Anstieg der Responder von 49 % auf 68 %. Die Anzahl in die Auswertung einbezogener Patienten ging jedoch von initial 105 auf 64 nach fünf Jahren zurück, was zu einer Anreicherung von Respondern geführt haben kann. Als Hinweis dafür, dass die Effekte thalamischer Stimulation über die Zeit stabil bleiben oder leicht zunehmen, zeigte eine Intention-to-treat-Analyse, die eine Anreicherung von Respondern verhindert, eine mediane Anfallsreduktionsrate von 40 % nach einem Jahr und 50 % nach fünf Jahren [72]. Während der verblindeten Studienphase berichteten 8/54 in der stimulierten Gruppe depressive Symptome (vs. 1/54 in der Kontrollgruppe) und 7/54 Patienten beklagten Gedächtnisstörungen (vs. 1/54 in der Kontrollgruppe). Die von einzelnen Patienten berichteten affektiven Nebenwirkungen bildeten sich auf Gruppenebene jedoch nicht in den standardisierten Depressionsfragebögen ab, obwohl 8,2 % der Patienten suizidale Gedanken berichteten. Standardisierte Tests zum deklarativen und visuokonstruktiven Gedächtnis konnten im Langzeit-Follow-up in der Subgruppe von Patienten mit einer Stimulationsdauer bis zu sieben Jahren keine signifikanten Einbußen nachweisen [82].
Responsive Neurostimulation (RNS)
Nach dem Nachweis ihrer Wirksamkeit in einer kontrollierten Studie wurde seit 2015 die responsive Neurostimulation (RNS) in den USA zur Therapie von fokalen Epilepsien zugelassen [58]. Es handelt sich um ein Verfahren mit der Möglichkeit, invasiv einen oder zwei epileptische Foki mittels Tiefenelektroden und/oder subduraler Elektrodenstreifen zu stimulieren. Ein Generator, der kontinuierlich EEG-Aktivität aufzeichnet, wird in die Schädelkalotte implantiert. Stimulationsimpulse werden appliziert, wenn elektrographische Muster als iktal erkannt werden. In der Zulassungsstudie mit 191 eingeschlossenen Patienten war die Anfallsfrequenz nach einer 12-wöchigen doppelblinden Phase in der Behandlungsgruppe signifikant reduziert (Abnahme um 37,9 % verglichen mit 17,3 % bei Scheinstimulation) [58]. Langzeiteffekte der RNS wurden für 126 Patienten publiziert, und zwar für Stimulationsdauern von zwei bis sechs Jahren (durchschnittlich 6,1 Jahre Follow-up). Die mediane Reduktion von Anfällen mit frontalem und parietalem Ursprung betrug 70 %, 58 % für temporale-neokortikale Anfälle und 51 % mit multilobulären Anfällen [37]. Eine andere Analyse zur Langzeiteffektivität bei 230 Patienten zeigte Reduktionen der medianen Anfallsfrequenz von 44 % nach einem Jahr, 53 % nach zwei Jahren und 48 bis 66 % in den Jahren 3 bis 6 nach Implantation [6].
Verträglichkeitsaspekte verfügbarer Stimulationsverfahren
Stimulationsverfahren wie die Vagusnervstimulation und die tiefe Hirnstimulation haben den Vorteil, dass die Patienten mit relativ wenig Aufwand vorselektiert werden können, und den Nachteil, dass unter Umständen zu unspezifisch stimuliert wird. Beide Verfahren sind prinzipiell reversibel, bei der VNS wird im Falle einer Explantation jedoch in der Regel die helikale Elektrode um den N. vagus belassen, um eine Schädigung des Nerven durch die Präparation zu vermeiden. Eine Schädigung vor allem des N. laryngeus recurrens im Rahmen der VNS-Implantation gehört ohnehin zum Nebenwirkungsspektrum, wenngleich es sich zumeist um eine vorübergehende Störung durch eine Neurapraxie handelt [38]. Die Mitstimulation des N. laryngeus recurrens während der Stimulation verursacht häufig eine Heiserkeit als Nebenwirkung, die durch die Patienten oft als störend wahrgenommen wird [66], kann aber auch für die Verursachung oder Verstärkung eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms verantwortlich sein. Eine fachgerecht durchgeführte stereotaktische Implantation zweier Tiefenelektroden in die Nuclei anteriores des Thalamus ist zwar nur mit einem vernachlässigbar geringen perioperativen Blutungsrisiko verbunden, häufiger hingegen sind Infektionen (in bis zu 12,7 % der Fälle), die dann oft eine Explantation nach sich ziehen [72]. Da bei der THS im limbischen System stimuliert wird, ist ein Monitoring bezüglich der in relevanter Häufigkeit berichteten kognitiven und affektiven Nebenwirkungen wichtig. Die RNS ist spezifisch und fokusbezogen, allerdings ist dieses Verfahren durch die Notwendigkeit einer größeren parietalen Trepanation zur Implantation der Elektroden und des Generators das invasivste Stimulationsverfahren, wenngleich auch prinzipiell komplett reversibel. Blutungskomplikationen bei der RNS sind selten und führen zumeist nicht zu Folgeschäden [6]. Die RNS steht in Europa nicht zur Verfügung.
Subkutane Stimulationselektroden zur Behandlung von Epilepsien
Unter neurophysiologischen Aspekten interessant ist die Entwicklung einer minimalinvasiven Fokusstimulation mit Elektroden, die außerhalb des Kraniums (subkutan) platziert werden. Ein solches Stimulationsverfahren unter dem Namen EASEE® (epikraniale Applikation von Stimulations-Elektroden für Epilepsie) wird derzeit in Europa multizentrisch im Rahmen zweier Phase-II-Studien erprobt. Basierend auf Daten zur Wirksamkeit von einzelnen 20-minütigen Sitzungen transkranieller kathodaler Gleichstrom-(DC-)Stimulation mit 1 bis 2 mA bei Epilepsiepatienten in einer kleinen kontrollierten Studie [22] und auf positiven Ergebnissen aus anderen kleinen Fallserien [1, 39, 78, 85, 87, 88], wurde eine Elektrodenplatte entwickelt (Pseudo-Laplace-Anordnung), die direkt auf den Schädelknochen (subgaleal) implantiert wird (Abb. 2). Das ermöglicht eine High-Density-Stimulation des epileptischen Fokus, der zuvor mittels MRT und/oder EEG als neokortikal klassifiziert werden muss, durch die Schädeldecke. Analog zu der aus der thalamischen Stimulation und der RNS als effektiv bekannten Hochfrequenzstimulation (100–200 Hz), die die epileptische Aktivität direkt unterdrücken kann, wird bei der epikranialen Stimulation in Intervallen von 2 Sekunden mit kurzen Bursts mit der Frequenz von 130 Hz unterhalb der Perzeptionsschwelle stimuliert. Daneben wird eine tägliche 20-minütige Stimulationssitzung programmiert, in der eine Variante der DC-Stimulation, die Ultra-Low-Frequency-Stimulation (ULFA), angewendet wird. In einer der laufenden Studien besteht auch die Möglichkeit einer zusätzlichen, durch den Patienten selbst getriggerten Stimulation im Anfall, mit dem Ziel, diesen zu terminieren oder zu verkürzen.
Abb. 2. Beispiel für die Platzierung epikranialer (subkutaner bzw. subgalealer) Elektroden zur Fokusstimulation (mit freundlicher Genehmigung von Precisis AG)
Die antikonvulsive Wirkung der kathodalen Gleichstromstimulation erklärt man sich durch eine neuronale Hyperpolarisation und die damit einhergehende Verminderung neuronaler Entladungsraten. Die Freisetzung des inhibitorischen Neurotransmitters GABA und die calciumabhängige synaptische Plastizität erregender, glutamaterger Neuronen werden moduliert. Für langsam applizierte Einzelimpulse (0,1–1 Hz) nimmt man eine Langzeitinhibition („long term depression“) mit reduzierter Ausschüttung erregender Neurotransmitter an [50].
Fazit
Die Erfahrung des Autors ist, dass schon bei der Pharmakotherapie das therapeutische Potenzial oft nicht systematisch ausgenutzt wird. Dass dies für die Epilepsiechirurgie in einem noch stärkeren Ausmaß zutrifft, zeigt sich anhand der langen Latenzen bis zur Zuweisung an ein Epilepsiezentrum, wobei die rasche Evaluation epilepsiechirurgischer Optionen nach systematischer Pharmakoresistenzprüfung auch unter prognostischen Aspekten wichtig sein kann. Inoperablen Patienten, Patienten mit einem schlechten chirurgischen Outcome oder auch Patienten, die Epilepsiechirurgie ablehnen, können Stimulationsverfahren angeboten werden. Die Schwelle zur Indikationsstellung für Neurostimulationsverfahren hängt verständlicherweise von der Verträglichkeit, vom Grad der Invasivität und von der Reversibilität der Verfahren ab. Bestrebungen zur Entwicklung neuer, minimalinvasiver und spezifischer Stimulationsverfahren wie der epikranialen Stimulation sind somit zu begrüßen. Eine Bestätigung der Wirksamkeit muss hier noch in kontrollierten Studien erfolgen.
Interessenkonflikterklärung
Der Autor fungiert als Investigator in der EASEE-Studie finanziert durch die Fa. Precisis AG. Er erhielt finanzielle Zuwendungen in Form von Reisesponsoring von Medtronic, Livanova und Honorare von UCB, Eisai, Precisis AG.
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Dr. med. Martin Hirsch, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Neurochirurgie, Breisacher Str. 64, 79106 Freiburg, E-Mail: martin.hirsch@uniklinik-freiburg.de
Therapeutic pillars in difficult to treat epilepsy
The prevalence of epilepsy ranges from 0.8 to 1.2 %. Thus, epilepsy can be numbered among the most frequent neurological conditions. In 30 to 40 % of patients seizures persist under treatment with antiepileptic drugs. The problem of pharmacoresistance could not be overcome with the development of modern antiepileptic drugs. After not responding to the first two drugs the probability to reach seizure freedom is 5 to 10 %. A rational pharmacological treatment is the first therapeutic pillar. It necessitates the knowledge of pharmacokinetic and -dynamic specifics of the anticonvulsive drugs. After pharmacoresistance has been established systematically (the appropriate use of at least two well tolerated and adequate antiepileptic drugs in monotherapy or in combination), epilepsy surgery should be considered as a second therapeutic pillar. Surgery is potentially curative for a subgroup of patients. A multimodal diagnostic approach is necessary to identify the epileptogenic zone. With 20.1 years the average latency from the time of diagnosis to epilepsy surgery in adult pharmacoresistant patients is still strikingly long, considering the fact that many patients are potentially good candidates for epilepsy surgery, and that neurostimulation – the third therapeutic pillar – can be offered to patients not eligible for surgery. The assumed mode of action of neuromodulatory stimulation methods as vagus nerve stimulation and deep brain stimulation is an effect on the brains general seizure threshold or on the propagation of seizures. A method for a direct intracranial stimulation of the epileptic focus, the responsive neurostimulation (RNS), is approved only in the USA. Here we report in the context of therapeutic strategies in epilepsy a new method for epicranial (subgaleal), targeted stimulation of the epileptic focus (EASEE®) which is currently under evaluation in clinical trials. Even though neurostimulation cannot compete with drug therapy and epilepsy surgery concerning the rate of seizure free patients, it can have a positive impact on the course of the disease in otherwise difficult to treat patients. Tolerability, reversibility and the degree of invasiveness play a crucial role for the risk-benefit analysis defining indications for neurostimulation.
Key words: Epilepsy, pharmacoresistance, epilepsy surgery, epicranial neurostimulation
Psychopharmakotherapie 2020; 27(04):181-187