Johannes Rösche, Kassel/Rostock, Michael Höckel, Kassel, und Julian Bösel, Kassel/Heidelberg
Nicht zuletzt aufgrund der im Folgenden referierten neueren Arbeiten wird aktuell der Einsatz von Generika in der Epileptologie, insbesondere ein Herstellerwechsel, erneut diskutiert. Es erhebt sich die Frage, ob die in der Vergangenheit gehegte Zurückhaltung noch gerechtfertigt sei. Daher sollen die neueren Arbeiten vor dem Hintergrund der älteren Publikationen vorgestellt und diskutiert werden.
Die European Medicines Agency (EMA) aktualisierte 2010 ihre Vorgaben zum Nachweis der Bioäquivalenz für die Zulassung eines generischen Arzneimittels, kurz Generikums [8]. Danach sollten die Bioverfügbarkeiten des Referenzpräparats und des Generikums sowohl mittels Area under curve over time (AUC) als auch in Bezug auf die Serumspitzenkonzentration (Cmax) bei mindestens 12 gesunden jungen Probanden gemessen und miteinander verglichen werden. Dabei soll das 90%-Konfidenzintervall des mittels einer Varianzanalyse (ANOVA) errechneten Verhältnisses der jeweiligen Parameter zwischen Referenzpräparat und Generikum zwischen 80 % und 125 % liegen. Für Substanzen mit einem engen therapeutischen Bereich wurde das Intervall auf 90 % bis 111,11 % eingeengt. Diese Verschärfung wurde jedoch nicht rückwirkend für bereits zugelassene Generika durchgesetzt. In diesen Guidelines wurde ausdrücklich festgestellt, dass es nicht möglich sei, allgemeine Kriterien zu definieren, nach welchen eine Substanz in die Kategorie „narrow therapeutic index drug“ falle. Die aktuelle Leitlinie „Gute Substitutionspraxis“ der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft von 2014 [4] listet Antiepileptika unter den Arzneimittelgruppen auf, bei denen eine Substitution kritisch sein kann.
Die sich aus theoretischen Überlegungen, Fallserien, Feldstudien, Datenbankanalysen und Umfragen unter Ärzten und Patienten ergebenden Bedenken bezüglich des Einsatzes von Generika in der Epileptologie wurden 2010 und erneut 2017 deutschsprachig zusammenfassend dargestellt [25, 26]. Dabei wurden in der ersten Arbeit [25] 21 Fallserien, Feldstudien und Datenbankanalysen berücksichtigt. Auf dieser Basis wurde darauf hingewiesen, dass das Vertrauen eines Patienten in ein Medikament davon abzuhängen scheine, ob es für ihn speziell verordnet wurde. Konkret würde dies heißen, dass im Zweifelsfall das Produkt einer bestimmten Herstellerfirma zu verordnen wäre und nicht die Auswahl des Generikums nach Rabattgesetzgebung der Apotheke überlassen bleiben sollte. Es ergaben sich darüber hinaus auch ernstzunehmende Hinweise darauf, dass in den ersten vier Monaten nach einem Herstellerwechsel das Auftreten unerwünschter Ereignisse (Anfälle/Überdosierungserscheinungen) nicht auszuschließen sei.
In die zweite Arbeit [26] gingen insgesamt 36 bis dahin noch nicht referierte Fallserien, Feldstudien, Datenbankanalysen, Umfragen und erstmals auch prospektive Studien ein. Es wurde geschlossen, dass die neueren einen unproblematischen Generika-Einsatz propagierenden Arbeiten aufgrund ihres Designs nicht geeignet seien, die aus den älteren Arbeiten resultierenden Bedenken zu entkräften, da sie teilweise underpowered waren oder einen zu kurzen Beobachtungszeitraum umfassten. Zudem gab es weiterhin Fallserien und Einzelfallberichte über Komplikationen nach einem Herstellerwechsel. Es wurde darauf hingewiesen, dass aus pharmakologischer Sicht das mit einem Herstellerwechsel verbundene Risiko unerwünschter Ereignisse von der Pharmakokinetik des Arzneimittels moduliert würde. Zudem könne bei identischen europäischen Zulassungsdossier-Nummern von einem identischen Herstellungsverfahren ausgegangen werden. In diesem Fall wäre ein Herstellerwechsel im Gegensatz zu einem Herstellerwechsel bei unterschiedlichen Zulassungsdossier-Nummern vermutlich unproblematisch. Die europäische Zulassungsdossier-Nummer kann in Deutschland leider nicht ohne Weiteres in Erfahrung gebracht werden. Die Firmen verweisen stattdessen darauf, dass es sich um nationale Zulassungen handelt.
Inzwischen erschien eine hochrangig publizierte, auf 21 Datenbankanalysen, Beobachtungsstudien, Fallserien und prospektiven randomisierten Studien basierende englischsprachige Übersichtsarbeit, in der man zu dem Schluss kam, dass klinische Studien keine Veränderungen in Bezug auf Anfallsfrequenz und Verträglichkeit belegen würden, die auf einen Generika-Einsatz zurückzuführen seien. Die in Datenbankanalysen immer wieder berichteten Zunahmen der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach einem Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Generikum kämen mutmaßlich durch Probleme bei der Adhärenz zustande. Dem sollte im Zweifelsfall durch eine ausführliche Beratung durch Arzt und Apotheker über das pharmakologisch bzw. pharmazeutisch geringe Risiko entgegengewirkt werden [14].
Die folgende Arbeit soll zunächst die seit Mitte 2017 zum Generika-Einsatz in der Epileptologie erschienene Literatur zusammenfassen und vor dem Hintergrund der älteren Arbeiten diskutieren. Diese werden nur dann erneut explizit aufgeführt, wenn es für den direkten Vergleich unbedingt erforderlich ist. Es wird sich auf die Darstellung klinischer Studien, Fallserien und Datenbankanalysen beschränkt. Die Identifikation der relevanten Arbeiten erfolgte über eine Pubmed-Recherche mit den Suchwörtern „generic antiepileptic drugs“ am 9. Januar 2020. In der abschließenden Diskussion sollen dann auch die älteren Arbeiten gewürdigt werden. Auf dieser umfassenden Basis soll versucht werden, eine differenzierte Beurteilung zum Umgang mit Generika in der Epileptologie abzugeben.
Allgemeine Studien bzw. Datenbankanalysen
In einer großen retrospektiven Datenbankanalyse aus Deutschland wurden zwei Gruppen von jeweils 1765 Patienten miteinander verglichen [16]. Die eine Gruppe hatte nach mindestens 180 anfallsfreien Tagen einen Rezidivanfall erlitten bei mindestens einem weiteren Anfall in den letzten fünf Jahren. Die Kontrollgruppe war wenigstens 180 Tage anfallsfrei ohne Rezidivanfall bei jedoch wenigstens einem Anfall in den letzten fünf Jahren und wurde aus einem Kollektiv von 10 301 Patienten gematcht selektiert. Das letzte Rezept war in beiden Gruppen etwas mehr als 100 Tage vor dem Indexereignis bzw. dem Beobachtungszeitpunkt ausgestellt worden. In der Gruppe mit Rezidivanfall war es bei 26,8 % zu einem Herstellerwechsel gekommen, bei den Anfallsfreien lediglich bei 14,2 % (p < 0,001). Die Behandlungskosten waren nach dem Herstellerwechsel nicht signifikant reduziert, das relative Risiko für einen Rezidivanfall aber um über 30 % erhöht. Die Gründe dafür muss diese Datenbankanalyse offenlassen.
Schwer zu interpretieren ist eine Analyse von Daten aus dem Melderegister der U.S. Food and Drug Administration (FDA) für unerwünschte Nebenwirkungen [22]. Hier wurden die Häufigkeiten entsprechender Meldungen für die drei Substanzen Lamotrigin, Carbamazepin und Oxcarbazepin untersucht und die Häufigkeit der Meldung bei den entsprechenden Originalpräparaten mit derjenigen bei in Lizenz vertriebenen Präparaten anderer Firmen und derjenigen bei Generika mit anderem Herstellungsverfahren verglichen. Hintergrund war, dass die in Lizenz vertriebenen Präparate mit dem Originalpräparat pharmakologisch identisch seien, von den Patienten aber wie andere Generika wahrgenommen werden würden. Dennoch gab es signifikant mehr Meldungen bezüglich Suizids oder Suizidgedanken unter den Generika von Lamotrigin und Carbamazepin als unter den entsprechenden in Lizenz vertriebenen Produkten. Ein rein pharmakologischer Effekt ist eigentlich kaum vorstellbar.
Fallberichte und Studien zu einzelnen Substanzen
Gabapentin
In einer Studie wurde die Bioäquivalenz jeweils zweier Chargen des Originalpräparats und eines Generikums bei 30 gesunden Probanden untersucht [29]. Alle Probanden erhielten insgesamt sechs Dosen in insgesamt 12 unterschiedlichen Reihenfolgen, wobei jeweils zwei Dosen der ersten Charge des Originalpräparats und des Generikums und jeweils eine weitere Dosis der zweiten Charge des Originalpräparats und des Generikums verabreicht wurden. Das Ergebnis der Studie war, dass sich die Bioverfügbarkeiten interindividuell bezogen auf einzelne Chargen sowohl des Originalpräparats (19,0 %) als auch des Generikums (23,6 %) erheblich stärker unterscheiden als zwischen den Chargen und den Formulierungen der beiden Herstellerfirmen (1,35 %). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Menschen mit einem Körpergewicht von 49,8 kg bis 95,8 kg und einer glomerulären Filtrationsrate von 74 ml/min bis 130 ml/min die gleichen Dosierungen erhalten hatten. Dies scheint als Erklärung für die interindivuellen Unterschiede auszureichen. Bemerkenswert ist, dass keine Unterschiede in der Bioäquivalenz gefunden wurden, obwohl sich eine Charge des Generikums von den beiden Chargen des Originalpräparats in vitro bezüglich des Wirkstoffgehalts deutlich unterschied. Dies liegt vermutlich daran, dass Gabapentin einer dosisabhängig reduzierten Resorption unterliegt [24], sodass der Magen-Darm-Trakt wohl kleinere Unterschiede im Wirkstoffgehalt der Tabletten zumindest teilweise kompensiert.
Lamotrigin
Die Arbeitsgruppe von Privitera veröffentlichte nach einer bereits 2017 referierten Arbeit [21] eine weitere Studie zur Bioäquivalenz zwischen zwei Lamotrigin-Generika und dem Originalpräparat [3]. Hier wurde untersucht, ob sich bezüglich der Parameter Cmax und AUC die einmalige Einnahme einer 25-mg-Tablette Lamotrigin des Originalpräparats oder eines der beiden Generika zusätzlich zu einer „Lamotrigin-freien“ antiepileptischen Pharmakotherapie so voneinander unterscheiden würde, dass nach den Kriterien von FDA und EMA die Bioäquivalenz nicht mehr gegeben sei. Dabei wurde jede Tablette insgesamt zweimal verabreicht, der Wechsel zwischen den drei Präparaten erfolgte nach drei verschiedenen Schemata. Zwischen den Einnahmen zweier Lamotrigin-Tabletten lagen jeweils mindestens 12 Tage. Ein signifikanter Unterschied in der Bioäquivalenz fand sich nicht. Damit ist jedoch nur belegt, dass für nicht enzyminduzierende Substanzen wie Lamotrigin die Bioäquivalenz-Daten aus den Studien an gesunden Probanden auf die Situation von Menschen mit Epilepsie unter antiepileptischer Polytherapie übertragen werden dürfen.
Eine aktuelle Datenbankanalyse zur Switchback-Rate bei Patienten unter einer Retard-Formulierung von Lamotrigin fand für drei verschiedene Generika unterschiedliche Switchback-Raten zwischen 9 % und 17 % innerhalb eines Jahres und eine Gesamt-Switchback-Rate von 20 % im Verlauf von zwei Jahren [10]. Als Switchback-Rate wird in der Literatur der prozentuale Anteil an Patienten, der nach einem Wechsel auf ein Generikum (Switch) wieder auf das Markenpräparat umgestellt wurde, bezeichnet [1].
Levetiracetam
In insgesamt fünf Studien wurden die Auswirkungen des Wechsels vom Levetiracetam-Originalpräparat auf ein jeweils bestimmtes Generikum untersucht. Bei einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus Polen zum Wechsel vom Levetiracetam-Originalpräparat auf ein Generikum aus ökonomischen Gründen bei 151 Patienten kam es bei 6 % innerhalb der ersten drei Monate nach dem Wechsel zu einer Zunahme der Anfallsfrequenz um mehr als 30 % und bei weiteren 4 % zu unerwünschten Nebenwirkungen in Form von Somnolenz, Reizbarkeit oder Schwindel. Obwohl es damit bei 10 % der Patienten zu unerwünschten Folgen kam, bezeichneten die Autoren das Ergebnis ihrer Studie als Hinweis darauf, dass der Wechsel vom Levetiracetam-Originalpräparat auf ein Generikum sicher sei [6].
In einer weiteren Beobachtungsstudie aus Italien mit 36 anfallsfreien Patienten, die ebenfalls aus ökonomischen Gründen vom Originalpräparat auf ein bestimmtes Generikum wechselten, fand sich kein Anfallsrezidiv in den ersten sechs Monaten nach dem Wechsel. Bei drei Patienten kam es jedoch zu anderen unerwünschten Ereignissen (allergische Konjunktivitis, Depression, Kopfschmerz und Reizbarkeit), sodass die Switchback-Rate schließlich 8 % betrug [9]. Diese Patienten wurden aus der weiteren Auswertung ausgeschlossen. Es wird über keine signifikanten Änderungen im Serumspiegel nach der Umstellung berichtet. Analysiert man jedoch die tabellarisch publizierten Einzelwerte, stellt man fest, dass 21 der 33 Patienten sechs Monate nach der Umstellung einen höheren Serumspiegel hatten als vor der Umstellung. Da es bei den übrigen 12 umgekehrt war, ergibt sich in der Gesamtgruppe tatsächlich lediglich ein p < 0,13 (t-Test für paarige Stichproben) für einen höheren Serumspiegel nach der Umstellung. Dieser Trend zu einer eher etwas höheren Bioverfügbarkeit erklärt aber, weshalb es eher zu unerwünschten Nebenwirkungen als zu Anfallsrezidiven kam.
Eine kontrollierte Studie verglich 16 Patienten, die vom Originalpräparat auf ein Generikum gewechselt hatten, mit 17 Patienten, die keinen Herstellerwechsel vorgenommen hatten [23]. Dabei zeigte sich keine Verschlechterung der Anfallssituation innerhalb der ersten acht Wochen nach dem „Switch“. Es kam auch nicht zu einem Switchback. Die Autoren betonen jedoch, dass die Studie dem pharmakologischen Nachweis der Bioäquivalenz dienen sollte und nicht geplant wurde, um einen negativen Effekt auf die Anfallsfrequenz auszuschließen. In beiden Behandlungsgruppen nahm während der Beobachtungszeit die Lebensqualität zu und die Angst vor Anfällen ab [20]. Dies wurde auf die engmaschige Betreuung während der Studie zurückgeführt, wodurch möglicherweise auch der Wunsch nach einem Switchback ausblieb.
In einer weiteren Studie wurden 148 Patienten sogar sechs Monate nach dem Switch nachverfolgt [12]. Die Ergebnisse waren uneinheitlich. Während vier von 109 anfallsfreien Patienten (3,7 %) einen Rezidivanfall hatten, wurden acht von 39 Patienten (20,5 %) anfallsfrei. Insgesamt nahm die Anfallsfrequenz bei 4,7 % der Patienten um mehr als 50 % zu, was in fast der Hälfte der Fälle auf Adhärenzprobleme zurückzuführen war. Dagegen hatten 6,8 % der Patienten eine mehr als 50 %ige Reduktion der Anfallsfrequenz. Über unerwünschte Wirkungen wurde nicht berichtet. Offensichtlich war die Folge des Switches individuell sehr unterschiedlich und Adhärenzprobleme in der Folge des Switches spielten eine nicht unwesentliche Rolle.
Die längste Beobachtungszeit hatte mit teilweise bis zu vier Jahren eine Studie aus Italien, in der 125 Patienten mit einem Wechsel auf ein Generikum mit 55 Patienten verglichen wurden, die die Fortsetzung des Originalpräparats gewünscht hatten [28]. Als Generikum wurde eine Formulierung ausgewählt, deren pharmakologische Daten auf eine besonders exakte Bioäquivalenz und in diesem Rahmen eher diskret höhere Bioverfügbarkeit schließen ließen. Rezidivanfälle wurden bei den 80 zuvor anfallsfreien Patienten ebenso wenig beobachtet wie relevante Änderungen in der Anfallsfrequenz bei den übrigen Patienten. 24 % der Patienten unter Monotherapie mit dem Generikum berichteten über unerwünschte Nebenwirkungen. Da es bei den unter Monotherapie auf dem Originalpräparat verbliebenen Patienten sogar 27 % waren, scheint ein Zusammenhang mit dem „Switch“ unwahrscheinlich. Dennoch bleibt festzuhalten, dass acht Patienten unter der Generika-Einnahme wegen Nebenwirkungen die Einnahme beendeten und zwei weitere auf das Original zurückwechselten. Damit scheint es immerhin bei 8 % der Patienten nach dem Switch zu die weitere Therapie beeinflussenden Nebenwirkungen gekommen zu sein.
Oxcarbazepin
Bezüglich Oxcarbazepin erschien eine prospektive Beobachtungsstudie aus Polen [5] über 103 Menschen mit Epilepsie unter einer Therapie mit Oxcarbazepin, von denen 76 vom Originalpräparat auf ein Generikum wechselten, da der Preis für das Originalpräparat kontinuierlich stieg und nicht von den Krankenkassen vollständig ersetzt wurde. Die Entscheidung dazu wurde den Patienten überlassen. Die Beobachtungszeit nach der Entscheidung betrug in der Regel vier Monate. Es gab keinen Switchback. In der Generika-Gruppe befanden sich lediglich 28,9 % in Monotherapie und lediglich 36,8 % waren langfristig anfallsfrei. Bezüglich Anfallsfrequenz und Nebenwirkungen gab es keine signifikante Differenz zwischen der Generika-Gruppe und denjenigen Patienten, die weiterhin das Originalpräparat einnahmen. In der Diskussion wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Studie lediglich eine Power von 9,4 % hatte, einen solchen Effekt nachzuweisen.
Diskussion
Zusammengefasst liegen mit den hier nun neu diskutierten 11 Arbeiten insgesamt 68 Fallserien, Feldstudien, Datenbankanalysen, Umfragen und prospektive Studien zum Generika-Einsatz bei Epilepsie vor. Auf den ersten Blick sind in den vergangenen zwei Jahren weiterhin vermehrt Studien erschienen, die den Einsatz von Generika auch zur Behandlung von Epilepsien als relativ unproblematisch erscheinen lassen. Dem gegenüber steht vor allem die eingangs referierte Datenbankanalyse [16], die auf ein um 30 % erhöhtes Risiko für einen Rezidivanfall nach einem Herstellerwechsel schließen lässt. Es ist fraglich, ob dies allein auf Probleme bei der Medikamentenadhärenz zurückgeführt werden kann. Eine Datenbankanalyse der gleichen Arbeitsgruppe hatte zuvor die Medikamentenadhärenz bei Menschen mit Epilepsie in Deutschland mit dem „Medication Possession Ratio“ (MPR) untersucht [13]. Dabei wird über die Registrierung der ausgestellten Rezepte abgeschätzt, wie groß der Anteil der Tabletten, welche die Patienten vermutlich zu Hause haben, in Bezug auf die verordnete Menge ist. Dabei wird bereits bei einem MPR > 80 % eine ausreichende Adhärenz angenommen. Nun fand sich tatsächlich ein signifikant höherer MPR und ein höherer Anteil von Patienten mit einer MPR > 80 % bei Einnahme eines Originalpräparats als bei Einnahme eines Generikums (83,8 % bzw. 70,3 % vs. 80,9 % bzw. 64,3 %). Allerdings erscheint es in Zusammenschau der beiden Analysen doch fraglich, ob die 6 % mehr Patienten mit schlechter Adhärenz bei Generika-Einnahme das 30 % erhöhte Risiko für einen Rezidivanfall nach Herstellerwechsel ausreichend erklären. Dies müsste eventuell mit einer weiteren Datenbankanalyse gezielt untersucht werden.
Für einen differenzierten Umgang mit der Generika-Frage sind vermutlich die 2017 aktualisierten Empfehlungen der britischen Arzneimittelbehörde hilfreich [18]. Hier wird zwischen drei Risikogruppen unterschieden. In die Gruppe mit hohem Risiko gehören die klassischen Enzyminduktoren Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon. Bei diesen Substanzen wird von einem Herstellerwechsel dringend abgeraten, da trotz leitliniengerechtem Nachweis der Bioäquivalenz klinisch relevante Unterschiede zwischen den verschiedenen Produkten bestehen könnten. Dem gegenüber steht die Gruppe mit niedrigem Risiko, in der mit Gabapentin, Lacosamid, Levetiracetam, Pregabalin und anderen solche Substanzen eingeordnet werden, die bei hoher Löslichkeit eine praktisch vollständige Resorption erfahren und deren Dosis-Wirkungs- bzw. Dosis-Nebenwirkungs-Kurven nicht steil verlaufen. Bei diesen Substanzen wird das Risiko klinisch relevanter Unterschiede zwischen Produkten unterschiedlicher Hersteller als äußerst gering beurteilt. Dennoch sollte man bei einem eventuellen Herstellerwechsel auf patientenbezogene Faktoren achten, womit Faktoren gemeint sind, die die Adhärenz beeinflussen könnten. Alle übrigen Substanzen werden in eine mittlere Kategorie eingeordnet, bei der vor einem Herstellerwechsel die Anfallssituation und etwaige Schwierigkeiten bei der Einstellung zusätzlich bedacht werden sollten. In diese Kategorie fallen insbesondere schlecht lösliche Stoffe, da bei diesen Substanzen die Hilfsstoffe die Resorption beeinflussen können [4].Alle hier oder 2017 [26] zitierten Arbeiten, die die Übertragbarkeit der Bioäquivalenz-Daten aus dem Zulassungsverfahren auf die chronische Behandlungssituation bei Menschen mit Epilepsie nachweisen, beziehen sich mit Gabapentin [29] und Levetiracetam [19] auf Substanzen der Niedrigrisiko-Gruppe oder mit Lamotrigin [3, 21, 27] auf eine Substanz der mittleren Risikogruppe. Uns ist keine Arbeit mit einem ähnlichen Design bekannt, die geeignet wäre, die Bedenken der britischen Arzneimittelbehörde bezüglich der Enzyminduktoren zu relativieren. Zwar gibt es eine aktuelle Analyse der Bioäquivalenz-Studien zu Phenytoin, die unter Berücksichtigung der komplexen Pharmakokinetik dieser Substanz dennoch die Übertragbarkeit der Bioäquivalenzstudiendaten auf die chronische Behandlungssituation behauptet [15]. Dies widerspricht jedoch den umfangreichen 2010 referierten Erfahrungen mit Herstellerwechseln bei Phenytoin [25]. Entsprechend hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) [11] ausdrücklich Phenobarbital, Phenytoin und Primidon und zusätzlich die Retardformulierungen von Carbamazepin und Valproinsäure von der „Aut-idem“-Regel ausgenommen, da auch bei Präparaten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung die Hilfsstoffe die Resorption beeinflussen können [4]. Bei diesen Präparaten soll damit auch nach G-BA kein Herstellerwechsel erfolgen. Zudem ist zu bedenken, dass selbst für Levetiracetam in einer aktuellen Fallserie unerwünschte Ereignisse in der Größenordnung von 10 % beschrieben wurden [6] und in einer weiteren immerhin eine Switchback-Rate von 8 % aufgrund unerwünschter Ereignisse [9]. Tatsächlich wurden in der Vergangenheit ähnlich hohe Switchback-Raten auch für nicht als Antiepileptika eingesetzte Substanzen wie Simvastatin, Pravastatin, Isosorbidmononitrat, Fosinopril und Carvedilol [7, 17] beschrieben. Für Antidepressiva wie Fluoxetin (2,9 %), Citalopram (1,9 %) [1] und Venlafaxin (4,5 %) [7] lagen sie jedoch deutlich niedriger. Für Lamotrigin wurde aktuell eine 2-Jahres-Switchback-Rate von 20 % beschrieben [10]. Dies relativiert die Ergebnisse der oben referierten Arbeiten, auch wenn möglicherweise oft dem hausärztlichen Verzicht auf eine Generika-Substitution der ausdrückliche Patientenwunsch zugrunde liegt [2].
Schlussfolgerungen für die Praxis
Noch im Jahr 2018 wies eine Datenbankanalyse [16] auf ein um 30 % erhöhtes Risiko für Rezidivanfälle nach einem Herstellerwechsel hin, welches sich nicht sicher durch die in einer anderen Datenbankanalyse [13] nachgewiesene etwas niedrigere Adhärenz bei Generika-Einnahme vollständig erklären lässt. Schon aus rein pharmakologischer/pharmazeutischer Sicht ist ein Herstellerwechsel bei enzyminduzierenden Antiepileptika zu vermeiden. Ansonsten sollte insbesondere bei schwer einstellbaren Patienten und solchen, bei denen ein Anfallsrezidiv schwere sozialmedizinische oder gesundheitliche Folgen haben könnte, vor einem Herstellerwechsel eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Ist ein Herstellerwechsel unvermeidlich, sollte versucht werden, auf ein Präparat mit den gleichen Zusatzstoffen umzusetzen. Bedauerlicherweise erscheint es in Deutschland nicht möglich, dies auf der Basis der Kenntnis der europäischen Zulassungsdossier-Nummern zu tun. Jedenfalls bekäme so auch der Patient das Gefühl, ein speziell für ihn ausgewähltes Präparat zu erhalten. Grundsätzlich sollten bei einer Antiepileptika-Verordnung Adhärenz-stützende Interventionen erfolgen. Dies ist bei einem Herstellerwechsel sicher besonders wichtig.
Danksagung
Wir danken Herrn Prof. Dr. Niels Eckstein, Hochschule Kaiserslautern, für wertvolle Hinweise und Ratschläge.
Interessenkonflikterklärung
J. Rösche hat Vortragshonorare von Eisai erhalten. J. Bösel hat Vortragshonorare und Reisekostenunterstützung von Bard, Zoll, Medtronic und Boehringer Ingelheim erhalten sowie den PCORI Award für die Leitung der SETPOINT2-Studie. M. Höckel hat keine Interessenkonflikte.
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Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Johannes Rösche, Klinik für Neurologie, Klinikum Kassel, Mönchebergstraße 41–43, 34125 Kassel und Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock, Gehlsheimer Straße 20, 18147 Rostock, E-Mail: johannes.roesche@med.uni-rostock.de
Michael Höckel, Gesundheit Nordhessen, Zentralbereich Apotheke, Mönchebergstraße 41–43, 34125 Kassel, E-Mail: michael.hoeckel@gnh.net
Prof. Dr. med. Julian Bösel, Klinik für Neurologie, Klinikum Kassel, Mönchebergstraße 41–43, 34125 Kassel, E-Mail: julian.boesel@klinikum-kassel.de
The use of generic drugs in the treatment of epilepsy – a narrative review concerning studies from 2017 onwards
In addition to 56 studies reviewed in former issues of this journal 11 other studies concerning the use of generics in patients with epilepsy appeared since 2017. A data bank analysis provided an increase of the risk for a seizure relapse after a switch between generics of about 30 %. Other studies showed that data of the bioequivalence studies in normal volunteers may be transferred to the chronic application in patients with epilepsy at least for gabapentin, lamotrigine and levetiracetam. This is probably not the case for enzyme-inducing drugs. In the case of switching the manufacturer of antiepileptic drugs problems of adherence should be addressed. But they do not explain all problems that have been reported with the use of generics in the treatment of epilepsy.
Key words: Seizure relapse, switch, overdose, adherence
Psychopharmakotherapie 2020; 27(04):188-194