Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
In der Behandlung der Alkoholabhängigkeit stehen neben psychosozialen und psychotherapeutischen Interventionen auch mehrere medikamentöse Therapien zur Verfügung. Vier Substanzen sind derzeit in dieser Indikation zugelassen: die beiden Opioid-Antagonisten Naltrexon und Nalmefen, der Glutamat-Antagonist Acamprostat sowie das alkoholaversiv wirkende Disulfiram.
In Placebo-kontrollierten Studien haben diese Medikamente ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt, in der klinischen Praxis stoßen sie allerdings doch oft an ihre Grenzen. So ist Disulfiram aufgrund seines Sicherheitsprofils nur für Patienten mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen geeignet, die dann auch nach Einnahme des Medikaments wirklich abstinent bleiben können. Naltrexon, Nalmefen und Acamprostat sind sicher, aber der Behandlungserfolg variiert sehr stark.
Große Hoffnungen ruhen spätestens seit dem Selbsterfahrungsbericht des französischen Arztes Olivier Ameisen auf Baclofen, einem Agonisten an GABAB-Rezeptoren. Zur Behandlung seiner Alkoholsucht titrierte Ameisen die ursprünglich als Muskelrelaxans für neurologisch bedingte Spastizität entwickelte Substanz von 30 mg/Tag auf 270 mg/Tag und stellte daraufhin eine komplette Suppression des Alkoholcravings fest. Fallberichte und offene Studien bestätigten einen solchen Effekt, die Ergebnisse von kontrollierten Studien sind dagegen widersprüchlich.
Vor allem in Frankreich wird Baclofen häufig zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit verordnet. Das Sicherheitsprofil ist bei niedrigen Dosen gut – am häufigsten kommen Sedierung, Somnolenz, Schwäche und Schwindel vor. Allerdings stiegen in den letzten Jahren die Fälle von akzidentiellen oder in suizidaler Absicht erfolgten Baclofen-Überdosierungen. Eine Metaanalyse sollte nun Klarheit über Wirksamkeit und Sicherheit von Baclofen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit in Hinblick auf Abstinenzerhalt bzw. Reduktion des Alkoholkonsums bringen.
Methodik
In Datenbanken wie Medline, Embase sowie dem spezifischen Cochrane Drugs and Alcohol Specialised Register wurde nach randomisierten kontrollierten Studien gesucht, in denen über eine Mindestbehandlungszeit von vier Wochen und mit einer Mindeststudienzeit von zwölf Wochen die Wirksamkeit und Sicherheit von Baclofen im Vergleich zu Placebo oder anderen Vergleichsinterventionen in der Indikation Rückfallprävention bei Patienten mit Alkoholabusus bzw. Alkoholabhängigkeit untersucht worden war. Die identifizierten Studien wurden dann entsprechend den methodischen Cochrane-Metaanalysen-Standards zusammengefasst.
Ergebnisse
Einbezogen in die Analyse waren insgesamt 12 randomisierte kontrollierte Studien mit 1128 Teilnehmern mit der Diagnose Alkoholabhängigkeit entsprechend den DSM-IV- bzw. ICD-10-Kriterien, die aktuell tranken. Das Durchschnittsalter lag bei 48 Jahren, die Vergleichsinterventionen bestanden überwiegend in einer Placebo-Gabe, in einer Studie wurde Baclofen gegen Acamprostat getestet. Meist erhielten alle Teilnehmer zusätzlich eine psychosoziale Behandlung bzw. Beratung unterschiedlicher Intensität. Die Baclofen-Dosis lag zwischen 10 mg/Tag und 150 mg/Tag.
Bei den primären Studienzielen Rückfall/Wiederaufnahme des Trinkens, Trinkhäufigkeit gemessen an den Abstinenztagen und Trinkschwere gemessen an den Tagen mit heftigem Trinken bestanden zwischen den Baclofen- und Kontrollgruppen ebenso wenig statistisch signifikante Unterschiede wie bei der Drop-out-Rate. Das Gleiche galt für sekundäre Endpunkte wie Craving. Hinweise, dass Patienten unter Baclofen ihre Trinkmenge steigerten, fanden die Cochrane-Autoren nicht. Allerdings erhöhte sich in drei Studien mit 387 Patienten die Depressivität unter dem Interventionsmedikament.
Als Baclofen-spezifische Nebenwirkungen wurden Schwindel, Somnolenz/Sedierung sowie Muskelspasmen/Rigidität ermittelt. In der Vergleichsstudie Baclofen vs. Acamprostat ergaben sich höhere Cravingraten unter dem GABAB-Agonisten im Vergleich zu dem Glutamat-Antagonisten.
Fazit der Autoren
Eine zusammenfassende Auswertung von 12 kontrollierten Studien lieferte keine Hinweise auf eine über dem Placebo-Effekt liegenden Wirksamkeit von Baclofen bei Patienten mit akuter Alkoholkrankheit. Eine Empfehlung für Baclofen als Erstlinientherapeutikum kann daher zurzeit nicht gegeben werden.
Insgesamt war die Heterogenität der Studien allerdings hoch, in fast allen Studien hatten die Teilnehmer zusätzlich psychosoziale Unterstützung erhalten. In einigen Studien fanden sich einige ermutigende Resultate, die durchaus zu weiteren Untersuchungen von Baclofen in dieser Indikation anregen, resümieren die Cochrane-Autoren.
Quelle
Minozzi S, et al. Baclofen for alcohol use disorder (Review). Cochrane Database Syst Rev 2018;11:CD012 557.
Psychopharmakotherapie 2019; 26(03):165-173