Neuromuskuläre Erkrankungen

Mexiletin zur Behandlung der nichtdystrophen Myotonie


Dr. Jasmine Thibaut, Stuttgart

Nichtdystrophe Myotonien sind seltene Erkrankungen, die durch Mutation der Skelettmuskelkanalgene verursacht werden. Eine durch Mexiletin induzierte Natriumkanalblockade verringerte die Myotonie in früheren kleinen Studien. Die Ergebnisse dieses aggregierten (N = 1)-Studiendesigns von Mexiletin bestätigen eine Reduktion der mittleren täglich selbstberichteten Muskelsteifheit gegenüber Placebo.

Bei den nichtdystrophen Myotonien handelt es sich um eine seltene chronische Erkrankung, die durch Mutation des Natriumionen- (SCN4A) und des Chloridionen- (CLCN1) Skelettmuskel-Kanalgens verursacht wird. In Europa sind etwa 7 500 Menschen betroffen [1]. Hauptsymptom ist die Myotonie, eine verzögerte Muskelrelaxation nach willentlicher Kontraktion, was eine Muskelsteifheit zur Folge hat. Die Patienten haben Schmerzen und die Lebensqualität kann stark eingeschränkt sein [1].

Mexiletin ist ein Antiarrhythmikum der Klasse Ib und blockiert Natriumkanäle mit einer stärkeren Potenz im erkrankten Gewebe als bei physiologischer Erregbarkeit (ruhender oder tonischer Block); daher wirkt es vor allem auf Muskelfasern, die wiederholten Entladungen ausgesetzt sind (z. B. Skelettmuskeln) [3]. Es verbessert die Myotonie-Symptome durch Verringerung der Muskelsteifheit, indem die Verzögerung der Muskelentspannung reduziert wird [3]. Mexiletin (Mexitil®) war als Antiarrhythmikum zugelassen und wurde vor einigen Jahren wieder vom deutschen Markt genommen [1]. Seit Dezember 2018 ist Mexiletin (Namuscla®) als Orphan-Drug zur symptomatischen Behandlung der Myotonien bei Erwachsenen mit nichtdystrophen Myotonien in Europa zugelassen [2].

In einer zwischen 2008 und 2011 durchgeführten randomisierten kontrollierten Cross-over-Studie mit 59 Patienten konnte durch eine vierwöchige Behandlung mit Mexiletin die selbstberichtete Muskelsteifheit im Vergleich zu einer Behandlung mit Placebo in denselben Patienten verbessert werden [4]. Da kleine Patientenzahlen und klinische Heterogenität die Untersuchungen zur Wirksamkeit eines Arzneimittels bei seltenen Erkrankungen erschweren, sind innovative Studiendesigns notwendig, um neue Behandlungsansätze bei seltenen Erkrankungen bewerten zu können. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob ein aggregiertes (N = 1)-Studiendesign (Kasten) die Wirksamkeit von Mexiletin bei nichtdystrophen Myotonien belegen kann und inwieweit die Ergebnisse mit denen der zuvor durchgeführten doppelblinden randomisierten klinischen Studie (RCT) [4] vergleichbar sind (Tab. 1).

(N = 1)-Studiendesign [6]

  • Patient dient als eigene Kontrolle
  • Randomisiert, doppelblind
  • Multiple Behandlungssequenzen (z. B. Verum vs. Placebo während definierter Zeiteinheiten in einem Patienten)
  • Ideal für stabile chronische Erkrankungen
  • Ideal bei Arzneimitteln, deren Wirkung bei Ansetzen schnell einsetzt und bei Absetzen schnell nachlässt

Tab. 1. Studiendesign [nach Stunnenberg et al. 2018]

Erkrankung

Nichtdystrophe Myotonien

Studienziel

Kann ein aggregiertes (N = 1)-Studiendesign die Wirksamkeit von Mexiletin bei nichtdystrophen Myotonien belegen und sind die Ergebnisse mit denen einer zuvor durchgeführten RCT vergleichbar?

Studientyp/Design

Aggregiertes, doppelblindes, randomisiertes Placebo-kontrolliertes (N = 1)-Studiendesign

Eingeschlossene Patienten

30

Intervention

Mexiletin (200 mg/3-mal täglich) vs. Placebo in multiplen Behandlungssequenzen pro Patient

Primärer Endpunkt

Täglich selbstberichteter Muskelsteifheits-Score

Studienregisternummer

NCT 02045667

(ClinicalTrials.gov)

Ergebnisse

Von den 30 eingeschlossenen Patienten schlossen 27 Patienten die Studie ab. Bei 24 von 27 Patienten wurde ein klinisch relevanter Behandlungseffekt beobachtet. Bei Einschluss lag der mediane Gesamt-Muskelsteifheitsscore bei 6,08 Punkten (Skala von 1 = minimal bis 9 = schlimmste jemals empfundene Muskelsteifheit) [5]). Unter Mexiletin lag der Score bei 2,50 Punkten und unter Placebo bei 5,56 Punkten. Die Differenz der Symptomreduktion betrug 3,06 Punkte zugunsten von Mexiletin. Gastrointestinales Unwohlsein war die häufigste unerwünschte Arzneimittelwirkung (21-mal unter Mexiletin [70 %] vs. 1-mal unter Placebo [30 %]). Ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis, eine allergische Hautreaktion, trat unter Mexiletin auf (30 %).

Fazit der Studienautoren

Die Ergebnisse dieser Serie von (N = 1)-Studien von Mexiletin gegenüber Placebo bei Patienten mit nichtdystrophen Myotonien sind mit den Ergebnissen einer zuvor durchgeführten randomisierten, kontrollierten Studie vergleichbar. Sie zeigen eine Reduktion der mittleren täglich selbstberichteten Muskelsteifheit. Die Studienautoren resümieren, dass die Ergebnisse die Wirksamkeit von Mexiletin zur Behandlung von nichtdystrophen Myotonien bestätigen. Zudem stellen sie fest, dass die Durchführbarkeit von aggregierten (N = 1)-Studien bei manchen seltenen chronischen Erkrankungen möglich ist.

Quelle

Stunnenberg, BC, et al. Effect of mexiletine on muscle stiffness in patients with nondystrophic myotonia evaluated using aggregated N-of-1 trials. JAMA 2018;320:2344–53.

Literatur

1. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98644/EMA-Mexiletin-zur-Behandlung-der-nichtdystrophischen-Myotonie (Zugriff am 20.03.2019).

2. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/namuscla#authorisation-details-section (Zugriff am 01.04.2019).

3. Fachinformation Namuscla®, Stand Dezember 2018.

4. Statland JM, et al. Mexiletin for symptoms and signs of myotonia in nondystrophic myotoniaJAMA 2012;308:1357–65.

5. Statland JM, et al. An interactive voice response diary for patients with nondystrophic myotonia. Muscle Nerve 2011;44:30–5.

6. Vohra, S, et al. CONSORT extension for reporting N-of-1 trials (CENT) 2015 Statement. BMJ 2015 May 14;350:h1738.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(03):165-173