Multiple Sklerose

Progressive multifokale Leukenzephalopathie durch Fingolimod sehr selten


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Seit der Zulassung von Fingolimod zur Behandlung der multiplen Sklerose wurden bis August 2017 mehr als 217 000 Patienten weltweit in klinischen Studien und in der klinischen Praxis mit Fingolimod behandelt. In diesem Zeitraum wurden 15 Patienten mit einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) identifiziert. Dies entspricht einem Risiko von < 1 : 10 000, unter Fingolimod eine PML zu entwickeln.

Zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose (MS) steht eine Vielzahl immunsuppressiv wirkender Therapeutika zur Verfügung. Bei einem Teil der Substanzen wurden Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) beschrieben. Dies ist eine seltene opportunistische Infektion des zentralen Nervensystems, die durch eine Reaktivierung latenter JC-Viren bedingt ist. Im Jahr 2005 wurden die ersten PML-Fälle bei Behandlung von multipler Sklerose oder von Morbus Crohn mit Natalizumab (Tysabri®) beschrieben. Bis August 2017 waren bei MS-Patienten 749 bestätigte PML-Fälle unter Natalizumab und fünf Fälle mit Dimethylfumarat (Tecfidera®) berichtet worden.

Fingolimod (Gilenya®) ist ein Sphingosin-1-phosphat-Rezeptor-Modulator, der die Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus Lymphknoten reduziert und die Infiltration autoaggressiver Zellen in das zentrale Nervensystem blockiert. In der Sicherheitsdatenbank von Novartis wurden bis zum August 2017 15 Fälle einer PML unter Fingolimod-Behandlung erfasst. Davon wurden 14 Patienten länger als zwei Jahre mit Fingolimod behandelt. Zwei Patienten hatten zuvor Natalizumab erhalten. Die klinischen Charakteristika der PML unterschieden sich bei den Fällen, die unter Fingolimod auftraten, nicht von denen die unter Natalizumab beschrieben worden waren. Geht man davon aus, dass im Rahmen von Studien und nach der Zulassung etwa 217 000 Patienten weltweit mit Fingolimod wegen multipler Sklerose behandelt worden sind, beträgt das Risiko einer PML 0,069 pro 1000 Patienten und die geschätzte Inzidenzrate 3,12 pro 100 000 Patientenjahre.

  • Kommentar

Unter immunsuppressiver Therapie kann es in seltenen Fällen zur Aktivierung von latent vorhandenen JC-Viren im Gehirn kommen, was zu einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie führt. Diese Therapiekomplikation ist allerdings unter Natalizumab deutlich häufiger als unter Fingolimod. Die Diagnose kann bei Verschlechterung einer bestehenden neurologischen Symptomatik am besten durch die Kernspintomographie mit Kontrastmittel gesichert werden. Bei Absetzen des Immunsuppressivums kann es dann zu einem immunologischen Rekonstitutionssyndrom mit schwerwiegenden Komplikationen kommen. Das extrem seltene Auftreten einer PML unter Fingolimod rechtfertigt nicht, bei diesen Patienten, regelmäßige MR-Kontrollen durchzuführen, wie es bei Natalizumab vorgeschrieben ist.

Quelle

Berger JR, et al. Progressive multifocal leukoencephalopathy after fingolimod treatment. Neurology 2018;90:e1815–e21.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(05):263-276