Cannabiskonsum

Auswirkungen auf geistige Leistungsfähigkeit gering und reversibel


Dr. Mathias Schneider, Stuttgart

Jugendliche und junge Erwachsene, die Cannabis konsumieren, weisen zwar signifikant, aber nur geringfügig schlechtere kognitive Fähigkeiten auf. Eine längere Abstinenzzeit scheint den negativen Effekt wieder rückgängig zu machen. Das ergab eine Metaanalyse von 69 Studien.

Im März 2017 trat das sogenannte Cannabis-Gesetz in Kraft. Gesetzlich Versicherte haben dadurch nun die Möglichkeit, medizinisches Cannabis und Cannabisprodukte auf Kassenrezept zu erhalten. Voraussetzung ist, dass andere therapeutische Alternativen nicht zur Verfügung stehen oder diese mit nicht tolerierbaren Nachteilen einhergehen. Nicht erst seitdem werden die Vor- und Nachteile des Cannabiskonsums in den Medien und der Wissenschaft diskutiert. Neben möglichen positiven Wirkungen z. B. in der Schmerztherapie stehen auch negative Effekte wie die Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit im Fokus. Besonders negativ soll sich der Cannabiskonsum auswirken, wenn bereits in der Jugend damit begonnen wurde, da in dieser Zeit kritische Entwicklungsprozesse im Gehirn stattfinden.

Wohl unbestreitbar beeinträchtigt Cannabis während der akuten Intoxikation, also im Rauschzustand, die Denkleistung. Ob die Schäden auch nach längerer Abstinenzperiode bestehen bleiben, ist allerdings immer noch unklar. Zwar deuten einige Studien einen Zusammenhang zwischen chronischem Cannabiskonsum und nachlassenden kognitiven Eigenschaften wie Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung an, jedoch sind die Ergebnisse sehr inkonsistent und von vielfältigen Variablen beeinflusst – darunter auch die Abstinenzzeit.

Studiendesign

Um den Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit und exzessivem Cannabiskonsum zu evaluieren, untersuchte das Team um Scott et al. die bisher erschienenen Studien in einer Metaanalyse. Eingeschlossen wurden Beobachtungsstudien

  • mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Durchschnittsalter 26 Jahre oder jünger)
  • mit problematischem Cannabiskonsum als festgelegtem Hauptkriterium,
  • mit mindestens einem standardisierten neurokognitiven Test und
  • mit einer angemessenen Vergleichsgruppe.

Da sich Cannabis auf die einzelnen kognitiven Leistungsfelder unterschiedlich auswirkt, unterschieden die Autoren bei der Auswertung zwischen den Effekten auf die einzelnen Domänen Aufmerksamkeit, Lernen, Erinnerungsvermögen, Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, Sprache, räumliche Wahrnehmung, motorische Fähigkeiten und exekutive Funktionen. Letztere wurde noch mal in die Felder kognitive Flexibilität, Arbeitsgedächtnis und Reaktionshemmung unterteilt. Die in den Studien über Tests ermittelten Ergebnisse wurden für die Metaanalyse in standardisierte mittlere Differenzen (d) umgewandelt, wobei die Scores so angepasst wurden, dass negative Werte eine Verschlechterung unter Cannabis beschreiben.

Ergebnisse

69 Studien, die zwischen 1973 und 2017 veröffentlicht wurden, entsprachen den Kriterien. Insgesamt 8727 Teilnehmer, davon 2152 Cannabiskonsumenten und 6575 Menschen mit geringem oder keinem Konsum, waren in die Studien eingeschlossen. Die Cannabiskonsumenten waren im Schnitt 20,6 Jahre alt und hatten durchschnittlich im Alter von 15,2 Jahren mit dem Konsum begonnen. Bei den Nicht-Konsumenten lag das Alter im Mittel bei 20,8 Jahren. 22 Studien forderten keine Abstinenz oder legten keine Kriterien fest, 32 Studien hatten eine Abstinenzdauer zwischen einer und 72 Stunden, 15 Studien forderten mehr als 72 Stunden.

Signifikante Defizite durch Cannabiskonsum fanden sich bei den Domänen Lernen, Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen und den exekutiven Funktionen. Auch die Domänen Sprache, räumliche Wahrnehmung und motorische Fähigkeiten waren bei Cannabiskonsumenten gegenüber Nicht-Konsumenten beeinträchtigt – allerdings nicht signifikant (Abb. 1). Die Auswertung des Gesamteffekts nach Abstinenzzeit ergab in den Gruppen ohne Abstinenz und mit einer Abstinenzzeit kleiner als 72 Stunden ebenfalls eine signifikante Verschlechterung durch Cannabiskonsum. Nach einer Abstinenz über 72 Stunden war das Defizit gegenüber den Nicht-Konsumenten deutlich geringer und zudem nicht mehr signifikant (Abb. 2). Das Alter bei Konsumbeginn hatte keinen Einfluss auf das Ergebnis.

Abb.1. Effekt des Cannabiskonsums auf die einzelnen kognitiven Domänen. Die in den Studien verwendeten Scores wurden zu einer mittleren Differenz zusammengefasst.

Abb. 2. Abhängigkeit der Cannabiswirkung auf die kognitive Leistung von der Abstinenzzeit

Schlussfolgerung der Studienautoren

Auch in dieser Analyse zeigten sich negative Einflüsse des Cannabiskonsums auf einzelne kognitive Fähigkeiten. Die Autoren der Studie weisen allerdings darauf hin, dass die gefundenen Differenzen sehr gering waren (d-Werte zwischen –0,33 und –0,21). Die klinischen Auswirkungen seien daher sehr fragwürdig. Im Gegensatz zu früheren Studien wurde kein Zusammenhang zwischen frühem Konsumbeginn und negativen Auswirkungen auf die geistige Leistung gefunden. Hervorzuheben sei die Erkenntnis, dass das Ausmaß des Einflusses mit zunehmender Abstinenzzeit geringer wurde. Dies deute darauf hin, dass die in früheren Studien gefundenen negativen Effekte auf Restwirkungen des akuten Konsums oder auf Rückfällen beruhen könnten. Ob durch längere Abstinenz die geistige Fähigkeit wieder hergestellt werden kann, müsste in größeren longitudinalen Studien untersucht werden. Zudem sollte in zukünftigen Studien auch die individuelle Anfälligkeit für Cannabis-Effekte untersucht werden.

Quelle

Scott JC, et al. Association of cannabis with cognitive functioning in adolescents and young adults, a systematic review and meta-analysis. JAMA Psychiatry published online April 18, 2018. doi:10.1001/jamapsychiatry.2018.0335

Psychopharmakotherapie 2018; 25(04):219-228