… was man über die Psychopharmakologie wissen sollte


Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim

Die derzeit gültige Musterweiterbildungsordnung 2015 der Bundesärztekammer fordert für das Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie unter anderem den „Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten ... in der gebietsbezogenen Arzneimitteltherapie einschließlich Drug-Monitoring, der Erkennung und Verhütung unerwünschter Therapieeffekte sowie der Probleme der Mehrfachverordnungen und der Risiken des Arzneimittelmissbrauchs“ und für die „fachgebundene Psychotherapie“ (integraler Bestandteil der Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie und psychosomatische Medizin und Psychotherapie) eine „theoretische Weiterbildung von 120 Stunden“ unter anderem in Psychopharmakologie. Eine weitergehende Differenzierung zu „Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten“ in der Psychopharmakologie zwischen „gebietsbezogener Arzneimitteltherapie“ und „fachgebundener Psychotherapie“ ist nicht erkennbar. Beide Berufsgruppen verordnen Psychopharmaka. Etwa 35% der Psychopharmaka aber werden von Allgemeinärzten verordnet, was die Musterweiterbildungsordnung nachhaltig ignoriert. Die Herausgeber Profs. G. Laux und W. Müller starten in dieser Ausgabe der PPT die Herkules-Aufgabe – immerhin werden Weiterbildungsstandards definiert, an denen sich jeder Leser prüfen kann – darzulegen, was man mindestens über die Psychopharmakologie wissen sollte.

G. Hajak et al. lenken die Aufmerksamkeit auf die frühe Besserung der Anhedonie bei Depression als Prädiktor für die antidepressive Response. Dies ist ein Beitrag zur Debatte, wie lange mit einem Antidepressivum behandelt werden sollte, bis ein Therapiewechsel stattfinden sollte.

S. Ulrich et al. legen die erste Metaanalyse zu Tranylcypromin bei Depressionen vor. Tranylcypromin ist zwar betagt und hat nur einen Anteil von 0,2% (im Jahr 2015) an den verordneten Tagesdosen von Antidepressiva (0,5% der Umsätze), seine Wirksamkeit ist aber angesichts seines Alters erstaunlich gut belegt, sogar bei therapierefraktärer Depression.

Das Cotard-Syndrom zu erleben, ist zutiefst erschütternd. R. Kozian und U. Polzer beobachteten dieses Syndrom im Rahmen einer langjährigen Schizophrenie mit komorbider Demenz, was seine strenge Bindung an affektive Störungen bezweifeln lässt.

F. Krummenauer et al. rufen an einem Beispiel aus dem AMSP-Projekt die schwerwiegenden Risiken einer Therapie mit Benzodiazepinen bei somatischer Komorbidität – hier fortgeschrittener chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) – in Erinnerung. Eine wichtige Information, wenn man bedenkt, dass gemäß der BOLD-Studie (Burden of obstructive lung disease) etwa 1% der über 40-Jährigen unter fortgeschrittener COPD leiden.

H. Petri setzt seine bewährte Serie mit einem Beitrag zu den CYP450-Wechselwirkungen fort. Die Endothelin-Rezeptorantagonisten exemplifizieren erneut die Komplexität der Interaktionen. Diese bei jeder Verordnung im Kopf zu haben, dürfte schwerfallen. Ob dieser Komplexität das Ampelsystem in den Arzneimitteldatenbanken der Praxis-Verwaltungssysteme (wenn denn genutzt) gerecht wird, wäre wert zu prüfen.

Die Aufmerksamkeit sei auch auf die Berichte in der Rubrik „Referiert & kommentiert“ gelenkt: Bei multipler Sklerose muss Fatigue in die Therapiesteuerung einbezogen werden. Der Nutzen von Cholesterin-Synthesehemmern – hier Simvastatin – bei MS scheint wenig relevant zu sein. Angesichts der Epidemie von Missbrauch und Abhängigkeit von Opioiden in den USA, die den dortigen Präsidenten zur Deklaration eines ansonsten gehaltfreien Notstands bewegt hat, sollte jedenfalls bei polyneuropathischem Schmerz die Indikation streng gestellt werden. Exenatid – als Analogon des Glucagon-like-Peptid 1 (GLP-1) in der Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt – könnte neue Möglichkeiten zur Verlangsamung der Progression der Parkinson-Krankheit eröffnen.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(06):247-247