Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Angstsymptome verschlechtern die Prognose depressiver Patienten indem sie die Besserung und Remission bei einer Behandlung verzögern und die Erfolgsraten senken. Diese zusätzliche Verschlechterung der Lebensqualität durch Angst hat die Autoren des aktuellen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) bewogen, eine Zusatzkodierung für ängstlichen Leidensdruck einzuführen. Danach liegt eine solche Spezifikation vor, wenn wenigstens zwei der folgenden fünf Merkmale die meiste Zeit über vorliegen: innere Anspannung, Ruhelosigkeit, Sorgen-bedingte Konzentrationsstörungen, Erwartung schrecklicher Ereignisse und Furcht vor Kontrollverlust.
Studien mit Aripiprazol und Quetiapin haben gezeigt, dass eine Augmentation mit einem Antipsychotikum eine wirksame Behandlungsstrategie bei Depression mit Angstsymptomen ist. Die Autoren der vorliegenden Arbeit haben nun eine Post-hoc-Analyse zweier doppelblinder Placebo-kontrollierter Phase-III-Studien mit ähnlichem Design durchgeführt, in denen eine antidepressive Behandlung mit Brexpiprazol augmentiert wurde. Die Substanz wurde 2015 in den USA zur Behandlung der Schizophrenie und als Zusatztherapie bei einer Depression zugelassen. Die europäische Zulassung wurde im Frühjahr 2017 beantragt. Brexpiprazol ist ein partieller Agonist des Serotonin-5-HT1A- und des Dopamin-D2-Rezeptors. Die intrinsische Aktivität am D2-Rezeptor ist geringer und die antagonistische Wirkung am 5-HT2A-Rezeptor größer als die von Aripiprazol. Das könnte zu einem verringerten Auftreten unerwünschter Wirkungen wie Akathisie, Insomnie, Unruhe und Übelkeit führen. Ziel der vorliegenden Post-hoc-Analyse war die Beurteilung der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Brexpiprazol im Vergleich zu Placebo als Zusatztherapie einer antidepressiven Behandlung von Patienten mit und ohne belastende Angstsymptome nach DSM-5.
Methoden
Beide zugrunde liegenden Studien waren in drei Abschnitte gegliedert: eine Screening-Phase (7 bis 28 Tage), eine einfach blinde prospektive Phase (8 Wochen) und eine doppelblinde, randomisierte Behandlungsphase (6 Wochen). Die Diagnose wurde nach den Kriterien des DSM-IV-TR gestellt. Eingeschlossen wurden Patienten mit einer einzelnen oder rezidivierenden Episode einer Major Depression ohne psychotische Merkmale von einer Mindestdauer von acht Wochen. In der prospektiven Phase erfolgte die Behandlung mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Duloxetin, Venlafaxin). Die Patienten waren geeignet für den Einschluss in die Doppelblindphase, wenn sie in der prospektiven Behandlungsphase eine inadäquate Response zeigten: HAMD-17-Gesamtscore ≥14, <50% Reduktion des HAMD-17-Gesamtscores, eine Reduktion des MADRS-Scores von <50% zwischen Start der prospektiven Phase und jeder Visite sowie einen Score von ≥3 auf der Clinical Global Impression Scale, Teil Verbesserung (CGI-I).
Randomisiert erhielten die Patienten jeweils zusätzlich zum bestehenden Antidepressivum
- in der ersten Studie täglich 2 mg Brexpiprazol oder Placebo (1:1) und
- in der zweiten Studie täglich 1 mg oder 3 mg Brexpiprazol oder Placebo (1:1:1).
Die Beurteilung der Wirksamkeit wurde mithilfe folgender Skalen vorgenommen: MADRS, Inventory of Depressive Symptomatology – Self-Report (IDS-SR), Sheehan Disability Scale (SDS) und HAMD-17.
Da in den Studien die Spezifikationsmerkmale für den Leidensdruck durch Angstsymptome nach DSM-5 nicht beurteilt wurden, verwendeten die Autoren der Post-hoc-Analyse zur Identifizierung dieser Patienten entsprechende Items in den Ratingskalen:
- für innere Anspannung nach DSM-5: MADRS-Item 3 (innere Anspannung) ≥3
- für Ruhelosigkeit: IDS, Item 24 (Gefühl der Ruhelosigkeit) ≥2
- für Konzentrationsstörung wegen Sorgen: MADRS-Item 6 (Konzentrationsstörungen) ≥3
- für Erwartung schrecklicher Ereignisse: HAMD-17, Item 10 (psychische Angst) ≥3
Für das Merkmal Furcht vor Kontrollverlust wurde kein Item gefunden. So wurde festgelegt, dass Patienten unter Angstsymptomen litten, wenn zwei von vier DSM-5-Merkmalen vorlagen (statt 2 von 5).
Zur Beurteilung der Verträglichkeit wurden unter anderem unerwünschte und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse registriert.
Ergebnisse
In beiden Studien zusammen wurden 989 Patienten randomisiert. Bei 550 Patienten trafen die DSM-5-Kriterien für einen Leidensdruck durch Angstsymptome zu. Bei Einschluss waren diese stärker erkrankt als diejenigen ohne Belastung durch Angstsymptome, zu erkennen an einem höheren Gesamtscore auf der MADRS-, HAMD-17-, SDS- und IDS-SR-Scale.
Wirksamkeit: Bei Patienten mit Leidensdruck durch Angstsymptome besserte sich die Depression durch zusätzliche Gabe von 2 mg und 3 mg Brexpiprazol signifikant stärker als unter Placebo (p=0,0023, bzw. p=0,0027; Abb. 1).
Abb. 1. Mittlere Änderung des Gesamtscores der Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS) bei Patienten mit therapieresistenter Depression und Leidensdruck durch Angstsymptome. Alle Patienten erhielten auch ein Antidepressivum. Mittelwerte mit Standardabweichungen; * p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001 (vs. Placebo) [nach McIntyre et al., 2016]
Auch bei Patienten ohne diesen Leidensdruck besserten sich die Symptome im Vergleich zu Placebo mit zusätzlichem Brexpiprazol signifikant (1 mg: p=0,0093; 3 mg: p=0,0131).
Die jeweiligen MADRS-Items, insbesondere die Schlüsselsymptome wie offensichtliche und berichtete Traurigkeit, innere Anspannung und Unfähigkeit zu fühlen, verbesserten sich bei Patienten mit Angst-Stress unter zusätzlichem Brexpiprazol mehr als unter zusätzlichem Placebo. Auch bei unbelasteten Patienten verbesserten sich die meisten MADRS-Items. Keine Unterschiede zeigten sich bei durch Sorgen bedingten Konzentrationsstörungen und den übrigen Angstmarkern nach DSM-5.
Verträglichkeit: Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (≥5% und doppelt so hoch wie unter Placebo) waren bei Patienten mit Angstbelastung Akathisie, Gewichtszunahme und Somnolenz, bei Patienten ohne Belastung Akathisie und Gewichtszunahme. Die Häufigkeit des Auftretens von Akathisie war dosisabhängig und unterschied sich bei den beiden Patientengruppen nicht (3,4 bis 12,9% der Patienten). Eine Zunahme des Gewichts um ≥7% vom Einschluss bis Endpunkt wurde bei 4,8% der Patienten mit Angstbelastung und 3,4% der Patienten ohne Belastung gefunden. Die Autoren sehen die Ergebnisse ihrer Auswertung als empirische Basis für weitere Untersuchung bei Patienten, die die DSM-5-Kriterien für eine Belastung durch Angstsymptome erfüllen.
Kommentar
Die beiden früheren Studien belegen, dass bei schwer therapierbaren depressiven Patienten eine Verbesserung durch eine Zusatztherapie mit Brexpiprazol erreicht werden kann. Ähnliche Ergebnisse waren zuvor in Studien mit Aripiprazol und Quetiapin erzielt worden. Die vorliegende Post-hoc-Analyse zeigt darüber hinaus, dass bestimmte Patienten, die aufgrund einer zusätzlichen Belastung durch Angstsymptome nach DSM-5 schwerer erkrankt sind, von der Zusatzbehandlung mit Brexpiprazol ebenfalls profitieren. Allerdings verbessern sich nicht alle für die DSM-5-Spezifizierung definierten Angstsymptome. Vielmehr bessern sich depressive Symptome in den angstbelasteten und nicht belasteten Patienten ähnlich. Daraus kann man ableiten, dass Brexpiprazol eine antidepressive Behandlung generell wirksamer macht. Inwieweit Brexpiprazol sich aufgrund seines etwas abweichenden pharmakologischen Profils durch eine bessere Verträglichkeit von Aripiprazol oder Quetiapin unterscheidet, kann nur nach einem direkten Vergleich beurteilt werden.
Quelle
McIntyre RS, et al. Brexpiprazole as adjunctive treatment of major depressive disorder with anxious distress: Results from a post-hoc analysis of two randomized controlled trials. J Affect Disord 2016;201:116–23.
Literatur
1. Thase ME, et al. Efficacy and safety of adjunctive brexpiprazole 2 mg in major depressive disorder: a phase 3, randomized, placebo-controlled study in patients with inadequate response to antidepressants. J Clin Psychiatry 2015;76:1232–40.
2. Thase ME, et al. Adjunctive brexpiprazole 1 and 3 mg for patients with major depressive disorder following inadequate response to antidepressants: a phase 3, randomized, double-blind study. J Clin Psychiatry 2015;76:1224–31.
Psychopharmakotherapie 2017; 24(05)