Dr. Alexander Kretzschmar, München
D-Cycloserin
D-Cycloserin (DCS) ist ein seit über 50 Jahren bekanntes, heute in Europa kaum noch genutztes Tuberkulose-Reserveantibiotikum. Die Nebenwirkungen bei der Tuberkulosebehandlung gaben erste Hinweise auf die zentralnervöse Wirksamkeit von DCS. Im Gehirn hat DCS modulierende Wirkung als partieller Agonist an glutamatergen NMDA-Rezeptoren. Es beeinflusst Lernprozesse in Amygdala und Hippocampus, indem es die Geschwindigkeit von Lernprozessen erhöht und das deklarative Lernen verbessert. Darüber hinaus verstärkt DCS die Rekonsolidierung und die Extinktion konditionierter Gedächtnisinhalte.
Dieses Wirkprofil macht DCS zu einer interessanten medikamentösen Add-on-Therapie für psychotherapeutische Interventionen. Patienten mit Angststörungen lernen, auf angstbesetzte Reize nicht mehr ängstlich zu reagieren – Extinktionslernen, das über NMDA-Rezeptoren an glutamatergen Synapsen in den Amygdala vermittelt wird. Metaanalysen zeigen moderate Effektstärken von DCS als Augmentation von Expositionstherapien (d=0,34) [8]. Re-Analysen ergaben für DCS eine Steigerung positiver und negativer Effekte von Expositionstherapien. Schwerer erkrankte Patienten scheinen mehr von DCS zu profitieren als Patienten mit leichten Angststörungen [4, 7]. Derzeit wird in klinischen Studien untersucht, ob eine Post-Session-Gabe von DCS Vorteile gegenüber einer Pre-Session-Gabe besitzt, weil man dann weiß, wie die Expositionstherapie verlaufen ist.
In höheren Dosierungen wirkt DCS NMDA-antagonistisch und besitzt antidepressive Wirkungen. In einer Pilotstudie zeigten 7 von 13 (54%) therapieresistenten depressiven Patienten nach 6-wöchiger Therapie mit 1000 mg/Tag DCS eine Reduktion ≥50% auf der Hamilton Depression Rating Scale (HAMD; p=0,005) im Vergleich zu 15% (2/13) unter Placebo. Der Therapieeffekt war umso ausgeprägter, je niedriger die Baseline-Glycin-Serumspiegel waren (p=0,043) [3].
Oxytocin
Das als „Kuschelhormon“ bekannt gewordene Oxytocin ist ein potenter Neuromodulator. Es wird inzwischen bei zahlreichen psychischen Störungen untersucht. In der US-Studiendatenbank ClinicalTrials.gov sind mehr als 100 Studien mit Oxytocin in den verschiedensten Indikationen registriert. Ebenso wie DCS besitzt Oxytocin anxiolytische Eigenschaften, insbesondere bei sozialer Phobie, infolge einer Inhibition der Amygdala. Oxytocin rekrutiert das Belohnungssystem, um soziales Bindungsverhalten zum Partner zu verstärken. Weiter steigert es die Lernkapazität selektiv in sozialen Kontexten und erleichtert damit die Wahrnehmung sozialer Signale sowie die Furchtextinktion. Dies sind wichtige Voraussetzungen für den potenziellen Einsatz des Hormons in der Psychotherapie.
Mehrere, allerdings kleinere randomisierte, Placebo-kontrollierte klinische Studien (RCT) zeigen darüber hinaus eine Wirksamkeit bei der Reduktion der Positiv- und Negativsymptomatik sowie von Defiziten in der sozialen Kognition schizophrener Patienten. Therapeutisch könnte Oxytocin als Add-on-Therapie vor allem bei refraktären Negativsymptomen und Defiziten in der sozialen Kognition hilfreich sein [9].
Halluzinogene
Serotonerge Halluzinogene als natürliche (Psilobycin) oder halbsynthetische Wirkstoffe (LSD) waren in einem medizinischen Setting jahrzehntelang verpönt. Leider fehlen dem heutigen Standard der Arzneimittentwicklung entsprechende präklinische Untersuchungen insbesondere zur Toxikologie im Tier. Gemeinsames Merkmal der Halluzinogene ist, dass sie als Indolderivate den Serotonin-Rezeptor 5-HT2A beeinflussen. Während Cocain oder Alkohol zu einer euphorisch erlebten Beschleunigung von Denken und Zeitempfinden führen, bewirken LSD oder Psilocybin eher das Erleben einer Zeitdehnung. An der Universität Zürich kann man inzwischen auf mehr als 20 Jahre medizinische Erfahrung mit diesen Substanzen zurückblicken. Doch schon bis 1972 lagen mehr als 250 klinische Publikationen zu psychodynamisch-orientierten Psychotherapien mit Halluzinogenen (Psilobycin, LSD, Ketamin) vor. Die gute Wirksamkeit von Psilobycin bei Angstsymptomen und therapieresistenten Depressionen war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bekannt und wurde durch spätere Studien bestätigt [1].
Neue RCT moderner Prägung bestätigen frühere Untersuchungen mit den Halluzinogenen. In einer aktuellen randomisierten, Placebo-kontrollierten Cross-over-Studie bei 51 Tumorpatienten mit Depressions- oder/und Angstsymptomen führte die Behandlung mit Psilobycin in einer Dosis von 22 oder 30 mg/70 kg Körpergewicht (KG) im Vergleich zu einer Placebo-artigen Minimaldosis von 1 bis 3 mg/70 kg KG, verabreicht in zwei Sitzungen im Abstand von fünf Wochen, auch nach einem 6-monatigen Follow-up zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität bei 80% der Teilnehmer [2]. Im Gegensatz zu S-Ketamin hält die Wirkung von Psilobycin deutlich länger an [6].
Neben der Universität Zürich beschäftigt sich auch eine Arbeitsgruppe an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore mit der Substanz. In einer offenen Langzeitstudie führte die Therapie mit 2- bis 3-maliger Gabe von 20 oder 30 mg/70 kg KG Psilobycin plus kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) bei 9/15 Patienten zu einem anhaltenden Nikotinverzicht [5].
Zum Wirkungsmechanismus von Halluzinogenen gibt es zahlreiche psychologische Theorien. Sie reichen laut Prof. Franz Vollenweider, Zürich, von der Aktivierung schwer zugänglicher, persönlich relevanter, emotionaler Verhaltensschemata, verstärkter Symbolbildung und Imagination bis hin zur Verschiebung des Denkens vom sekundär zum primär prozesshaften Modus. Neurobiologisch erklärt man die Wirkung bei Psilobycin mit seinem 5-HT2A/1A-Agonismus. LSD verstärkt die Glutamat-Freisetzung im präfrontalen Kortex. Beide Neurotransmitter gelten als Modulatoren der sozialen Kognition.
Quelle
Prof. René Hurlemann, Bonn, Prof. Franz Vollenweider, Zürich; Symposium S-087 „Jenseits klassischer psychopharmakologischer Interventionen: psychoaktive Substanzen, Antibiotika und Mikrobiom-Modulatoren zur Therapie affektiver Störungen“, Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), Berlin, 24. November 2016.
Literatur
1. Dos Santos RG, et al. Ther Adv Psychopharmacol 2016;6:193–213.
2. Griffith RR, et al. J Psychopharmacol 2016; 30:1181–97.
3. Heresco-Levy U, et al. Int J Neuropsychopharmacol 2013;16:501–6.
4. Hofmann SG. Depress Anxiety 2014;31: 175–7.
5. Johnson MW, et al. Am J Drug Alcohol Abuse 2017;43:55–60.
6. Mahapatra A, Gupta R. Ther Adv Psychopharmacol 2017;7:54–6.
7. Otto MW, et al. Biol Psychiatry 2016;80: 274–83.
8. Rodrigues H, et al. PLoS One 2014;9:e93519.
9. Shilling PD, Feifel D. CNS Drugs 2016;30: 193–208.
Psychopharmakotherapie 2017; 24(02)