Therapie der schubförmigen MS

Frühzeitig auch an die langfristige Perspektive denken


Dr.Alexander Kretzschmar, München

Erst in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Erkenntnis auf breiter Basis durchgesetzt, dass bereits in den frühesten Stadien der schubförmigen multiplen Sklerose (RRMS) sowohl entzündliche als auch degenerative Prozesse ablaufen. Zur Quantifizierung dieser Schädigungen des ZNS und der Korrelation mit dem klinischen Verlauf unter einer Pharmakotherapie ist das Magnetresonanztomogramm (MRT) ein unentbehrliches Instrument geworden, meinte Prof. Sven Schippling, Zürich, auf einem Workshop im Rahmen der Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN).

In einer Metaanalyse von 31 Studien (n=18901) war die Zahl neuer aktiver T2-Läsionen insgesamt der beste Surrogatmarker für die aktuelle Wirksamkeit einer Pharmakotherapie. Die Entwicklung der T2-Läsionslast erklärte >70% der klinisch als Schübe erkennbaren Krankheitsaktivität (r2=0,71) [5]. In den aktuellen Consensus-Guidelines der MAGNIMS-Arbeitsgruppe (Magnetic resonance imaging in MS) wird das T2-gewichtete MRT zusammen mit dem kontrastverstärkten T1-MRT als Methode der Wahl zur Bestimmung akuter und aktiver Entzündungsherde sowie der klinisch inapparenten Krankheitsprogression empfohlen [6].

Das MRT gezielt einsetzen

Regelmäßige T2-MRT-Kontrollen erfordern ein standardisiertes Vorgehen, um hochwertige Aufnahmen für eine vergleichende Auswertung durch eine automatisierte Software oder einen erfahrenen Auswerter zu gewährleisten. Idealerweise sollte ein Patient immer mit dem selben Magnetresonanztomographen untersucht werden, ersatzweise mit einem Gerät der gleichen Baureihe. Jede neue T2-Läsion sollte ebenso wie ein neuer Schub Anlass sein, die Therapie zu überprüfen, so Schippling.

Die beste Evidenz für die Assoziation zwischen T2-MRT und Krankheitsaktivität liegt für die Therapie mit Beta-Interferonen vor, während sie bei den anderen MS-Therapeutika variiert. Als langfristiger Outcome-Prädiktor hat sich die T2-Läsionslast aber als zu unspezifisch erwiesen. Aussagekräftiger ist die Messung des Hirnvolumenverlusts (HVL) zur Bestimmung der Hirnatrophie der grauen und weißen Substanz: Der HVL korreliert signifikant mit der langfristigen Behinderungsprogression und der Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen und ist hier dem T2/T1-MRT überlegen [2, 3, 6].

Optionen für den langfristigen Outcome

Gesunde Erwachsene zeigen einen jährlichen HVL von 0,1 bis 0,3% pro Jahr, bei Patienten mit MS ist der HVL um etwa das Fünffache erhöht (–0,5 bis –1,35% pro Jahr). Mithilfe effektiver Therapie kann nicht nur die klinische und MRT-Krankheitsaktivität erheblich reduziert werden. Für Alemtuzumab (Lemtrada®) wurde in den Basisstudien CARE-MS I (therapienaive Patienten) und CARE-MS II (vortherapierte Patienten) eine Verlangsamung des HVL innerhalb von 24 Monaten im Vergleich zu Interferon beta-1a s.c. um 42% bzw. 24% gezeigt. In den auf dem AAN 2016 vorgestellten 5-Jahres-Daten (2 Jahre Basisstudie plus 3 Jahre Extensionsstudie) liegt der HVL mit 0,09% bzw. 0,14% im Bereich gesunder Individuen, berichtete Dr. Martin Delf, Berlin [1]. Gleichzeitig erreichten in den CARE-MS-I- und -II-Extensionsstudien (Jahr 3 bis 5) akkumuliert 40% bzw. 27% der Patienten unter Alemtuzumab eine anhaltende Freiheit von Krankheitsaktivität (No evidence of disease activity, NEDA). 60% der CARE-MS-I- und -II-Patienten benötigten in den Extensionsstudien keine Re-Therapie. Von dieser Population erreichten 51% in den Therapiejahren 3 bis 5 die NEDA-Kriterien [4].

Quelle

Prof.Dr. Sven Schippling, Zürich, Dr. Martin Delf, Berlin, Workshop „Das Hirn im Blick – MRT, Atrophie und NEDA: Alles nur Surrogat?“, veranstaltet von Sanofi-Genzyme im Rahmen der Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN), Vancouver, 19. April 2016.

Literatur

1. Barkhoff F, et al. AAN 2016, Abstract P6.183.

2. Calabrese M, et al. Arch Neurol 2009;66: 1144–50.

3. Fisher E, et al. Neurology 2002;59:1412–20.

4. Fox EJ, et al. AAN 2016, Abstract S51.005.

5. Sormani MP, et al. Lancet Neurol 2013;12: 669–76.

6. Wattjes MP, et al. Nat Rev Neurol 2015;11: 597–606.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(04)