Solvejg Langer, Stuttgart
Die Behandlung von kognitiv nicht beeinträchtigten Patienten mit Anticholinergika ist mit einer Verschlechterung der Kognition und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Demenz verbunden. Die Ursachen hierfür sind nicht hinreichend bekannt. Da das cholinerge System wichtig für die kognitive Funktion ist, wird die Schädigung cholinerger Neurone durch entsprechende Arzneimittel als möglicher Grund angesehen; weiterhin diskutiert wird ein Zusammenhang zwischen Anticholinergika, Gehirnvolumen und Kognition. Einige Tierversuche haben gezeigt, dass verminderte cholinerge Aktivität zu Verlust von Synapsen und Neurodegeneration führen kann.
In der vorliegenden Untersuchung wurden Daten aus der Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative (ADNI) und der Indiana Memory and Aging Study (IMAS) ausgewertet. Festgestellt werden sollte, ob der Gebrauch von Anticholinergika im Zusammenhang mit der kognitiven Leistungsfähigkeit, dem Glucosestoffwechsel im Gehirn, Hirnatrophie sowie der Entwicklung von leichten kognitiven Beeinträchtigungen oder Morbus Alzheimer steht.
Patienten
Eingeschlossen wurden 402 ältere Patienten mit normaler kognitiver Funktion aus der ADNI-Studie und 49 Patienten aus der IMAS-Studie. Davon wurden 60 (ADNI: 52; IMAS: 8) der Anticholinergika-Gruppe zugeordnet, definiert als Patienten, die zu Beginn der Untersuchung mindestens einen Monat lang Arzneimittel mit mittlerer oder starker anticholinerger Wirkung eingenommen hatten. Zudem wurde die anticholinerge Belastung durch die Arzneimittel anhand einer vom Zentrum für Altersforschung der Indiana University entwickelten Skala (ACB [anticholinergic cognitive burden] score) quantifiziert.
Anhand verschiedener Skalen und bildgebender Verfahren wurden die zu untersuchenden Parameter bewertet. Die Ergebnisse wurden jeweils adjustiert (z.B. Begleiterkrankungen, Komedikation).
Ergebnisse
Kognitive Funktionen
Sowohl im Trail Making Test B zur Bestimmung exekutiver Funktionen als auch auf der Wechsler-Skala zur Messung von Gedächtnisfunktionen schnitten Patienten der Anticholinergika-Gruppe signifikant schlechter ab als nicht behandelte Patienten (jeweils p=0,04; Patienten der ADNI-Studie).
Glucosestoffwechsel
Mittels Positronenemissionstomographie mit 18F-Fluorodesoxyglucose (FDG-PET) wurde eine verminderte Glucoseverwertung im Gehirn in der Anticholinergika-Gruppe festgestellt (p=0,03).
Hirnatrophie
In verschiedenen Bereichen des Gehirns und besonders im Schläfenlappen, der wichtige Funktionen in der Gedächtnisbildung übernimmt, wurden unter Anticholinergika verstärkt Atrophien beobachtet (Untersuchung erfolgte mittels Magnetresonanztomographie).
Kognitive Beeinträchtigungen oder Morbus Alzheimer
Im weiteren Verlauf der Studie traten während einer mittleren Beobachtungsdauer von 32,1 Monaten kognitive Beeinträchtigungen oder Morbus Alzheimer ebenfalls siginifikant häufiger bei mit Anticholinergika behandelten Personen auf (Hazard-Ratio 2,47; p=0,01; ADNI-Population). Dieser Effekt war besonders ausgeprägt, wenn die Patienten zusätzlich Amyloid-positiv waren.
Diskussion
In allen untersuchten Bereichen konnte ein negativer Einfluss durch die Anticholinergika-Therapie festgestellt werden. Bei den exekutiven Funktionen waren diese Effekte umso stärker, je höher die anticholinerge Belastung war; das Gleiche galt auch für das Ausmaß der Atrophien.
Fazit der Studienautoren
Die Studie unterstreiche, wie wichtig es sei, bei älteren Patienten zuerst die Risiken für kognitive Verschlechterungen abzuwägen, bevor man sich für die Behandlung mit Anticholinergika entscheidet.
Quelle
Risacher SL, et al. Association between anticholinergic medication use and cognition, brain metabolism, and brain atrophy in cognitively normal older adults. JAMA Neurol 2016;73:721–32.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(04)