Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Botulinumtoxin A (Botox®) ist seit Langem zur Behandlung von Dystonien und seit einiger Zeit auch zur Behandlung der Spastik zugelassen. Eine weitere Zulassung besteht für die chronische Migräne. Die klinische Erfahrung in der Vergangenheit hatte immer wieder gezeigt, dass Patienten, bei denen eine Dystonie im Rahmen einer peripheren Nervenschädigung auftrat, nicht nur über eine Reduktion der dystonen Muskelbewegungen und der Muskelkrämpfe berichteten, sondern auch über eine Reduktion ihrer Schmerzen. Physiologischer Hintergrund der Wirkung von Botulinumtoxin in diesen Fällen ist offenbar eine Bindung an periphere C-Fasern. Kleinere Studien bei neuropathischen Schmerzen wie beispielsweise der postzosterischen Neuralgie hatten eine Wirksamkeit von Botulinumtoxin A gezeigt. Sorgfältig geplante und durchgeführte randomisierte Placebo-kontrollierte Studien gab es aber bisher nicht.
Die vorliegende Studie wurde in Frankreich und Brasilien durchgeführt. Es handelte sich um eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie (Tab. 1). Eingeschlossen wurden Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen mit einem mittleren Schmerzscore von mindestens 4 auf einer Skala von 0 bis 10 und einer Schmerzdauer von mindestens sechs Monaten. Die meisten Patienten hatten eine traumatische oder chirurgisch verursachte periphere Nervenschädigung. Die Patienten erhielten entweder zwei subkutane Gaben von Botulinumtoxin im schmerzhaften Areal mit bis zu 300 Einheiten oder Placebo im Abstand von zwölf Wochen. Der primäre Endpunkt war die Änderung verglichen mit der Baseline der vom Patienten berichteten mittleren wöchentlichen Schmerzintensität über einen Zeitraum von 24 Wochen nach der ersten Injektion.
Tab. 1. Studiendesign [nach Attal N, et al. 2016]
Erkrankung |
Chronisch neuropathische periphere Schmerzen |
Studienziel |
Wirksamkeit und Sicherheit wiederholter Gabe von Botulinumtoxin A in der Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen |
Studientyp/Phase |
Interventionsstudie/Phase IV |
Studiendesign |
Randomisiert, doppelblind, parallel, multizentrisch |
Eingeschlossene Patienten |
66 |
Intervention |
Botulinumtoxin A, subkutan, max. 300 Einheiten (n=34) Placebo (n=32) |
Primärer Endpunkt |
Schmerzintensität (0 bis 10) |
Sponsor |
Hospital Ambroise Paré Paris |
Studienregisternummer |
NCT01251211 |
Zwischen Oktober 2010 und August 2013 wurden 152 Patienten gescreent und 68 randomisiert. Für die Endauswertung in der Intention-to-treat-Analyse standen die Ergebnisse von 34 Patienten in der Botulinumtoxin-A-Gruppe und 32 Patienten in der Placebo-Gruppe zur Verfügung. Die Patienten waren im Mittel 52 Jahre alt, und jeweils die Hälfte waren Männer und Frauen. Bei 45% war der Schmerz im Bereich der oberen Extremität lokalisiert, bei 37% an der unteren Extremität und bei den übrigen am Rumpf. Die mittlere Dauer der chronischen Schmerzen betrug 5,7 Jahre, und die mittlere Schmerzintensität auf einer Skala von 0 bis 10 betrug 6,5. Zwei Drittel der Patienten waren mit trizyklischen Antidepressiva vorbehandelt und 30% mit Gabapentin oder Pregabalin, 50% nahmen Opioide ein.
Die mittlere Schmerzintensität in der Baseline betrug in der Botulinumtoxin-A-Gruppe 6,5 und nach 24 Wochen 4,6. In der Placebo-Gruppe war die Schmerzintensität bei der Baseline 6,4 und am Ende der Behandlung 5,8. Der Unterschied zwischen Botulinumtoxin A und Placebo war signifikant (p<0,0001). Über die Zeit gemessen war der Therapieeffekt bereits nach zwei Wochen nachweisbar und hielt über 24 Wochen an. Bei den sekundären Zielparametern waren paroxysmal einschießende Schmerzen und die Allodynie ebenfalls unter Botulinumtoxin A signifikant gebessert. Bei einer Skala, die Angst maß, fand sich eine signifikante Besserung, die Depressionsskala war unverändert. Die Schlafqualität besserte sich ebenfalls unter der Behandlung mit Botulinumtoxin A.
Kommentar
Dies ist die erste große, gut geplante und durchgeführte Studie zum therapeutischen Einsatz lokaler Botulinumtoxin-A-Injektionen bei chronisch neuropathischen Schmerzen. Der Therapie-Unterschied ist in absoluten Zahlen nicht sehr groß, aber signifikant. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Patienten bereits seit mehr als fünf Jahren unter den chronisch neuropathischen Schmerzen litten und eine gleichzeitig bestehende kombinierte medikamentöse Schmerztherapie offenbar nicht ausreichend wirksam war. Der große Vorteil von Botulinumtoxin A ist, dass keine zentralen Nebenwirkungen auftreten. Es wurde von den Patienten lediglich über Schmerzen an der Injektionsstelle geklagt. Die Autoren berechneten auch, wie sich ihre Studie in die bisherigen Metaanalysen, die eine Number needed to treat (NNT) berechnet hatten, einfügt. Die Number needed to treat in dieser Studie betrug 7,3. Zum Vergleich: Ergebnissen aus anderen Studien zufolge beträgt die NNT für die Behandlung mit Pregabalin 7,7, mit potenten retardierten Opioiden 4,3 und mit trizyklischen Antidepressiva 3,6. Derzeit handelt es sich bei der lokalen Anwendung von Botulinumtoxin noch um eine Off-Label-Indikation. Sie ist aber erwägenswert bei Patienten, die eine medikamentöse Therapie wegen Nebenwirkungen nicht tolerieren oder bei denen Opioide wegen einer hohen Suchtgefahr nicht eingesetzt werden können.
Quelle
Attal N, et al. Safety and efficacy of repeated injections of botulinum toxin A in peripheral neuropathic pain (BOTNEP): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2016;15:555–65.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(04)