Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Die Wirksamkeit antipsychotischer Substanzen hängt vermutlich mit der Blockade des Dopamin-D2-Rezeptors zusammen. Aber auch die Besetzung anderer Rezeptoren könnte zum klinischen Nutzen der Behandlung psychotischer Erkrankungen beitragen. So gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass der D3-Rezeptor Kognition und Stimmung beeinflusst. Stoffe mit hoher Affinität für D2- und D3-Rezeptoren könnten daher zur Verbesserung positiver und negativer Symptome der Schizophrenie beitragen und zudem bei der Behandlung manischer Episoden wirksam sein. Cariprazin ist ein potenter partieller D2- und D3-Rezeptoragonist mit höherer Affinität zum D3- als zum D2-Rezeptor und einem von älteren Antipsychotika verschiedenen pharmakologischen Profil. Cariprazin ist – ähnlich wie Aripiprazol und im Unterschied zu älteren Substanzen – kein D2-Antagonist sondern ein partieller Agonist mit einem geringeren Risiko, EPMS hervorzurufen. Die U.S. Food and Drug Administration ließ Cariprazin im September 2015 zur Behandlung manischer Episoden bei bipolaren Störungen und der Schizophrenie zu. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse einer Schizophrenie-Studie (Phase III) und einer Studie zu Behandlung der bipolaren Manie (Phase II) berichtet werden. Beide Studien sind doppelblinde, Placebo-kontrollierte Untersuchungen.
Studie zur Behandlung der Schizophrenie
Diese Studie wurde von April 2010 bis Dezember 2011 von 41 Zentren in den Kolumbien, Indien, Südafrika und den USA, durchgeführt. Sie dauerte neun Wochen und bestand aus einer 1-wöchigen Auswaschphase, einer 6-wöchigen doppelblinden Behandlung und einer 14-tägigen Nachbeobachtungszeit.
Methoden: Ziel der Studie war die Untersuchung der Wirksamkeit und Verträglichkeit zweier Dosisbereiche: 3 bis 6 mg/Tag und 6 bis 9 mg/Tag im Vergleich zu Placebo (Randomisierung im Verhältnis 1:1:1). Die Patienten beider Cariprazin-Gruppen begannen mit 1,5 mg/Tag. Je nach Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung konnte die Dosis innerhalb von 14 Tagen auf 6 bzw. 9 mg/Tag erhöht werden. Die Patienten wurden ab der Auswaschphase bis wenigstens einschließlich Woche 4 der doppelblinden Behandlung stationär behandelt.
Einschlusskriterien waren unter anderen:
- Diagnose einer Schizophrenie nach Kriterien des DSM-IV-TR seit wenigstens einem Jahr,
- die gegenwärtige Episode war nicht die erste und bestand seit weniger als 14 Tagen,
- ein Score der PANSS zwischen 80 und 120 (mäßig bis schwer krank) und
- ein Score ≥4 der CGI-S (mäßig bis schwer krank).
Ausschlusskriterien waren unter anderen: schizoaffektive Erkrankungen, bipolare Störungen und Achse-II-Störungen. Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des PANSS-Gesamtscores vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 6 der doppelblinden Behandlung). Sekundäre Parameter waren unter anderen die Änderung der Scores der CGI-I, der CGI-S, der PANSS-Positiv-Subskala, der Negativ-Subskala, der Schizophrenia Quality of Life Scale Revision (SQLS-R4) und der kognitiven Skala (CDR) jeweils vom Einschluss bis Woche 6. Zur Beurteilung der Sicherheit und Verträglichkeit gehörten unter anderem die Erfassung unerwünschter Ereignisse, körperliche Untersuchungen, Laboruntersuchungen und EKG. EPMS wurden mithilfe der Simpson Angus Scale (SAS), Abnormal Involuntary Movement Scale (AIMS) und der Barnes Akathisia Rating Scale (BARS) beurteilt.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 446 Patienten randomisiert: Cariprazin 3 bis 6 mg/Tag (n=151), Cariprazin 6 bis 9 mg/Tag (n=148) und Placebo (n=147). Von ihnen beendeten 270 die Studie: Cariprazin 3 bis 6 mg/Tag (n=96; 63,6%), 6 bis 9 mg/Tag (n=86; 58,1%) und Placebo (n=88; 59,9%). Der Score der PANSS verbesserte sich in beiden Cariprazin-Gruppen signifikant im Vergleich zu Placebo (p=0,003 bzw. p<0,001). Die signifikanten Unterschiede traten bereits nach einer Woche (6 bis 9 mg/Tag) bzw. zwei Wochen auf und dauerten bis zum Studienende fort (Abb. 1).
Abb. 1. Änderung des Scores der Positive and Negative Syndrome Scale vom Einschluss bis zum Ende der Behandlung (LOCF-Methode); *p<0,05; **p<0,01; ***p<0,001; vs. Placebo [modif. nach Kane et al.]
Auch die Scores der CGI-S und der CGI-I verbesserten sich im Vergleich zu Placebo signifikant (CGI-S: 3 bis 6 mg/Tag, p=0,012; 6 bis 9 mg/Tag; p<0,001; CGI-I: jeweils p<0,001). Ebenso verbesserte sich der Score der PANSS-Positiv-Subskala in beiden Cariprazin-Gruppen (p=0,007 bzw. p<0,001), während sich der Score der Negativ-Subskala nur in der 6- bis 9-mg-Gruppe signifikant verbesserte (p=0,01). Der Score der SQLS-R4 änderte sich nur in der 3- bis 6-mg-Gruppe signifikant (p=0,044) und die Änderungen des Scores der CDR waren in keiner Cariprazin-Gruppe von denen der Placebo-Gruppe verschieden.
Verträglichkeit: Die mittleren Cariprazin-Dosen waren 5,2 bzw. 7,7 mg/Tag in der 3- bis 6-mg- bzw. 6- bis 9-mg-Gruppe. Wenigstens ein unerwünschtes Ereignis berichteten 66,0% der Placebo- und 76,8 bzw. 78,4% der Cariprazin-Patienten (3 bis 6 bzw. 6 bis 9 mg/Tag).
Wegen unerwünschter Ereignisse beendeten in der Placebo-Gruppe 8,8% und in den Cariprazin-Gruppen 9,3% (3 bis 6 mg/Tag) sowie 8,8% (6 bis 9 mg/Tag) der Patienten die Studie vorzeitig. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse – und häufiger als unter Placebo – waren unter Cariprazin (die 3- bis 6-mg-Gruppe zuerst genannt): Akathisie (15,9%; 16,9%), Ruhelosigkeit (6,7%; 10,1%), EPMS (5,3%; 10,1%) und Obstipation (8,6%; 6,1%). Die mittleren Änderungen der Vitalparameter waren geringfügig, ebenso die metabolischen Veränderungen und die Gewichtszunahme.
Studie zur Behandlung manischer Episoden einer Bipolar-I-Störung
Die Studie zur Behandlung manischer Episoden einer Bipolar-I-Störung wurde von 26 Zentren in Russland, Indien und den USA in der Zeit von Juni 2007 bis Juli 2008 durchgeführt. Ziel dieser Phase-II-Studie war die Untersuchung der Wirksamkeit und Verträglichkeit einer flexiblen Dosis von 3 bis 12 mg/Tag Cariprazin im Vergleich zu Placebo in der Behandlung manischer und gemischter Episoden einer Bipolar-I-Störung. Es handelte sich um eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit drei Phasen: einer 4-tägigen Auswaschphase, einer 3-wöchigen doppelblinden Behandlung und einer 14-tägigen Nachbeobachtungszeit. Einschlusskriterien waren unter anderen: Alter zwischen 18 und 65 Jahren, die Diagnose einer Bipolar-I-Störung mit akuter manischer oder gemischter Episode nach DSM-IV-TR und ein Score von ≥20 auf der Young Mania Rating Scale (YMRS). Ausschlusskriterien waren unter anderen: weitere Achse-I-Diagnosen (erlaubt waren jedoch Zwangsstörung, Angststörungen und Störungen des Sozialverhaltens), Rapid-Cycling, ein Score von ≥18 auf der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) sowie verschiedene Achse-III-Erkrankungen.
Wirksamkeitsparameter waren unter anderen die Änderung des Scores der YMRS (primär) und des Scores des CGI-S (sekundär) vom Einschluss bis zum Ende der doppelblinden Behandlung. Verträglichkeit und Sicherheit der Behandlung wurden in gleicher Weise erfasst wie in der Schizophrenie-Studie.
Ergebnisse: In der Placebo-Gruppe beendeten 73 von 120 eingeschlossenen Patienten die Studie (61,9%), unter Cariprazin waren es 75 von 118 (63,6%). Die durchschnittliche Cariprazin-Dosis war 8,8 mg/Tag. Die Änderung des Gesamtscores der YMRS war unter Cariprazin signifikant größer als unter Placebo (–15,0 vs. –8,9; p<0,0001; LOCF[Last observation carried forward]-Auswertung). Die statistisch signifikanten Unterschiede bestanden ab Tag 7 bis zum Ende der Behandlung (Tag 21). Beginnend bereits am Tag 2 bis zum Ende der dritten Behandlungswoche zeigte auch der CGI-S statistisch signifikante Verbesserungen im Vergleich zu Placebo (–1,6 vs. –0,9; p=0,0001; LOCF). Auch erreichten unter Cariprazin mehr Patienten als unter Placebo die Kriterien für YMRS-Response (≥50% Reduktion des initialen Scores; 48% vs. 25%; p<0,001) und für Remission (Gesamtscore ≤12; 42% vs. 23%; p=0,002).
Verträglichkeit: Unerwünschte Wirkungen berichteten unter Placebo 78,8% und unter Cariprazin 85,6% der Patienten. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen unter Cariprazin waren EPMS (24,6%), Akathisie (18,6%), Obstipation (15,3%), Übelkeit (15,3%) und Dyspepsie (12,7%). Signifikant häufiger als unter Placebo traten EPMS und Akathisie auf (jeweils p<0,01). Unerwünschte Ereignisse führten unter Placebo bei 10,2% und unter Cariprazin bei 14,4% der Patienten zum Abbruch der Behandlung. Auf der Basis der beschriebenen Ergebnisse und einer Post-hoc-Analyse, die zeigte, dass sich alle Items der YMRS signifikant verbesserten, schließen die Autoren, dass Cariprazin eine vielversprechende Option zur Behandlung manischer Episoden ist. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommen auch die Autoren der Schizophrenie-Studie im Hinblick auf die Behandlung schizophrener Rezidive.
Kommentar
In beiden Studien kam es unter Cariprazin zu signifikant stärkeren Verbesserungen als unter Placebo. In der Schizophrenie-Studie besserten sich nicht nur die positiven, sondern – wenngleich in erheblich geringerem Umfang – auch die negativen Symptome der PANSS. Allerdings fragen sich die Autoren, ob diese Besserung der Negativsymptomatik auf eine direkte Substanzwirkung zurückzuführen ist oder eher eine Folge der deutlichen Besserung der Positivsymptome sein könnte, da in die Studie hauptsächlich Patienten mit mäßigen bis schweren positiven Symptomen eingeschlossen wurden. Aus der Studie lässt sich schwer abschätzen, wie die Wirksamkeit von Cariprazin einzustufen ist, da ein direkter Vergleich mit anderen zugelassenen Substanzen noch aussteht. In der Studie zur Behandlung der Manie vergleichen die Autoren die Effektstärken der neuen Antipsychotika und finden, dass Cariprazin (Effektstärke =0,51) zu den wirksamsten Vertretern dieser Gruppe gehört. Die Number needed to treat (NNT) für Response war in der vorliegenden Studie 5, die für Remission 6. Im Vergleich mit anderen atypischen Antipsychotika gehört Cariprazin auch nach diesen Parametern zu den stärker wirksamen Substanzen. Die Verträglichkeit von Cariprazin war im Hinblick auf die Veränderung der Laborparameter, Gewichtszunahme, Änderungen des Glucosespiegels, des EKG oder der Vitalparameter in beiden Studien gut. Akathisie und Parkinsonismus waren zwar im Schweregrad meist mild bis mäßig, aber sie wurden doch öfter berichtet als unter Placebo. Besonders bei der Behandlung der Manie, bei der höher dosiert werden konnte als in der Schizophrenie-Studie, traten diese Nebenwirkungen trotz des neuartigen und theoretisch günstigeren pharmakologischen Profils überraschend häufig auf. Hier wäre ein direkter Vergleich mit einem vollen Dopamin-Antagonisten aufschlussreich.
Quellen
1. Kane JM, et al. Efficacy and safety of cariprazine in acute exacerbation of schizophrenia. J Clin Psychopharmacol 2015;35:367–73.
2. Durgam S, et al. The efficacy and tolerability of cariprazine in acute mania associated with bipolar I disorder: a phase II trial. Bipolar Disord 2015;17:63–75.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(02)