Dr. Bettina Hellwig, Konstanz
Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an die Alpha-Untereinheit (CD25) des Interleukin-2-Rezeptors auf T-Zellen bindet und so die Signalweiterleitung moduliert. Dadurch werden Zahl und Aktivität verschiedener Immunzellen beeinflusst, unter anderem steigt die Zahl der NK-Zellen (Natural killer cells). Der Interleukin-2-Signalweg spielt eine Rolle bei der Immunantwort gegen fremde Antigene und bei der Aufrechterhaltung der Immuntoleranz gegen körpereigene Antigene.
Verändertes Glykosylierungsmuster
Daclizumab war 1999 bis 2008 unter dem Handelsnamen Zenapax® (Hoffmann-La Roche) zur Prophylaxe einer Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation im Handel. Die Zulassung ist auf Antrag der Herstellerfirma seit 2009 erloschen. Das Präparat wurde aus dem Handel genommen und soll jetzt in einer biotechnisch leicht veränderten Form unter der Bezeichnung HYP (High yield process) zur Behandlung der multiplen Sklerose von der Firma Biogen wieder eingeführt werden. Von Daclizumab unterscheidet sich das neue Präparat durch die Art der Glykosylierung. Es wurde für die langzeitige subkutane Anwendung entwickelt und soll eine geringere antikörperspezifische Zytotoxizität aufweisen. Daclizumab HYP wird einmal monatlich in einer Dosis von 150 mg subkutan gespritzt.
Phase-III-Studie mit fast 2000 Patienten
In der klinischen Phase-II-Prüfung konnte Daclizumab die Schubrate und die Behinderungsprogression sowie die kernspintomographische Erkrankungsaktivität bei Patienten mit schubförmiger MS verringern.
Jetzt wurde der neue Antikörper in der randomisierten doppelblinden Phase-III-Studie DECIDE bei 1841 Patienten mit schubförmiger MS mit Interferon beta-1a (30 μg i.m. einmal pro Woche) über bis zu 144 Wochen verglichen.
Die Patienten waren zwischen 18 und 55 Jahre alt, zeigten Läsionen im Kernspintomogramm und hatten einen EDSS-Wert von 0 bis 5,0 (Expandend disability status scale, Maß für die Behinderung). 68% von ihnen waren Frauen, 41% hatten zuvor bereits eine krankheitsmodifizierende Therapie (z.B. Interferon beta, Glatirameracetat, Natalizumab) erhalten. In der Studie erhielten die Patienten randomisiert entweder Daclizumab HYP oder das Beta-Interferon als Monotherapie. Der Behandlungsbeginn lag zwischen Mai 2010 und April 2012.
Verringerung von Schubrate, Läsionslast und Behinderungsprogression
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die jährliche Schubrate. Nach mindestens zwei Jahren Behandlung lag diese unter der Behandlung mit Daclizumab bei 0,22 und war damit um 45% niedriger als unter dem Beta-Interferon (0,39; p<0,001).
Außerdem war im Verlauf von 96 Wochen die Zahl neuer oder vergrößerter hyperintenser Läsionen im T2-gewichteten Kernspintomogramm unter Daclizumab um 54% niedriger als unter Interferon beta-1a (4,3 vs. 9,4; p<0,001) (Tab. 1).
Auch bei weiteren sekundären Studienparametern, wie der Krankheitsprogression, dem Anteil schubfreier Patienten und dem Anteil von Patienten mit einer deutlichen Verschlechterung, schnitt Daclizumab besser ab als Interferon beta-1a. Allerdings waren diese Unterschiede statistisch nicht signifikant. So lag in Woche 144 der Anteil an Patienten mit einer nach zwölf Wochen bestätigten Behinderungsprogression unter Daclizumab bei 16%, was nur tendenziell geringer war als unter Interferon beta-1a mit 20% (p=0,16).
Tab. 1. Ergebnisse der DECIDE-Studie
Parameter |
Daclizumab |
Interferon beta-1a |
p-Wert |
Annualisierte Schubrate |
0,22 |
0,39 |
<0,001 |
Zahl neuer oder vergrößerter T2-Läsionen bis Woche 96 |
4,3 |
9,4 |
<0,001 |
Patienten mit Behinderungsprogression, bestätigt nach 12 Wochen, in Woche 144 [%] |
16 |
20 |
0,16 |
Patienten mit Behinderungsprogression, bestätigt nach 24 Wochen, in Woche 144 [%] |
13 |
18 |
0,03 |
MSFC-Wert (mittlere Änderung bis Woche 96) |
0,091 |
0,055 |
<0,001 |
Patienten ohne Anzeichen von Krankheitsprogression [%] |
24,6 |
14,2 |
<0,0001 |
MSFC: Multiple sclerosis functional composite
Mehr Zeit ohne Krankheitsaktivität
Aus den aktuellen Daten wurde die NEDA (No evidence of disease activity) berechnet. Darunter versteht man die Zeitspanne, während der unter der Medikation keine Anzeichen von Krankheitsaktivität (Schub, Zuwachs/Vergrößerung von kernspintomographisch sichtbaren Läsionen, Behinderungsprogression) sichtbar werden.
Im Zeitraum der Behandlung blieben 22% der Patienten unter Daclizumab HYP ohne Krankheitsaktivität, unter Interferon beta-1a waren es nur 13%.
Mehr unerwünschte Ereignisse
Allerdings wurde die stärkere Wirksamkeit von Daclizumab HYP mit einer erhöhten Rate an Nebenwirkungen erkauft. In beiden Gruppen litten 91% der Patienten unter diversen unerwünschten Wirkungen. 15% der Patienten unter Daclizumab und 10% der Patienten unter Interferon beta-1a hatten schwerwiegende Nebenwirkungen. Als Folge waren nebenwirkungsbedingte Studienabbrüche unter der Therapie mit Daclizumab häufiger (14%) als unter Interferon beta-1a (9%).
Infektionen (Atemwege, Harnwege, Herpes zoster) waren unter Daclizumab häufiger als unter Interferon beta-1a (65% vs. 57%). Schwere Infektionen waren mit 4% unter Daclizumab doppelt so häufig wie unter IFN-β 1a mit 2%.
Zu den unerwünschten Wirkungen gehören Hautreaktionen wie Ausschlag oder Ekzeme (37% vs. 19%); diese können auch schwerwiegend sein (2% vs. <1%). Unter Daclizumab kommt es zudem häufiger zu Anstiegen der Leberenzyme (Alanin-Aminotransferase [ALT]) auf mehr als das 5-Fache des oberen Normalwerts (6% vs. 3%).
Bisher traten keine opportunistischen Infektionen wie eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) oder eine infektiöse Enzephalitis auf.
Quelle
Kappos L, et al. Daclizumab HYP versus interferon beta-1a in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2015;373:1418–28.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(01)