Ute Ayazpoor, Mainz
Die Pathogenese der MS ist zwar nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Es besteht allerdings kein Zweifel mehr daran, dass CD-20-positive B-Zellen eine entscheidende Rolle in der Pathophysiologie dieser Autoimmunerkrankung spielen. Die rasche, zielgerichtete Depletion CD-20-positiver B-Zellen mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Ocrelizumab zeichnet sich als ein wirksamer therapeutischer Ansatz bei der MS ab und ermöglicht immunmodulatorische Effekte, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, die B-Zell-Rekonstitution und das immune Langzeitgedächtnis jedoch erhalten.
Ocrelizumab bei RRMS …
In den parallel durchgeführten doppelblinden Double-Dummy-Studien OPERA I und OPERA II wurde Ocrelizumab (600 mg i.v. Infusion alle sechs Monate) bei 1656 Patienten mit RRMS im Vergleich zu Interferon beta-1a (IFN-β 1a) (s.c. Injektion 3-mal wöchentlich) auf seine Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit hin geprüft [1]. Dabei reduzierte Ocrelizumab die jährliche Schubrate gegenüber IFN-β 1a in OPERA I und OPERA II jeweils statistisch signifikant um 46% bzw. 47% (p<0,0001). Auch verringerte es versus IFN-β 1a signifikant das Risiko des Fortschreitens der Behinderungsprogression, und zwar in OPERA I um 43% (12 Wochen: p=0,0139; 24 Wochen: p=0,0278) und in OPERA II um 37% (12 Wochen: p=0,0169; 24 Wochen: p=0,0370). Zudem wurde die Zahl der Gadolinium-anreichernden (Gd+) T1-Läsionen jeweils signifikant (p<0,0001) gegenüber der Standardtherapie um 94% bzw. 95% gesenkt, und der Hirnvolumenverlust war um 23,5% bzw. 23,8% geringer (p<0,0001) (Abb. 1). Signifikant häufiger erreichten Patienten unter dem Anti-CD-20-Antikörper außerdem die NEDA-Kriterien (no evidence of disease activity), das heißt, sie hatten keine Schübe mehr, zeigten keine Behinderungsprogression, keine neuen oder sich vergrößernden T2-Läsionen und keine neuen Gd+-Läsionen. Das war in OPERA I bei 47,9% und in OPERA II bei 47,5% der Ocrelizumab-behandelten Patienten gegenüber 29,2% bzw. 25,1% mit IFN-β 1a (jeweils p<0,0001) der Fall. Das Sicherheitsprofil war über 96 Wochen ähnlich wie das von IFN-β 1a.
Abb. 1. Veränderung des Hirnvolumens von Baseline bis Woche 96 – ein explorativer Endpunkt unter Ocrelizumab im Vergleich zu IFN-β 1a, hier am Beispiel der Studie OPERA II
… und bei PPMS
Für diese mit 10 bis 15% seltenere und schwerwiegende Form der MS, bei der sich die Symptome kontinuierlich verschlechtern, gibt es bislang keine immunmodulatorische Therapie. Die Ergebnisse der ORATORIO-Studie deuten darauf hin, dass dank Ocrelizumab zukünftig auch Patienten mit PPMS erfolgreich behandelt werden können.
In der doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie hatten 732 Patenten entweder Ocrelizumab 600 mg i.v. oder Placebo erhalten [2]. Der Anti-CD-20-Antikörper reduzierte das Risiko einer Behinderungsprogression, bestätigt über 12 Wochen, um 24% (primärer Endpunkt; p=0,032) und das Risiko einer über 24 Wochen bestätigten Behinderungsprogression um 25% (sekundärer Endpunkt; p=0,0365). Auch bei der Veränderung des „Timed 25-Foot Walk“-Werts, des Gesamtvolumens hyperintensiver T2-Läsionen und des Gesamthirnvolumens schnitt Ocrelizumab signifikant besser ab. Unerwünschte Ereignisse traten in den Behandlungsgruppen unter Placebo und Verum vergleichbar häufig auf.
Anfang 2016 wird Roche mit der Einreichung der ORCHESTRA-Studiendaten weltweit die Zulassung für Ocrelizumab zur Behandlung von Patienten mit RRMS und PPMS beantragen.
Quelle
Univ.-Prof. Dr. Heinz Wiendl, Münster, Prof. Dr. Volker Limmroth, Köln; Pressegespräch „B-focused mit Ocrelizumab – Die ORCHESTRA-Phase-III-Daten zur B-Zell-Therapie bei Multipler Sklerose“, Düsseldorf, 8. Dezember 2015, veranstaltet von Roche Pharma AG.
Literatur
1. Hoffmann-La Roche F. Clinical Trials.gov NCT01247324 und NCT01412333. National Library of Medicine. Verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01247324 und https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01412333 (Zugriff am 19.11.2015).
2. Hoffmann-La Roche F. ClinicalTrials.gov NCT01194570. National Library of Medicine. Verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01194570 (Zugriff am 19.11.2015).
Psychopharmakotherapie 2016; 23(01)