Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Agitiertheit tritt häufig bei psychotischen Erkrankungen auf, beispielsweise bei Schizophrenie, einer schizoaffektiven oder bipolaren Störung. Sie kann zu aggressivem Verhalten eskalieren und ist behandlungsbedürftig. Als medikamentöse Therapie empfiehlt die American Association for Emergency Psychiatry die Gabe von Antipsychotika anstelle von Benzodiazepinen, da mit ihnen auch die Grunderkrankung behandelt wird. Wenn schnelle Besserung erreicht werden soll, besteht die aktuelle Behandlung in einer intramuskulären Injektion. Eine neue, nichtinvasive Alternative ist die sich im Mund auflösende 10-mg-Asenapin-Tablette. Asenapin ist ein atypisches Antipsychotikum mit antagonistischer Aktivität an D2- und 5-HT2A-Rezeptoren. In Europa ist Asenapin zur Behandlung manischer Episoden der Bipolar-I-Störung zugelassen [1], in den Vereinigten Staaten außerdem zur Behandlung der Schizophrenie. Sublinguales Asenapin wird über die orale Mukosa resorbiert und erreicht bereits nach 30 bis 90 Minuten maximale Blutspiegel. Ziel der vorliegenden Studie war, zu prüfen, ob sublinguales Asenapin die Agitiertheit innerhalb von zwei Stunden nach Einnahme reduzieren kann. Die Studie wurde von April bis Dezember 2012 im St. Josephs Hospital Health Care Center in Syracuse, New York, durchgeführt.
Methoden
Unabhängig von der Diagnose wurden agitierte Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren eingeschlossen, die beim Comprehensive Psychiatric Emergency Program (CPEP), Syracuse, New York, USA, wegen der akuten psychiatrischen Krise um Hilfe baten. Die Schwere der Agitiertheit wurde mithilfe der PANSS-EC beurteilt, einer Subskala der PANSS mit den Items Erregung, innere Anspannung, Feindseligkeit, fehlende Kooperationsbereitschaft und geringe Impulskontrolle. Die Items werden mit 1 (nicht vorhanden) bis 7 (extrem schwer) bewertet. Der Gesamtscore kann also im Bereich von 5 bis 35 liegen; Scores von ≥20 entsprechen klinisch einer schweren Agitiertheit. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Score von ≥14, wobei wenigstens ein Item mit >4 beurteilt sein musste.
Nach den psychiatrischen und körperlichen Eingangsuntersuchungen wurden die Patienten randomisiert einer Behandlung mit 10 mg Asenapin oder Placebo zugeteilt (1:1). Die Medikation wurde sublingual verabreicht. Die Studienperiode betrug zwei Stunden. Während dieser Zeit war die Aufnahme von Getränken und Speisen nicht erlaubt. Benötigten Patienten in dieser Zeit zusätzliche Hilfe, wie weitere Arzneimittel oder physikalische Einschränkungen, so erhielten sie diese, wurden aber aus der Studie ausgeschlossen.
Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des PANSS-EC-Scores vom Einschluss bis zwei Stunden nach Einnahme des Studienmedikaments. Sekundäre Parameter waren unter anderem die Anteile der Responder nach PANSS-EC (mindestens 40%ige Reduktion des Einschluss-Scores) und nach Clinical Global Impression-Improvement Scale (CGI-I; sehr starke oder starke Verbesserung). Die Beurteilungen wurden nach 15, 30, 60, 90 und 120 Minuten vorgenommen.
Zur Beurteilung der Verträglichkeit wurden spontane Berichte registriert und Vitalparameter gemessen. Die Beurteilung von Akathisie wurde mithilfe der Barnes Akathisia Scale (BAS) vorgenommen.
Ergebnisse
Studienpopulation: Insgesamt wurden 120 Personen randomisiert (60 pro Gruppe). Von ihnen beendeten 55 der Asenapin-Gruppe und 39 der Placebo-Gruppe die Studie protokollgemäß. Unter Asenapin verlangten vier Patienten zusätzliche Maßnahmen, unter Placebo waren es 19, die aus diesem Grund die Studie beenden mussten. Bei den meisten Teilnehmern war Schizophrenie, eine bipolare Störung oder eine schizoaffektive Störung diagnostiziert worden.
Wirksamkeit: Bei Einschluss lag der mittlere PANSS-EC-Score in der Asenapin-Gruppe bei 19,4±0,66 und bei 20,1±0,61 in der Placebo-Gruppe. Nach zwei Stunden waren die Scores auf 7,4±0,65 (Asenapin) und 14,7±0,98 (Placebo) gesunken (p<0,001). Die Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen beiden Gruppen waren bereits nach 15 Minuten signifikant (p<0,002; Abb. 1).
Abb. 1. Veränderung des mittleren Scores der Positive and Negative Syndrome Scale-Excited Component (PANSS-EC) vom Einschluss bis zwei Stunden nach Verabreichung einer sublingualen Tablette (10 mg Asenapin oder Placebo); Differenz nach 15 Minuten: p<0,002, zu allen späteren Beurteilungszeitpunkten: p<0,001 [nach Pratts et al.]
Der Anteil der Responder nach PANSS-EC (mehr als 40%ige Reduktion des Scores) betrug unter Asenapin 78% und unter Placebo 33% (p<0,0001). Der Anteil der Responder nach CGI-I (Zustand stark verbessert oder sehr stark verbessert) war unter Asenapin wiederum 78% und unter Placebo 25% (p<0,0001). Asenapin war bei allen Messparametern der Placebo-Behandlung signifikant überlegen.
Verträglichkeit: Es gab keine spontan berichteten unerwünschten Wirkungen. Allerdings wurde auch nicht gezielt nach häufigen Nebenwirkungen von Asenapin gefragt, wie nach oraler Hypästhesie oder Geschmacksstörungen. Die mittleren BAS-Scores zwei Stunden nach Verabreichung der Medikation waren 1,35±1,41 („fragliche Akathisie“) für die Asenapin- und 2,0±2,26 („leichte Akathisie“) für die Placebo-Gruppe (p=0,061).
Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass sublinguales Asenapin eine patientenfreundliche, leicht anwendbare Option zur schnellen Reduktion der Agitiertheit ist.
Kommentar
Die Studienergebnisse sind eindeutig und sprechen für eine gute Wirksamkeit von Asenapin. Dabei wurden diese Ergebnisse nicht bei leichter oder mittelschwerer Agitiertheit gesehen, sondern in schweren Fällen mit einem mittleren PANSS-EC von 20. Die Autoren berechneten für Asenapin eine Number needed to treat (NNT) von 3 und verglichen diesen Wert in der Literatur mit solchen, die für andere Antipsychotika nach intramuskulärer Verabreichung in klinischen Studien mit agitierten Patienten gefunden wurden. Sie stellten fest, dass dieser Wert von keiner anderen Substanz übertroffen wurde. Leider differenziert die Studie die Wirksamkeit von Asenapin nicht nach der Diagnose. Der überwiegende Teil der Teilnehmer hatte eine psychotische Erkrankung. Ob sich die gute Wirksamkeit auch auf die Therapie von Agitiertheit übertragen lässt, die in einem anderen Zusammenhang auftritt, wie bei Angsterkrankungen oder Substanzmissbrauch, bleibt offen. Leider zeigt die Studie auch nicht, wie lange die Reduktion der Agitiertheit anhält und wann eventuell eine weitere Dosis gegeben werden muss.
Quelle
Pratts M, et al. A single-dose, randomized, double-blind, placebo-controlled trial of sublingual asenapine for acute agitation. Acta Psychiatr Scand 2014;130:61–8.
Literatur
1. Fachinformation Sycrest® 10 mg Sublingualtabletten, Februar 2013.
Psychopharmakotherapie 2015; 22(03)