Psychopharmakologie im Abseits – kommen Ausnahmen?


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Haag i. OB/München

Der guten PPT-Tradition folgend kommentiert J. Fritze, Pulheim, in bewährter Weise den jährlich erscheinenden, aktuellen, wie immer viel zitierten Arzneiverordnungs-Report. Dieser Report bezweifelt erneut die therapeutische Angemessenheit der Zunahme der Verordnungen moderner Antidepressiva und Antipsychotika, wobei hinzuzufügen ist, dass trotz steigender Verordnungen die Ausgaben für Neuro-Psychopharmaka infolge gesetzlicher Zwangsrabatte und auslaufender Patente rückläufig sind. Der persistierend beklagten Überverordnung von Psychopharmaka generell ist gegenüberzustellen, dass maximal ein Drittel der Demenzen mit Antidementiva behandelt werden, weniger als 5% der Alkoholkranken mit der Anti-Craving-Substanz Acamprosat. Einer wirklich profunden Analyse wert wäre die erneut festzustellende Diskrepanz der Verordnung von Psychopharmaka zwischen den einzelnen Bundesländern …

Der Vorstand der deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Neurotherapeutika (GESENT) hat sich entschlossen, angesichts der kritischen Lage der Neuro-Psychopharmakologie mittels Newsletter wichtige Personen und Institutionen des Gesundheitswesens zu informieren. Für diese Gesellschaft wird ab Herbst ebenfalls die PPT das Organ und Mitteilungsblatt, wir drucken diesen Newsletter aus Gründen der Aktualität aber bereits in diesem Heft ab. Deutschland als „Apotheke der Welt“ war mit zahlreichen pharmazeutischen Firmen führend in Forschung und Entwicklung – diese Zeiten sind Vergangenheit. Nur noch wenige große US-amerikanische und asiatische Firmen stemmen die risikoreichen hohen Entwicklungskosten neuer Pharmaka gerade im psychiatrischen Sektor; an die Stelle der ZNS-Forschung treten aussichtsreichere Bereiche wie die Onkologie und Kardiologie.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass ein neues Antidepressivum nach der europäischen Zulassung vor der Einführung in den deutschen Markt steht – wenn die Verhandlungen im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) positiv ausgehen …

Die Entwicklung neuer Antidepressiva war zuletzt von der Entwicklung hochselektiver Substanzen geprägt, die „Unmet needs“ blieben aber ungelöst bestehen, wie kürzlich auch in dieser Zeitschrift beschrieben. Die Response- und Remissionsraten können nicht zufrieden stellen, wenngleich sie sicherlich Psychotherapie-Niveau erreichen; Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder sexuelle Dysfunktion sind für die heute beanspruchte Lebensqualität besonders ungünstig.

Das neue Antidepressivum Vortioxetin ist ein Vertreter der neuen Generation „multimodaler“ Antidepressiva, das heißt von Substanzen, die multiple synergistische Wirkungsmechanismen an Stelle der Hochselektivität aufweisen. Pharmakologie und Präklinik dieser Substanz werden von Hellweg, Berlin, und Goemann, Hamburg, in der ersten Übersichtsarbeit dargestellt. Die zweite Übersichtsarbeit von Messer, Pfaffenhofen, und Goemann, Hamburg, fasst dann die vorliegenden klinischen Studien zu dieser Substanz zusammen.

Die Originalarbeit von Ehret, Berlin, und Lohmüller, Hamburg, berichtet über eine prospektive nichtinterventionelle Studie (NIS) zu Piribedil. Diese Langzeitstudie über zwei Jahre gibt erste Ergebnisse aus dem Praxisalltag wieder. NIS sind als Ergänzung zu den randomisierten kontrollierten Studien (RCT) wichtig für die klinische Relevanz und werden nun auch von Bewertungsgremien berücksichtigt.

In der Rubrik Arzneimittelsicherheit finden Sie die Fortsetzung der Analysen von CYP450-Wechselwirkungen zur Beachtung des Interaktionspotenzials. Unter „Referiert und kommentiert“ finden Sie zusammengefasste Berichte von wichtigen Kongressen und Publikationen, die über die Literaturquelle rasch vertieft werden können.

Wir wünschen unseren Lesern eine erholsame Sommerzeit, ehe die „Kongress-Saison“ im Herbst uns wieder ganz in Beschlag nimmt.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(04)