Psychopharmaka-Verordnungen: Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2013*


Jürgen Fritze, Pulheim

Der Wert des Arzneiverordnungsreports (AVR) als Quelle pharmakoepidemiologischer Daten wächst und könnte stärker wachsen, seine wissenschaftliche und politische Bedeutung eher nicht. Der AVR 2013 bezweifelt erneut die therapeutische Angemessenheit der Zunahme der Verordnungen (DDD) moderner Antidepressiva und Antipsychotika. Die Verordnung von Generika im Segment der Neuropsychopharmaka liegt hoch und damit im Trend des Gesamtmarktes. Trotz steigender Verordnungen waren die Ausgaben für Neuropsychopharmaka rückläufig infolge auslaufender Patente und gesetzlicher Zwangsrabatte. In den letzten Jahren sind die Verordnungen von Antidementiva stabil bei wachsendem Anteil der Cholinesterasehemmer und des Memantins, der aber dennoch nominal nur 34% der Betroffenen erreicht. Acamprosat wird kaum verordnet und erreicht allenfalls 5% der geeigneten Alkoholkranken. Die Verordnung von Methylphenidat bei ADHS zeigt einen Trend zur Sättigung, möglicherweise gebremst durch die Indikationserweiterung auf Erwachsene. Das Wachsen der Verordnung von Antiepileptika bei Indikationserweiterungen könnte mit den Krankheitsprävalenzen kompatibel sein, das Wachsen der Parkinsonmittel mit dem demographischen Wandel. Die Gründe für die erhebliche Variabilität insbesondere der Verordnung von Psychopharmaka zwischen den Bundesländern bleiben unklar.
Schlüsselwörter: Psychopharmaka, Pharmakoepidemiologie
Psychopharmakotherapie 2014;21:153–66.

Zweifellos findet der Arzneiverordnungsreport (AVR) jedes Jahr berechtigte öffentliche Aufmerksamkeit. Die ihm zugrunde liegenden pharmakoepidemiologischen Analysen der Verordnungen zu Lasten der GKV bedeuten einen beachtlichen Aufwand. Die Mission des AVR geht aber darüber hinaus, indem er sich traditionell insbesondere den sogenannten Einsparpotenzialen – für das Jahr 2012 immer noch 9,3% der Nettokosten unter anderem infolge Verordnung sogenannter Analogpräparate – widmet, hier also auch den Nutzen der Arzneimittel kritisch kommentiert.

So werden auch diesmal – wie seit Jahren – sinngemäß Zweifel unter anderem am Nutzen der Antidementiva (gelistet unter den „Arzneimitteln mit umstrittener Wirksamkeit“) sowie am Zusatznutzen der neuen Antiepileptika, der modernen sogenannten atypischen Neuroleptika und der – wenigen – neuen Antidepressiva genährt, weshalb ein Großteil der Psychopharmaka den sogenannten Analogpräparaten zugeordnet werden. Prioritäre Adressaten des AVR dürften in der Vergangenheit insbesondere die Parteien der Selbstverwaltung und die Politik gewesen sein. Hier scheint das Echo auf den jährlichen AVR leiser zu werden, vermutlich weil die Nutzenbewertung nach §35a SGB V mit darauf basierender Preisvereinbarung nach §130b SGB V mit dem AMNOG seit 2011 der wissenschaftlichen Analyse Vorrang vor der öffentlichen Debatte einräumt.

Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob sich überhaupt die Mühe – auch der Leser – lohnt, den AVR, seit inzwischen über zehn Jahren, bezüglich der Neuropsychopharmaka auszuwerten und zu kommentieren. Indem die Bewertungen der Neuropsychopharmaka durch die – gleichbleibenden – Autoren des AVR sich auch in der Wortwahl einer hohen Stabilität erfreuen, kann auf frühere „Ausgaben“ dieses Kommentars [4, 5, 7, 8] verwiesen werden, sodass sich die aktuelle Ausgabe erübrigen würde.

Fragt sich weiter, ob wenigstens die Aufbereitung der pharmakoepidemiologischen Daten für die von der PPT angesprochenen Zielgruppen – Neurologen, Psychiater, auch Allgemeinmediziner – von hinreichendem Interesse sein mag. Hier fallen immerhin gezielte Nachfragen auf, weshalb sich der Verlag seit Jahren – es sei gedankt – bereit findet, den Beitrag kostenlos auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (www.dgppn.de/publikationen/stellungnahmen.html) bereitstellen zu lassen.

Tatsächlich ist ein zentrales Motiv dieses jährlichen Beitrags, dem einzelnen Arzt zu ermöglichen, die Rationalität seines Verordnungsverhaltens gegenüber der Gesamtheit zu „benchmarken“. Das ist ein – bescheidener – Beitrag zur ansonsten bisher weitgehend fehlenden systematischen Qualitätssicherung der Pharmakotherapie in diesen Indikationsgebieten. Als Beitrag zur Qualitätstransparenz gehen die Analysen über die Daten des AVR hinaus, indem nicht nur dessen Daten zusätzlichen Auswertungen unterzogen, sondern zusätzlich Daten der GKV-Arzneimittelschnellinformation (GAmSi) beigezogen werden, die einen regionalen Bezug zumindest auf Ebene der Bundesländer erlauben.

Diesmal wird darauf verzichtet, anhand der Daten des AVR zu analysieren, aus welchen Fachgebieten welche Neuropsychopharmaka verordnet werden, da die bisherigen Analysen ergeben haben, dass sich diesbezüglich kaum etwas bewegt [8]. Allgemeinärzte und hausärztliche Internisten verordnen fast 50% der Psychoanaleptika (Antidepressiva, Psychostimulanzien, Antidementiva), 40% der Psycholeptika (Antipsychotika, Lithium, Anxiolytika, Hypnotika), über 40% der Antiepileptika und 30% der Parkinsonmittel.

Methodische Probleme

Die zusätzlichen Auswertungen des AVR stoßen auf methodische Probleme insbesondere bei Kostenanalysen, aus denen Unschärfen resultieren: Mit dem AVR 2012 wurde auf Nettokosten (Bruttokosten abzüglich der gesetzlichen Hersteller- und Apothekenabschläge) umgestellt, was sich in Zeitreihen nicht ohne unzumutbaren Aufwand nachvollziehen lässt. Die durch Rabattverträge nach §130a Abs. 8 SGB V erzielten Einsparungen der GKV (2011: 1,6 Mrd. Euro, 2012: 2,1 Mrd. Euro) kann der AVR nicht wirkstoffbezogen berücksichtigen, da es sich um Betriebsgeheimnisse der einzelnen GKV handelt. Des Weiteren ist zu bedenken, dass der AVR nur die 3000 verordnungsstärksten Fertigarzneimittel einbezieht. Entsprechend tauchen einzelne Wirkstoffe (hier interessant z.B. Naltrexon, Fluvoxamin) im AVR überhaupt nicht auf.

Die Diversifizierung des Generikamarkts bewirkt darüber hinaus, dass erhebliche und leider auch variable Anteile des Verordnungsvolumens eines Wirkstoffs in Daten des AVR nicht einbezogen werden. So liefert der AVR für Amisulprid nur die Daten eines einzigen Generikums, obwohl Fertigarzneimittel von 17 Anbietern im Markt sind. Daraus resultieren Diskrepanzen zwischen den berichteten Gesamtverordnungszahlen von Wirkstoffgruppen im Vergleich zur Summe der Einzelwirkstoffe. Selbst diese im AVR genannten Summen sind nicht immer nachvollziehbar: Beispielsweise werden für das in den verordneten Tagesdosen konform mit den Vorgaben der Selbstverwaltung (Rahmenvorgaben von GKV & KBV nach §84 Abs. 7 SGB V) führende Citalopram 340,9 Mio. DDD angegeben, die Summe der zugrunde liegenden 13 generischen Fertigarzneimittel ergibt aber nur 330,4 Mio. DDD.

Bei den Antidementiva führt dies zu der unsinnigen und mit Abbildung 10.1 des AVR inkonsistenten Botschaft, die Verordnung der Cholinesterasehemmer sei um dramatische 8,7%, 13,8% bzw. 31% gegenüber 2011 gesunken. Nicht nur sollten derartige Artefakte explizit erklärt werden, sondern es stellt sich die Frage, warum der AVR, dem ja seit Jahren eine Vollerfassung aller Verordnungen von Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV zugrunde liegt, an der Beschränkung auf 3000 Fertigarzneimittel festhält, wenn dies zu sinnlosen Informationen führt.

Entwicklung des Arzneimittelmarkts

Die Ausgaben der GKV für Arzneimittel sind 2012 gegenüber 2011 um 1,1% auf 31,33 Mrd. Euro gestiegen, die Netto-Ausgaben um 2,7% auf 27 Mrd. Euro. Die Psychopharmaka, also gemäß ATC Psychoanaleptika (Antidepressiva, Psychostimulanzien, Antidementiva) und Psycholeptika (Antipsychotika, Lithium, Anxiolytika, Hypnotika), liegen mit einem Anteil an den verordneten Tagesdosen (DDD) von 5,5% (2011: 5,6%) nach den Herz-Kreislauf-Mitteln (39,9%; Angiotensinhemmstoffe, Antihypertonika, Betarezeptorenblocker, Calciumantagonisten, Diuretika, Herztherapeutika) und Ulkustherapeutika (8%) auf Rang 3 der am häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen und mit einem Anteil an den Nettokosten von 7,4% (2011: 8,6%) nach den Herz-Kreislauf-Mitteln (12,8%, 2011: 13,7%) und Ulkustherapeutika (8%) ebenfalls auf Rang 3 (2011: Rang 2). Antiepileptika hatten 2012 einen Anteil an den Verordnungen (DDD) von 0,9% (Nettokostenanteil 2,7%), die Parkinsonmittel wie 2011 0,4% (Kostenanteil 1,8%), die Muskelrelaxanzien wie 2011 beachtliche 0,3% (Umsatzanteil 0,5%).

Neue Neuropsychopharmaka

Unter den 22 im Jahre 2012 neu zugelassenen Wirkstoffen finden sich ein Antiepileptikum – Perampanel (Fycompa®) – und ein Antidepressivum – Tianeptin (Tianeurax®).

Angesichts des hohen methodischen Standards der sogenannten frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln seit 2011 gemäß §35a SGB V erübrigt sich eine Kommentierung der Bewertungen von Fricke, an deren Übernahme der AVR festhält. An dieser Stelle sich andererseits mit den Nutzenbewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder gar den – davon gelegentlich abweichenden – Nutzenbewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) inhaltlich auseinandersetzen zu wollen, wäre unangemessen.

Das Antiepileptikum – Perampanel (Fycompa®) ist der erste und bisher einzige hochselektive, nichtkompetitive Antagonist des Glutamat-Rezeptor-Typs AMPA (Alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure). Perampanel wurde zur Zusatztherapie fokaler Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Epilepsiepatienten ab 12 Jahren zugelassen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (07.03.2013) erkannte wie das IQWiG keinen Zusatznutzen von Fycompa® gegenüber der als zweckmäßig festgesetzten Vergleichstherapie (Lamotrigin oder Topiramat in den Fällen, in denen Lamotrigin als Monotherapie angewandt wird), weil keine entsprechenden Studien vorgelegt wurden (in den Zulassungsstudien wurde Plazebo als Add-on verglichen). Daraufhin nahm der Hersteller Eisai Fycompa® aus dem Vertrieb, wobei Eisai die Weiterversorgung der aktuell mit Fycompa® Behandelten gewährleistete. Seit 01.01.2014 besteht ein Named-Patient-Zugangsprogramm für Fycompa®, das von Clinigen Group plc organisiert wird und Fycompa® laut Pressemeldungen deutschen Patienten kostenlos zur Verfügung stellt. Die Ergebnisse der Nutzenbewertung sind Grundlage der Preisverhandlungen nach §130b SGB V zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischem Unternehmen. Gemäß Portal „Erstattungsbetragsverhandlungen“ (Stand 18.12.2013) des GKV-Spitzenverbands wurde ein Preis festgesetzt (also nicht vereinbart).

Perampanel ist nach Retigabin (Trobalt®) das zweite Antiepileptikum, das vom Hersteller (GlaxoSmithKline) aus dem Vertrieb genommen wurde (von bisher insgesamt fünf „Opt-out-Fällen“), nachdem die Nutzenbewertung nach §35a SGB V keinen Zusatznutzen erkennen konnte. Auch für Retigabin gab es nur Plazebo-kontrollierte Studien; indirekte Vergleiche gegen Lacosamid wurden nicht akzeptiert, weil Lamotrigin oder Topiramat die zweckmäßige Vergleichstherapie darstelle. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie hat sich kritisch zu den Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses geäußert. Bereits im Mai 2013 hatte sich ein Konsortium aus fünf internistischen Fachgesellschaften (DDG, DGIM, DGK, DKG, DGVS) unter anderem zum Verfahren der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie kritisch geäußert.

Perampanel und Retigabin können als Präzedenzfälle für ein Grundproblem der Psychopharmakotherapie aufgefasst werden: Die Auswahl eines Antiepileptikums für den konkreten Patienten erfolgt zwar nach rational begründbaren Kriterien, letztlich aber entscheiden Versuch und Irrtum. Entsprechendes gilt für die Auswahl eines Antidepressivums oder Antipsychotikums. Die Sequenz von Versuch und Irrtum wird grundsätzlich solange fortgesetzt, bis sich ein Optimum an Therapieerfolg und Verträglichkeit eingestellt hat. Es liegt auf der Hand, dass zumindest theoretisch eine größere Anzahl verfügbarer Wirkstoffe die Zahl der Versuchsmöglichkeiten und damit vielleicht auch am Ende der erfolgreich behandelten Patienten erhöht. Das wurde bisher nie untersucht, obwohl sich entsprechende Cluster-randomisierte Studien vermutlich leicht durchführen ließen (eine Ärztegruppe darf unter X Wirkstoffen auswählen, eine andere unter X+Y Wirkstoffen). Mit derartigen Fragen setzt sich der AVR bei seiner Diskussion von Perampanel nicht auseinander, sondern „rät aus wirtschaftlichen Gründen von der Verordnung ab“.

Tianeptin ist zur „Behandlung von Depressionen bei Erwachsenen“ zugelassen. Tianeptin (Tianeurax®) musste sich nicht der Nutzenbewertung stellen, weil es keinen Patentschutz mehr genießt. Tianeptin war bereits lange in Frankreich (seit 1988) und Österreich (seit 1999) sowie Asien und Südamerika verfügbar. Seine Pharmakodynamik ist für die Theoriebildung von hohem Interesse, denn Tianeptin – obwohl ein trizyklisches Antidepressivum – hemmt nicht den synaptischen Serotonin-Transporter, sondern erhöht die synaptische Wiederaufnahme von Serotonin. Außerdem beeinflusst es in komplexer, nicht abschließend geklärter Weise die glutamaterge Transmission und hemmt die Reaktion des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems auf Stressoren. Gemäß der Metaanalyse von Kasper und Olié [11] ist seine Wirksamkeit mit derjenigen der SSRI Fluoxetin, Paroxetin und Sertralin vergleichbar. Wegen französischer Berichte über Abhängigkeit und Missbrauch wird in der Fachinformation vor Dosiserhöhungen, insbesondere bei zurückliegender Alkohol- und Drogenabhängigkeit, gewarnt. Und im AVR heißt es, Tianeurax® werde sich wegen seiner „hohen Tagestherapiekosten kaum am Markt behaupten können“.

Generika

Unter den Neuropsychopharmaka stehen nur noch die Antiepileptika Pregabalin, Lacosamid und Zonisamid, die Parkinsonmittel Rotigotin, Piribedil, Entacapon und Rasagilin, die Antidepressiva Agomelatin, Bupropion und Escitalopram (bis 06/2014), die Antipsychotika Aripiprazol, Paliperidon sowie Atomoxetin unter Patentschutz. Entsprechend dominieren Generika den Markt in diesen Indikationen. Für die generikafähigen Neuropsychopharmaka liegen die Generika-Anteile an den Verordnungen laut Liste des Arzneiverordnungsreports bei 90% und damit über dem Durchschnitt. Dazu tragen auch die Rabattverträge mit inzwischen hoher Durchdringung bei. Der Apotheker ist verpflichtet, das rabattierte Arzneimittel abzugeben, wenn der Arzt aut idem nicht ausgeschlossen hat oder der GKV-Versicherte von seinem mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in §129 Absatz 1 SGB V eingeräumten Recht Gebrauch macht, bei Verordnung eines Generikums ad hoc Kostenerstattung zu wählen, um das Fertigarzneimittel seiner Wahl zu erhalten. Die GKV hat laut AVR aus Rabattverträgen im Jahr 2012 Einsparungen in Höhe von 2008 Mio. Euro (2011: 1634 Mio. Euro; 2010: 1309 Mio. Euro) erzielt. Es ist nicht zu ermitteln, welche Anteile davon auf Neuropsychopharmaka entfallen.

Verordnungsspektren

Antidepressiva

Die verordneten Tagesdosen (DDD) von Antidepressiva haben von 2011 auf 2012 erneut – um 4% – zugenommen, die Nettokosten sind – mit dem Vorbehalt der oben genannten methodischen Probleme – stabil geblieben, wozu die bis 31.12.2013 geltenden erhöhten gesetzlichen Rabatte und das gesetzliche Preismoratorium beigetragen haben. Diese Entwicklung (Abb. 1) entspricht im Wesentlichen dem Trend des Gesamtmarkts (DDD +3,8%). Seit 1994 haben die verordneten Tagesdosen (DDD) der chemisch definierten Antidepressiva 4,8-fach zugenommen. Eine zu erwartende Sättigungstendenz könnte sich abzeichnen (Abb. 1). Die modernen Antidepressiva haben inzwischen einen Anteil von etwa 77% (2011: 75%) der gesamten (ohne Johanniskraut-Extrakte) Antidepressiva-Verordnungen (DDD; Abb. 2) und etwa 80% (wie seit 2010) am Umsatz (Abb. 3).

Abb. 1. Arzneiverordnungen und -umsätze zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 2. Verteilung der Antidepressiva-Verordnungen (DDD) zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 3. Verteilung der Antidepressiva-Umsätze zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Mit Wahrscheinlichkeit ist das Ausscheiden von Reboxetin der Bewertung durch IQWiG, die anderenorts kommentiert wurde [6], zuzuschreiben. In der Tat ergibt sich die Frage nach der medizinischen Begründung für das weitere Wachstum von Duloxetin (DDD und Nettokosten +20%, laut AVR DDD +14,5%), das damit einen Anteil von 4% (2011: 3,5%) der verordneten Tagesdosen (DDD) innehat und daraus einen Anteil am Gesamtumsatz aller Antidepressiva von 23% (2011: 19%) generiert. Bupropion wächst – relativ – erheblich und hat 1,2% der DDD (2,3% der Kosten) der Antidepressiva erreicht. Darin könnten sich auch laut §34 SGB V (Negativliste) ausgeschlossene Verordnungen für die Raucherentwöhnung verbergen, die für Elontril® off-Label wären. Agomelatin hat inzwischen 1,9% der DDD mit einem Umsatzanteil von 6,9% gewonnen, womit es in der ambulanten Versorgung eine deutlich geringere Rolle spielt als – soweit die Stichtagserhebungen aus den AMSP-/AGATE-Projekten eine Einschätzung erlauben – in der stationären.

Escitalopram versus Citalopram: Aktueller Stand

Die – vom Gesetzgeber gewollte – Vorgabe von Citalopram als Leitsubstanz seit Start der „Rahmenvorgaben Arzneimittel“ [3] der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß §84 Abs. 7 SGB V bedeutet einen Eingriff in den Wettbewerb. Zeitlich kontingent ist die Verordnung (DDD) von Citalopram um 100% gegenüber 2007 gewachsen; im Jahr 2012 hatte Citalopram einen Anteil von 62% an den DDD der selektiv-serotonergen Antidepressiva (SSRI). Demgegenüber hat sich der Anteil des einzigen im Berichtszeitraum noch patentgeschützten SSRI Escitalopram (Cipralex®) 2012 weiter auf 5,3% an den DDD von SSRI halbiert (2010: 11,8%).

Dazu dürfte der G-BA-Beschluss vom 17.02.2011 beigetragen haben, Escitalopram in eine Festbetragsgruppe (der Stufe II nach §35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V – „pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen“) mit Citalopram einzuordnen, da die Patienten die Differenz zwischen Festbetrag und tatsächlichem Apothekenabgabepreis selbst zu tragen hätten. Wie berichtet [8, 13], hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg (Az. L 1 KR 184/11 ER; LSG 2011) am 06.12.2011 den G-BA-Beschluss im Eilverfahren (vorläufiges Rechtsschutzverfahren) aufgehoben. Der AVR führt dies darauf zurück, es habe den „Anschein, dass die LSG-Entscheidung wesentlich durch herstellerabhängige Metaanalysen geprägt wurde …“. Obwohl also Escitalopram wieder voll von der GKV zu erstatten ist, hat der G-BA-Beschluss dennoch massive und anhaltende Folgen gezeitigt. Das Urteil im Hauptverfahren steht aus und wird derart erhebliche grundsätzliche Bedeutung haben, dass darauf zurückzukommen sein wird.

Lithium

Lithium ordnet der AVR traditionell den Antidepressiva zu (während die ATC-Systematik Lithium den Psycholeptika und hier den Antipsychotika unterordnet). Angesichts der belegten antimanischen, rezidivprophylaktischen (sowohl bei bipolarer Störung als auch unipolarer Depression), augmentativen und suizidpräventiven Wirksamkeit bleibt schwer verständlich, warum die Verordnungen seit Jahren zwischen nur 20 bis 21 Mio. DDD (Umsatz 2012 etwa 10 Mio. Euro) pendeln, wenn auch mit einem leichten Anstieg seit 2004. Die Verordnungen erreichen kaum 10% des entsprechend den Krankheitsprävalenzen nominal möglichen Volumens.

Neuroleptika

Die Verordnung von Neuroleptika steigt seit etwa 2005 jährlich um 2% bis 5% (Abb. 1), soweit die über die Jahre sich ändernden Definitionen der DDD (2012 +24% gegen 2005) für Neuroleptika durch die WHO eine Beurteilung erlauben. Das ist vermutlich dem Wachstum moderner Antipsychotika, auch mit Indikationserweiterungen auf bipolare Störungen und Off-Label-Anwendung, zuzuschreiben. Nachdem der Umsatz 2008 um 9,4% gegen 2007 gesunken war, im Wesentlichen weil Risperidon und Olanzapin den Patentschutz verloren hatten, ist er 2009 um 22% und 2010 um weitere 7% gewachsen, unter anderem weil der Bundesgerichtshof Olanzapin wieder unter Patentschutz stellte. Inzwischen begründen weitere Verluste des Patentschutzes (Quetiapin) und die gesetzlichen Zwangsrabatte den erneuten Umsatzrückgang von 2011 auf 2012 um 17% (unter o.g. methodischen Vorbehalten).

Die uneinheitliche Gruppe der atypischen Neuroleptika (Abb. 4) im engeren Sinne (ohne Sulpirid, Zotepin und Melperon) hat inzwischen einen Anteil von 52% bei den verordneten Tagesdosen (85% des Umsatzes, Abb. 5). Bezieht man Sulpirid, Zotepin (außer Vertrieb) und Melperon in diese Gruppe mit ein, so liegt der Anteil der DDD bei 57% mit 89% des Umsatzes. Quetiapin hat Olanzapin und Risperidon überflügelt und ist mit 16% der DDD das am häufigsten verordnete Neuroleptikum mit dem höchsten Umsatzanteil (30%). Aripiprazol generiert mit nur 4,4% der DDD 15% des Umsatzes der Neuroleptika.

Abb. 4. Verteilung der Verordnungen (DDD) von Neuroleptika zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 5. Verteilung der Umsätze von Neuroleptika zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Paliperidon als orale Darreichungsform spielt keine Rolle mehr, nachdem es vom Gemeinsamen Bundesausschuss einer Festbetragsgruppe zugeordnet wurde und der Hersteller seinen Preis nicht entsprechend gesenkt hat. Das ist insofern beachtlich, als Paliperidon (Invega®) seit 2011 das erste und einzige Neuroleptikum ist, das für schizoaffektive Störung zugelassen ist. Die 2011 eingeführte Depotform Paliperidonpalmitat (Xeplion®) unterliegt keiner Festbetragsregelung und ist nicht der Nutzenbewertung nach §35a SGB V zu unterziehen, weil der Wirkstoff Paliperidon bereits vor 2011 zugelassen wurde. Paliperidon generiert mit nur 1,1% der DDD 5,6% des Umsatzes der Neuroleptika.

Antidementiva/Nootropika

Nach dem Einbruch 2004 infolge des grundsätzlichen gesetzlichen Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) sind die verordneten DDD der Antidementiva 2008 und 2009 um jeweils +9% (Umsatz +20% bzw. +15%) gestiegen, weil die Cholinesterasehemmer (+17% bzw. +13%) und Memantin (+17% bzw. +16%) bei den verordneten DDD absolut gewachsen sind, verbunden mit einer Umsatzsteigerung von 20%/15% bzw. 17%/16%. Seither stagniert die Verordnung von Antidementiva (Abb. 1). Der Umsatz ist 2012 erneut gesunken (–21%), wozu auch der Verlust des Patentschutzes von Galantamin und 2012 Donepezil, Rivastigmin (abgesehen vom Pflaster) und Memantin beigetragen hat.

Trotz der Zunahme ihrer Verordnungen haben die Cholinesterasehemmer (DDD +2,2%) und Memantin die Kranken nicht sachgerecht erreicht: Donepezil, Rivastigmin und Galantamin hatten im Jahr 2012 einen Anteil von 53% an den Verordnungen (DDD; Abb. 6) und von 67% am Umsatz (Abb. 7). Memantin verzeichnet einen Anteil von 27% an den Tagesdosen und 38% an den Umsätzen. Geht man von aktuell 650000 Alzheimer-Kranken aus und postuliert (realitätsfern) eine – wie eigentlich geboten – kontinuierliche Behandlung, so können diese Therapieoptionen bisher nominal etwa 34% der Betroffenen nutzen. Nominal würde eine 100%ige Behandlung bei aktuellen (gesunkenen) Preisen zusätzlich 433 Mio. Euro verbrauchen.

Abb. 6. Verteilung der Verordnungen (DDD) von Antidementiva/Nootropika zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 7. Verteilung der Umsätze von Antidementiva/Nootropika zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Entwöhnungsmittel

Bereits vielfach wurde in den Kommentaren zum AVR auf die Widersprüchlichkeit des Ausschlusses von Mitteln zur Raucherentwöhnung (Buproprion [Zyban®], Nicotin und Vareniclin [Champix®]) aus dem Leistungskatalog der GKV (§34 SGB V) hingewiesen: Der Ausschluss ist angesichts der Bedeutung des Rauchens als Risikofaktor für die führenden Todesursachen (u.a. Herzinfarkt und Malignome) medizinisch unplausibel. Er ist angesichts des Bekenntnisses auch der Bundesregierung zur Prävention, hier ein rauchfreies (Raucher-freies) Land zu realisieren (das Bundes-Nichtraucherschutzgesetz ist seit 01.09.2007 in Kraft), wenig plausibel: Der Ausschluss bleibt unlogisch. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat sich in jahrelangem Verfahren nicht entschließen können, im Rahmen von Disease-Management-Programmen (DMP) vom Ausschluss abzuweichen. Am 27.12.2012 hat sich die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung Mechthild Dyckmans (FDP) dafür ausgesprochen, dass Krankenkassen künftig Kosten der Arzneimittel für die Tabakentwöhnung übernehmen.

Der neuen Drogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) ist die Bundesregierung mit einer beachtenswerten, 16-seitigen Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ am 14.01.2014 zuvorgekommen: „Rauchen ist und bleibt das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Gesundheitspolitik der Bundesregierung darauf, den Einstieg in das Rauchen zu verhindern. Hier sind in den letzten Jahren, vor allem unter Jugendlichen, deutliche Erfolge zu verzeichnen. … Die Kosten für die Versorgung von Krankheiten und Gesundheitsproblemen, die auf das Rauchen zurückgehen, belaufen sich Schätzungen zufolge auf 7,5 Mrd. Euro jährlich (Jahrbuch Sucht 2013). … Unter Einbeziehung von Erwerbsunfähigkeit, Frühberentung und Todesfällen ist von gesamtwirtschaftlichen Kosten in Höhe von 21 Mrd. Euro pro Jahr auszugehen. … Da es sich dabei (u.a. bei Mitteln zur Raucherentwöhnung) um Arzneimittel handelt, deren Einsatz im Wesentlichen durch die private Lebensführung bedingt ist, ist jeder Verbraucher/jede Verbraucherin für deren Finanzierung selbst verantwortlich. …Auch die gesetzlichen Vorgaben für die strukturierten Behandlungsprogramme bieten keine Grundlage für eine Festlegung eigener, leistungsrechtlicher Ansprüche für die Behandlung im DMP entgegen dem ausdrücklichen gesetzlichen Verordnungsausschluss des §34 Absatz 1 Satz 8 SGB V.“

Acamprosat wird in Anlage III Nr. 2 Alkoholentwöhnungsmittel (früher Anlage 4) der Arzneimittelrichtlinien (AMR) des G-BA ausdrücklich als bei Alkoholkrankheit verordnungsfähig genannt, wobei „zur Vermeidung eines nicht sachgerechten Einsatzes auf die bestimmungsgemäße Anwendung von Acamprosat ausschließlich als Zusatztherapeutikum im Rahmen einer psychosozial betreuten Abstinenzbehandlung“ hingewiesen wird. Ausgelöst durch die europäische Zulassung von Nalmefen (Selincro®), einem My- und Delta-Opioidrezeptorantagonisten sowie Kappa-Partialagonisten, im Februar 2013, dessen Anwendungsgebiet auf die Reduktion des Alkoholkonsums bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit ausgerichtet ist und damit nicht auf Abstinenz abhebt, hat der G-BA am 25.06.2013 ein Stellungnahmeverfahren zur Änderung der Anlage III Nr. 2 eingeleitet, das auch Nalmefen „bei alkoholkranken Patienten, die eine Abstinenz nach mehrmaligen erfolglosen Therapieversuchen nicht erreichen können,“ zu Lasten der GKV verordnungsfähig machen soll. „Die Verordnung darf nur erfolgen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts mit dem Therapieziel, die Abstinenz schrittweise zu erreichen und mit begleitenden psychosozialen Maßnahmen. Die Verordnung ist zunächst auf einen Therapieversuch über die maximale Dauer von einem Jahr zu begrenzen.“

Das Verfahren wurde am 20.02.2014 abgeschlossen mit einem G-BA-Beschluss, zu dem bisher nur die Presseerklärung vorliegt. Danach sind abweichend vom ursprünglichen oben benannten Vorschlag „solche Arzneimittel künftig für Patientinnen und Patienten verordnungsfähig, die zur Abstinenz bereit sind, aber noch keinen Therapieplatz gefunden haben. Eine medikamentöse Therapie soll Betroffene dabei unterstützen, weniger Alkohol zu trinken und auf diese Weise zu einer Abstinenztherapie bewegen“. Und weiter: „In den genannten Fällen können entsprechende Arzneimittel bis zu drei Monate zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. In begründeten Ausnahmen kann die Verordnung maximal um weitere drei Monate verlängert werden. Die Einleitung einer medikamentösen Therapie muss durch Ärztinnen und Ärzte erfolgen, die nachweislich Erfahrungen mit der Behandlung von Alkoholabhängigkeit haben.“

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der G-BA-Beschluss mit der amtlichen Beschreibung des Anwendungsgebiets (Summary of product characteristics [SPC] der EMA) harmoniert: „Selincro® wird zur Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit angewendet, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet (DRL: drinking risk level), bei denen keine körperlichen Entzugserscheinungen vorliegen und für die keine sofortige Entgiftung erforderlich ist. Selincro® sollte nur in Verbindung mit kontinuierlicher psychosozialer Unterstützung, die auf Therapieadhärenz und eine Reduktion des Alkoholkonsums zielt, verschrieben werden. Die Behandlung mit Selincro® sollte nur bei Patienten eingeleitet werden, deren Alkoholkonsum sich zwei Wochen nach einer initialen Untersuchung weiterhin auf einem hohen Risikoniveau befindet.“ Das Verfahren der Nutzenbewertung nach §35a SGB V scheint noch nicht begonnen zu haben, wohl weil dieser Beschluss des G-BA abzuwarten war.

Die Verordnungen von Acamprosat (Abb. 8) sind auch 2012 trotz bereits niedrigen Niveaus gesunken (DDD –8%). Allenfalls 5% der geeigneten Patienten werden erreicht, es bleiben also therapeutische Chancen ungenutzt. Dem leistet der AVR unverändert Vorschub, indem er immer wieder die Datenlage unvollständig und damit suggestiv wiedergibt. Ein erneuter Kommentar erübrigt sich, auf die frühere Zusammenfassung der guten Evidenzlage [5, 7] wird verwiesen.

Abb. 8. Acamprosat-Verordnungen und -Umsatz [Arzneiverordnungsreport 1997–2013]

Seit 17.05.2010 ist Naltrexon (Adepend®) für das Anwendungsgebiet „als Teil eines umfassenden Therapieprogramms gegen Alkoholabhängigkeit zur Reduktion des Rückfallrisikos, als unterstützende Behandlung in der Abstinenz und zur Minderung des Verlangens nach Alkohol“ zugelassen, weshalb es in Abbildung 8 aufgenommen ist. Es hat bisher aber noch nicht die Hürde überwunden, unter die 3000 verordnungsstärksten Arzneimittel, die dem AVR zugrunde liegen, zu gelangen.

Psychostimulanzien

Seit 1992 ist die Verordnung von Methylphenidat um den Faktor 83 gestiegen (Abb. 9), was als Hinweis auf einen Abbau der Unterversorgung von Patienten mit Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) interpretiert werden kann. Seit 2008 zeichnet sich ein Sättigungseffekt ab (Abb. 9) und die Ausgaben sinken (Abb. 9). Atomoxetin spielt mit nun 3,6% der verordneten Tagesdosen eine untergeordnete und abnehmende Rolle, verursacht aber 18% der Umsätze in diesem Indikationssegment.

Abb. 9. Verordnungen und Umsätze von „Psychostimulanzien“ [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Modafinil verzeichnete bis 2010 auf niedrigem Niveau ein deutliches Wachstum. Modafinil war nie für ADHS zugelassen. 2011 hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die bisherigen Indikationen „mittelschweres bis schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) mit exzessiver Schläfrigkeit trotz adäquater nCPAP-Therapie“ und das Schichtarbeiter-Syndrom zurückgenommen, sodass Modafinil nur noch für die Narkolepsie zugelassen ist.

Seit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.03.2002 bestand das Problem des angeblichen Off-Label-Use bei Verordnung von Methylphenidat für Erwachsene mit ADHS [2]. Die Expertenkommission Off-Label-Use beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß §35c SGB V musste den Prüfauftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses wegen laufender Zulassungsantragsverfahren unerledigt zurückgeben. 2011 wurde ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat für ADHS im Erwachsenenalter zugelassen; definitionsgemäß muss das ADHS hier bereits in der Kindheit nachweisbar gewesen sein. Möglicherweise ist der Anstieg der Verordnungen (DDD +4,5%) von 2011 auf 2012 darauf zurückzuführen, dass das bisher auf Privatrezept gesetzlich Versicherten verordnete Methylphenidat jetzt zu Lasten der GKV verordnet wird (den Autoren des AVR fallen angesichts des Anstiegs nur Sorgen bezüglich der Arzneimittelsicherheit ein, die zweifellos immer berechtigt sind).

Die Verordnung von Psychostimulanzien weist, soweit aus isolierten Projekten [14] bekannt, eine regionale Variabilität auf, deren Rationalität unklar ist und die mit einer gleichmäßigen, bedarfsgerechten (§70 SGB V) Versorgung schwer vereinbar ist [8]. Die Bundesopiumstelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird erfreulicherweise ab 2014 die gesetzlich dort von den Apotheken zu meldenden Abgaben von Betäubungsmitteln systematisch auswerten und entsprechende Geodaten veröffentlichen, sodass zumindest für Methylphenidat und Amphetamine mehr Transparenz über die Behandlung der ADHS erhofft werden kann.

Antiepileptika

Die Verordnung von Antiepileptika hat seit 1994 um 144% zugenommen, in den letzten zehn Jahren um 83% (Abb. 10). Die Prävalenz der Epilepsien dürfte sich nicht bedeutsam geändert haben, auch das Bevölkerungswachstum ist keine ausreichende Erklärung. Möglicherweise aber ist die Pharmakotherapie angemessener geworden, auch dank der Diversifizierung der Therapieoptionen, die bessere Individualisierung erlauben kann. Der AVR diskutiert, dass die verordneten DDD des Jahres 2012 die Prävalenz der Epilepsien übersteige, indem 1,4% der GKV-Versicherten theoretisch einer Dauertherapie unterlägen, und erklärt dies mit zunehmendem Einsatz der Antiepileptika in der Schmerztherapie und vermutlich bei bipolarer affektiver Störung. Der Zuwachs ist den modernen Antiepileptika (Abb. 10) zu verdanken. Einige neuere Antiepileptika (Felbamat, Tiagabin, Stiripentol, Eslicarbazepin) haben bisher nicht die vom AVR berücksichtigten 3000 am häufigsten verordneten Arzneimittel erreicht. Vigabatrin ist seit 2006 in dieser Gruppe nicht mehr vertreten. Einige Antiepileptika haben Indikationserweiterungen gewonnen, insbesondere den neuropathischen Schmerz, die bipolare Störung und die generalisierte Angststörung (nur Pregabalin), was zum Wachstum der Verordnungen beiträgt. Eine Quantifizierung der Indikationsanteile ist anhand der Daten des AVR unmöglich (wenn auch anhand der den Krankenkassen vorliegenden Daten oder auf Basis §§303a ff. SGB V grundsätzlich möglich), also auch eine Abschätzung des Versorgungsgrads. Pregabalin, das als verordnungsstärkstes Antiepileptikum 2012 19% der DDD ausmachte, soll laut AVR (ohne Quellenangabe) zu 89% bei neuropathischem Schmerz eingesetzt werden.

Abb. 10. Verordnungsspektrum (DDD) von Antiepileptika zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Die Anwendungsgebiete „Behandlung von akuten Manien“ und „Prophylaxe bipolarer Störungen“ der Valproinsäure, die nur von einigen Fertigarzneimitteln mit diesem Wirkstoff beansprucht werden, sind im Jahr 2010 auf Antrag der Niederlande durch die europäische Zulassungsbehörde [1] erneut überprüft worden mit folgenden Ergebnissen: „Gemäß den Empfehlungen des CHMP für Valproat enthaltende Arzneimittel sollte die Indikation aufgrund der Einschränkungen und Unzulänglichkeiten der Daten aus klinischen Studien folgendermaßen angepasst werden, da die Analyse sich auf relativ alte klinische Studien stützte: Behandlung von manischen Episoden bei einer bipolaren Störung, wenn Lithium kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird. Die weiterführende Behandlung nach einer manischen Episode kann bei Patienten in Erwägung gezogen werden, die auf Valproat bei der Behandlung der akuten Manie angesprochen haben.“ Die Indikation zur Rezidivverhütung von Stimmungsepisoden werde durch die vorgelegten Daten nicht gerechtfertigt. Der Stand der Umsetzung in Deutschland ist nicht erkennbar. Da keine Daten zugänglich sind, anhand derer die Häufigkeit der Nutzung des Anwendungsgebiets „Prophylaxe bipolarer Störungen“ (also nicht im Sinne einer Weiterbehandlung nach einer Manie) abgeschätzt werden könnte, bleiben die praktischen Konsequenzen für die Versorgung im Falle der Umsetzung unklar.

Parkinsonmittel

Die Verordnungen (DDD) sowohl von Levodopa (nahezu ausschließlich in Kombination mit Decarboxylasehemmern) als auch Dopaminagonisten steigen grundsätzlich seit Jahren (Abb. 11), worin sich zumindest teilweise der demographische Wandel widerspiegeln kann. Nachdem für die Ergolinderivate Pergolid und Cabergolin ein deutlich erhöhtes Risiko unter anderem für Herzfibrosen mit Valvulopathien erkannt wurde, ist deren Verordnung massiv zurückgegangen, weshalb sie vom AVR nicht mehr erfasst werden. Zu den Umsatzsteigerungen (Abb. 12) der letzten Jahre tragen ausschließlich die Dopaminagonisten und COMT-Inhibitoren bei. Seit 2011 sinken die Umsätze, weil Pramipexol seinen Patentschutz verloren hat und damit Generika verfügbar wurden, und infolge der gesetzlichen, bis 31.12.2013 befristet erhöhten Zwangsrabatte.

Abb. 11. Verordnungen (DDD) von Parkinsonmitteln zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 12. Umsätze für Parkinsonmittel zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Tranquillanzien und Hypnotika

Die Verordnung (DDD) von Tranquillanzien (Abb. 13) und Hypnotika (Abb. 14) zu Lasten der GKV ist seit Jahren rückläufig (Abb. 1) und wird dominiert einerseits von Lorazepam und andererseits von Zopiclon und Zolpidem. Da es sich weit überwiegend um niedrigpreisige Generika handelt, bot sich die Verordnung auf Privatrezept an, solange die Zuzahlung höher als der Packungspreis war. Das trifft seit 2004 nicht mehr zu, nachdem der Apothekenabgabepreis eine Beratungspauschale des Apothekers enthält. Die vom AVR erneut als alarmierend ins Feld geschickte Untersuchung von Hoffmann et al. [10], wonach gesetzlich Versicherten „mehr als die Hälfte von Zolpidem und Zopiclon über Privatrezepte verordnet wird“, wirft methodische Fragen auf, indem danach Privatversicherten vor 1995 diese Wirkstoffe so gut wie nicht verordnet worden wären, was wenig plausibel erscheint. Das ändert nichts daran, dass angesichts des Risikos von Missbrauch und Abhängigkeit der direkt öffentliche Zugang zu statistischen Informationen zur privaten Verordnung zur Qualitätssicherung beitragen würde. Diese könnten derzeit umfassend (also außerhalb von Stichproben) nur die Hersteller selbst liefern, wodurch sie verantwortliches Handeln zeigen würden.

Abb. 13. Verteilung der Verordnung von Anxiolytika (DDD) zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Abb. 14. Verteilung der Verordnungen von Hypnotika (DDD) zu Lasten der GKV [Arzneiverordnungsreport 1995–2013]

Regionale Verordnungsgewohnheiten

Die föderale Struktur Deutschlands bietet grundsätzlich die Möglichkeit des Benchmarking der Versorgung – hier mit Arzneimitteln – als quasi ideales Instrument der Qualitätskontrolle. Solches Benchmarking ist auch geboten, um zu prüfen, inwieweit der gesetzliche Anspruch der gesetzlich Versicherten auf eine gleichmäßig bedarfsgerechte Versorgung (§70 SGB V) eingelöst wird. Die dem AVR zugrunde liegenden Daten enthalten den regionalen Bezug, werden aber bisher vom AVR nicht in diesem Sinne genutzt. Regionalen Bezug (auf jede Kassenärztliche Vereinigung) bieten nur die auf derselben Datenbasis erstellten Berichte des GKV-Arzneimittel-Schnellinformationssystems (GAmSi) des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Diese berichten aber nur über die jeweils 30 umsatzstärksten Fertigarzneimittel, ansonsten nur aggregiert auf Ebene von Indikationsgruppen.

Das GAmSi gibt aggregierte Informationen zu „Psychopharmaka“ und fasst unter diesem Begriff wie der AVR Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquillanzien, Phasenprophylaktika (z.B. Lithium) und Psychostimulanzien zusammen. Danach gab es im Jahr 2012 (kumuliert bis 12/2012) wie in den Vorjahren ein Süd-Nord-Gefälle (mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern) mit den höchsten Verordnungsraten in Bayern, Rheinland-Pfalz und im Saarland (Abb. 15).

Der Variationskoeffizient (VK) zwischen den Bundesländern war 2012 mit 7,6% für die Tagesdosen je GKV-Versicherten niedriger als in den Vorjahren (10%); für die Bruttoumsätze (€) je Versicherten erreichte er wieder 10%. Da die Verteilung der Verordnung von Psychopharmaka im Wesentlichen derjenigen in den Vorjahren (Abb. 15) entspricht, dürfte es sich eher nicht um zufällige regionale Schwankungen handeln. Da das Verteilungsmuster der gesamten Arzneimittelverordnungen eher ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle (Abb. 15) aufweist, liegt wohl kein generell unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten der Bevölkerung für Arzneimittel zugrunde. Ohne Indikationen- und Wirkstoffbezug müssen tragfähige Deutungsversuche scheitern.

Abb. 15. Verordnungen (DDD) je GKV-Versicherten von und Ausgaben (brutto) je DDD nach Bundesländern (Stand 12/2012) für Psychopharmaka im Vergleich zu allen Arzneimitteln und im Verlauf der Jahre 2009–2012 [GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GAmSi]

Auch bei den Parkinsonmitteln zeigt sich eine über die Jahre weitgehend stabile, erhebliche Variabilität (VK 17%, 2010: 16%) der je GKV-Versicherten verordneten Tagesdosen zwischen den Bundesländern, wobei aber eine Übereinstimmung des Verteilungsmusters mit dem des Bevölkerungsanteils der über 64-Jährigen erkennbar ist (Abb. 16), sodass die Variabilität grundsätzlich medizinisch plausibel ist. Das davon abweichende Verteilungsmuster der damit verbundenen Ausgaben je GKV-Versicherten (Variationskoeffizient 22%) ist dagegen erklärungsbedürftig.

Abb. 16. Verordnungen (DDD) je GKV-Versicherten von und Ausgaben (brutto) je DDD nach Bundesländern (Stand 12/2012) für Parkinsonmittel im Vergleich zum Anteil der über 64-Jährigen [GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GAmSi, bzw. statistisches Bundesamt]

Ein ähnliches – und mit dem jeweiligen Anteil der über 64-Jährigen vereinbares – Verteilungsmuster weisen die Antidementiva auf, wobei die Antidementiva aber nicht in allen Bundesländern (nicht in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen) zu den 30 am häufigsten verordneten Arzneimitteln gehören, weshalb die Geodarstellung (DDD je GKV-Versicherten) nicht gezeigt wird.

Für die Variabilität der je GKV-Versicherten verordneten Tagesdosen von Antiepileptika und der dafür investierten Ausgaben (Abb. 17; VK 14% bzw. 16%) ist Plausibilität nicht zu erkennen.

Abb. 17. Verordnungen (DDD) je GKV-Versicherten von und Ausgaben (brutto) je DDD nach Bundesländern (Stand 12/2012) für Antiepileptika [GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GAmSi]

Interessenkonflikterklärung

JF erhielt in den letzten zwei Jahren Honorare für Vorträge bzw. Beratertätigkeiten von Janssen, Lundbeck, Roche und dem Verband der privaten Krankenversicherung.

Literatur

1. EMA 2010: www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/Referrals_document/valproate_31/WC500105843.pdf (Zugriff am 15.04.2014).

2. Fritze J, Schmauß M. Off-Label-Use: Der Fall Methylphenidat. Psychoneuro 2003;29:302–4.

3. Fritze J. Rahmenvorgaben Arzneimittel 2008 der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Psychoneuro 2008;34:49–50.

4. Fritze J. Psychopharmaka-Verordnungen – Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2008. Psychopharmakotherapie 2009;16:121–33.

5. Fritze J. Psychopharmaka-Verordnungen – Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2009. Psychopharmakotherapie 2010;17:240–50.

6. Fritze J, Aldenhoff J, Bergmann F, Eckerman G, et al. Stellungnahme der DGPPN und AGNP zum Abschlussbericht „Bupropion, Mirtazapin und Reboxetin bei der Behandlung der Depression“ des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Nervenarzt 2010;81:367–70.

7. Fritze J. Psychopharmaka-Verordnungen – Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2011. Psychopharmakotherapie 2011;18:245–56.

8. Fritze J. Psychopharmaka-Verordnungen – Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2012. Psychopharmakotherapie 2013;20:67–81.

9. Fritze J. Fingolimod (Gilenya®) – Preisfindung auf Basis der frühen Nutzenbewertung. Psychopharmakotherapie 2011;18:127–30.

10. Hoffmann F,·Scharffetter W,·Glaeske G. Verbrauch von Zolpidem und Zopiclon auf Privatrezepten zwischen 1993 und 2007. Nervenarzt 2009;80:578–83.

11. Kasper S, Olié JP. A meta-analysis of randomized controlled trials of tianeptine versus SSRI in the short-term treatment of depression. Eur Psychiatry 2002;17(Suppl 3):331–40.

12. LSG 2011: www.lsg.berlin.brandenburg.de/sixcms/media.php/4417/l1kr184-11_er.pdf (Zugriff am 15.04.2014).

13. Möller HJ, Laux G. Die „Nikolaus-Entscheidung“ 2011 des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in Sachen Cipralex®-Festbetrag – Stärkung der Rechtsposition der Hersteller patentgeschützter Medikamente und damit eines innovativen Arzneimittelwesens in Deutschland. Psychopharmakotherapie 2012;19:135–42.

14. Schlander M. Aktuelle Daten zur medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS in Deutschland – Administrative Prävalenz, beteiligte Arztgruppen und Arzneimitteltherapie. Psychoneuro 2007;33:412–5.


*Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2013. Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag 2013.

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Asternweg 65, 50259 Pulheim, E-Mail: juergen.fritze@dgn.de

Prescribing patterns of psychotropic drugs in Germany: Results and comments to the Drug Prescription Report 2013

The Drug Prescription Report 2013 again questions the adequacy of the considerable absolute increase of the prescription of modern antidepressants as well as the increasing share of modern antipsychotics. Generic prescription and sales of antidepressants and neuroleptics are high and correspond to average. Despite increasing precriptions (DDD) expenditures for neurotherapeutics have declined due to legally inforced discounts and some losses of patent protection. Prescriptions (DDD) of total antidementia drugs have been stable after 2 years of rise since 15 years while the share of modern antidementia drugs is increasing dramatically but covering, however, only about 34% of those in need. Acamprosate stays underutilized where only 5% of those potentially profiting are reached. The growth of methylphenidate is levelling-off; the concentration of prescriptions to a minority of physicians is suspect of inadequacy. The growth of antiepileptic prescriptions might fit to the prevalences in relation to extended indications. The growth of antiparkinsonian prescriptions might be due to the aging of the population where the shift to non-ergolide dopamine agonists corresponds to current hope to reduce progression. The medical rational of the heterogeneity of prescribing patterns within Germany is unclear and needs in depth clarification and explanation which appears feasible thanks to the data transparency act.

Key words: Psychotropic drugs, pharmacoepidemiology

Psychopharmakotherapie 2014; 21(04)