Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Bisher ist es nicht möglich, den progredienten Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen oder aufzuhalten. Das gegenwärtige Behandlungsziel ist es, eine zeitweilige Verbesserung der Kognition und der Alltagsaktivitäten der Patienten zu erreichen. Medikamentöse Standardtherapie ist die Gabe von Cholinesterasehemmern. Einige Studien zeigen, dass der Effekt dieser Wirkstoffe durch die zusätzliche Gabe von Memantin (z.B. Axura®) gesteigert werden kann [1]. Memantin ist ein unkompetitiver Hemmer des N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptors. Die Substanz ist zur Behandlung von Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassen. Die empfohlene Dosis beträgt 20 mg/Tag. In früheren Studien, in denen Memantin zusätzlich zu einem Cholinesterasehemmer gegeben wurde, erhielten die Patienten 2-mal 10 mg/Tag einer schnell freisetzenden Formulierung [1]. Das Ziel der vorliegenden Studie war die Beurteilung der Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit einer höheren Dosis (28 mg/Tag als Einmalgabe) einer Formulierung mit retardierter Freisetzung bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz, die auf einen Cholinesterasehemmer eingestellt waren [2]. Die Studie wurde zwischen Juni 2005 und Oktober 2007 von 83 medizinischen Forschungszentren in Argentinien, Chile, Mexiko und den USA durchgeführt.
Studiendesign
Eingeschlossen wurden männliche und weibliche Patienten im Alter von ≥50 Jahren mit der klinischen Diagnose einer Alzheimer-Krankheit (unter anderem nach DSM-IV-TR), einem MMSE-Score im Bereich von 3 bis 14 und einem CT oder MRT, das mit der Diagnose übereinstimmte. Weiterhin mussten die Patienten seit wenigstens drei Monaten eine konstante Dosis eines Cholinesterasehemmers einnehmen und normale Ergebnisse bei einer körperlichen Untersuchung, Laboruntersuchung und EKG-Ableitung haben. Ausgeschlossen blieben unter anderen Patienten mit einer klinisch signifikanten körperlichen Erkrankung, anderen Achse-I-Erkrankungen und einem Hachinski-Ischämie-Score von >4.
Geeignete Patienten wurden randomisiert einer Behandlung mit Plazebo oder Memantin zugeteilt (Verhältnis 1:1). Die Memantin-Behandlung begann mit 7 mg/Tag und wurde wöchentlich um 7 mg/Tag bis zum Erreichen der Zieldosis von 28 mg/Tag zu Beginn der Woche 4 gesteigert. Patienten, die eine Minimaldosis von 21 mg/Tag nicht tolerierten, wurden aus der Studie genommen.
Die beiden primären Wirksamkeitsparameter waren die Änderung des Scores der SIB vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 24) und die Abschlussbeurteilung auf der CIBIC-Plus am Endpunkt. Die SIB, eine 40-Item-Skala, wird zur Beurteilung kognitiver Fähigkeiten von Patienten mit fortgeschrittener Demenz eingesetzt. Die CIBIC-Plus wird zur Einschätzung des globalen klinischen Status herangezogen (Beurteilungsbereich von 1–7; 1=deutliche Verbesserung, 7=deutliche Verschlechterung). Sekundärer Wirksamkeitsparameter war eine für Alzheimer-Patienten entwickelte Skala zur Einstufung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADCS-ADL19). Diese Beurteilungen wurden am Ende der Wochen 4, 8, 12, 18 und 24 vorgenommen. Weiterhin wurden zusätzliche Parameter gemessen. So wurde in den Wochen 8, 12, 18, und 24 der Schweregrad von Verhaltensstörungen der Patienten mithilfe des NPI bestimmt.
Zur Untersuchung der Sicherheit und Verträglichkeit wurden körperliche Untersuchungen und Labortests durchgeführt, die Vitalparameter kontrolliert, ein EKG abgeleitet und die von Betreuungspersonen und Patienten berichteten unerwünschten Ereignisse registriert.
Studienergebnisse
Insgesamt wurden 677 Patienten zur Behandlung mit Plazebo (n=335) oder Memantin (n=342) aufgenommen. Von ihnen schlossen 81,2% (Plazebo-Patienten) bzw. 79,8% (Memantin-Patienten) die Studie ab. Die mittlere Memantin-Tagesdosis war 27,0 mg, wobei 92,1% der Patienten die Höchstdosis einnahmen.
Wirksamkeit
Nach 24 Wochen waren die Memantin-Patienten sowohl in der SIB (Abb. 1) als auch der CIBIC-Plus (3,8 vs. 4,1) der Plazebo-Gruppe signifikant überlegen (p=0,001 bzw. p=0,008; LOCF-Auswertung). Nach der (weniger aussagefähigen) Auswertung der Observed Cases (OC) unterschieden sich Memantin- und Plazebo-Gruppe bei beiden Parametern bereits in Woche 12 signifikant (p=0,023 bzw. p=0,021).
Abb. 1. Änderung des Scores der Severe Impairment Battery (SIB) vom Einschluss bis zum Studienende; der Unterschied am Endpunkt gemäß LOCF-Analyse war ein primärer Wirksamkeitsparameter [nach 2]. ChEI: Cholinesteraseinhibitor; LOCF: Last observation carried forward; MMRM: Mixed-effects model for repeated measures; OC: Observed cases; SEM: Standard error of the mean; *p<0,05;**p<0,01; ***p<0,001
Im sekundären Wirksamkeitsparameter ADCS-ADL19 unterschieden sich die Gruppen nach 24 Wochen nicht signifikant (p=0,177). Bei zusätzlichen Parametern, wie dem NPI, war die Memantin-Gruppe der Plazebo-Gruppe signifikant überlegen (p=0,005).
Verträglichkeit
Insgesamt brachen 6,3% der Patienten der Plazebo-Gruppe und 9,9% der Memantin-Gruppe die Studie wegen unerwünschter Ereignisse ab. Die häufigsten Ursachen für den Abbruch waren Schwindel (Plazebo 0, Memantin 5) und Agitiertheit (Plazebo 1, Memantin 3). Insgesamt berichteten 63,9% der Plazebo-Patienten und 62,8% der Memantin-Patienten unerwünschte Wirkungen. Signifikant häufiger als in der Plazebo-Gruppe traten bei den Memantin-Patienten Schwindel (4,7%), Depression (3,2%), Gewichtszunahme (3,2%), Obstipation und Somnolenz (je 2,9%) sowie Rückenschmerzen (2,6%) auf. Ernsthafte unerwünschte Ereignisse wurden bei 6,3% der Plazebo- und 8,2% der Memantin-Patienten berichtet. Stürze (Plazebo 5, Memantin 2) und Harnwegsinfektionen (Plazebo 3, Memantin 2) waren die häufigsten Ereignisse.
Fazit
Die Autoren schließen aus den Ergebnissen dieser Studie, dass die Gabe von Memantin bei Alzheimer-Patienten, die auf einen Cholinesterasehemmer eingestellt sind, die kognitiven Fähigkeiten, den globalen klinischen Zustand und das Verhalten signifikant verbessert.
Kommentar
Die Studie bestätigt im Wesentlichen die Ergebnisse einer früheren Untersuchung mit einem ähnlichen Design [1]. Neu war die Einmalgabe von 28 mg Memantin in einer Formulierung mit retardierter Freisetzung statt einer zweimaligen Gabe von 10 mg/Tag in einer Form mit unmittelbarer Freisetzung. Die Autoren sehen den Vorteil der Retard-Formulierung in der Möglichkeit, höher zu dosieren und dennoch die Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu verringern. Ob die Behandlung mit der Retard-Formulierung tatsächlich verträglicher ist, lässt sich allerdings nur in einem direkten Vergleich zeigen. Starke Schwankungen der Memantin-Plasmaspiegel, die zu vermehrtem Auftreten von unerwünschten Wirkungen führen könnten, sind aufgrund der langen Eliminations-Halbwertszeit (60 bis 100 Stunden [3]) nicht zu erwarten. Auch ob die höhere Dosis besser wirkt, kann nur der direkte Vergleich zeigen. Während sich in der vorliegenden Untersuchung mit höheren Dosen die Alltagsaktivitäten der Patienten nicht besserten, traten in der älteren Studie signifikante Verbesserungen auf. Im Hinblick auf den Nutzen der Behandlung sollten weitere Studien zu dieser Fragestellung auch die Auswirkung der Behandlung auf die Belastung der Pflegekräfte einschließen.
Abkürzungsverzeichnis
ADCS-ADL19 |
19-Item Alzheimer’s disease cooperative study – activities of daily living |
CIBIC-Plus |
Clinician‘s interview-based impression of change plus caregiver input |
CT |
Computertomographie |
DSM-IV-TR |
Diagnostic and statistical manual of mental disorders, Textrevision der vierten Auflage |
LOCF |
Last observation carried forward |
MMSE |
Mini-mental-state-examination (max. 30 Punkte erreichbar) |
MRT |
Magnetresonanztomographie |
NPI |
Neuropsychiatric inventory |
SIB |
Severe impairment battery |
Literatur
1. Tariot PN, et al. Memantine treatment in patients with moderate to severe Alzheimer disease already receiving donepezil: A randomized controlled trial. JAMA 2004;291:317–24.
2. Grossberg GT, et al. The safety, tolerability, and efficacy of once-daily memantine (28 mg): A multinational, randomized, double-blind, placebo-controlled trial in patients with moderate-to-severe Alzheimer’s disease taking cholinesterase inhibitors. CNS Drugs 2013;27:469–78.
3. Fachinformation Axura® 20-mg-Filmtabletten, Oktober 2012.
Psychopharmakotherapie 2014; 21(03)