Motivation zur Depotmedikation bei Patienten mit Schizophrenie


Der Versuch einer patiententypgerechten Kommunikation

Sara Bienentreu, Zülpich

Die zunehmende Anzahl verfügbarer atypischer Depot-Antipsychotika stellt eine Bereicherung der Therapiealternativen dar. Gerade in Anbetracht der erheblichen Adhärenz-Problematik schizophrener Patienten liegt eine intramuskuläre und die damit sichergestellte Verabreichung einer antipsychotischen Medikation nahe. Nur bei dieser Darreichungsform ist ein valides Adhärenz-Monitoring der Patienten durchführbar. Es ergibt sich im Rahmen einer Depottherapie die Möglichkeit, bei einer auftretenden Non-Adhärenz durch Nichterscheinen zum vereinbarten Termin direkt zu intervenieren und zu dem Patienten Kontakt aufzunehmen. Diesen Vorteilen einer Depotmedikation steht gegenüber, dass viele Kliniker vor dem Angebot einer solchen medikamentösen Ein-/Umstellung zurückschrecken, da sie die Ablehnung des Patienten bereits vorwegnehmen oder keine Strategien zur Gesprächsführung zur Verfügung stehen. Die Themen „Adhärenz-Typologien“ und Einfluss einer motivationalen Gesprächsführung auf das Adhärenz-Verhalten sind aktuell noch nicht ausreichend wissenschaftlich validiert und könnten ein Forschungsfeld der Zukunft sein (z.B. psychometrische Tests, Persönlichkeitsinventare). Im vorliegenden Artikel wird erfahrungsbasiert der Versuch einer patiententypgerechten Kommunikation zur Motivation schizophrener Patienten zu einer Depotmedikation vorgestellt, um zu eigenen Strategieentwicklungen anzuregen und vielleicht auch weitergehendes Forschungsinteresse anzustoßen.
Schlüsselwörter: Compliance, Adhärenz, Depot-Antipsychotika, patiententypgerechte Kommunikation
Psychopharmakotherapie 2014;21:112–7.

Das Thema Compliance ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus des klinisch Tätigen wie auch des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Gerade in der jüngsten Vergangenheit wurde der Begriff Compliance, der in einer eher asymmetrischen Arzt-Patient-Beziehung die Bereitschaft des Patienten beschreibt, den ärztlichen Anweisungen Folge zu leisten, von dem partizipativeren Begriff Adhärenz abgelöst. Konkret beschreibt die Adhärenz das Ausmaß, in dem das Verhalten eines Patienten mit dem gemeinsam mit dem Arzt definierten Behandlungsziel übereinstimmt. Hierbei bezieht sich dieser Begriff nicht nur auf ein medikamentöses Therapieregime, sondern auf den individuellen Gesamtbehandlungsplan.

Es ist bekannt, dass auch bei nichtpsychiatrischen Erkrankungsbildern die Bereitschaft von chronisch kranken Patienten, im symptomfreien Intervall eine Medikation regelmäßig und verlässlich einzunehmen, als relativ gering zu bewerten ist. Diese Bereitschaft nimmt mit der Dauer der Remission weiter ab [1].

Etwa sechs Monate nach der Remission einer akuten Erkrankungsphase kommt es bei Patienten mit Schizophrenie zu einer Häufung non-adhärenten Verhaltens, das mit einer Latenzzeit von ungefähr zwei Monaten zu einem Rezidiv führt. Aus diesem Grund ist die klinische Empfehlung, gerade in diesem Zeitraum eine verstärkte Beobachtung und gegebenenfalls engmaschigere ambulante Führung des Patienten zu gewährleisten [19], gerechtfertigt. Es gibt keine deutlichen Hinweise darauf, dass Geschlecht, Ethnizität oder sozioökonomischer Status einen konsistenten Einfluss auf die Adhärenz haben. Es ergeben sich eher eine verbesserte Kommunikation zwischen Arzt und Patient, die Möglichkeit, den Patienten an die Einnahme des Medikaments zu erinnern, kürzere Wartezeiten in der Klinik, psychoedukative Interventionen und auch optimierte Dosierungsschemata mit einer Anpassung an die Lebensgewohnheiten der Patienten und möglichst wenigen Einnahmezeitpunkten (je seltener die Applikation, desto höher die Chance auf Therapietreue). Weiterhin findet sich in der Literatur die Empfehlung, den Arzneistoff mit der längsten Halbwertszeit aus der jeweiligen Substanzklasse zu wählen [16].

In einem systematischen Review über 76 Studien konnte Claxton empirisch nachweisen, dass sich die tägliche Anzahl von Einnahmezeitpunkten umgekehrt proportional zur Adhärenz verhält. Über alle therapeutischen Klassen konnte in dieser Übersichtsarbeit nachgewiesen werden, dass die Adhärenzrate von 71% bei einer einmaligen Dosisgabe am Tag auf 51% bei vier Tagesdosen sinkt und somit einfachere, niedrigfrequente Dosierungsschemata bessere Aussichten auf Adhärenz seitens der Patienten haben [2].

Die einschlägigen nationalen und internationalen Behandlungsleitlinien für Schizophrenie (S3-Leitlinie der DGPPN [5], NICE-Guideline [15]) empfehlen neben psychoedukativen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen auch die Durchführung systemischer Interventionen. Deren Bedeutung zeigt sich an der höheren Adhärenz-Bereitschaft des Patienten bei sozialer Unterstützung durch die Familie. Auch für die Psychoeduktion wurden Effekte auf die Adhärenz bereits vor einigen Jahren gesichert [7].

Nach Fleischhacker werden neben der Unterscheidung in eine aktive und passive Non-Adhärenz (z.B. Vergessen der Medikamenteneinnahme) auch die Begriffe „voll adhärent“ (nicht mehr als 20% Abweichung von der vorgeschriebenen Dosis), „partiell adhärent“ (20–50% Abweichung) und „non-adhärent“ (mehr als 50% Abweichung) definiert [8]. Daneben wurden fünf verschiedene Faktoren herausgearbeitet, welche das Adhärenz-Verhalten eines Patienten maßgeblich beeinflussen:

  • Patientenassoziierte Faktoren (Alter, Status, Erwartungen, Ressourcen)
  • Krankheitsassoziierte Faktoren (Einsicht, Symptomatik, Dauer, Komorbidität)
  • Arztassoziierte Faktoren (Informationsvermittlung, Arzt-Patient-Beziehung)
  • Therapieassoziierte Faktoren (Zugang zu Informationen, Zufriedenheit, Nebenwirkungen, Komplexität, Dauer, Supervision)
  • Umweltfaktoren („sozialer Rang“ der Erkrankung, Akzeptanz der Behandlung, Einstellung zur Erkrankung im sozialen und therapeutischen Umfeld) [8]

Ein weiterer Faktor, welcher die Adhärenz eines Patienten zumindest kurzfristig sehr positiv beeinflusst, ist das Nahen eines ambulanten Arztkontakts. In den fünf Tagen vor einem solchen Termin verbessert sich die medikamentöse Adhärenz auch bei zuvor erheblicher Non-Compliance deutlich, was als „white coat adherence“ bezeichnet wird. Im Anschluss an den Kontakt sinkt die Adhärenz wieder auf das zuvor bestehende Maß [6].

Betreffend der zu erwartenden Adhärenzraten der Patienten wurde die „Sechstel-Regel“ bereits vor über zehn Jahren beschrieben [21]: Ein Sechstel der Patienten befindet sich nahe an der therapeutisch wünschenswerten, perfekten Adhärenz. Ein weiteres Sechstel nimmt nahezu alle verordneten Dosen ein, jedoch mit zeitlichen Unregelmäßigkeiten. Ein Sechstel der Patienten lässt zeitweise einzelne Tagesdosen aus und jeweils ein Sechstel legt drei- bis viermal jährlich beziehungsweise monatlich oder sogar öfter „Drug Holidays“ ein. Das letzte Sechstel der Patienten nimmt nahezu gar keine der verordneten Dosen ein, zeigt jedoch nach außen den Anschein einer guten Compliance.

Adhärenz-Verhalten von schizophrenen Patienten

Im Hinblick auf schizophrene Störungen finden sich in der Literatur für die klinisch tätigen Psychiater ebenfalls ernüchternde Zahlen betreffend Rückfallraten, Non-Adhärenz und die damit verbundenen direkten und indirekten Krankheitskosten, von den Auswirkungen für die Patienten im Sinne eines zunehmenden Residuums oder der Entwicklung chronisch produktiver Zustandsbilder ganz abgesehen.

Der Verlauf schizophrener Psychosen zeigt, dass etwa 80% der Patienten innerhalb von fünf Jahren ein Rezidiv erleiden, wobei sich mit jedem Rückfall üblicherweise die Zeit bis zur Remission der Symptomatik verlängert [13, 17].

Etwa 50% der Patienten scheinen innerhalb eines Jahres die verordnete rezidivprophylaktische Medikation abzubrechen, wobei gerade bei ersterkrankten Patienten Non-Adhärenz-Raten von bis zu 59% dokumentiert wurden [3, 9]. Die Wahrscheinlichkeit einer erneuten psychotischen Exazerbation steigt bei Non-Adhärenz innerhalb von zwei Jahren auf das Vierfache gegenüber den Raten unter einer stringenten Pharmakotherapie [7]. In zwei großen Metaanalysen wurden übereinstimmend Non-Adhärenz-Raten von 40% der ambulant behandelten schizophrenen Patienten angegeben, wobei diese im stationären Bereich niedriger, jedoch mit 10 bis 30% noch immer hoch liegen, wenn man bedenkt, dass die Patienten die Medikamente durch das Pflegeteam, teils sogar unter Sichtkontrollen, erhalten [4, 11, 22].

Diese referierten Zahlen und Fakten zur Non-Adhärenz sowie das Wissen um die Gefahr der Chronifizierung und der zunehmenden Ausbildung eines Residuums mit fatalen sozioökonomischen Auswirkungen auf die Lebensqualität und -perspektive der Patienten rufen in nahezu jedem klinisch tätigen Psychiater das Bedürfnis nach einer stringent sichergestellten Pharmakotherapie in Form einer Depotmedikation hervor. Die Entscheidung hierfür sollte in einem Prozess eines „informed decision making“ gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden und dabei auf die Vorteile einer solchen Medikation rekurrieren.

Gründe für eine Depotmedikation

Eine Literaturrecherche ergab inkonsistente Befunde: In einer finnischen Registerstudie zeigte sich unter einer Therapie mit Depot-Antipsychotika eine signifikant niedrigere Rehospitalisierungsrate im Vergleich zu oraler Medikation [20]. In einer Metaanalyse von zehn randomisierten, kontrollierten Studien mit jeweils einer Laufzeit von über einem Jahr aus den Jahren 1975 bis 2010 mit insgesamt 1700 Patienten konnten Leucht und Mitarbeiter herausarbeiten, dass die Rückfallrate unter einer Depotmedikation signifikant geringer war als unter einer oralen Medikation (21,6% vs. 33,3%). Hinsichtlich der Rehospitalisierungsraten zeigten sich in dieser Arbeit jedoch keine signifikanten Unterschiede, ebensowenig in Bezug die Drop-out-Gründe. Ein erstaunlicher Befund war, dass die Adhärenz sich in der Depotgruppe nicht als signifikant überlegen darstellte [12]. Trotz dieser Ergebnisse gibt es aus Sicht der Autorin mehrere Argumente, deutlich mehr Patienten eine Depotmedikation anzubieten und sich zu überlegen, wie man hinsichtlich der Durchführung einer solchen Medikation zu einer Konsensbildung mit den Patienten kommen kann.

Ein schwerwiegendes Argument ist, dass letztlich nur mittels einer Depotmedikation ein verlässliches Adhärenz-Monitoring durchgeführt werden kann. Betreffend der verschiedenen direkten und indirekten Methoden der Adhärenz-Messung sei auf die weiterführende Literatur verwiesen. Sofern ein Patient nicht zu einem geplanten Depotinjektionstermin erscheint, kann und sollte mit dem Betroffenen Kontakt aufgenommen werden. Dieses Vorgehen schafft einen Spielraum für Interventionsmöglichkeiten, die dazu geeignet sind, einer beginnenden Non-Adhärenz frühzeitig entgegenzuwirken. Darüber hinaus wird schon in der inzwischen nicht mehr gültigen S3-Leitlinie Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) empfohlen, in der Langzeittherapie schizophrener Patienten immer auch eine Depotgabe in Betracht zu ziehen.

Das Einhalten evidenzbasierter Behandlungsleitlinien in der Psychiatrie ist mit einem besseren Behandlungserfolg assoziiert [14], jedoch zeigen verschiedene Untersuchungen, dass die Leitlinien nur teilweise von den Klinikern beachtet werden [18]. In der Praxis hat sich in den letzten Jahren ein zunehmendes Problem herauskristallisiert, das ebenfalls eine steigende Non-Adhärenz-Rate der Patienten bedingt, sowohl als aktive als auch passive Non-Adhärenz. Die Flut an generischen Präparaten, Parallel- und Re-Importen hat dazu geführt, dass sich klinisch Tätige mehr und mehr mit Bioverfügbarkeitsdaten der verschiedenen Präparate auseinandersetzen müssen. Beim Wechsel auf ein Generikum mit einer Bioverfügbarkeit von 125% gegenüber dem Originalpräparat zu einem mit einer Bioverfügbarkeit von 80% (dieser Bereich wird durch den Begriff „Bioäquivalenz“ definiert) kann es zu einem erheblichen Spiegelabfall mit der Folge eines eventuellen Wirkverlusts und damit eines psychotischen Rezidivs kommen. Häufig führt es auch auf Seiten der Patienten zu Unsicherheiten und unter Umständen zu Non-Adhärenz, wenn das generische Präparat gewechselt wird und eventuell auch die Tabletten eine andere Form, Farbe, Größe etc. aufweisen.

Die oben skizzierte Generikaproblematik kann durch eine Depotgabe umgangen werden, die damit einen wichtigen Beitrag zur Adhärenz-Erhaltung liefert. Die Annahme vieler klinisch Tätigen, dass Patienten primär negativ gegenüber einer Depotgabe eingestellt sind, wird unter anderem durch eine Befragung von 300 Patienten in neun psychiatrischen Kliniken infrage gestellt, die eine relativ hohe Akzeptanz einer Depotgabe seitens der Patienten zeigen konnte. Diese Akzeptanzraten stehen damit in deutlicher Diskrepanz zu den vergleichsweise niedrigen Verschreibungsraten von Depot-Antipsychotika [10].

Die Erfahrung zeigt, dass Patienten häufig zunächst eine Depotgabe ablehnen, wenn Ihnen durch den behandelnden Arzt lediglich mitgeteilt wird, dass eine intramuskuläre Injektion des Arzneistoffes möglich wäre. Als Gründe nennen die Patienten, so die Erfahrung der Autorin, dass sie die Medikation nicht mehr selbst beeinflussen können, sie Angst vor anhaltenden Nebenwirkungen für die Dauer der Depotwirkung und vor Spritzen im Allgemeinen haben und schlechte Erfahrungen mit den älteren Depotformulierungen gemacht haben, die häufig nach körperlicher Aktivität durch erhöhtes systemisches Anfluten aus den verstärkt durchbluteten Muskeln erhebliche Nebenwirkungen in Form von extrapyramidal-motorische Störungen (EPMS) hervorriefen. Der Behandler steht in diesen Situationen immer wieder vor dem Konflikt, dass er zur vermeintlichen Sicherung der Medikamenteneinnahme den Patienten von einer Depotgabe überzeugen möchte, andererseits möglicherweise höhere Kosten der modernen Depotpräparate vor allem im ambulanten Rahmen befürchtet. Zudem möchte er die Arzt-Patient-Beziehung oder zumindest die aktuelle Gesprächssituation nicht durch die Unterbreitung eines Vorschlags gefährden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Patienten abgelehnt wird.

Patiententypgerechte Kommunikationsstrategien

Bei der Arbeit auf einer Schizophrenie-Spezialstation der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik konnte die Autorin über mehrere Jahre Erfahrungen mit dieser Patientenklientel sammeln und erarbeitete zur Erleichterung der klinischen Arbeit mehrere Gesprächsstrategien, abgestimmt auf verschiedene Persönlichkeitstypen, um den Patienten eine Depotgabe näherzubringen. Diese Gesprächsstrategien zeichnen sich dadurch aus, dass sie versuchen, die Einstellungen, Befindlichkeiten, Bedürfnisse und auch Gefühlslagen zu berücksichtigen, die Patienten auf dieser Ebene anzusprechen und somit eine gemeinsame Basis herzustellen. Die insgesamt fünf verschiedenen Patiententypen und die verschiedenen Gesprächsstrategien und Argumentationsstränge werden im Folgenden dargelegt. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, wurde auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet und durchgehend verallgemeinernd der männliche Begriff „Patient“ gewählt.

Der rationale Patient

Dieser Patiententypus zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er ein hohes Sicherheitsbedürfnis hat. Es handelt sich aus Sicht der Autorin hierbei vor allem um ersterkrankte Patienten ohne ein deutliches Residuum und wenig kognitiven Einschränkungen. Diese Patienten haben die Erkrankung als einen schmerzlichen und erschütternden Einschnitt in ihre bisherige Lebensführung und -planung erlebt. Auch haben sie sich mit der Stigmatisierung dieser Erkrankung in der Bevölkerung und erheblichen Vorurteilen auseinandersetzen müssen, indem sie Freunden, Arbeitskollegen und der Familie von der gestellten Diagnose berichteten oder eben aufgrund befürchteter Beziehungsabbrüche bewusst darauf verzichten.

Bei diesen Patienten bietet sich ein kognitiver Zugangsweg an, unterstützt durch die verschiedenen Informationsmaterialen (z.B. Plasmaspiegelverläufe). Argumentativ sollten vor allem die Vorteile einer Depotmedikation gegenüber einer oralen Gabe – weniger Nebenwirkungen durch ausgewogenere Plasmaspiegelverläufe, höhere Sicherheit durch Gewährleistung einer stabilen Medikation ohne die Gefahr, diese vergessen zu können, und Vermeidung von Stigmatisierung durch Medikamenteneinnahme – hervorgehoben werden.

Gerade letzteren Aspekt haben viele Patienten berichtet, was den behandelnden Ärzten selbst häufig nicht klar ist: Die regelmäßige Einnahme stellt die Patienten in einem gesellschaftlichen Kontext im Berufsleben und auch in privaten Situationen häufig vor große Probleme, da sie viele stressbehaftete Strategien anwenden, um ihre Erkrankung geheim zu halten. So berichteten Patienten darüber, die Tabletten bereits morgens in der Hosen- oder Rocktasche zu verstecken und diese dann auf der Toilette einzunehmen, da sie verhindern wollen, von Arbeitskollegen auf ihre Medikation angesprochen zu werden. Jeden Tag zu behaupten, Kopfschmerzen zu haben, sei wenig glaubwürdig.

Diese Probleme der Patienten, die auch berichteten, dass gerade Kapseln in der Tasche häufig kaputt gingen und sie dann noch mehr unter Druck gerieten, sind uns als Behandlern eher wenig präsent, können aber, indem sie direkt angesprochen werden, durchaus zu einem wichtigen Argument für eine Depotgabe werden.

Der krankheitsverleugnende Patient

Diese Patienten beschreiben die Krankheitsepisode sehr häufig als „Nervenzusammenbruch“ oder auch „Aussetzer“. Obschon es in manchen Fällen bereits mehrere Phasen einer schizophrenen Psychose in der Krankheitsvorgeschichte gab, haben sich diese Patienten nicht mit der Erkrankung auseinandergesetzt und lehnen häufig auch die Diagnose „Schizophrenie“ für sich kategorisch ab. Damit negieren sie ihre chronisch verlaufende Krankheit und zeigen sich betreffend der Medikationsnotwendigkeit recht uneinsichtig und häufig non-adhärent. Auch besteht bei diesem Patiententypus zeitweise ein persistierender Wahn. Im Sinne einer doppelten Buchführung haben diese Patienten jedoch nicht selten eine rudimentäre Einsicht in die Notwendigkeit einer Behandlung und einer Pharmakotherapie. Die Erkrankungsphase wird als Kränkung erlebt und zu verdrängen versucht, sodass jede Medikamenteneinnahme als unliebsame Konfrontation mit der Erkrankung erlebt wird. Genau an diesem Punkt setzt die Argumentation für eine Depotgabe an, indem man dem Patienten den Ausweg bietet, sich nicht täglich, teilweise mehrfach, mit der Krankheit auseinandersetzen und konfrontieren zu müssen. Bei einer Depotgabe wird die Konfrontation auf ein zwei- bis vierwöchentliches Intervall verlängert, was die Patienten als eine Erleichterung erleben können.

Der „Reduzierer“

Jede eingestellte antipsychotische Medikation ist für diese Patienten eines auf jeden Fall: zu hoch! Eine Reduktion egal welches Arzneistoffs, relativ gleichgültig um wie viel, wird als positiv erlebt und der Patient zeigt sich zufrieden und adhärent, wenn seine Bedürfnisse erfüllt und seinem Wunsch nach einer Reduktion der Medikation nachgekommen wird. Für solche Patienten empfiehlt sich ein einfaches Rechenbeispiel, welches man den Patienten auch selbst durchführen lassen kann. Die tägliche orale Dosis des bisherigen Medikaments wird multipliziert mit 14 bzw. 28 Tagen und diesem Ergebnis der Depotdosis entgegengesetzt. Beispielhaft könnte eine solche Rechnung lauten:

  • Orale Dosis: 800 mg Medikament A täglich =22400 mg in 4 Wochen oder
  • Orale Dosis: 15 mg Medikament B täglich =420 mg in 4 Wochen
  • Geplante Depotdosis: 100 mg Depotmedikament C in 4 Wochen oder
  • Geplante Depotdosis: 305 mg Depotmedikament D in 4 Wochen.

In den meisten Fällen und bei den aktuell verfügbaren modernen zwei- und vierwöchigen Depotmedikamenten ergibt diese Rechnung eine deutliche Dosisreduktion. Damit kann erreicht werden, dass sowohl dem Bedürfnis nach Sicherstellung einer stabilen Medikation auf Seiten des Behandlers sowie dem Bedürfnis nach Dosisreduktion auf Seiten des Patienten Rechnung getragen wird und beide Bedürfnisse im Sinne einer „Win-Win“-Situation befriedigt werden.

Der entwertete und gekränkte Patient

Die überwiegende Mehrzahl der Patienten mit Schizophrenie erkrankt vor dem 30. Lebensjahr und damit in einer vulnerablen Phase, in welcher die soziale Position und die Lebensperspektiven gefestigt werden. Folgt man der Social-Drift-Theorie Häfners, so müssen die Patienten einen erheblichen sozialen Abstieg infolge der Erkrankung durchmachen und mit dem Bewusstsein dieses Abstiegs leben. Häufig werden durch den Erkrankungsbeginn und -verlauf die ursprünglich vorhandene Lebensperspektive, Träume und Wünsche zerstört. Die Patienten müssen sich in ihrer neuen Situation in einem veränderten sozialen, beruflichen und privaten Kontext neu einrichten und sich selbst neu definieren, was mehr oder weniger gut gelingt. An dieser Stelle greifen auch die psychotherapeutischen Interventionen bei an Schizophrenie leidenden Menschen, die es ihnen ermöglichen und erleichtern sollen, mit den durch die Erkrankung erlittenen Verlusten zu leben. Die so erlebte Kränkung und Entwertung der Patienten kann aufgegriffen werden, um sie von einer Depotmedikation zu überzeugen. Hier stellt sich der hohe Preis der modernen Depotpräparate als Vorteil heraus. Dem Minderwertigkeits- und Insuffizienzerleben der Patienten durch den sozialen Abstieg, Arbeitsplatzverlust, Abbruch der Ausbildung/des Studiums und gegebenenfalls sogar Berentung kann selbstwertsteigernd begegnet werden, indem der behandelnde Arzt quasi eine „Angel“ auswirft und etwas sagt wie: „Betreffend der weiteren medikamentösen Therapie könnte man die Einstellung auf ein modernes, nebenwirkungsärmeres Depotpräparat erwägen, wobei …. andererseits … in Anbetracht der enormen Kosten würde ich Ihnen glaube ich lieber X in Tablettenform vorschlagen.“

Häufig habe ich es erlebt, dass die Patienten nach einem Nachdenken auf mich zugekommen sind und sich erkundigt haben, was für ein teures Medikament ich Ihnen nicht geben wollte und ob sie es eigentlich nicht wert seien, ein solches Präparat zu bekommen. Gerade bei diesen Patienten empfiehlt es sich, den Wert und die konkreten Kosten der Depotspritze zu benennen und eventuell sogar diesen Betrag auf das Jahr hochzurechnen. In manchen Fällen gelingt es, diesen „Wert“ als selbstwertsteigernd für die Patienten einzusetzen, indem der Behandler durch diese „Investition“ zeigt, dass der Patient es ihm wert ist und ihm viel an ihm und seiner Gesundheit liegt.

In einigen Fällen erzielt man gerade im stationären Umfeld durch diese Intervention teilweise sogar einen unbeabsichtigten Gruppeneffekt, indem die Patienten im Rahmen der Mahlzeiten oder Therapien den Wert ihrer Medikation gegenüber Mitpatienten stolz mitteilen und diese dann beim nächsten Arztkontakt oder gegenüber dem Pflegeteam den Wunsch äußern, ebenfalls eine „wertvolle Therapie“ zu erhalten.

Der sich selbst gegenüber misstrauische Patient

Viele bereits mehrfach erkrankte Patienten, die aufgrund fehlender Einsicht und Non-Adhärenz in der Vergangenheit bereits ein deutliches Residuum entwickelten, haben ähnliche Vorerfahrungen wie die krankheitsverleugnenden Patienten. Im Vergleich zu diesen zeigen sie zumindest eine rudimentäre Einsicht in die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung, um weiteren Krankenhausaufenthalten und eventuellen hochpotenten oder hoch dosierten Medikationen vorzubeugen.

Für diese sehr ambivalenten Patienten empfiehlt sich ähnlich der motivationalen Gesprächsführung Suchtkranker eine wertschätzende und wenig invasive Gesprächsführung mit häufigeren, kurzen Interventionen, in denen gemeinsam mit den Patienten die Vor- und Nachteile einer Medikamenteneinnahme besprochen und herausgearbeitet werden kann. Den Patienten sollte die Auswirkung bewusst sein, dass die eigenständige Reduzierung und das Absetzen der Medikamente eine Wiedererkrankung auslösen kann, die die Patienten eigentlich vermeiden wollen. Die bestehende Ambivalenz und Neigung zur Non-Adhärenz kann in einer empathischen Gesprächsführung gespiegelt und als Ausweg, den „inneren Schweinehund“ zu besiegen, eine Depotmedikation angeboten werden.

Zusammenfassung

Jeder klinisch tätige Arzt hat selbstverständlich seinen eigenen Stil der Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung und gerade Psychiater wissen darum, wie wichtig es ist, den Patienten echt und authentisch zu begegnen und sich nicht zu verstellen und damit unglaubwürdig zu werden. In diesem Sinne sollen die dargelegten patiententypgerechten Argumentationsstränge nur als ein Denkanstoß mit Beispielcharakter gesehen werden.

In Zeiten der vor allem zeitlichen Ressourcenverknappung ist es wichtig, die Kommunikation mit an Schizophrenie leidenden, häufig non-adhärenten Patienten zu erleichtern und für diese den Weg zu einer adhärenteren Zukunft zu ebnen.

Interessenkonflikterklärung

Sara Bienentreu erhielt Honorare für Vortrags- und Beratertätigkeiten von den Firmen Janssen-Cilag, Lilly, Lundbeck, Pfizer Pharma und Wyeth Pharma.

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Dr. Sara Bienentreu, Ärztliche Direktorin, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie MARIENBORN gGmbH, Luxemburger Straße 1, 53909 Zülpich, E-Mail: s.bienentreu@marienborn-zuelpich.de

Motivation strategies to support schizophrenic patients’ acceptance of antipsychotic long-acting injection drugs – attempt of a patient-type matched communication strategy

The increasing variety and availability of long-acting antipsychotic drugs enrich therapy solutions for patients with schizophrenia and related spectrum disorders. Considering the well-known adherence-deficits of these patients antipsychotic long acting injections (ALAI) ensure the constant application of the drug over several weeks. Only ALAI guarantee the valid monitoring of drug-adherent behavior. Also, ALAI offer the opportunity to react promptly in case of non-adherent conditions, such as omitting regular out-patient contacts. In clinical practice, however, the pharmacological advantages of ALAI are limited by the patient’s acceptance and, even to a higher degree, by the clinician’s hesitance to offer such an application form.

This paper presents clinically oriented attempts of specific communication strategies coping with different types of adherence-behavior. Adherence-types, as discussed in this paper, are based on the author’s own experience in motivating patients with schizophrenia for ALAI therapy. However, “adherence-typology” and the influence of motivational interviewing on adherent behavior are not sufficiently validated by current research. Further research is warranted in this clinically important domain.

Key words: Compliance, adherence, long-acting antipsychotic injections, patient-type matched communication strategy

Psychopharmakotherapie 2014; 21(03)