Holger Petri, Bad Wildungen*
Substrate von CYP2D6
Codein
Codein selbst hat keine relevanten schmerzstillenden Eigenschaften (Prodrug). Erst über das Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 2D6 entsteht der analgetisch wirksame Metabolit Morphin [3]. Auch ohne Verordnung anderer Substanzen ist das klinische Ansprechen auf Codein individuell verschieden, da dieses Isoenzym polymorph exprimiert wird. Genetisch bedingt variiert die Bildung funktionsfähiger CYP2D6-Enyzme. Es werden abhängig von der Metabolisierungsaktivität vier Phänotypen unterschieden [9].
- Langsame Metabolisierer (Poor metabolizer; PM) → stark reduzierter Stoffwechsel
- Intermediäre Metabolisierer (Intermediate metabolizer; IM) → reduzierter Stoffwechsel
- Extensive Metabolisierer (Extensive metabolizer; EM) → normaler Stoffwechsel
- Ultraschnelle Metabolisierer (Ultrarapid metabolizer; UM) → beschleunigter Stoffwechsel
Die klinischen Auswirkungen sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tab. 2. CYP2D6-Phänotypen, Auswirkung auf den Codein-Metabolismus und Therapieempfehlungen [nach 3]
Phänotyp |
Morphin-Bildung |
Empfehlungen für die Therapie |
Langsame Metabolisierer |
Stark reduziert |
Auf alternative Opioide ausweichen, deren Metabolismus nicht von CYP2D6 abhängt |
Intermediäre Metabolisierer |
Reduziert |
Wie empfohlen dosieren, bei insuffizientem Ansprechen auf alternative Opioide ausweichen, deren Metabolismus nicht von CYP2D6 abhängt |
Extensive Metabolisierer |
Normal |
Wie empfohlen dosieren |
Ultraschnelle Metabolisierer |
Erhöht |
Wegen Intoxikationsrisiko auf Codein verzichten; alternative Opioide verwenden, deren Metabolismus nicht von CYP2D6 abhängt |
Vor dem Hintergrund des Intoxikationsrisikos (Atemstillstand) bei Patienten mit UM-Status hat im August 2013 das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) die Anwendung bei Kindern eingeschränkt und weitere sicherheitsrelevante Aktualisierungen der Produktinformationen angeordnet [1]. Es sollte bedacht werden, dass sich die Maßnahmen allein auf Codein-haltige Arzneimittel zur Schmerzbehandlung beziehen. Codein-haltige Arzneimittel zur symptomatischen Therapie von Reizhusten könnten zurzeit weiterhin Kindern ab 2 Jahren verordnet werden [4]. Deshalb hat das BfArM diesbezüglich ein neues europäisches Risikobewertungsverfahren angestoßen [2].
Der Fachinformation von Morphin ist zu entnehmen, dass die Komedikation mit Rifampicin zur Abschwächung der Schmerzwirkung führen kann [5]. Daher ist diese Wechselwirkung bei der Anwendung von Codein als Schmerzmittel ebenfalls zu beachten.
Ähnlich wie bei Patienten mit PM-oder IM-Status wird bei gleichzeitiger Verordnung von CYP2D6-hemmenden Substanzen (Abb. 1) die Bildung von Morphin unterdrückt. Folglich besteht die Gefahr des Therapieversagens, und eine Komedikation – vor allem mit starken CYP2D6-Inhibitoren – sollte unterbleiben.
Dihydrocodein
Dihydrocodein (DHC) ist ein semi-synthetisches Derivat von Codein. Über CYP2D6 entsteht mit Dihydromorphin (DHM) ein Metabolit, der eine 100-fach höhere Affinität zu den µ-Opioid-Rezeptoren als DHC hat. Verschiedene Studien haben aber gezeigt, dass DHM nur unwesentlich zum analgetischen Effekt von DHC beiträgt und somit das klinische Ansprechen unabhängig vom CYP2D6-Phänotyp des Patienten ist. Dies ist unter anderem damit begründet, dass die Muttersubstanz DHC im Gegensatz zu Codein schmerzstillend wirksam ist [8]. Somit sind klinisch relevante Interaktionen mit CYP2D6-hemmenden Substanzen nicht zu erwarten.
Tramadol
Der über CYP2D6 aus Tramadol gebildete Metabolit O-Desmethyltramadol trägt hauptsächlich zur Wirksamkeit bei [8]. Deshalb ist bei Patienten mit einem PM- oder IM-Status eine eingeschränkte schmerzstillende Wirkung von Tramadol zu erwarten. Die Komedikation mit CYP2D6-hemmenden Arzneistoffen reduziert die Bildung von O-Desmethyltramadol.
Tramadol blockiert die Wiederaufnahme von Serotonin und kann unter alleiniger Gabe oder in Kombination mit anderen serotonergen Medikamenten ein Serotonin-Syndrom induzieren [6, 10]. Insbesondere bei Komedikation mit den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) Fluoxetin und Paroxetin, beide starke CYP2D6-Hemmer, besteht die Gefahr, dass infolge des Versagens der Schmerztherapie die Dosis von Tramadol erhöht wird. Damit steigt das Risiko dieser dosisabhängigen unerwünschten Arzneimittelwirkung.
Tabelle 1 enthält Angaben zur Häufigkeit von genetischen Polymorphismen, auch unter Berücksichtigung ethnischer Gruppen.
Substrat von CYP3A4
Tilidin
Auch bei Tilidin handelt es sich um ein Prodrug. In zwei aufeinander folgenden Phase-I-Reaktionen (sequential metabolism) entsteht zunächst der analgetisch wirksame Metabolit Nortilidin, der zum pharmakologisch unwirksamen Bisnortilidin weiter abgebaut wird [7]. Beide Reaktionsschritte werden von CYP3A4 katalysiert.
In einer Untersuchung führte die Kombination mit dem starken CYP3A4-Hemmer Ritonavir (Abb. 1) zu veränderten pharmakokinetischen Parametern wie erhöhten AUC-Werten (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve) von Nortilidin [7]. Die dadurch bedingten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren jedoch von moderater und vorübergehender Natur. Tilidin besitzt weder serotonerge Eigenschaften noch senkt es die Krampfschwelle. Durch vorsichtiges Aufdosieren bei Komedikation mit starken CYP3A4-Hemmern sind schwerwiegende Interaktionen auf Ebene der Cytochrom-P450-Isoenzyme nicht zu erwarten.
Abb. 1. Auswahl von modulierenden Substanzen (stark wirkende fettgedruckt) mit klinisch relevanter Wirkung auf Cytochrom P450 2D6 und 3A4 (Stand: 04/2014) [Quelle: mediQ-Interaktionsprogramm]
Literatur
1. BfArM.
2. BfArM.
3. Crews KR, et al. doi:10.1038/clpt.2011.287.
4. Fachinformation Codeinsaft-CT 5 mg/5 ml. Stand: Novermber 2013
5. Fachinformation MST Mundipharma®. Stand: Oktober 2013.
6. Fachinformation Tramal®. Stand: August 2013.
7. Grün B, et al. Br J Clin Pharmacol 2012;74: 854–63.
8. Leppert W. Pharmacology 2011;87:274–85.
9. Reinecke K, Böhm R, Haen E, Cascorbi I, et al. Dtsch Apo Ztg 2012;47:60–6.
10. Wenzel-Seifert K, Haen, E. Med Monatsschr Pharm 2013;36:346–7.
*Nachdruck aus Krankenhauspharmazie 2014;35:161–3.
Der Artikel wurde unter Einbeziehung von Diskussionsbeiträgen von Dr. Jörg Brüggmann, Berlin, Prof. Dr. Christoph Hiemke, Mainz, und Dr. Jochen Weber, Bad Wildungen, erstellt.
Holger Petri, Zentral-Apotheke der Wicker Kliniken, Im Kreuzfeld 4, 34537 Bad Wildungen, E-Mail: hpetri@werner-wicker-klinik.de
Psychopharmakotherapie 2014; 21(03)