Depression und kognitive Dysfunktion


Klinische Relevanz und therapeutische Implikationen

Christian Otte, Berlin

Die Depression gehört aufgrund ihrer hohen Lebenszeitprävalenz von etwa 15% zu den drängendsten Gesundheitsproblemen in der Medizin. Aufgrund des oft frühen Beginns und des häufig rezidivierenden oder chronischen Verlaufs führt die Depression zu einer massiven Beeinträchtigung des sozialen Funktionsniveaus im privaten und beruflichen Kontext. Eine wichtige Rolle spielt dabei die kognitive Beeinträchtigung. Diese ist bei vielen depressiven Patienten nicht nur während der depressiven Phase, sondern auch noch während der Remission zu finden. Am stärksten betroffen sind die kognitiven Domänen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktion. Die kognitive Dysfunktion bei depressiven Patienten prädiziert nicht nur ein schlechteres Therapieansprechen und eine häufigere Rückfallrate, sondern beeinträchtigt besonders ausgeprägt das soziale Funktionsniveau. Bisher gibt es nur wenige Studien, die derzeitig eingesetzte Antidepressiva spezifisch hinsichtlich kognitiver Beeinträchtigungen depressiver Patienten untersucht haben. Daher sollten sowohl die existierenden Antidepressiva diesbezüglich untersucht als auch neue medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden entwickelt werden, die die kognitive Dysfunktion während, aber auch nach der depressiven Episode bessern und damit zu einer Verringerung der Krankheitsbürde depressiver Patienten führen.
Schlüsselwörter: Depression, Kognitive Dysfunktion, Gedächtnis, Neuropsychologie
Psychopharmakotherapie 2014;21:40–9.

Die Depression ist eine der drängendsten Gesundheitsprobleme in der Medizin, zum einen aufgrund ihrer hohen Lebenszeitprävalenz von etwa 15%, zum anderen weil sie mit einer erheblichen Krankheitsbürde verbunden ist [49]. So gehört die Depression nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation bereits jetzt zu den führenden Ursachen chronischer Beeinträchtigung („disability-adjusted life years“), vor allem in den entwickelten Ländern [50, 71]. Kognitive Dysfunktion im Sinne einer verminderten Fähigkeit, zu denken oder sich zu konzentrieren, gehören zu den operationalen Kriterien der depressiven Störungen in der International Classification of Diseases (ICD-10) und dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5). Kognitive Dysfunktion bei depressiven Patienten prädiziert nicht nur ein schlechteres Therapieansprechen und eine häufigere Rückfallrate, sondern beeinträchtigt in besonderem Maße das soziale Funktionsniveau im privaten und beruflichen Kontext [44, 70].

Kognitive Dysfunktion als Prädiktor für schlechteres Therapieansprechen

Zahlreiche Studien belegen, dass kognitive Probleme ein schlechteres Therapieansprechen prädizieren [2, 19, 39, 46]. Interessanterweise hat eine Metaanalyse gezeigt, dass dies keineswegs nur bei älteren, sondern auch bei jüngeren Patienten der Fall ist [46]. Zu den Domänen, die am besten zwischen Therapie-Respondern und Nonrespondern diskriminiert haben, gehören Exekutivfunktion, Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Visuokonstruktion und logisches Gedächtnis [46].

Kognitive Dysfunktion als Residualsymptom der Depression

Die Remission ist das Ziel der Depressionsbehandlung, weil eine vollständige Remission sowohl mit einem besseren sozialen Funktionsniveau als auch mit einem geringeren Rückfallrisiko einhergeht. Allerdings erreichen in klinischen Studien nur etwa ein Drittel der Patienten mit dem ersten Behandlungsversuch eine Remission [32, 69]. Dies ist problematisch, weil eine unvollständige Remission frühere und häufigere Rückfälle und einen chronischen Verlauf prädiziert [30, 53, 55, 56]. Zu den häufigsten Residualsymptomen der Depression zählen von den Patienten wahrgenommene kognitive Beeinträchtigungen [13, 16, 42]. So gaben in einer Longitudinalstudie über drei Jahre 44% aller Patienten auch zwischen den depressiven Episoden kognitive Probleme an [13]. Fava et al. (2006) zeigten, dass nach drei Monaten antidepressiver Therapie selbst unter denjenigen Patienten, die auf die Therapie angesprochen hatten, weiterhin 30% über kognitive Dysfunktion klagten. Dies korrespondiert gut mit Daten von McClintock et al. (2011) aus der STAR*D-Studie, die zeigten, dass diejenigen Patienten, die eine Response (=50% Besserung des Baselinewerts), aber keine Remission zeigten, in über 70% auch über weiter bestehende kognitive Beeinträchtigung klagten.

Kognitive Beeinträchtigung und soziales Funktionsniveau

In den letzten Jahren ist der Begriff der Krankheitsbürde („Burden of illness“) zunehmend als wichtiges Konstrukt in der Depressionsbehandlung identifiziert worden [11]. Neben der Psychopathologie gehen dabei sowohl die Lebensqualität des Patienten als auch das soziale Funktionsniveau in das Konstrukt „Krankheitsbürde“ ein. Kürzlich wurde in der STAR*D-Studie gezeigt, dass eine Remission, definiert über die Psychopathologie, nicht gleichzusetzen ist mit uneingeschränkter Lebensqualität und sozialem Funktionsniveau. So ist es nicht erstaunlich, dass ein großer Anteil der Krankheitsbürde für die Patienten (und der indirekten Krankheitskosten) aus einer deutlich eingeschränkten Arbeitsfähigkeit resultiert [33]. Diesbezüglich wurde mehrfach die wichtige Rolle kognitiver Dysfunktion gezeigt [4, 8, 29, 41, 44].

Objektive versus subjektive kognitive Dysfunktion und „heiße“ versus „kalte“ Kognition

Die Begriffe „kognitive Beeinträchtigung“ oder „kognitive Dysfunktion“ werden in diesem Artikel definiert als objektivierbare neuropsychologische Beeinträchtigungen, die in validierten neuropsychologischen Testverfahren messbar sind. Davon abzugrenzen sind subjektive Klagen der Patienten, sich nicht konzentrieren zu können oder nicht klar denken zu können. Diese subjektiven Beschwerden korrelieren überwiegend nicht mit objektivierbarer kognitiver Dysfunktion [17] und repräsentieren einen anderen wichtigen Aspekt depressiver Erkrankungen, nämlich die Patientenperspektive und deren Anteil an der Krankheitsbürde. Bisher gibt es allerdings keine großen Studien, die systematisch den Zusammenhang zwischen objektiven und subjektiven Beschwerden untersucht haben [17].

Darüber hinaus müssen von der objektivierbaren kognitiven Dysfunktion die häufig beschriebenen kognitiven Verzerrungen („bias“) depressiver Patienten bei der Verarbeitung emotionaler Informationen abgegrenzt werden. Hierbei werden Informationen negativer Valenz stimmungskongruent von depressiven Patienten bevorzugt wahrgenommen und prozessiert auf Kosten positiver Informationen. Diese emotionsassoziierte verzerrte Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -interpretation wird in den letzten Jahren auch als „heiße“ Kognition bezeichnet und von der objektivierbaren, emotionsunabhängigen „kalten“ kognitiven Dysfunktion abgegrenzt [15, 17, 61]. Inwieweit „heiße“ und „kalte“ Kognition tatsächlich eigene Entitäten sind und in welchem Ausmaß sie sich gegenseitig beeinflussen, ist momentan Gegenstand intensiver Forschung [61].

Kognitive Dysfunktion in verschiedenen Krankheitsphasen der Depression

Spricht man von einer kognitiven Dysfunktion bei depressiven Patienten, so ist es wichtig zu berücksichtigen, von welcher Krankheitsphase der Depression und von welcher Vergleichsgruppe die Rede ist. Im Folgenden sollen die Ergebnisse bezüglich Kognition und Depression zum einen im Querschnitt in verschiedenen Krankheitsphasen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden dargestellt werden und zum anderen im intraindividuellen Längsschnitt depressiver Patienten (depressive versus remittierte Phase). Schließlich soll auch untersucht werden, inwiefern kognitive Beeinträchtigungen bereits vor einer depressiven Episode auftreten können bzw. diese prädizieren.

Querschnittsbefunde: aktuell depressive Patienten versus gesunde Kontrollen

Zur kognitiven Dysfunktion während depressiver Episoden liegt eine Vielzahl von Studien vor. Dabei wurden zahlreiche unterschiedliche Instrumente benutzt, unterschiedliche Patientengruppen eingeschlossen (z.B. hinsichtlich Alter, Medikation, psychiatrische und somatische Komorbiditäten, Anzahl der früheren depressiven Episoden) und unterschiedliche Kontrollgruppen gewählt. In den letzten Jahren wurden daher bereits mehrere Metaanalysen publiziert, die jeweils spezifische Aspekte kognitiver Dysfunktion depressiver Patienten während depressiver Episoden untersucht haben. Eine Auswahl möglicher Testverfahren, um die verschiedenen Domänen der Kognition abzubilden, zeigt Tabelle 1.

Tab. 1. Mögliche Verfahren zur neuropsychologischen Untersuchung depressiver Patienten

Aufmerksamkeit

Alertness

  • Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP)

Selektive Aufmerksamkeit

  • Go-Nogo (TAP)
  • D2
  • Trail Making Test (TMT)
  • Zahlenverbindungstest (ZVT)

Aufmerksamkeitsteilung

  • Geteilte Aufmerksamkeit (TAP)
  • Geteilte Aufmerksamkeit (GETAU)
  • Zahlensymboltest (HAWIE-R)

Daueraufmerksamkeit und Vigilanz

  • Vigilanz (TAP)
  • Konzentrationsverlaufstest

Exekutivfunktionen

Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis

  • Zahlennachsprechen (HAWIE-R, WMS-R [Wechsler Memory Scale – Revised])
  • Räumlicher Suppressions-Arbeitsgedächtnis-Test (RSAT)
  • Verbaler Suppressions-Arbeitsgedächtnis-Test (VSAT)

Wortflüssigkeit und Flexibilität

  • Leistungsprüfsystem, Subtest 6 (LPS-6)
  • Regensburger Wortflüssigkeitstest
  • Fünf-Punkte-Test
  • Reaktionswechsel (TAP)
  • TMT-B

Reaktionsinhibition

  • Go-Nogo (TAP)
  • Stroop-Test

Planung, Problemlösung, schlussfolgerndes Denken, Konzeptbildung

  • Turm von Hanoi
  • LPS-3
  • LPS-4
  • Bilderordnen (HAWIE-R)
  • Analogien (IST 70)
  • Zahlenreihen (IST 70)
  • Modifizierter Wisconsin Card Sorting Test (mWCST)
  • Gemeinsames Finden (HAWIE-R)
  • Gemeinsamkeiten (IST 70)
  • Behavioural Assessment of the Dysexecutive Syndrome (BADS)

Gedächtnis

Neugedächtnis

  • Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (VLMT)
  • California Verbal Learning Test (CVLT)
  • Rey Visual Design Learning Test (RVDLT)
  • Diagnosticum für Zerebralschäden (DCS)
  • Wechsler Memory Scale Revised (WMS-R)

Altgedächtnis

  • Autobiografisches Gedächtnis-Interview (AGI)
  • Kieler Gedächtnistest

Visuo-räumliche Funktionen

  • Mosaiktest (HAWIE-R)
  • Uhrentest
  • Complex-Figure-Test

HAWIE-R: Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (Revision); IST: Intelligenz-Struktur-Test

Je nach Definition, eingeschlossener Patienten- und Vergleichsgruppe und benutzten Instrumenten schwanken die Angaben zum Vorhandensein kognitiver Dysfunktion während einer depressiven Episode zwischen 20% und 70% aller Patienten [73].

Die breitesten Einschlusskriterien bezüglich der vorhandenen Studien legte Snyder [66] in seiner Metaanalyse zugrunde. Es wurden insgesamt 113 Studien ausgewertet, die depressive Patienten mit gesunden Kontrollprobanden hinsichtlich exekutiver Funktionen verglichen. Dabei zeigte sich, dass eine Depression konsistent mit beeinträchtigter Exekutivfunktion assoziiert ist, je nach eingesetztem Test mit einer Effektstärke zwischen 0,32 und 0,97, also insgesamt einer mittleren bis großen Effektstärke. Deutlich restriktivere Einschlusskriterien wurden von Wagner et al. [73] benutzt, die ebenfalls spezifisch die Exekutivfunktion bei depressiven Patienten im Vergleich zu Kontrollprobanden untersuchten. Berücksichtigt wurden nur Studien, die verbale Flüssigkeit, Inhibition (Stroop-Test), strategisches Planen und Handeln (Wisconsin Card Sorting Test) und kognitive Umstellfähigkeit (Trail Making Test B) gemessen hatten. Es zeigten sich ähnliche Ergebnisse wie in der Metaanalyse mit breiteren Einschlusskriterien: depressive Patienten waren je nach Test zwischen 0,44 und 1,18 standardisierte Mittelwerte schlechter als die Kontrollprobanden [73]. Zusammenfassend ergibt sich bezüglich der Dysfunktion in den exekutiven Funktionen eine eindeutige Befundlage aus zwei Metaanalysen mit sehr unterschiedlichen Einschlusskriterien, aber sehr ähnlichen Ergebnissen.

Eine weitere Metaanalyse beschäftigte sich mit der Frage nach kognitiver Beeinträchtigung bei ersterkrankten depressiven Patienten. Dahinter steht die Frage, ob auch bereits früh im Krankheitsverlauf eine kognitive Dysfunktion im Vergleich zu Kontrollprobanden zu finden ist. Es zeigten sich für die Patienten schlechtere kognitive Leistungen mit kleinen bis mittleren Effektstärken für die folgenden Domänen: psychomotorische Geschwindigkeit, Aufmerksamkeit, visuelles Gedächtnis, exekutive Funktionen [38].

Ein Grund für die heterogenen Effektstärken können die sehr unterschiedlichen Instrumente sein, die in den verschiedenen Studien eingesetzt wurden. Dieses Problem umging eine weitere Metaanalyse, die ausschließlich Studien aufnahm, die das gleiche Instrumentarium benutzten, nämlich die Cambridge Neuropsychological Test Automated Battery (CANTAB, [60]). Auch hier zeigten sich konsistente Unterschiede zwischen depressiven Patienten und Kontrollprobanden hinsichtlich Exekutivfunktion, Gedächtnis und Aufmerksamkeit mit mittleren Effektstärken (Cohen’s d) von 0,36 bis 0,65. Es zeigten sich keine unterschiedlichen Effektstärken bei medizierten versus unmedizierten Patienten, sodass hier ausgeschlossen werden konnte, dass Medikamenteneffekte für eine etwaige schlechtere kognitive Performance depressiver Patienten verantwortlich sein könnten [60].

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass es aus Hunderten vorliegender Studien, die zum Teil auch in verschiedenen Metaanalysen zusammengefasst wurden, eine breite Evidenz gibt für das Vorhandensein kognitiver Dysfunktion bei depressiven Patienten im Vergleich zu Kontrollprobanden während einer depressiven Episode. Die am stärksten betroffenen kognitiven Domänen scheinen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen zu sein.

Querschnittsbefunde: remittierte depressive Patienten versus gesunde Kontrollen

Eine wichtige Frage im Zusammenhang zwischen Depression und Kognition ist, ob die kognitive Dysfunktion eine Funktion der Psychopathologie ist, also in der Remission verschwindet („state“), oder ob kognitive Beeinträchtigungen auch in euthymen Phasen in der Remission zu finden sind („trait“). Kuny und Stassen gehörten zu den Ersten [36], die kognitive Dysfunktion auch bei erfolgter Remission beschrieben. Auch zu dieser Frage gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die auch bereits Eingang in systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen fanden.

So fassten Hasselbalch et al. [22] insgesamt elf Studien mit 500 ehemals depressiven Patienten in Remission und 470 Kontrollprobanden in einer systematischen Übersichtsarbeit zusammen. Aufgrund der Heterogenität der benutzten neuropsychologischen Tests und der eingeschlossenen Patientenpopulationen verzichteten die Autoren auf eine quantitative Metaanalyse. Sie zeigten vielmehr, dass in neun der elf Studien remittierte depressive Patienten in mindestens einer der Domänen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktion oder in einem Globalmaß der Kognition schlechtere Leistungen zeigten als Kontrollprobanden.

Eine aktuelle Metaanalyse [7] schloss 27 Studien mit 895 euthymen, ehemals depressiven Patienten und 997 Kontrollprobanden ein. In einem Globalmaß kognitiver Funktion zeigte sich eine schlechtere Leistung der euthymen Patienten mit einer mittleren Effektstärke von 0,47 (Cohen’s d). Die deutlichsten Beeinträchtigungen zeigten sich insgesamt in den Exekutivfunktionen [7].

Um das Problem der heterogenen Tests zu umgehen, analysierten Rock et al. (2013) auch bei depressiven Patienten in Remission nur diejenigen Studien, die CANTAB benutzt hatten. Es konnten immerhin sechs Studien mit 168 remittierten Patienten und 178 Kontrollprobanden eingeschlossen werden. Es zeigten sich erneut eine signifikant schlechtere Exekutivfunktion und Aufmerksamkeit mit mittleren Effektstärken von 0,52 bis 0,61. In den unterschiedlichen Gedächtnistests zeigten sich ebenfalls kleine bis mittlere, aber nicht signifikante Effektstärken zwischen 0,22 und 0,54.

Aus den vorliegenden Metaanalysen gibt es daher deutliche Hinweise, dass kognitive Beeinträchtigungen unabhängig von der Psychopathologie auch nach der Remission in euthymen Stimmungslagen weiter persistieren. Auch weitere in den Metaanalysen noch nicht berücksichtigte Studien weisen auf persistierende kognitive Dysfunktion bei remittierten depressiven Patienten hin [37]. Erwähnt sei jedoch, dass hier immer statistische Gruppenvergleiche im Querschnitt vorgenommen wurden und daher keine Aussagen über individuelle Patienten und deren Performance in der depressiven versus remittierten Phase getroffen werden können.

Intraindividuelle Longitudinalstudien depressiver Patienten im Verlauf

Neben der Möglichkeit, im Querschnitt remittierte depressive Patienten und Kontrollprobanden zu vergleichen, können depressive Patienten auch intraindividuell in Phasen der Depression versus Remission untersucht werden, um zu klären, ob kognitive Beeinträchtigungen auch in der Remission persistieren.

So zeigten Reppermund et al. [58] bei depressiven Patienten, die während einer stationären Therapie und sechs Monate später getestet wurden, dass selbst bei remittierten Patienten ein hoher Prozentsatz weiterhin kognitive Beeinträchtigungen aufwies (eine Standardabweichung unterhalb einer Referenzpopulation nach Alter und Geschlecht), nämlich zwischen 15% und 40% der remittierten Patienten pro getesteter Domäne [58].

Die Metaanalyse von Wagner et al. [73] berichtete auch Ergebnisse dreier Studien, die die Exekutivfunktion mittels Stroop-Test vor und nach antidepressiver Therapie bestimmten und eine deutliche Verbesserung der Exekutivfunktion im Laufe der Therapie fanden. Allerdings blieb unklar, ob das Niveau von gesunden Kontrollprobanden erreicht wurde. In einer eigenen Untersuchung mit 51 unmedizierten moderat bis schwer depressiven Patienten und Alters-, Geschlechts- und Bildungs-gematchten Kontrollprobanden fanden wir neben deutlichen Beeinträchtigungen zur Baseline [27] nach dreiwöchiger antidepressiver Therapie eine Besserung kognitiver Beeinträchtigungen bei den depressiven Patienten. Allerdings zeigten diese im Vergleich zu den Probanden weiterhin signifikant schwächere Leistungen im Arbeitsgedächtnis, visuell-räumlichen Gedächtnis und der Aufmerksamkeit [26]. Weitere Kurzzeitstudien mit einigen Wochen antidepressiver Behandlung kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich trotz signifikanter Besserung der Psychopathologie im Zuge der Behandlung nur marginale Besserungen der kognitiven Funktion einstellten [39, 59]. Ebenso fanden Neu et al. [52], dass Patienten zur Baseline in allen untersuchten Domänen schlechter waren als Kontrollprobanden und auch nach sechs Monaten Remission schlechtere Leistungen in den Domänen verbales Gedächtnis und Wortflüssigkeit aufwiesen.

Obwohl es einige wenige Studien gibt, die eine fast komplette Besserung der kognitiven Beeinträchtigungen im Zuge der Remission finden [6], kann auch aus den Studien mit intraindividuellem Design im Längsschnitt geschlossen werden, dass kognitive Beeinträchtigungen auch nach Response oder Remission bei vielen depressiven Patienten weiter zu finden sind.

Prämorbide kognitive (Dys)funktion und Inzidenz der Depression

In der bisherigen Darstellung des Zusammenhangs zwischen Depression und kognitiver (Dys)funktion wurde immer eher davon ausgegangen, dass die kognitive Dysfunktion im Zusammenhang mit der Depression auftritt und sich mit Besserung der depressiven Symptomatik im Verlauf bessert oder eben nicht bessert. Es ist jedoch auch möglich, dass kognitive Beeinträchtigungen bereits vor der Depression feststellbar sind, dieser also vorausgehen und diese eventuell sogar prädizieren. In der Tat liegen auch zu dieser Richtung der Assoziation zwischen Depression und Kognition einige Studien vor.

So schloss eine Studie 35 junge Frauen ein (Altersspanne 16 bis 21 Jahre), die selbst noch keine depressive Episode erlebt hatten, von denen aber jeweils ein Elternteil an einer rezidivierenden depressiven Störung litt. Diese Risikogruppe wurde dann mit einer alters-gematchten gesunden Kontrollgruppe verglichen, in deren Familie es bisher keine depressive Episode gegeben hatte [40]. Es zeigte sich, dass die Risikogruppe im Mittel schlechtere Gedächtnisleistungen aufwies als die Kontrollgruppe. Interessanterweise korrelierten die kognitiven Ergebnisse der Risikogruppe negativ mit erhöhten Cortisol-Werten. Diese Studie deutet darauf hin, dass eine verminderte kognitive Funktion und erhöhte Stresshormonsekretion prämorbide Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression darstellen könnten.

Vereinbar mit dieser Hypothese ist auch eine zweijährige longitudinale Beobachtungsstudie in der Allgemeinbevölkerung [65]. Hier zeigte sich, dass schlechtere Baseline-Leistungen im episodischen Gedächtnis die Entwicklung depressiver Symptome nach zwei Jahren voraussagten. Einschränkend ist zu bemerken, dass es sich hier nicht um depressive Episoden im Sinne von ICD-10 oder DSM-5 handelte, sondern um depressive Symptome, die mit der Symptom-Checklist-90 gemessen wurden. Eine weitere Studie mit 708 nichtdepressiven Teilnehmern aus der Allgemeinbevölkerung (Altersspanne 20 bis 64 Jahre) zeigte über drei Jahre, dass ein schwächeres episodisches Gedächtnis (allerdings nicht Wortflüssigkeit oder psychomotorische Geschwindigkeit) depressive Symptomatik drei Jahre später voraussagte [1].

Zusammenfassend kann aus den Befunden, dass kognitive Beeinträchtigungen sowohl bei asymptomatischen depressiven Patienten in der Remission als auch bei Risikogruppen vor dem Auftreten der ersten depressiven Episode vorkommen, geschlussfolgert werden, dass bei vielen Patienten kognitive Beeinträchtigungen ein Kernsymptom bzw. einen Endophänotyp darstellen und nicht ausschließlich als Epiphänomen depressiver Symptomatik zu betrachten sind.

Assoziation zwischen kognitiver Dysfunktion und Depressionsspezifika

Nachdem oben dargestellt wurde, dass kognitive Beeinträchtigungen während depressiver Episoden fast regelhaft bei jedem Patienten zu finden sind und häufig auch nach der Remission zwischen den Episoden weiterhin zu finden sind, stellt sich die Frage, ob bestimmte klinische Variablen der Depression mit kognitiven Beeinträchtigungen assoziiert sind. Die wichtigsten möglichen Moderatoren sollen im Folgenden diskutiert werden.

Alter und Geschlecht

Derzeit gibt es keine Hinweise auf Geschlechtseffekte im Zusammenhang zwischen Depression und kognitiver Dysfunktion [22]. Dagegen ist ein stärkerer Effekt bei älteren Patienten beschrieben [20, 22, 66, 68]. Insbesondere die Metaanalyse von Bora et al. (2012) hat gezeigt, dass auch das Alter bei Erkrankungsbeginn offensichtlich eine große Rolle spielt. Während Phasen der Remission zeigten Patienten mit einem späteren Beginn der Symptomatik („late-onset“) deutlich ausgeprägtere Beeinträchtigungen als Patienten mit frühem Erkrankungsbeginn („early onset“).

Symptomschwere

Auch zum Zusammenhang zwischen Symptomschwere und kognitiver Dysfunktion bei depressiven Patienten liegt bereits eine Metaanalyse vor [43]. Hierzu wurden 14 Studien eingeschlossen, die eine Korrelation zwischen Symptomschwere und individuellen neuropsychologischen Test-Scores berichteten. Es zeigten sich signifikante, jedoch kleine Korrelationen (r-Werte zwischen 0,16 und 0,32) zwischen Symptomschwere und den Domänen episodisches Gedächtnis, Exekutivfunktion und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit [43]. Allerdings konnten selbst im besten Fall nur etwa 10% der Varianz durch die Symptomschwere erklärt werden. In einer aktuellen Metaanalyse wurde der Zusammenhang zwischen Symptomschwere und verschiedenen Maßen der exekutiven Funktion erneut bestätigt [66].

Anzahl und Länge früherer Episoden

Eine große Studie mit 8229 depressiven Patienten zeigte, dass in der akuten Depression die aktuelle Symptomschwere der stärkste negative Prädiktor für Gedächtnisabruf war, im Verlauf aber die kumulative Anzahl und Länge aller bisherigen depressiven Episoden stärker negativ mit diesem stark Hippocampus-assoziierten Gedächtnisabruf korreliert war. Die Autoren sprachen hier auch von einem „toxischen“ Effekt der Depression auf die kognitive Funktion [20]. Diese Ergebnisse wurden kürzlich in einer kleineren dänischen Studie repliziert [21].

Psychiatrische und somatische Komorbidität

Nur sehr wenige Studien haben systematisch den Einfluss von psychiatrischer oder körperlicher Komorbidität untersucht. Snyder kommt in seiner Metaanalyse von 2013 zum Zusammenhang zwischen Depression und Exekutivfunktion zu dem Schluss, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen depressiven Patienten mit versus ohne psychiatrische Komorbidität gibt. Allerdings schränkt er sogleich ein, dass diese Aussage aus zwei Gründen problematisch ist. Zum einen gab es nur sehr wenige Studien, die komorbide Patienten ausgeschlossen haben und zum anderen berichteten nur sehr wenige Studien die Anzahl und Art der Komorbiditäten. Deren Wichtigkeit wird aus einer Studie deutlich, die zum einen zeigte, dass nur 21% aller depressiven Patienten keine, jedoch fast 70% eine psychiatrische und fast 40% eine körperliche Komorbidität aufwiesen. Patienten mit einer psychiatrischen Komorbidität zeigten schlechtere kognitive Leistungen als diejenigen ohne psychiatrische Komorbidität. Zudem gab es hier eine „Dosis-Wirkungs“-Beziehung, indem mit steigender Anzahl psychiatrischer Komorbiditäten sich die kognitive Leistung verschlechterte. Im Gegensatz dazu zeigte sich, dass körperliche Komorbidität allein keinen Einfluss auf die kognitive Leistung hatte, jedoch gab es einen additiven Effekt zusammen mit psychiatrischer Komorbidität [3].

Medikation

Die Metaanalyse von Rock et al. (2013) untersuchte systematisch Unterschiede zwischen medizierten und unmedizierten depressiven Patienten hinsichtlich kognitiver Beeinträchtigungen. Es zeigten sich keine unterschiedlichen Effektstärken bei medizierten versus unmedizierten Patienten, sodass ausgeschlossen werden konnte, dass Medikamenteneffekte für eine etwaige schlechtere kognitive Performance depressiver Patienten verantwortlich sein könnten [60]. Dazu passen auch eigene Befunde, die zeigten, dass unmedizierte depressive Patienten im Vergleich zu medizierten sogar schlechtere Leistungen im verbalen und non-verbalen Gedächtnis zeigten [28]. Ursächlich hierfür könnte die gesteigerte Cortisol-Sekretion der unmedizierten im Vergleich zu den medizierten Patienten gewesen sein. Hinzuweisen ist darauf, dass insbesondere für alte trizyklische Antidepressiva aufgrund ihrer anticholinergen Nebenwirkungen und für Lithium gezeigt wurde, dass sie mit kognitiven Beeinträchtigungen bei depressiven Patienten einhergehen [22, 34, 75].

Subtypen der Depression

Mehrere, jedoch nicht alle vorliegenden Studien haben gezeigt, dass Patienten mit melancholischer Depression schlechtere kognitive Leistungen zeigen als nichtmelancholische depressive Patienten [66]. Darüber hinaus ist auch die psychotische Depression mit deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen im Vergleich zu nichtpsychotischen Depressionen assoziiert [18, 25, 63]. Schwierig in der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Subtyp der Depression und kognitiver Funktion ist die Unterscheidung zwischen Subtyp und Schweregrad der Depression, der bei melancholischen und psychotischen depressiven Patienten höher zu erwarten ist.

Tabelle 2 zeigt zusammenfassend einige Charakteristika der Depression, die wiederholt mit stärkerer kognitiver Dysfunktion assoziiert waren.

Tab. 2. Spezifische Charakteristika der Depression und kognitive Funktion; angegeben sind jeweils spezifische Variablen der Depression, für die ein Einfluss auf die kognitive Leistung bei depressiven Patienten gezeigt wurde

Variable

Studie*

Alter

[22] [66]

Alter bei Ersterkrankung

[7]

Symptomschwere

[43]

Kumulative Länge depressiver Episoden

[20]

Psychiatrische und somatische Komorbidität

[3]

Medikation

[28] [60]

Subtyp der Depression

[63]

* Exemplarisch, keine vollständige Auflistung aller Studien

Mögliche neurobiologische Mechanismen der kognitiven Dysfunktion bei der Depression

Ähnlich wie in der Ätiologie und Pathogenese der Depression selbst werden auch bezüglich der neurobiologischen Mechanismen zahlreiche Systeme aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Im Folgenden sollen daher die wesentlichen Konzepte kursorisch vorgestellt werden, für ausführliche Reviews zum Thema siehe unter anderem [15, 17, 47, 51, 61]. Natürlich schließen sich die Auffälligkeiten in den verschiedenen neurobiologischen Systemen nicht aus, sondern zeigen einen additiven Effekt.

Präfrontal-subkortikale Netzwerke

Mehrere strukturelle und funktionelle Magnetresonanztomographie(MRT)-Studien legen nahe, dass die Depression mit Veränderungen verschiedener Hirnregionen und Netzwerken einhergeht, die an kognitiven Funktionen beteiligt sind [47, 62]. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine Metaanalyse [14] mit 40 Studien, die fMRT-Untersuchungen bei depressiven Patienten während kognitiv-emotionaler Aufgaben durchführten. Insgesamt zeigte sich ein sehr komplexes neuronales Aktivierungsmuster. Neben Hypo- als auch Hyperaktivität in frontalen Arealen konnten die Autoren auch veränderte Aktivierungsmuster des Thalamus, des Striatums, der anterioren Inselregion und des rostralen anterioren Cingulums bei depressiven Patienten zeigen. Insgesamt bleibt jedoch zu konstatieren, dass zahlreiche weitere Hirnregionen mit kognitiven Beeinträchtigungen bei der Depression in Zusammenhang gebracht wurden. Grob zusammengefasst sprechen die Befunde am ehesten für ein Modell der Depression, das durch eine relative Überaktivität ventraler limbischer Hirnregionen charakterisiert ist, die emotionale Inhalte verarbeiten bei gleichzeitiger Hypoaktivität dorsaler präfrontaler Kortexregionen, die mit kognitiver Kontrolle in Zusammenhang gebracht wurden.

Hippocampus

Geringere Hippocampusvolumina wurden bereits vor einigen Jahren metaanalytisch in der Depression für Patienten mit mehreren Episoden oder sehr langen depressiven Episoden (>2 Jahre) beschrieben [45]. Eine neuere Metaanalyse, die sieben Studien zusammenfasste, fand jedoch auch bereits bei ersterkrankten depressiven Patienten geringere Hippocampusvolumina [12]. Passend zu diesen Befunden gibt es auch Studien, die gezeigt haben, dass insbesondere depressive Patienten mit frühen traumatischen Erfahrungen („early life stress“) geringere Hippocampusvolumen aufwiesen [72]. Dies ist vereinbar mit der Hypothese, dass der Hippocampus, der im Gehirn die höchste Dichte an Glucocorticoid- und Mineralocorticoid-Rezeptoren aufweist, besonders vulnerabel auf eine dauerhaft gesteigerte Stresshormonsekretion reagiert (s.u.).

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse

Glucocorticoide, beim Menschen in erster Linie Cortisol, wirken im Gehirn auf Glucocorticoid- und Mineralocorticoid-Rezeptoren, die überwiegend im Hippocampus exprimiert werden. Cortisol übt daher einen starken Einfluss auf kognitive Funktionen aus und wird häufig bei depressiven Patienten übermäßig sezerniert [67, 74]. Entsprechend konnten zahlreiche Studien auch einen Zusammenhang zwischen gesteigerter Cortisol-Sekretion und verminderter kognitiver Funktion zeigen [5, 27, 28, 59]. Interessanterweise zeigte sich in einer eigenen Studie auch eine deutliche Korrelation zwischen dem Abfall des Cortisols im Laufe einer antidepressiven Behandlung und einer Besserung der kognitiven Leistung [26]. Auch wenn dies noch keine Kausalität impliziert, sind diese Befunde vereinbar mit der Hypothese, dass hohe Cortisol-Werte zur verminderten kognitiven Leistung depressiver Patienten beitragen. Dafür sprechen auch die Ergebnisse einer Studie mit einer Risikopopulation gesunder Frauen (Elternteil mit Depression), die schlechtere kognitive Leistungen und eine gesteigerte Cortisol-Sekretion im Vergleich zu einer Kontrollgruppe aufwiesen [40]. Auch hier korrelierten die neuropsychologischen Testergebnisse negativ mit der Cortisol-Sekretion. Gesteigerte Glucocorticoid-Konzentrationen wurden zudem wiederholt mit einer Hippocampusatrophie in Zusammenhang gebracht [35, 54].

Monoamine

Zahlreiche neuronale Netzwerke, die mit kognitiver Funktion in Zusammenhang gebracht wurden (s.o.), spielen auch bei emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle und wurden bei der Depression als verändert beschrieben [70]. Diese Netzwerke werden gebildet durch reziproke Verbindungen zwischen serotonergen (5-HT), noradrenergen (NA) und dopaminergen Neuronen (DA) [70]. Alle diese monoaminergen Neuronen, die auch Angriffspunkt derzeitiger Antidepressiva sind, entspringen Kernen des Hirnstamms und projizieren in kortikale und subkortikale Regionen. Neue Theorien der Depression gehen davon aus, dass gestörte monoaminerge Neurotransmission in der Depression zu gestörten „Bottom-up“-Prozessen der Informationsverarbeitung und damit zu verminderter kognitiver Leistungsfähigkeit führt [61].

Neurotrophine

Eine weitere Variable, die für den Zusammenhang zwischen Depression und kognitiver Dysfunktion immer wieder diskutiert wird, ist eine gestörte Sekretion von neurotrophischen Faktoren wie dem Wachstumsfaktor BDNF (Brain derived neurotrophic factor). Dieser gehört zu einer Klasse von Wachstumsfaktoren, die eine wichtige Rolle in der Modulation synaptischer Plastizität spielen [9]. Tatsächlich wurden reduzierte BDNF-Konzentrationen nicht nur in Tiermodellen der Depression nachgewiesen, sondern in Post-mortem-Studien auch reduzierte BDNF-mRNA im Hippocampus depressiver Patienten [9]. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass eine erfolgreiche antidepressive Therapie mit einer Steigerung der BDNF-Konzentration einherzugehen scheint [64].

Inflammatorische Parameter

Inzwischen gibt es auch deutliche Hinweise, dass inflammatorische Parameter eine wichtige Rolle in der Depression und den damit assoziierten kognitiven Beeinträchtigungen spielen [48]. Proinflammatorische Zytokine passieren die Blut-Hirn-Schranke und können emotionale wie kognitive Funktionen vielfältig beeinflussen, unter anderem durch Effekte auf die Synthese, Ausschüttung und Wiederaufnahme verschiedener Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und Glutamat [48]. Durch diese Effekte auf verschiedene Neurotransmittersysteme, beeinflussen Zytokine zahlreiche Hirnregionen und Netzwerke, die an kognitiven Funktionen beteiligt sind [48]. Auch jenseits der Depression gibt es eine Fülle von Daten, die zeigen, welch wichtige Rolle inflammatorische Parameter bei kognitiver Dysfunktion spielen [48].

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass es erhebliche Fortschritte in den letzten Jahren gegeben hat, die neurobiologischen Grundlagen kognitiver Dysfunktion zu verstehen [47]. Dabei hat sich eindeutig gezeigt, dass es nicht die eine Ursache kognitiver Dysfunktion gibt. Vielmehr sind Störungen verschiedener, miteinander interagierender funktioneller und struktureller Netzwerke hierbei von besonderer Bedeutung.

Bisherige therapeutische Ansätze zur Behandlung der kognitiven Dysfunktion bei Depression

Da alle bisher verfügbaren Antidepressiva über eine verstärkte Neurotransmission monoaminer Neurotransmitter wirken, ist neben der Wirkung auf emotionale und vegetative Symptome auch eine Wirkung auf kognitive Funktionen wahrscheinlich. Allerdings haben nur wenige Studien spezifisch die kognitive Leistungsfähigkeit als primäre Zielvariable untersucht. Die vorliegenden Studien weisen in der Gesamtheit darauf hin, dass es im Verlauf antidepressiver Behandlung zu einer Besserung kognitiver Probleme kommt [10, 23, 24, 26, 31 ,57]. Untersucht wurden überwiegend selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), ohne dass auf Basis der bisherigen Datenlage valide differenzielle Aussagen zu einzelnen Substanzen gemacht werden können. Eine Übersicht aller diesbezüglichen Studien findet sich in [44].

Trotz dieser positiven Effekte bisheriger Antidepressiva auf die kognitive Funktion depressiver Patienten im Behandlungsverlauf sind die bisherigen Ansätze zur Behandlung der kognitiven Beeinträchtigung bei depressiven Patienten verbesserungswürdig. So leiden, wie oben genauer ausgeführt, eine Vielzahl depressiver Patienten auch in der Remission weiterhin unter kognitiven Symptomen, die das soziale Funktionsniveau erheblich beeinträchtigen [44]. Die Verbesserung der Therapie kognitiver Beeinträchtigungen bei der Depression und anderen psychiatrischen Erkrankungen wurde daher in einem aktuellen Übersichtsartikel noch einmal als dringendes Ziel der Entwicklung neuer Pharmaka benannt [47].

Zusammenfassung und Ausblick

Subjektive Beeinträchtigungen der Kognition gehören zu den diagnostischen Kriterien der Depression nach ICD-10 und DSM-5 und während einer depressiven Episode klagt fast jeder Patient (94%) über diese Symptome [13]. Damit sind kognitive Beeinträchtigungen ein Kernsymptom der Depression. Während der Depression sind kognitive Beeinträchtigungen depressiver Patienten in mehreren Metaanalysen auch objektiviert und quantifiziert worden [60, 73]. Die am stärksten betroffenen Domänen sind Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktion. Darüber hinaus lassen sich aber auch in der Remission in euthymer Stimmungslage bei einer Vielzahl depressiver Patienten kognitive Beeinträchtigungen feststellen [7, 60]. Es gibt kein uniformes neurobiologisches Korrelat der kognitiven Dysfunktion, vielmehr sind zahlreiche Netzwerke und verschiedene Transmitter involviert. Die Befunde wurden von McIntyre (2013) prägnant in der Aussage zusammengefasst, dass kognitive Beeinträchtigungen in der Depression konsistent, replizierbar, unspezifisch und klinisch signifikant sind [44].

Die klinische Signifikanz zeigt sich unter anderem darin, dass kognitive Beeinträchtigungen sowohl ein schlechteres Therapieansprechen als auch häufigere Rückfälle prädizieren und besonders ausgeprägt das soziale Funktionsniveau beeinträchtigen [44]. Insbesondere die Tatsache, dass auch in der Remission eine Vielzahl von Patienten kognitive Symptome aufweist, stellt das aktuelle Konzept von Remission infrage. Diese wird derzeit über einen Summenscore etablierter Depressionsskalen, also ausschließlich über die Psychopathologie, definiert. Berücksichtigt man neuere Ansätze, wie die der Krankheitsbürde [11], die auch Lebensqualität und soziales Funktionsniveau berücksichtigt, kommt der kognitiven Dysfunktion eine noch größere Bedeutung zu. Für alte trizyklische Antidepressiva und Lithium sind kognitive Nebenwirkungen häufig gezeigt worden, insbesondere bei älteren Patienten. Gängige moderne Antidepressiva führen dagegen im Verlauf der Behandlung zu einer Besserung der kognitiven Dysfunktion [44], ohne dass valide Aussagen über differenzielle Effekte zwischen einzelnen Antidepressiva oder Substanzklassen gemacht werden können. Bisher gibt es nur wenige Studien, die derzeitig eingesetzte Antidepressiva spezifisch hinsichtlich kognitiver Beeinträchtigungen depressiver Patienten untersucht haben. Daher sollten sowohl die existierenden Antidepressiva diesbezüglich untersucht als auch neue medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden entwickelt werden, die kognitive Dysfunktion während, aber auch nach der depressiven Episode bessern und damit zu einer Verringerung der Krankheitsbürde depressiver Patienten führen.

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Prof. Dr. Christian Otte, Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Benjamin Franklin, Eschenallee 3, 14050 Berlin, E-Mail: christian.otte@charite.de

Depression and cognitive dysfunction: clinical relevance and therapeutic implications

Major depression is one of the most pressing public health issues due to its high lifetime prevalence of 15%. Because major depression often starts in early adulthood and often takes a chronic and recurrent course, it dramatically impairs social functioning in many patients. Cognitive dysfunction is one of the major determinants of social functioning. In many depressed patients, cognitive dysfunction is not only present during the depressive episode but remains a residual symptom after remission. Attention, memory, and executive function are the cognitive domains that are most pronounced affected. Cognitive dysfunction is not only a predictor of poor treatment response but also of early relapse. So far, only few studies have specifically addressed the effects of existing antidepressants on cognitive dysfunction in depressed patients. Therefore, such studies need to be conducted and every effort should be undertaken to develop pharmacological and non-pharmacological treatment options that help to improve cognitive dysfunction during and after a depressive episode to reduce the patients’ burden of illness.

Key words: Depression, cognitive dysfunction, memory, neuropsychology

Psychopharmakotherapie 2014; 21(02)