Tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson

Einsatz der THS auch schon früher im Krankheitsverlauf vertretbar


Dr. Frank Steigerwald, Prof. Jens Volkmann, Würzburg

Bislang war die Indikationsstellung zur tiefen Hirnstimulation (THS) bei Morbus Parkinson den fortgeschrittenen Erkrankungsstadien mit schweren Wirkungsfluktuationen vorbehalten. In einer neuen Studie [1] wurden nun die Auswirkungen der THS auf die motorischen Symptome und die Lebensqualität bei Patienten mit nur leichten Wirkungsfluktuationen untersucht und es wurde gezeigt, dass Patienten auch in früheren Erkrankungsstadien deutlich profitieren.
Mit einem Kommentar von Dr. Frank Steigerwald und Prof.Dr. Jens Volkmann, Würzburg

Die tiefe Hirnstimulation hat sich längst als wirksame Therapieoption bei Morbus Parkinson etabliert und ihre Sicherheit und Langzeitwirksamkeit wurde durch verschiedene Studien belegt [2–5]. Bislang wird sie erst beim Fortbestehen schwerer Wirkfluktuationen trotz Ausschöpfen aller medikamentösen Therapieoptionen, inklusive der mehr oder weniger invasiven Pumpentherapien, eingesetzt.

Dies führt zur Selektion einer Patientenklientel, die nicht nur von den direkten Erkrankungsfolgen, sondern auch von den psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung betroffen ist: Verlust des Arbeitsplatzes, Frühberentung, Einstellung von Hobbies, Verlust des Freundeskreises bis hin zu pathologischen Familienkonstellationen. Die THS erfolgt also zu einem Zeitpunkt, zu dem Krankheitsfolgen vorliegen, die auch durch eine Verbesserung der motorischen Beschwerden oft nicht mehr umkehrbar sind und so dauerhaft die Lebensqualität bei Parkinson-Patienten beeinträchtigen [6]. In der EARLY-STIM-Studie [1] wurde untersucht, inwieweit die Patienten von einer THS bereits in einem früheren Erkrankungsstadium profitieren können.

Studiendesign

Eingeschlossen wurden Parkinson-Patienten (Alter <60 Jahre, Hoehn & Yahr-Stadium unter Medikation <3, also ohne relevante Gleichgewichtsstörung) mit gutem Ansprechen auf Levodopa, die seit höchstens drei Jahren Wirkungsfluktuationen unter der dopaminergen Therapie hatten. Die wichtigsten Ausschlusskriterien waren das Vorliegen einer Demenz, einer schweren Depression oder einer akuten Psychose sowie Kontraindikationen hinsichtlich der Operabilität. Rekrutiert wurde an THS-erfahrenen Zentren in Deutschland und Frankreich.

Die Patienten wurden parallel in einen medikamentösen oder einen operativen Arm mit einer Studiendauer von insgesamt 24 Monaten randomisiert. Für beide Arme waren an Hand der aktuellen Leitlinien, Evidenz und Expertenwissen Standards definiert worden, wie bezüglich der Parkinson-Einstellung bei Verschlechterungen vorzugehen ist. Die Einhaltung dieser Standards wurde für jeden Einzelfall geprüft, um in beiden Armen eine bestmögliche Medikamentenbehandlung (best-medical treatment) sicherzustellen.

Primäres Zielkriterium war der Unterschied im Parkinson-spezifischen Selbstfragebogen zur Lebensqualität (PDQ-39) nach zwei Jahren. Sekundäre Zielpunkte waren die Beeinträchtigung im täglichen Leben, die motorische Symptomatik und der Grad der Wirkungsfluktuationen (jeweils gemessen anhand der Unified Parkinson’s disease rating scale, Subscores UPDRS-II, -III und -IV) sowie die tägliche Dauer guter Beweglichkeit ohne Dyskinesien, psychosoziale Funktionen (SCOPA-PS), Kognition (Mattis), Brief Psychiatric Rating Scale, Montgomery Åsberg Depression Rating Scale, Beck-Depressionsinventar (BDI), Starkstein Apathy Scale und die jeweilige Levodopa-Äquivalenz-Tagesdosis.

Ergebnisse

Insgesamt konnten 251 Patienten in die beiden Arme randomisiert werden (Abb. 1). Entsprechend den Einschlusskriterien waren die Patienten im Vergleich zu vorangegangenen kontrolliert-randomisierten THS-Studien bei Morbus Parkinson deutlich jünger, hatten eine kürzere Erkrankungsdauer und nahmen deutlich weniger Parkinson-Medikamente (Details s. Tab. 1).

Abb. 1. Patientenzahlen der Studie [mod. nach 1]; THS: Tiefe Hirnstimulation; KI: Kontraindikation; ITT: Intention-to-treat-Analyse, PP: Per-Protocol-Analyse

Tab. 1. Patientencharakteristika der EARLY-STIM im Vergleich zu anderen Studien

Studie

Anzahl Patienten

Alter bei THS [Jahre]

Erkrankungs-dauer [Jahre]

Levodopa-Äquivalenzdosis [mg/Tag]

EARLY-STIM

251

53

7,5

960

Deuschl et al. 2006

156

61

13,4

1800

Williams et al. 2010

366

59

11,4

1300

Follett et al. 2010

299

62

11,7

1300

Okun et al. 2012

136

60

12,0

1400

Auf der UPDRS-III-Skala, mit der die Schwere der motorischen Symptome durch verblindete Rater ermittelt wurde, zeigte sich im THS-Arm nach 24 Monaten eine Verbesserung um 3,2±0,7 Punkte (+26% gegenüber der Baseline). Im medikamentösen Arm kam es zu einer Verschlechterung um 1,3±0,6 Punkte (–11%). Der Dyskinesie-Score (UPDRS-IV) verbessert sich unter THS um 3,4±0,3 Punkte (+61%) und die Zeit im On nahm um 2,1±0,5 Stunden/Tag (+20%) zu. Dies war jeweils signifikant besser als unter medikamentöser Behandlung; hier verschlechterte sich der Dyskinesie-Score um 0,7±0,3 Punkte (–13%), und die Zeit im On nahm lediglich um 0,2±0,5 Stunden/Tag (+2%) zu.

Die Lebensqualität verbesserte sich unter der THS um 7,8±1,2 Punkte auf der PDQ-39 (+26%), während sie im medikamentösen Arm leicht abnahm (–0,2±1,1 Punkte [–1%]; p=0,002). Dieser Effekt war bereits fünf Monate nach THS sichtbar und hielt auch über die 24-monatige Studiendauer an. Die größten Veränderungen wurden dabei im Bereich der Stigmatisierung, dem allgemeinen Wohlbefinden und bei den Aktivitäten des täglichen Lebens erreicht. Die Medikation (gemessen anhand der Levodopa-Äquivalenzdosis) konnte im THS-Arm um 39% gesenkt werden, während sie im medikamentösen Arm um 21% gesteigert werden musste (Δ 609 mg, p<0,001).

Die Gesamtzahl der schweren Nebenwirkungen im medikamentösen und im chirurgischen Arm war vergleichbar, wobei operative Komplikationen im chirurgischen Arm und krankheits- (z.B. Stürze) oder medikamentenassoziierte Komplikationen (z.B Psychosen) im konservativen Arm dominierten. An schweren unerwünschten Ereignissen besonders erwähnenswert waren zwei Selbsttötungen im Stimulationsarm und eine im Medikamentenarm. Die operationsbedingten Nebenwirkungen bildeten sich bis auf eine störende Narbenbildung komplett zurück.

Fazit der Studie

Die Autoren schlussfolgern, dass der Einsatz der THS bei Morbus Parkinson bereits beim Auftreten erster Wirkfluktuationen sicher und einer rein medikamentösen Therapie hinsichtlich Lebensqualität und auch Kontrolle der motorischen Symptome überlegen ist. Die beobachteten Effektgrößen der THS sind dabei nicht nur alltagsrelevant, sondern auch vergleichbar mit denen, die beim Einsatz der THS in späteren Erkrankungsstadien beschrieben sind.

Kommentar

Die vorliegende Studie zum frühzeitigen Einsatz der THS beim Morbus Parkinson zeichnet sich durch vorbildliches Studiendesign und -umsetzung aus. Sicherlich sind weitere Studien, insbesondere mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen, notwendig, um entscheiden zu können, ob und bei welchen Parkinson-Patienten die THS generell schon beim Auftreten erster Wirkfluktuationen empfohlen werden kann. Die EARLY-STIM-Studie gibt jedoch schon jetzt Argumente an die Hand, mit denen bei geeigneten und entsprechend interessierten Patienten die Indikation zur THS im Einzelfall bereits frühzeitiger gestellt werden kann und nicht erst auf die Ausnutzung aller verfügbaren konservativer Mittel verwiesen werden muss. Aus unserer Erfahrung sollte insbesondere bei Parkinson-Patienten, bei denen aufgrund erster Wirkfluktuationen die Arbeitsfähigkeit oder andere Sozialkompetenzen gefährdet sind, frühzeitiger die Möglichkeit einer THS angesprochen und diskutiert werden.

Quellen

1. Schuepbach WM, et al. Neurostimulation for Parkinson’s disease with early motor complications. N Engl J Med 2013;368:610–22.

2. Deuschl G, et al. A randomized trial of deep-brain stimulation for Parkinson’s disease. N Engl J Med 2006;355:896–908.

3. Williams A, et al. Deep brain stimulation plus best medical therapy versus best medical therapy alone for advanced Parkinson’s disease (PD SURG trial): a randomised, open-label trial. Lancet Neurol 2010;9:581–91.

4. Follett KA, et al. Pallidal versus subthalamic deep-brain stimulation for Parkinson’s disease. N Engl J Med 2010;362:2077–91.

5. Okun MS, et al. Subthalamic deep brain stimulation with a constant-current device in Parkinson’s disease: an open-label randomised controlled trial. Lancet Neurol 2012;11:140–9.

6. Volkmann J, et al. Long-term effects of pallidal or subthalamic deep brain stimulation on quality of life in Parkinson’s disease. Mov Disord 2009;24:1154–61.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(02)