Global burden of disease

Psychische Störungen und Substanzmissbrauch auf Platz 5


Simone Reisdorf, Erfurt

Sie zählen zu den Volkskrankheiten und sollten nicht unterschätzt werden: Psychische Störungen sind zusammen mit dem Missbrauch von Alkohol, Opioiden und Cocain für 7,4% der weltweiten Krankheitslast (Global burden of disease, GBD) verantwortlich.

Im Jahre 2010 haben Substanzmissbrauch und psychische Störungen wie Depression, Angst und Schizophrenie die Weltbevölkerung insgesamt 183,9 Millionen behinderungsbereinigte Lebensjahre (Disability-adjusted life years, DALYs) gekostet und standen damit auf Platz fünf der Verursacher von Krankheitslast, hinter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen, Erkrankungen der Neugeborenen und Krebs. Dies besagt eine vor kurzem veröffentlichte Analyse von Daten der GBD-Studie 2010 und zusätzlicher aktueller Quellen.

Viele krankheitsbelastete Jahre, relativ wenig Todesfälle?

Neben den DALYs wurden auch deren beiden Einzelkomponenten erfasst: die „mit Behinderung gelebten Jahre“ (Years lived with disability, YLDs) und die „durch vorzeitigen Tod verlorenen Jahre“ (Years of life lost, YLLs). Dabei zeigte sich, dass psychische Störungen und Substanzmissbrauch 2010 für 175,3 Millionen YLDs (22,9% aller YLDs) verantwortlich waren und damit mehr YLDs verursachten als alle anderen Erkrankungsgruppen.

Zudem führten psychische Störungen und Substanzmissbrauch zu 8,6 Millionen YLLs (0,5% aller YLLs). Suizide und andere Todesfälle mit klar definierter physischer Todesursache wurden bei diesen verlorenen Lebensjahren nicht mitgezählt: Es erwies sich als schwierig zu ermitteln, inwieweit Depression, Angst oder Sucht tatsächlich zu diesen Todesfällen beigetragen hatten.

Hauptursache: Depression

Unter den psychischen und Substanzmissbrauchs-Störungen wurden die meisten DALYs (40,5%) durch Depressionen verursacht. In weitem Abstand folgten Angsterkrankungen (14,6%), Drogenmissbrauch (10,9%), Alkoholmissbrauch (9,6%), Schizophrenie (7,4%), bipolare Störungen (7,0%), schwerwiegende Entwicklungsstörungen, wie Autismus inkl. Asperger-Syndrom (4,2%), kindliche Verhaltensstörungen (3,4%), Essstörungen (1,2%), andere psychische Störungen (0,8%) und idiopathische geistige Behinderung (0,6%).

Dabei erwiesen sich Alkohol- und Drogenmissbrauch als die größten Räuber von Lebensjahren mit den meisten YLLs, während Depression und Angst – bei Nichtberücksichtigung der Suizide – eher zu Lebensjahren mit Behinderung (YLDs) führten.

Jungen häufiger als Mädchen betroffen, aber Frauen häufiger als Männer

In der Altersgruppe von ein bis zehn Jahren traten psychische Störungen bei Jungen häufiger auf als bei Mädchen. Ab 10 Jahren dagegen waren Mädchen und Frauen häufiger betroffen als Männer. Über alle Altersgruppen waren DALYs und YLDs durch psychische Erkrankungen und Substanzmissbrauch in der Summe gleichermaßen bei Männern und Frauen anzutreffen. Allerdings verloren Männer durch diese Krankheiten mehr Lebensjahre (75,1% der YLLs) als Frauen (24,9% der YLLs).

Globale Verteilung folgt keinem klaren Muster

Bei einigen Erkrankungen gab es große regionale Unterschiede. Alkoholmissbrauch beispielsweise kommt in Osteuropa relativ häufig vor, in Afrika (außer im Süden) dagegen besonders selten. Relativ gleichmäßig regional verteilt waren Depressionen, kindliche Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten.

Insgesamt hoch war die Krankheitslast durch psychische Störungen und Substanzmissbrauch in Russland, den USA, Nordafrika, in Teilen des Nahen Ostens und Südamerika. Niedrige Zahlen fanden sich in Zentral- und Westafrika sowie in China, Indien, Nordkorea, Japan und Südostasien. Eine klare Zuordnung zu bestimmten Wirtschaftsräumen konnte aber nicht getroffen werden; Industrie- und Entwicklungsländer waren gleichermaßen betroffen.

Anstieg seit 1990 vor allem demographisch bedingt

Im Vergleich zur ersten GBD-Studie von 1990 wurden 2010 deutlich mehr psychische Störungen verzeichnet. Der Anstieg von 133,6 Millionen DALYs (1990) auf 183,9 Millionen DALYs (2010) entspricht einem Plus von 37,6 Prozentpunkten. Auch der Anteil der psychischen und Substanzmissbrauchs-Störungen an der gesamten Krankheitslast ist gestiegen, von 5,4% auf 7,4% aller DALYs. Während dies bei Depressionen, Angst und anderen psychischen Störungen meist auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist, erhöhte sich bei Alkohol-, Opioid- und Cocainmissbrauch tatsächlich die Erkrankungsprävalenz. Nur ein Teil der Unterschiede von 1990 zu 2010 ist methodisch bedingt: Einerseits wurden 2010 mehr Diagnosen als zuvor eingeschlossen, andererseits fiel die Gewichtung nach Lebensalter weg.

Fazit

Die Studienautoren fassen zusammen, dass psychische Störungen und Substanzmissbrauch eine große und wachsende Herausforderung sowohl in entwickelten als auch in sich entwickelnden Regionen sind und mehr Beachtung erfordern.

Quelle

Whiteford HA, et al. Global burden of disease attributable to mental and substance use disorders: findings from the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet 2013;382:1575–86.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(01)