Perspektiven und Herausforderungen in der Neuro-Psychopharmakotherapie


Heinz Reichmann, Dresden

Die Psychopharmakotherapie ist ein wichtiges Organ für alle Psychiater und Neurologen, welche die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Pharmakotherapie kennenlernen wollen. Im aktuellen ersten Heft des Jahres 2014 werden sowohl neurologische als auch psychiatrisch relevante Themen bearbeitet. Für die Neurologen findet sich ein aufschlussreicher Artikel zu einem neuen oralen Medikament zur Immuntherapie der multiplen Sklerose, nämlich Teriflunomid, das seit Oktober 2013 in Deutschland zugelassen ist. Heinz Wiendl, Münster, stellt die großen Doppelblindstudien vor, die dieses Medikament zur Zulassung brachten. Er beschreibt es als Alternative zu den zugelassenen Ersttherapien wie Interferon beta und Glatirameracetat. Teriflunomid hemmt reversibel die Pyrimidinsynthese und verhindert damit die Proliferation und Zytokinsekretion in proliferierenden Immunzellen. Mit der Zulassung dieses Medikaments eröffnen sich neue Möglichkeiten in der Erstbehandlung von an multipler Sklerose Erkrankten, da im Gegensatz zu dem anderen oralen Immunsuppressivum, Fingolimod, diese Substanz als Basistherapeutikum zur Verfügung stehen wird.

Sehr aufschlussreiche Informationen zu Empfehlungen zur Anwendung von Psychotherapie bei Depressionen gemäß der nationalen Versorgungsleitlinie und deren tatsächlicher Anwendung liefert Hans-Jürgen Möller, München. Die Empfehlung der Versorgungsleitlinie, den Patienten, je nach Schweregrad der Depression, eine Psychotherapie alternativ zu oder in Kombination mit einer Antidepressiva-Therapie anzubieten, beschreibt, wie der Autor ausführt, einen Idealstandard, der in der realen ambulantern Versorgung depressiver Patienten aus verschiedenen Gründen nicht umgesetzt werden kann. Er analysiert diese Gründe und thematisiert dabei unter anderem das Missverhältnis zwischen Bedarf und Angebot an Psychotherapeuten, regulatorische Hemmnisse, die typischen Behandlungspfade bei der Versorgung depressiver Patienten mit einem Überwiegen somatisch (und damit meist pharmakotherapeutisch) orientierter Ärzte, aber auch Unterschiede in der Evidenzbasierung von Antidepressiva- und Psychotherapie und Unschärfen in den Empfehlungen der Versorgungsleitlinie. Für die Revision der Nationalen Versorgungsleitlinie erscheinen einige Präzisierungen und Differenzierungen sinnvoll, für die der Autor abschließend Anregungen liefert.

Gerd Laux, Soyen/München, spricht in seinem Artikel die „Unmet needs“ bezüglich der bestehenden Antidepressiva an. Obwohl eine Vielzahl von Antidepressiva zur Verfügung steht, teilen alle gewisse Nachteile, beispielsweise in Hinblick auf die (zu lange) Zeit bis zum Wirkungseintritt, die Verträglichkeit und damit verknüpfte Compliance sowie den fehlenden Einfluss auf kognitive Störungen oder mit der Einnahme der Medikamente verknüpfte Nebenwirkungen wie Müdigkeit. Mit Recht weist er daraufhin, dass es „die“ Depression nicht gibt, sodass es auch nicht „das“ Antidepressivum geben kann. Nachdem die bisherigen Medikamente sich insbesondere an Korrekturen des serotonergen und noradrenergen Stoffwechsels orientierten, werden nunmehr Antidepressiva mit neuen pharmakologischen und multimodalen Wirkungsmechanismen entwickelt, die wohl auch dringlich zur besseren Therapie der häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankung, nämlich der Depression, notwendig sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Initiative der US-amerikanischen Regierung hinweisen, das Jahr 2014 und Folgende zu den Jahren der Bekämpfung der Demenz zu erklären. Allein in Deutschland gehen wir davon aus, dass mehr als eine Million Mitbürger an einer dementiven Erkrankung leiden. Die überwiegende Anzahl dieser Patienten dürfte an einer Alzheimer-Demenz erkrankt sein. Trotz überzeugender Psychopharmaka-Optionen zur Therapie der Alzheimer-Demenz, beispielsweise der Acetylcholinesterasehemmer und des Memantin, stimmen wir alle darin überein, dass diese Effekte und insbesondere die Wirkungsdauer dieser Medikamente viel zu kurz und nicht überzeugend dahingehend sind, den dementiven Abbau hochsignifikant abzubremsen oder gar zu stoppen. Somit sind insbesondere auf dem Gebiet der Demenz unbedingt neue Therapieansätze notwendig. Es ist schwer vorherzusehen, welcher Ansatz der Effektivste sein wird, da selbst eine Anti-Amyloid-Therapie sicherlich zu spät greifen würde, wie dies in einzelnen Untersuchungen bereits gezeigt werden konnte. Somit bleibt zu hoffen, dass beispielsweise eventuell Medikamente mit Korrektur der Tauphosphorylierung etabliert werden oder Medikamente, welche die Ablagerung von Amyloid in frühesten Phasen verhindern. In Deutschland gibt es durch die Einrichtung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (unter dem Dach der Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung) eine große Gruppe, die unter der Federführung der Bonner Zentrale aktiv mit der Aufklärung dementiver Erkrankungen und der sich daraus entwickelnden Therapie beschäftigt ist. An dieser Stelle muss somit der vorangegangenen Bundesregierung gratuliert werden, dass sie durch die Etablierung eines solchen Gesundheitszentrums schon vor den amerikanischen Kollegen eine der wichtigsten medizinischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft aktiv angehen wollte. Sicherlich wird es noch Jahre dauern, bis wir in der Psychopharmakotherapie ein neues Antidementivum werden vorstellen können, welches gegebenenfalls eine bestehende Demenz nachhaltig verbessert oder, was wahrscheinlicher der Fall sein wird, die Entstehung einer kognitiven Störung verhindern wird.

Abschließend wünsche ich allen Lesern der Psychopharmakotherapie einen guten Jahresbeginn in ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2014 und hoffe, dass wir Ihnen auch in diesem Jahr viele Innovationen auf dem Gebiet der Psychopharmakotherapie werden bieten können.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(01)